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Titel: Drohnen lohnen: Wie deutsche Start-ups beim ferngesteuerten Morden absahnen und dabei von Ethik faseln
Datum: 20. Juni 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Redaktion
Kampf- und Überwachungsdrohnen sind der Verkaufsschlager der „Zeitenwende“. Beim Geschäft mit dem Tod aus heiterem Himmel ist Deutschland mit drei Emporkömmlingen ganz vorne dabei. Sie sammeln Unsummen bei Investoren ein, die auf Mensch und Natur pfeifen, und verkaufen sich als Schutzpatron der guten Sache. Ihre Maxime: Leben, ja, aber nicht leben lassen. Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Chefs von Helsing haben ihre Lektion in Orwell‘schem Neusprech gelernt. Sie verdienen sich eine goldene Nase am Krieg – dem aktuellen in der Ukraine und denen, die noch kommen werden. Auf der Webseite des Münchner Unternehmens sucht man Begriffe wie „Waffen“, „Tod“ oder „Zerstörung“ gleichwohl vergebens. Stattdessen finden sich dort Sätze wie dieser: „Unser Ziel ist es, technologisch führend zu sein, damit demokratische Gesellschaften souveräne Entscheidungen treffen und ihre ethischen Standards kontrollieren können.“ Überhaupt ist von „Ethik“ viel die Rede, von „Ethikfokus“, von „Ethik-Workshops“ und davon, „ethische Überzeugungen in den Mittelpunkt der Entwicklung von Verteidigungstechnologie“ zu stellen. Und das alles „zum Schutze unserer Demokratien“.
Das ist Augenwischerei größten Kalibers. Helsing baut unter anderem die Kamikazedrohne HX-2, die inzwischen in großer Zahl auf dem ukrainischen Schlachtfeld zum Einsatz kommt und neuerdings bei der Bundeswehr erprobt wird. Beworben wird sie als „Einwegdrohne“, die „Artillerie, gepanzerte und andere militärische Ziele auf bis zu 100 Kilometer Reichweite“ bekämpfen könne. Dass sie auch verstümmeln und töten kann, behält die PR-Abteilung lieber für sich. Versteht sich ja irgendwie von selbst. Zur Erfüllung ihrer „Mission“ brauchen die Münchner „Menschen, die ihr Herz am rechten Fleck haben“. Iwan, Michail, Dmitri und Sergei kommen nicht in Frage. Ihr Herz hat es beim Einschlag der HX-2 zerfetzt.
Krieg macht die Musik
Helsing ist Deutschlands Himmelsstürmer auf dem Gebiet moderner Waffentechnologie. Wie es am Dienstag bekannt gab, hat das auf Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Unternehmen weitere 600 Millionen Euro bei einer Reihe potenter Geldgeber eingesammelt, angeführt von der Investmentgesellschaft Prima Materia des Spotify-Gründers Daniel Ek. Von Haus aus ist Spotify ein Streamingdienst für Musik. Heute gibt der Krieg den Ton an – und lässt die Herzen von Investoren höherschlagen. Neben Prima Materia setzen unter anderem Lightspeed Ventures, Accel, Plural, General Catalyst und die schwedische SAAB AB auf das deutsche Start-up. SAAB, früher einmal ein Autobauer, ist heute einer der weltweit führenden Rüstungskonzerne und produziert den Kampfjet Gripen. Der soll demnächst mit einer KI-Anwendung aus München aufgepeppt werden.
Drohnen und KI sind der Renner auf den aktuellen und kommenden Kampfplätzen der Welt. Sie verheißen chirurgische Präzision beim Töten und Zerstören und null menschliche Verluste auf Seiten der Bediener der Waffensysteme. Damit sind sie bestens geeignet, Krieg als Mittel der Politik noch salonfähiger zu machen. Dabei produzieren sie Leid im Überfluss. Wie es heißt, gehen 70 Prozent der Opfer des Ukraine-Kriegs auf das Konto von Drohnen. In einzelnen Schlachten seien es 80 Prozent. Und sie sind, anders als Panzer, eine Art Wegwerfartikel. Vergleichsweise günstig in der Produktion, dürfen sie gerne kaputtgehen, zumal in der Version einer Kamikazedrohne. Das macht ständigen Nachschub unabdingbar und speist den Fluss an Profiten. Und auf keinem anderen Gebiet der Militärtechnik ist der Innovationsdruck so groß. Das nötigt die Besteller, in immer kürzeren Abständen den neuesten Schrei zu ordern.
„Wir schätzen das Leben“
Mit der jüngsten Geldspritze hat Helsing mittlerweile 1,34 Milliarden Euro an Fremdkapital aufgetrieben und wird mit einem Marktwert von knapp zwölf Milliarden Euro bewertet. Zum Produktportfolio gehört neben der HX-2 die „Recce/Strike-Plattform“ Altra, ein softwarebasiertes Verbundsystem zur Zielidentifikation und -bekämpfung. Noch nicht ganz marktreif sind die KI Cirra zur elektronischen Kampfführung von Jagdfliegern sowie das System SG-1 + Lura, bei dem ein ganzer Drohnenschwarm zur Unterwasseraufklärung von der Leine gelassen wird. Noch viel Größeres schwebt Firmenmitbegründer Gundbert Scherf mit Blick auf die NATO-Ostflanke vor, nämlich ein mächtiger „Drohnenwall“, bestehend aus Zehntausenden Flugobjekten, unterstützt durch Satelliten und andere Aufklärungssysteme.
Scherf war bis Ende 2016 Beauftragter für die strategische Steuerung nationaler und internationaler Rüstungsaktivitäten der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und davor sowie danach für die Unternehmensberatung McKinsey tätig. Ende März ließ er seinen Gedanken gegenüber dem Handelsblatt (hinter Bezahlschranke) freien Lauf: Es sei ein „bisschen paradox, aber gerade autonome Systeme sind für Demokratien gemacht“, befand er. „Wir schätzen das Leben, wir leben auch alle gerne ein gutes Leben. Ich glaube nicht, dass unsere Demokratien einen Abnutzungskrieg, der viele Menschenleben kostet, führen können oder wollen.“ Deshalb: „Asymmetrische Technologie gewinnt!“ – und vernichtet die Leben derer, die nicht ganz so daran hängen? Das hat er nicht gesagt, dafür das: Wie der Fall Ukraine zeige, müssten „mit Masse neue Dilemmata“ erzeugt werden.
Mordsspaß in der „Resilienzfabrik“
Für Masse sorgt natürlich Helsing. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz teilte das Unternehmen mit, für Kiew weitere 6.000 Kampfdrohnen zu bauen, zuzüglich der laufenden Lieferung von 4.000. Gefertigt werden die an einem geheimen Ort in Süddeutschland, in einer sogenannten Resilienzfabrik (RF-1) mit einer Kapazität von monatlich „mehr als 1.000 HX-2“. Resilienzfabriken seien „neue hocheffiziente Produktionsanlagen, die eine souveräne Produktion in demokratischen Nationalstaaten sicherstellen“, erfährt man auf der Firmenseite. Man plane, derlei Standorte „auf dem gesamten europäischen Kontinent zu errichten, (…) unter Nutzung lokaler Lieferketten und Arbeitskräfte“.
Solche Arbeitskräfte werden händeringend gesucht. „Schon jetzt herrscht erheblicher Personalmangel“, zitierte das Handelsblatt eine „Rüstungsheadhunterin“. Die Techniker Ben, Alina und Michi haben sich schnappen lassen, nicht durch Helsing, sondern die Konkurrenz von Quantum Systems. Das Start-up aus dem oberbayerischen Gilching gilt als „Europas Innovator in der Drohnenbranche“ und produziert inzwischen eigens auf ukrainischem Boden. Sein Verkaufsschlager ist die Überwachungsdrohne Vector zum Stückpreis von geschätzt 100.000 Euro. Die WirtschaftsWoche (WiWo) hat der boomenden Branche vor vier Wochen eine ganze Titelstory gewidmet. Im Jubelbeitrag „Aufstieg der Drohnen“ (hinter Bezahlschranke) tauchen auch Ben, Alina und Michel auf, die als lässige Dreißiger mit „Sportkappen, Kopfhörer“ und „stets eine Flasche Paulaner-Spezi in Griffweite“ eine Vector zusammenschrauben.
Bum Bum Boris
„Bis zu 500 unserer Systeme sind in der Ukraine jeden Tag aktiv“, gibt Quantum-Co-Chef Sven Kruck zum Besten. Von 2022 auf 2024 habe sich der Umsatz auf 125 Millionen Euro verdreifacht, 2026 solle eine halbe Milliarde Euro erreicht sein. Sogar Industrieschlachtschiffe wie Airbus und Hensoldt haben angebissen und bei der jüngsten Finanzierungsrunde im Mai Anteile erworben. Taxiert wird das Unternehmen auf über eine Milliarde Dollar. „Die Fähigkeit, konventionelle Waffensysteme mit unbemannten Systemen zu vernetzen“, schaffe Synergien, „bei denen die Vorteile beider Welten (…) zur Geltung kommen“, wird Rheinmetall-Vorstandsboss Armin Papperger zitiert. „Und Deutschland marschiert vorneweg in diesem Wachstumsmarkt“, freuen sich die WiWo-Schreiber. Möglich mache das alles die „deutsche Spendierfreude“ beim Hochrüsten, wie man im Artikel liest. So erwäge auch Frankreich, seinen Militärhaushalt auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochzufahren. Dazu kämen noch bis zu 800 Milliarden Euro, die Brüssel über die EU-Streitkräfte und ihre Lieferanten ausschütten wolle.
Es ist gar nicht lange her, da bockte die SPD noch störrisch, als es um die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen ging. Heute kann der „sozialdemokratische“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gar nicht genug davon bekommen. In einem ersten Schritt sollen zunächst „kleinere Stückzahlen solcher Angriffsdrohnen von mehreren Herstellern“ zu Testzwecken angeschafft werden, hielt Anfang April die Süddeutsche Zeitung (SZ) fest. Bis Jahresende soll die Entscheidung fallen, welche – ein oder zwei – Systeme man in großem Stil besorgen wolle. Der Gewinner solle „vierstellige oder höhere Stückzahlen“ liefern.
Allianzen zum Abgewöhnen
Im Rennen sind laut WiWo Helsing und Stark Defence. Das ist das jüngste Pferd im Stall der deutschen „Hoffnungsträger“ mit Filialen in Berlin, München und Kiew, von dem geraunt wird, es sei „Deutschlands geheimstes Rüstungsstartup“. Dabei sollen auch die Macher von Quantum Systems mitmischen, weil dessen Gesellschafter wie Bayern Kapital und Projekt A nicht in Waffen und Rüstungsgüter investieren dürften, sondern lediglich in „zivile“, also allenfalls Aufklärungsdrohnen. Die Stark-Drohne Virtus kann dagegen richtig ballern, ist seit April auf dem Markt und bereits – was auch sonst – „probeweise“ in der Ukraine am Start. Sie hat eine Reichweite von 100 Kilometern und einen fünf Kilogramm schweren Gefechtskopf. „Wir boxen damit in der schwersten Gewichtsklasse“, sagte Technikchef Johannes Schaback dieser Tage dem Handelsblatt (hinter Bezahlschranke).
Das betrifft wohl auch die Hintermänner. Zu den Gönnern von Stark Defence gehört einem Bericht des Manager Magazins (hinter Bezahlschranke) zufolge Schatteninvestor Peter Thiel, ein bekennender Antidemokrat und Libertärer vom Schlage Elon Musk. Er ist Mitbegründer von Paypal, Geldgeber von Facebook sowie Palantir, einer großen Nummer im Geschäft mit Überwachungssoftware. Er gilt außerdem als einer der einflussreichsten Einflüsterer von US-Präsident Donald Trump und zählt wahrscheinlich zu den Sponsoren der pompösen Militärparade am vergangenen Samstag in Washington. Sein Investment bei Stark Defence soll er über Moritz Döpfner angebahnt haben, seinen früheren Chief of Staff und Sohn des Springer-Chefs Matthias Döpfner.
Das alles deutet auf ziemlich unappetitliche Allianzen hin. Aber ganz egal, denn die „Mission“ ist und bleibt edel. Ein Blick auf die Firmenwebseite verrät: „Stark wurde mit dem Ziel gegründet, unsere demokratischen Werte zu verteidigen.“ So, wie überhaupt alle Profiteure der „Zeitenwende“ nur das Beste im Schilde führen. Helsings Hauptprodukt ist dabei laut Technikchef Niklas Köhler „die Intelligenz, die auf der Drohne sitzt“. Dabei bleibe allerdings nach dem Konzept „human in the loop“ stets ein Mensch eingebunden. So viel Humanismus muss sein – beim Töten.
Titelbild: Titelbild: Fanta Media/shutterstock
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