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Titel: Wenn im deutschen Kulturradio eine Friedensforscherin durch Weglassen auffällt, um das angesagte Wertebasis-Weltbild zu verkaufen

Datum: 6. Juni 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Ein „Friedensgutachten“ wurde gerade auf der Bundespressekonferenz vorgestellt. Gleich vier Institute vereinten ihre Sichtweisen – vielleicht durchaus ein Grund, dass Medien die Bevölkerung in Kenntnis setzen. So auch der Deutschlandfunk. Bliebe es beim Informieren, wäre das gut. Würde das Gutachten – falls berechtigt – kritisiert, umso besser. Doch hörte sich das Gespräch beim Sender Deutschlandfunk Kultur an, als würde Politunterricht vom Feinsten präsentiert. Die zu Wort kommende Expertin glänzte mit einer Methode der Meinungsmache, dem Weglassen. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Frieden retten! Aber wie? Vorstellung des neuen Friedensgutachtens“ – Politunterricht

Der öffentlich-rechtliche Spartensender Deutschlandfunk Kultur hat ein Format namens „Studio 9“. Aus diesem wurde unter dem Titel „Frieden retten! Aber wie? Vorstellung des neuen Friedensgutachtens“ am 2. Juni 2025 ein Gespräch gesendet. Diese Produktion empfand ich als weiteres Beispiel unter vielen, das zum unsäglichen Säbelrasseln der bellizistischen Dauer-Mobilmachung passt. Von wegen Aufklärung, von wegen progressives, öffentlich-rechtliches Vielfalt-Kulturradio. Sturm-Radio war das.

Zu Wort kam, ausführlich und geradezu freundschaftlich in schöner Atmosphäre hofiert, Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut. Die Expertin in Sachen Frieden (was sich mir schließlich nicht herstellte) konnte ohne Einspruch und unbequeme Zwischenfragen ausführen, dass die Lage auf der Welt erneut und fortgesetzt schlecht sei. Das tat sie, ohne Gründe oder Ursachen des Elends zu nennen. Sie warb derweil, dass das Mittel „Waffen“, also die fortwährende Aufrüstung zur Rettung des Friedens, letztlich alternativlos sei. Die guten alten Zeiten davor seien halt vorbei, liebe Mitbürger. Friedensforscherin Deitelhoff sprach geschickt wie selbstgefällig. Sie ließ bei ihren Formulierungen über die von ihr festgestellte „Notwendigkeit“ von Aufrüstung und der Ausbildung von Wehrhaftigkeit einen wesentlichen Fakt (und weitere) schlicht weg. Wie viele der umtriebigen Kriegstrommler verschwieg sie, dass die westliche Wertegemeinschaft schon lange vor der jetzt permanent beworbenen und sich durchsetzenden Militarisierung all die Jahre hochgerüstet und aggressiv war. Sie verschwieg ferner, dass die westliche Wertegemeinschaft über all die Jahre gezündelt und weiter aufgerüstet hat. Deitelhoff pochte darauf, dass die westliche Wertegemeinschaft gut und ehrbar sei. Die USA nannte sie gar „Pfeiler der Friedensordnung“ …

Andere, für die Zuhörer sicher wichtige, interessante, meinungsbildende Informationen zum Thema Frieden, die Deitelhoff und ihre Expertenkollegen der vier Institute (die zudem „führend“ sein wollen) wohl in ihren internen Unterlagen vorrätig haben, ließ sie ebenfalls unter den Tisch fallen. Kein Wort war von ihr zu hören über die andauernde NATO-Osterweiterung, über alltägliche Vertragsbrüche des Westens, über Ursachen für Krieg und Vertreibung, über die arrogante wie anmaßende US-Sanktionspolitik (Pfeiler der Friedensordnung?). Sie benannte keine Ursachen und Wirkungen der Dauerkonfrontation des Wertewestens mit Russland und anderen Staaten, die nicht Marsch, Marsch in Reih und Glied beugsam vor der „wertebasierten Ordnung“ stehen.

Ordnungskrieg – ein Unwort der Extraklasse

Deitelhoff verstieg sich auf eine geradezu absurde Unterscheidung, Kriege zu betiteln und zu qualifizieren. Die einen, hier Russland, führten Krieg, der dann Angriffskrieg heißt. Angriffskrieg, Angriffskrieg, Angriffskrieg. Bei den USA heißt Krieg indes Ordnungskrieg. Man stelle sich vor, die USA haben also als Großmacht das Mittel und das Recht, „Weltordnungskriege“ zu führen, bei Bedarf eben auf dem ganzen Erdball – so, wie die Geschichte bis in die Gegenwart das aufzeigt. Das sei völlig okay für die Friedensforscherin, so fühlte sich ihr Reden über den großen Spieler USA an. Nun gut, der große Freund hinterm Atlantik bekam sein Fett ein wenig weg, wegen Donald Trump. Vorher bei all seinen Vorgängern war scheinbar alles gut.

Von wegen ‚die USA ziehen sich zurück‘

Weil die USA sich aus der Rüstung zurückziehen – also aus der in Europa, wie Deitelhoff behauptete („… die wollen nicht mehr“) –, entstünde ein Vakuum, erfuhr der Zuhörer. Die Europäer müssten sich nun bald auf sich selbst verlassen, lautete der Tenor. Stark werden. Mit allem Drum und Dran. Früher waren, das sei hier nochmals gesagt, die USA ein Pfeiler einer „Friedensordnung“, die sie selbst in den 2000er-Jahren mit ihren „Weltordnungskriegen“ gefährdeten. Trumps Regierung als Garant der Weltordnung zöge sich nun in der Gegenwart leider zurück, erfuhr ich von Deitelhoff.

Die Expertin des Leibniz-Instituts glänzte weiter durch Weglassen und Verschweigen. Sie drehte scheinheilig auf, als sie die US-Politik kritisierte (Grönland, Panama). Die Leibniz-Chefin befand jedoch besonders die „US-Anbiederung“ in Richtung Putin für nicht gut. Sie nahm sich nicht die Zeit, über Ursachen des Ukraine-Konflikts zu sprechen, kein Wort über die Zeit um 2014, die Einflussnahme der Ordnungsmacht der wertebasierten besseren Welt. Als Friedensforscherin kam ihr gar nicht in den Sinn, dass es nun vielleicht gar nicht um Anbiederung gehe und schon gar nicht um das Gegenteil – also um die Konfrontation. Es könnte derzeit vielleicht doch ein wenig um Diplomatie, um Annäherung, um alles andere als Eskalation von Gewalt in allen Ausprägungen gehen. Wäre dem so, was wäre dagegen einzuwenden? Deitelhoff schlussfolgerte, ganz Expertin über das Motiv der Amis betreffs eines Kriegsendes in der Ukraine:

Sie wollen nur, dass der Krieg endet, um wieder Geschäfte mit Putin machen zu können.
(Quelle: DLF)

Doch – wie kann man von Rückzug und Desinteresse der Amerikaner reden und so etwas unwidersprochen (vom DLF-Personal) ins Mikrofon hauchen, obwohl in Wahrheit die USA allein in Deutschland über 70.000 Mann stationiert haben und auch in anderen europäischen Staaten die Welt mächtige, anmaßende US-Präsenz in Personenstärke und mit US-Basen Realität ist? Dass Deutschland eine US-Drehscheibe militärischen Handelns ist, dass bald neueste Waffen stationiert werden sollen, auch davon war keine Rede im Kulturradio; davon, dass die Amis weiter militärisch im Osten heftig mitmischen, auch nicht. Vielleicht steht im Friedensgutachten von 2026 oder 2027 etwas darüber drin. Möglich ist vielleicht auch, dass dereinst von Deitelhoff und Co. die künftig weiter fortgesetzte Hochrüstung (für den Frieden und nur für den Frieden), na klar, fachlich distanziert und qualifiziert als alternativlos richtig gesehen wird. Das Aufatmen der Friedensforscher, dass die Amis wohl doch nicht aus Europa verdufteten und im Besonderen Deutschland als ewige Drehscheibe ihres militärischen Handelns hegen und pflegen, höre ich jetzt schon. Bei so was atmet aber kein wirklicher Forscher für Frieden auf.

Entmenschlichung des Krieges – Entmenschlichung auch ganz ohne Krieg

Im Gespräch kam die These zur Sprache, dass es Frieden nur noch durch mehr Waffen gäbe. Tagein, tagaus wird das dem Bürger ja eingetrichtert. Deitelhoff sagte und warb erneut für das Rüsten (bei aller Liebe zum Dialog):

Nicht nur …, sondern auch durch Waffen … Was wir sagen wollen … Wir können uns nicht länger darauf ausruhen zu sagen, wir wollen mit den Waffen nichts zu tun haben und wir wollen stattdessen allein auf Gespräche setzen …
(Quelle: DLF)

Deitelhoff vergaß dabei, dass mehrere Jahre das Wort Dialog für Politiker der Wertebasis ein Fremdwort war.

Sie klagte dann etwas über die Entmenschlichung der Kriege, über Kriegsverbrechen, über das Nichteinhalten von Konventionen. Ich staunte und protestierte am Rundfunkgerät: Der Krieg selbst ist schon entmenschlicht, den Gegner zum Feind erklären, ist entmenschlichend, Aufrüsten in dem Maße wie zurzeit ebenso. Wenn gleich vier Institute sich des gleichen Themas annehmen, sollte den Fachleuten schon ins Blickfeld geraten sein, dass gerade die Akteure aus den Kreisen der westlichen Wertegemeinschaft zunehmend auf Regeln pfeifen. Krisen und Kriege werden heraufbeschworen, Flüchtlingsströme in Kauf genommen, Grenzen abgeschottet, die Ostflanke verstärkt, Landminen-Verbotsverträge für nichtig erklärt.

Wenn mehr und mehr Mittel, Ressourcen, Ideen, Personal, Bevölkerung der Militarisierung zugeführt werden, schreitet doch tatsächlich eine perfide Form von Entmenschlichung voran. Weil das Zivilisatorische, all die Erkenntnisse, Errungenschaften, die Schätze unseres Menschseins zur Disposition stehen. Soll Krieg geführt werden, um den Frieden zu erlangen?

Solche Gutachten gehören in den Reißwolf und nicht auf den Tisch der Bundesregierung

Wer hat das „Friedensgutachten“ eigentlich erstellt? Vier – sich selbst sehr wichtig schätzende – deutsche Institute sind es, die sich, so Eigenwerbung, im Bereich Friedens- und Konfliktforschung einsetzen: das Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), das Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF), das Institut für Entwicklung und Frieden (Inef) sowie das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

So also erscheint jährlich ihr Gutachten, in dem aktuelle Konfliktanalysen, Trends der internationalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu lesen sein sollen. Und ja, man wolle damit der Bundesregierung Empfehlungen geben. NachDenkSeiten-Autor Bernhard Trautvetter hat in seinem Beitrag vom 4. Juni 2025 treffend beschrieben, dass das Dokument eben kein Friedensgutachten, eine Schrift für den Frieden, die Verständigung, die Abrüstung und Deeskalation ist, sondern:

Die konfliktsteigernde Orientierung des Dokuments wird noch gefährlicher – und zwar mit der Ankündigung, Europa (womit die Autoren unausgesprochen nur die NATO-Staaten Europas meinen) müsse gegebenenfalls auch gegen die USA kämpfen können. Hier das entsprechende Zitat aus dem Text:

Und dies muss in einer Weise geschehen, dass Europa auch ohne oder sogar gegen (!) die USA verteidigungsfähig ist.“ (S. 6)

Die Forscher, die für vier Institute zur „Friedens- und Konfliktforschung arbeiten und die ihre Studie 2025 im offiziellen Rahmen der Bundespressekonferenz präsentierten, plädieren einerseits für das, was sie ‚regelbasierte Ordnung‘ nennen, und zugleich auch für eine militärische Kooperation mit Staaten, die nicht die demokratischen Werte der Staaten der EU und Großbritanniens teilen, die aber gleiche Interessen verfolgen (S. 39); das bedeutet, ihnen und ihren Auftraggebern in der Politik geht es nicht um Demokratie, nicht um die Werte, die im Grundgesetz festgeschrieben sind, sondern es geht ihnen vor allem um Machtinteressen bei der Aufteilung der Welt.

(Quelle: NachDenkSeiten)

Dazu passt: DLF-Kulturradio Podium für solche Experten

Unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist breit aufgestellt, vielfältig und vielschichtig, möchten und dürfen all die Zuhörer berechtigt annehmen. Doch, wie die Geschichte der Frau Deitelhoff via Deutschlandfunk Kultur zeigt, ist fortwährend zu erleben, dass eine ständige Grundstimmung über den Äther schwingt, um den Bürgern den politisch vorgegebenen Mainstream, die Stoßrichtung, um es etwas militanter auszudrücken, einzuflößen. Anstatt den Schwindel aufzudecken, deckt man ihn. Stichwort „Frieden retten!“. Was bleibt dem Bürger übrig? Er sorgt für eigene Aufklärung, Recherche, macht sich einen Kopf ganz nach Albrecht Müllers Worten: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst. Fündig wurde ich bei der Zeitung junge welt. Ähnlich geartete Sätze fand ich in Mainstream-Gazetten nicht, hier schon:

Vom Etikett soll man sich nicht täuschen lassen. Unter dem alarmierenden Titel »Frieden retten!« sprechen sich deutsche Friedensforschungsinstitute für Aufrüstung und militärisches Lückenstopfen aus. Vier dieser rein dem Namen nach an weniger Kriegstaumel interessierten Institute haben am Montag in Berlin ihr aktuelles »Friedensgutachten« vorgestellt. Christopher Daase vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main warb in der Bundespressekonferenz entschieden für eine »operative Stärkung der europäischen Verteidigung«. »Tatsächliche Verteidigungslücken« müssten geschlossen, die »europäische« Rüstungskooperation »vorangetrieben werden«. Die vier für das Gutachten verantwortlichen Institute sprächen sich für die »vorübergehende Aufnahme von Schulden« aus, um dieses Ziel zu erreichen, sagte Daase.

(Quelle: junge welt)

Titelbild: Screenshot Phoenix


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