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Titel: Panzer erziehen keine Kinder! Mannheimer Wissenschaftler rechnen mit Kriegswirtschaft ab

Datum: 4. Juli 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Aufrüstung, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Finanzpolitik
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Deutschland „wehrtüchtig“ zu machen, mag ja nicht jedem gefallen, sei aber „alternativlos“, tönen die Herren der Zeitenwende. Und versprechen: Die Unsummen, die in die Rüstung fließen, kämen allen zugute, schafften Wachstum, neue Jobs und mehr Wohlstand. Zwei Makroökonomen der Universität Mannheim widersprechen den dummen Sprüchen. Die forcierte Waffenproduktion produziere vor allem Übergewinne und torpediere zivilgesellschaftlichen Fortschritt. Jeder Euro in Bildung sei vielfach besser angelegtes Geld. Von Ralf Wurzbacher.

Die Ansage ist gemacht: Auf lange Sicht soll Deutschland jährlich fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den sogenannten Verteidigungssektor aufbringen. 3,5 Prozent sollen der Bundeswehr direkt zugutekommen in Form militärischer Ausrüstung sowie von Aufwendungen etwa für den Ausbau und die Modernisierung von Kasernen. Weitere 1,5 Prozent sollen für „verteidigungsrelevante Aufgaben“ bereitgestellt werden, sprich für gleichermaßen zivil und militärisch nutzbare Infrastruktur. So wollen es US-Präsident Donald Trump, die NATO, die Europäische Union, so will es die Bundesregierung.

Der Irrwitz dieser Zielstellung aus politischer Warte und die mitunter apokalyptischen Gefahren, die das Säbelrasseln gegenüber Russland provoziert, wurden bei den NachDenkSeiten schon reichlich thematisiert. Wie aber wirkt die gewählte Gangart aus wirtschaftlicher Sicht? Bekanntlich argumentieren Ökonomen und Politiker gerne damit, dass die zusätzlichen Ausgaben für Panzer, Drohnen und Haubitzen dem Standort Deutschland relevante Wachstumsimpulse verleihen würden. Demnach steigere die staatliche Nachfrage nach Militärgütern die gesamtwirtschaftliche Produktion, schaffe neue Arbeitsplätze und begünstige zudem Synergien, indem Errungenschaften der Militärforschung auch zivilwirtschaftliche Anwendungen finden würden (Dual-Use). Kurzum: Was gut ist für die deutsche Rüstungsindustrie, sei auch gut für die Beschäftigten und den allgemeinen Wohlstand im Land.

Konsumausgaben, keine Investitionen

Das kann man so nicht stehenlassen, sagen zwei Makroökonomen von der Universität Mannheim. Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk von der Abteilung Volkswirtschaftslehre (VWL) sind nach „sorgfältiger Abwägung internationaler Studien und der spezifischen ökonomischen Bedingungen in Deutschland“ zu einem „ernüchternden Ergebnis“ gelangt. In ihrer am 30. Juni vorgelegten Studie operieren sie mit dem sogenannten Fiskalmultiplikator, der misst, wie stark zusätzliche Staatsausgaben das BIP erhöhen. Auf dieser Basis bilanzieren sie: „Ein zusätzlicher Euro für militärische Ausgaben erzeugt bestenfalls 50 Cent zusätzliche gesamtwirtschaftliche Produktion, möglicherweise aber gar keinen.“ Deutlich besser hören sich die Alternativen an. Steckte man das viele Geld in die öffentliche Infrastruktur, sei eine „Verdopplung jedes eingesetzten Euros möglich, beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Kitas und Schulen sogar eine Verdreifachung“.

NDS-Chefredakteur Jens Berger hatte schon vor über einem Jahr an dieser Stelle über den verbreiteten Denkfehler berichtet, der Rüstungsausgaben mit Investitionen gleichsetzt. Vielmehr, so sein Verdikt, handele es sich um Konsumausgaben, die gesamtwirtschaftlich negativ zu Buche schlagen würden. „Jeder Euro, der heute für Granaten und nicht für Bildung ausgegeben wird, führt dazu, dass in der Zukunft die Wertschöpfung der Volkswirtschaft sinkt.“ Ganz ähnlich konstatieren Krebs und Kaczmarczyk in ihrer Analyse: „Jeder zusätzliche Euro an staatlichen Aufträgen“ zur Waffenbeschaffung werde „die Preise der Rüstungsgüter und die Gewinne der Rüstungsunternehmen merklich anheben, und somit den Effekt auf die Produktion verringern“.

Rheinmetall macht Börsianer froh

Eine wesentliche Ursache dafür sehen sie in der bereits starken Auslastung der hiesigen Rüstungswirtschaft, verbunden mit geringem Wettbewerb und „intransparenten Vergabepraktiken“. Womit die Autoren durch die Blume formulieren, dass unter den gegebenen Voraussetzungen Filz und Korruption Tür und Tor geöffnet sind und Geld im ganz großen Stil zum Fenster herausgeworfen wird. Zitat:

„Der mehr als zwanzigfache Anstieg des Aktienkurses des Rüstungsherstellers Rheinmetall seit Beginn des Kriegs in der Ukraine unterstreicht, dass Investoren hohe Gewinnerwartungen für die deutsche Rüstungsindustrie haben, die nur mit entsprechenden Preissteigerungen verwirklicht werden können.“

Anders ausgedrückt: „Rüstungsunternehmen steigern ihre Gewinne aufgrund eines staatlich induzierten Inflationsschocks im Militärbereich.“

In der aktuellen Situation landeten staatliche Rüstungsausgaben „hauptsächlich als höhere Dividendenzahlungen in den Taschen der Eigentümer der Rüstungsunternehmen“, fahren die Wissenschaftler fort. Zwar ließe sich diesem Effekt bei entsprechendem Ausbau der Kapazitäten und mittels regulatorischer Eingriffe zur Beschränkung der Marktmacht einzelner Akteure begegnen. Denn das Prinzip der soliden Finanzpolitik erfordere es, zuerst die größten Ineffizienzen zu beseitigen, „bevor noch mehr staatliches Geld in diesen Sektor gepumpt wird“. Allerdings seien derlei „Reformversuche“ schon „in der Vergangenheit immer wieder gescheitert“ und benötigten die fraglichen Maßnahmen allerhand Zeit, um Wirkung zu entfalten. Damit seien sie „kaum relevant für die Evaluierung der kurzfristigen Auswirkungen von Militärausgaben“.

Fortschritt gerät unter die Kette

Ebenso widersprechen sie der Darstellung, neue Militärtechnologien zögen quasi automatisch zivilwirtschaftlichen Zusatznutzen nach sich. Verwiesen wird dabei stets auf das Vorbild USA, für die die Wissenschaft je nach Herangehensweise für Rüstungsaufwendungen einen Fiskalmultiplikator in der Bandbreite zwischen 0,5 und maximal 1,5 ermittelt hat. Wegen der gänzlich anderen Bedingungen einer in vielen Jahrzehnten durch US-Regierungen exorbitant geförderten Rüstungswirtschaft nennen Krebs und Kaczmarczyk einen „Analogieschluss auf militärische Forschungsförderung in Deutschland (…) gewagt“ und warnen vor einer unsicheren Prognose „auf Basis spärlicher Evidenz“.

Zudem verweisen sie auf sogenannte Trade-offs. Darunter verstehen Ökonomen einen Konflikt zwischen mindestens zwei gegenläufigen Zielen, wovon eines zugunsten des anderen entweder vernachlässigt oder ganz aufgegeben wird. Klima- und umweltpolitisch ist der forcierte Rüstungswettlauf der reinste Wahnsinn, wenngleich es Bestrebungen der Finanz- und Rüstungslobby gibt, entsprechende Ausgaben mit dem Siegel der „Nachhaltigkeit“ zu versehen. Dem halten die Mannheimer Volkswirte entgegen: „Jeder zusätzliche Euro für die Militärforschung ist ein Euro weniger für die Forschung im Bereich grüner Technologien.“ Und die Förderung von Windkraft oder Elektromobilität habe „sehr wahrscheinlich eine wesentlich höhere Rendite als die Subventionierung eines intransparenten Militärsektors mit wettbewerbsfeindlichen Marktstrukturen“.

Bedenkliche Weichenstellung“

Überhaupt befürchten sie „langfristige Verdrängungseffekte“, wie es in einer Pressemitteilung vom Montag heißt. Der Ausbau der Rüstungsproduktion binde sowohl finanzielle als auch personelle Ressourcen, die für andere gesellschaftlich relevante Aufgaben fehlen könnten – eben für Investitionen in Klimaschutz, Bildung oder den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur. Trotz Aufweichung der „Schuldenbremse“ bleibe der finanzielle Spielraum des Staates begrenzt. Ein gleichzeitiger Ausbau aller zentralen Politikfelder sei daher „kaum realistisch“, bemerken die Verfasser und weiter: „Wie lange ein Freifahrtschein für Militärausgaben bei Kürzungen anderer Ausgaben im Bundeshaushalt politisch haltbar sein wird, ist eine offene Frage.“

In der Studie werden Krebs und Kaczmarczyk konkret:

„Wenn Neueinstellungen in der Industrie fast nur noch im Rüstungsbereich stattfinden, weil der Staat viele neue Rüstungsaufträge vergibt, aber kein Geld für saubere Technologien vorhanden ist, dann wird die Produktion von Windrädern und Elektrofahrzeugen in Deutschland automatisch verschwinden.“

Insbesondere im Hinblick auf die langfristige Entwicklung der Wirtschaft, die neben der Garantie der Sicherheit auch mit Lösungen für die Klimakrise und hochwertiger Beschäftigung einhergehen müsse, sei dies „eine bedenkliche Weichenstellung“.

Aber wie kommt es, dass so viele Politiker und Wirtschaftsfachleute der Erzählung, mehr Rüstung schaffe mehr Wohlstand, auf den Leim gehen? Für die Studienautoren zeigt sich hier vor allem ein Erkenntnisproblem, zu einem Gutteil bedingt durch den verengten Blick auf die USA, wobei dort die empirische Lage, wie schon oben ausgeführt, keinesfalls so eindeutig ist. Die Mannheimer Forscher haben die ganze Breite der Literatur ausgewertet, insbesondere diverse Metastudien zu Europa. Deren Befunde sind weit überwiegend nicht erbaulich und ergeben bis auf wenige Ausreißer entweder kaum nennenswerte Effekte expansiver Rüstungspolitik auf wirtschaftliches Wachstum, weit häufiger sogar negative Korrelationen.

Alles auf blutrot

Weil die Studienlage für die BRD überaus „schlecht“ sei, könne die Ausgangsfrage nur durch eine „kritische Gesamtabwägung der vorhandenen internationalen Evidenz unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in Deutschland beantwortet werden“, halten die Autoren fest. Auf dieser Grundlage müsse man zum Schluss gelangen, „dass die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Militärausgaben in Deutschland aufgrund von Produktionsengpässen nur halb so groß sein könnten wie der entsprechende Effekt in den USA vor dem Ende des Kalten Krieges“. Begründet wird dies auch mit der großen Abhängigkeit der Bundesrepublik von Importen aus den USA und anderer Rüstungslieferanten. Das treibe den Fiskalmultiplikator weiter nach unten, mithin auf das Niveau von null. Dienstleistungen wie Kitas und Ganztagsschulen wiesen hingegen „vier- bis sechsmal höhere Produktionseffekte pro eingesetztem Euro“ auf.

Das Fazit von Krebs und Kaczmarczyk: „Aus ökonomischer Sicht ist die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite.“ Womit sich die Frage nach den Opportunitätskosten der geplanten Strategie stelle. „Jeder Euro, der in Panzer, Flugzeuge und Munition investiert wird, fehlt an anderer Stelle, etwa bei der Modernisierung von Strom- und Bahnnetzen, beim Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Förderung grüner Technologien oder bei der Qualifikation von Fachkräften.“

Für Mangelerscheinungen dieser Art war Deutschland schon lange vor der „Zeitenwende“ berüchtigt. Demnächst fehlt es daran noch viel mehr. Kein Zufall: Bis auf Spiegel (hinter Bezahlschranke) und Die Welt haben praktisch alle Leitmedien die Mahnung aus Mannheim überhört. Passt einfach nicht zum Zeitgeist …

Titelbild: Ulianenko Dmitrii/shutterstock.com


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