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Titel: Verhandlungen in Istanbul: Wie das Narrativ von den entführten Kindern in sich zusammenfiel

Datum: 4. Juni 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Russland hat Zehntausende ukrainische Kinder nach Russland entführt. Sie werden dort „russifiziert“, ihrer Identität beraubt und assimiliert, wird in Deutschland behauptet. Der Internationale Strafgerichtshof hat deswegen einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Bei den Verhandlungen zur Regulierung des Ukraine-Konflikts am Montag brach diese Geschichte in sich zusammen. Für den deutschen Medienkonsumenten wurde wieder einmal ein Spektakel aufgeführt, das mit der Realität absolut nichts zu tun hat. Von Gert-Ewen Ungar.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Beim Treffen einer russischen und einer ukrainischen Delegation in Istanbul am Montag wurden weitere Verhandlungsfortschritte erzielt. Die Unterhändler tauschten Memoranden aus, in denen beide Länder ihre Bedingungen für einen dauerhaften Friedensschluss umreißen. Das Angebot der jeweils gegnerischen Seite wird nun geprüft. Vereinbart wurde erneut ein umfassender Gefangenenaustausch und die Fortsetzung der Gespräche. Zudem sollen die sterblichen Überreste von 6.000 gefallenen ukrainischen Soldaten zurückgegeben werden, damit diese in Würde bestattet werden können. Es sei eine humanitäre Geste, sagte der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski.

Die Ukraine übergab zudem eine Liste mit Namen von 339 Familien, die ihre Kinder vermissen. Diese Nachricht ist von Brisanz, denn mit ihr bricht eine im Westen verbreitete Verschwörungserzählung in sich zusammen. Diese Erzählung lautet, Russland hat nach Beginn der militärischen Spezialoperation am 24. Februar 2022 systematisch Kinder aus der Ukraine entführt und nach Russland verschleppt.

Die angegebene Zahl der angeblich von Russland entführten Kinder schwankt je nach aktueller Stimmung zwischen mehreren Zehntausend und mehreren Hunderttausend.

Die Kinder wurden ihren Familien entrissen und würden nun “russifiziert”, heißt es dazu beispielsweise in der FAZ. Für die Spin-Doktoren in den deutschen Schreibstuben klingt der Propaganda-Begriff der „Russifizierung“ in deutschen Ohren offenbar hinreichend schrecklich, um mit ihm unterstreichen zu können, dass Russland grausames Unrecht begeht; welche Art von Unrecht, ist dann gar nicht mehr wichtig – Russifizierung eben. Konkret haben die Kinder russische Ausweispapiere erhalten – in russischer Sprache, skandalisiert die FAZ. Aber Ausweispapiere in anderen Sprachen als der offiziellen Landessprache stellen russische Behörden nicht aus. Russland unterscheidet sich da nicht von anderen Staaten. Zudem wurden die Kinder in russische Schulen geschickt, für die FAZ hinlänglicher Beweis für unmenschliche russische Grausamkeit.

Der Begriff „russifiziert“ suggeriert eine russische Anti-Zivilisation, eine kulturelle und zivilisatorische Unterlegenheit der Russen und ihrer Gesellschaft gegenüber dem Westen. Einfacher gesagt, die Russen sind Barbaren. Er steht damit klar in der propagandistischen deutschen Tradition der Rede vom slawischen Untermenschen. Die FAZ macht mit, aber ist damit natürlich nicht allein.

Prinzip Echokammer

Die damalige Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), ließ sich nicht lumpen und sprang schon früh auf den Fahrt aufnehmenden Propagandazug auf. Das Drama um die von Russland angeblich entführten Kinder war ihr ein besonderes Anliegen. Russophobie ist eine grüne Kernkompetenz.

In einem Interview im Februar 2024 sagte Göring-Eckardt:

„Man kennt die Namen von etwa 20.000 Kindern, die nach Russland entführt wurden. Nur ein paar Hundert von ihnen sind wieder nach Hause zurückgekommen. Wir wissen nicht genau, wie das passiert ist, wir wissen nur, dass es gelungen ist. Aber die knapp 20.000 Kinder sind nur die, die man kennt. Experten schätzen, dass viele Tausend weitere Kinder aus den besetzten Gebieten verschleppt wurden, von denen man nichts weiß.“

Wenn der deutsche Experte nicht mehr weiterweiß, dann greift er zur „hohen Dunkelziffer“, um seine wilden Thesen zu belegen.

Aber selbstverständlich sind die Grünen damit nicht allein. Sie finden sich in allen Parteien. Es entstand eine Echokammer, in der der Vorwurf der Kindesentführung durch Russland so oft wiederholt wurde, bis auch der Letzte glaubte, es müsse etwas dran sein.

Auch die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann beispielsweise, die ihre geringen Kenntnisse in der Sache stets versucht, durch Lautstärke zu kompensieren, tingelte durch die Talkshows und verbreitete die Mär von den Zigtausenden durch Russland entführten Kindern. Sie behauptete sogar eine Verschwörung des Roten Kreuzes mit Russland.

„Die furchtbaren Berichte über die verachtenswerte Verschleppung von Kindern durch das Rote Kreuz in Belarus wirft die Frage auf, wie unabhängig das Rote Kreuz im aktuellen Konflikt seiner Aufgabe nachkommt“, sagte die FDP-Politikerin im Sommer 2023.

Das Propagandastück über die von Russland entführten Kinder wurde selbstverständlich von der Ukraine lanciert und immer weiter gefüttert. Wer auf die dürftige, vor allem aber sehr einseitige Quellenlage hinwies, wurde verunglimpft.

Ukrainische Kinder fanden sich auch in Deutschland

Die Inszenierung war so umfassend und schrill, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, Karim Khan, einen Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin und die russische Kinderbeauftragte Marija Lwowa-Belowa erwirkte. In der deutschen Politik und den an sie angeschlossenen Medien wurde das geradezu bejubelt.

Seit gestern weiß man, man kennt die Namen der von Russland entführten Kinder eben nicht, wie das Göring-Eckardt behauptet hat, denn es gibt sie gar nicht. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages verbreitete Desinformation und Propaganda mit dem Ziel, Hass auf Russland und Russen zu schüren. Die von Göring-Eckardt angesprochenen Rückführungen der Kinder, von der sie behauptet, man wisse nicht so genau, wie das zustande gekommen ist, geht auf die Vermittlungsbemühungen arabischer Staaten zurück. Während sich deutsche Politik dem Verbreiten von Gräuel-Propaganda widmet, unterstützen andere Regionen der Welt humanitäre Initiativen. Deutschland hingegen hat zur Rückführung der Kinder nichts beigetragen. Das macht auch deutlich, dass Frau Göring-Eckardt das Schicksal der Kinder im Grund völlig gleichgültig war. Es ging ihr nur um den Propaganda-Effekt.

Dass es das Problem um die Kinder gibt, gestand der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski ein. Aber die Quantität ist natürlich deutlich geringer, und es handelte sich auch nicht um systematische Entführungen. Nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen wurden Kinder in der Regel aus Ferienlagern evakuiert. Es handelte sich um Maßnahmen zu ihrem Schutz. Das passierte übrigens auf beiden Seiten, denn es gibt auch russische Kinder, die in Richtung Ukraine evakuiert wurden. Für deren Schicksal interessiert man sich in Deutschland natürlich nicht, denn es passt nicht ins Narrativ.

Ob die Kinder der 339 Familien tatsächlich in Russland oder ganz woanders sind, ist zudem die Frage, die es zu klären gilt. Bei Recherchen nach dem Verbleib von ukrainischen Kindern hat das Bundeskriminalamt im Frühjahr 2024 161 angeblich von Russland entführte Kinder in Deutschland gefunden. Die meisten von ihnen waren mit ihren Eltern nach Deutschland eingereist.

Unter den Tisch kehren statt aufarbeiten

„In Wirklichkeit geht es um Dutzende von Kindern, von denen keines entführt wurde – nicht ein einziges. Es handelt sich um Kinder, die von unseren Soldaten unter Einsatz ihres eigenen Lebens gerettet, aus Kampfgebieten geholt und evakuiert wurden”, sagte der russische Unterhändler Wladimir Medinski gestern im Anschluss an die Gespräche in Istanbul vor Pressevertretern.

Für den deutschen Medienkonsumenten wurde ein Propagandastück aufgeführt, das mindestens eine absehbare negative Konsequenz haben wird. Der Internationale Strafgerichtshof wurde beschädigt, denn er hat sich politisch instrumentalisieren lassen. Der internationalen Strafgerichtsbarkeit wurde von Göring-Eckardt, Strack-Zimmermann und Co. ein Bärendienst erwiesen.

Dass die antirussische Propaganda in Deutschland damit an ihr Ende gekommen ist, ist jedoch nicht zu erwarten. Wie es in Deutschland inzwischen üblich ist, ist mit Aufarbeitung nicht zu rechnen. Die etablierten Parteien und die Medien des Mainstreams dürfen ganz ungestraft Desinformation und Propaganda verbreiten, dürfen hetzen und Hass säen – mit Konsequenzen haben sie nicht zu rechnen. Das ist übrigens ein klares Anzeichen dafür, dass sich Deutschland immer weiter von den Grundsätzen der Demokratie entfernt. In Deutschland sind vor dem Gesetz eben immer häufiger nicht alle gleich.

Wie in Bezug auf die Terroranschläge auf Nord Stream, auf Butscha, auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen wird man die Geschichte um die entführten Kinder einschlafen lassen. Schon bald wird eine neue Desinformationskampagne durch die politisch-mediale Arena getrieben. Figuren wie Göring-Eckardt, Strack-Zimmermann, Kiesewetter und viele andere stehen schon in den Startlöchern und sind erneut zu jeder Schandtat bereit – im wahrsten Sinne des Wortes.

Titelbild: Michele Ursi/shutterstock.com


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