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Titel: Weg mit dem Busen! Kunst, Kultur und Kritik bitte nur noch im passenden Outfit

Datum: 23. Mai 2025 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kultur und Kulturpolitik, Wertedebatte
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Eine klassizistische Statue musste aus einer Bundesbehörde weichen. Weil sie durch ihre Nacktheit Anstoß hätte erregen können. Tat sie zwar nicht, aber sicher ist sicher, dachte sich die Gleichstellungsbeauftragte. Ob sie auch das Internet verbieten würde? Ein Akt der Verzweiflung von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Eine bronzene Statue, splitternackt, im öffentlichen Raum. Wo gibt‘s denn sowas? Beziehungsweise: Wo gibt‘s denn sowas nicht? Also nicht mehr? Antwort: Im Foyer des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) in Berlin-Weißensee. Bis irgendwann im Sommer des Vorjahres stand da noch die „Venus Medici“ und entzückte mit ihrer Schönheit und Erhabenheit die Ankömmlinge einer Behörde, deren Name und Metier so steif, bieder und deutsch anmuten wie Bockwurst mit Senf.

Nun ja, womöglich, vielleicht, eventuell mag der Anblick der Figur manch einem die Sinne so berauscht haben, dass ihm die Kontrolle über den Unterleib entglitt und – Sie wissen schon … Schließlich soll es ja Zeitgenossen geben, schrieb am Montag die Berliner Zeitung (hinter Bezahlschranke), die sich in städtischen Parkanlagen an bloßen Frauen- oder auch Männerskulpturen vergehen, beglaubigt durch „verräterisch glänzende Berührungsstellen an gewissen erogenen Zonen“. Mithin würden die Schutzlosen sogar schamlos mit Farbe, Speichel oder was auch immer besudelt.

Objekt der Begierde?

Über die Venus vom Amt ist derlei nichts überliefert. Wie es heißt, wäre nie irgendwer gegen sie übergriffig geworden, hätte sie betatscht oder in MeToo-Manier bekleckert. Und keiner habe je geklagt, die Bronze als anstößig zu empfinden. Und dennoch musste sie weichen, nach zehn langen Jahren, umwittert von bürokratischer Muffigkeit. Denn es gab doch wen, offenbar nur eine Einzige, für die ihre Erscheinung zum Problem wurde. Es war dies die Gleichstellungsbeauftragte des Hauses. Von ihr erging ein Hinweis an höhere Stelle, wonach die metallene Plastik ein sexistisches Ärgernis sein „könnte“, woraus sich Handlungsbedarf aufgrund des Bundesgleichstellungsgesetzes ergeben würde.

Und so „ergab“ es sich, dass alles ganz schnell ging. Die Alarmierte schlug beim Bundesverwaltungsamt (BVA) Alarm, das die fragliche Liegenschaft bewirtschaftet und dieser Tage, zehn Monate später, ausrichten ließ, das vermeintliche Objekt der Begierde Mitte Juli 2024 an die Kunstverwaltung des Bundes überstellt zu haben. Allerdings sei das BADV „weder über die Entfernung des Kunstwerkes noch über die Gründe informiert“ worden, teilte dessen Pressestelle mit. Was zweierlei Schlüsse erlaubt: Das Amt stellt sich dumm, schließlich macht man sich gerade zum Gespött der BILD-Zeitung. Oder es beschäftigt eine Gleichstellungsbeauftragte, die sich selbstherrlich über Geschäftsleitung und Belegschaft stellt und in geheimer Mission das Moralzepter schwingt.

Spirale der Scheinheiligkeit

Man mag sich kaum vorstellen, wofür die Dame noch so missionieren könnte. Etwa für ein Urlaubsverbot in Hellas? Dort lauern an jeder Ecke nackte Künder der klassischen Antike und stellen frivol Busen, Scham und Gemächt zur Schau. Wie viele empfindsame Gemüter mag das schon zur Schamesröte und zur griechischen Außenstelle für feministische Außenpolitik getrieben haben? Deshalb: Hinfort mit Euch, Ihr schmutziges Gesindel, macht Euch von dannen, zurück in die Barbarei der Präzivilisation, auf dass wir Euch nicht mehr sehen und nichts mehr von Euch wissen müssen! Und wenn das nicht geht: Zieht Euch wenigstens was über!

Spaß beiseite, denn spaßig ist das alles nicht. Vielmehr bedrückend, beängstigend und exemplarisch – für den grassierenden Geist an Geistlosigkeit, der durch die Republik weht. Denn was ist die „Venus Medici“? Kunst! Und Kunst muss gesehen, bewundert, bedacht, durchdacht werden. Und ja: Sie soll auch Anstoß erregen und auf gesellschaftliche Missstände stoßen. Wie zum Beispiel den, dass das Internet voll ist von Obszönität, Perversion und Bestialität. Heranwachsende werden heute wie selbstverständlich mit Gewalt und Pornographie groß, und läuft es ganz schlecht, werden sie zu Gaffern von Kindesmissbrauch, mithin selbst zu Opfern von Schändern. Das alles verhandelt der Kapitalismus – und „verkauft“ es buchstäblich – als Freiheit. Aber einen steinernen Nackedei sollen wir nicht mehr ertragen müssen. Wie weit kann sich die Spirale der Heuchelei noch drehen?

Keusch und gar nicht sexy

Ein Akt der Dummheit ist der Fall der verbannten „Venus Medici“ selbst im persönlichsten Sinne. Das im 18. Jahrhundert gefertigte Bildnis ist ein Abguss des antiken Originals aus Marmor, das noch vor Christi Geburt geschaffen wurde und heute zur Kunstsammlung der „Uffizien“, einer Kunstgalerie in Florenz, gehört. In der römischen Mythologie verkörperte die Venus die Göttin der Liebe und Entstehung neuen Lebens und war damit das Pendant der altgriechischen Aphrodite. Und sie figuriert das exakte Gegenteil von Lüsternheit und Gier oder sonstigen Attributen, die ihr um Geschlechtergleichstellung besorgte Sittenwächter(Innen) zuschreiben mögen. Heute steht die Statue im „Grassi Museum für angewandte Kunst“ in Leipzig. Dort erfährt der Besucher, sie sei „nach dem mythischen Typus der ‚pudica‘ (keusch) dargestellt – ertappt, wie sie instinktiv ihre Brüste und Scham bedeckt, als ob sie sich von einem indiskreten Blick beobachtet fühlt“.

Also allenfalls etwas für Tugendphantasten, aber „nix mit Sexismus“, wie der Berliner Kurier festhielt. Und wohl auch nix für Lustmolche, denen das Patriarchat hinterm Hosenlatz schwillt. Eher zum Steinerweichen anmutig. Jedenfalls ist man in Leipzig froh und glücklich über die Leihgabe der Kunstverwaltung des Bundes, die dort seit Januar museal ihre Frau steht, so nackt und ästhetisch wie ehedem in Weißensee. Wobei zu hoffen bleibt, dass das so bleibt und in Deutschland nicht alsbald Kunst- und Kulturverächter, Umerzieher, Bilderstürmer und Bücherverbrenner wieder die Oberhand erlangen, um, diesmal im Namen von „Freiheit“, „Gleichstellung“, „Vielfalt“ und „Offenheit“, neben missliebigen Meinungen obendrein die Artefakte menschlicher Schöpfung zu beseitigen, auszumerzen oder, wie man heute neudeutsch sagt, zu „canceln“.

Mit besten Absichten „kriegstüchtig“

Die vertriebene Venus wüsste davon, so sie könnte, aus leidlicher Erfahrung zu berichten. 1990 hatten sie Polizeitaucher der DDR aus dem Großdöllner See in der Schorfheide im nördlichen Brandenburg geborgen. Sie war einst Teil der erbeuteten Schätze von Hermann Göring, die Hitlers Reichsmarschall in seinem Jagdschloss „Carinhall“ verschanzt hielt. Als im April 1945 die Rote Armee anrückte, sprengten SS-Schergen das Anwesen in die Luft und verklappten die Kostbarkeiten kurzerhand im Wasser. So kann es gehen, wenn Kunst, Kultur und Kritik im Weg sind. Einfach weg damit!

Und beim Großreinemachen macht sich Vergessen breit. Wer entsinnt sich noch, dass „Wehrtüchtigkeit“ und „Kriegstüchtigkeit“ Propagandaparolen der Nazis waren? Kaum einer oder niemand mehr? Treffer, versenkt!

Titelbild: Grok – Das Titelfoto ist ein mit künstlicher Intelligenz erstelltes Symbolbild


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