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Titel: Daddy kam, sah und siegte

Datum: 8. Juli 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Aufrüstung, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
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Die NATO-Spitze und die europäischen „Willigen“ fürchten Donald Trump mehr als Wladimir Putin. Deshalb erfüllten sie beim NATO-Gipfel in Den Haag mit berechneter Unterwürfigkeit jeden Wunsch von „Daddy“. Um den US-amerikanischen Schutzschirm zu erhalten, stimmten die Europäer schweigend der Erhöhung der Militärausgaben zu, schoben die Unterstützung der Ukraine und die russische Bedrohung in den Hintergrund, machten leere Versprechungen und vermieden dringende Entscheidungen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die westlichen „Willigen“ Kiew nicht im Krieg halten wollen. Bei einem EU-Gipfel in Brüssel zeigten sie mittlerweile ohne Trump ihr wahres Gesicht und demonstrierten eindrucksvoll ihr „Engagement“ für die Ukraine. Von Gábor Stier.

Die westliche „Mainstream“-Politik, die in letzter Zeit sowohl gegenüber dem US-amerikanischen als auch dem russischen Präsidenten kämpferisch aufgetreten ist, legte ihren verbliebenen Stolz beiseite und beschloss, Donald Trump mit berechneter Unterwürfigkeit, Lob und Schmeicheleien für die Aufrechterhaltung der NATO-Einheit zu gewinnen. Die finanziellen Fragen dominierten die Tagesordnung, das Thema des russisch-ukrainischen Krieges wurde in den Hintergrund gedrängt, die Reden wurden im Stil Trumps auf drei Minuten begrenzt und die Abschlusserklärung auf eine Seite verkürzt. Wolodymyr Selenskyj, der von den substanziellen Verhandlungen ferngehalten wurde, wechselte vorsichtshalber seine „militärische“ Kleidung gegen einen Anzug, und der NATO-Generalsekretär nannte Donald Trump sogar „Daddy“ (Papa). Mark Rutte bemühte sich ebenfalls um Trumps Gunst, indem er den Begriff „Aggression“ sorgfältig vermied und in Bezug auf den Angriff der USA auf den Iran erklärte, dass die Vereinigten Staaten erneut Stärke gezeigt hätten.

Der US-Präsident war von der Schmeichelei beeindruckt und reiste glücklich nach Hause, doch wie Max Hastings, Kolumnist beim Online-Portal Bloomberg, zu diesem seltsamen „Liebesfest“ bemerkte, können auch die Europäer zufrieden sein, denn sie verhinderten, dass der ziemlich impulsive und exzentrische Präsident der USA „die NATO-Spielzeuge aus dem Kinderwagen warf“.

NATO-Gipfel: Trumps Sieg und die Kosten der Einheit

Die Abschlusserklärung des Gipfels spiegelt diese oben beschriebene Stimmung wider, die zu einer Art stillschweigendem Abkommen zwischen Trump und dem ihm ideologisch entgegenstehenden westlichen Mainstream führte. Zur Erleichterung vieler bestätigt Punkt 1 des Dokuments die „unerschütterliche Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung gemäß Artikel 5 des Washingtoner Vertrags“. Als eindeutigen Sieg für Trump verpflichten sich die NATO-Mitglieder jedoch, bis 2035 fünf Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Militär und Rüstung auszugeben.

Wie der NATO-Generalsekretär formulierte, kann Washington von nun an nicht mehr behaupten, dass die EU mit dem Geld der US-amerikanischen Steuerzahler verteidigt werden muss. Um Trump zu beruhigen und die Haushaltsstabilität weniger wohlhabender Verbündeter nicht zu gefährden, schlägt die NATO jedoch vor, das Fünf-Prozent-Ziel im Verhältnis 3,5 zu 1,5 Prozent für Verteidigung beziehungsweise damit verbundene Fragen aufzuteilen, wie zum Beispiel die Entwicklung von Infrastruktur für militärische Zwecke, die Erweiterung niederländischer Häfen oder Investitionen in die Cybersicherheit. Dadurch können die europäischen Verteidigungshaushalte auch näher an die US-Ausgaben heranrücken, die 3,4 Prozent des BIP ausmachen, was als wichtige psychologische Grenze interpretiert werden kann.

Natürlich wird die Mehrheit der Mitgliedsländer auch in zehn Jahren dieses 3,5-Prozent-Verhältnis nicht erreichen, die 1,5 Prozent sind hauptsächlich PR, aber der Beitrag der EU wird trotzdem steigen, und obwohl die EU daran wahrscheinlich zugrunde gehen wird, werden ihre Verteidigungsfähigkeiten gestärkt.

Dies ist trotz des Krieges irgendwo auch Trump zu verdanken, der entgegen seiner flatterhaften Rhetorik die NATO letztlich nicht abbaut, sondern ihren europäischen Flügel stärkt. Gleichzeitig ist dies die erste Erklärung eines NATO-Gipfels seit Beginn des Ukraine-Krieges, die den Angriff nicht verurteilt. Europas größter Krieg seit 1945 wird am Ende des dritten Absatzes des Dokuments erwähnt, wo die Verbündeten „ihr Engagement zur Unterstützung der Ukraine bekräftigen“. Es wird jedoch nirgends beschrieben, warum diese Unterstützung notwendig ist. Die Erklärung macht auch deutlich, dass die „direkten Beiträge der Verbündeten zur Verteidigung der Ukraine“ in das Fünf-Prozent-Ziel der NATO für Militärausgaben im Verhältnis zum BIP einfließen. Dies ist wiederum eine Erleichterung für die Europäer in der schwierigen wirtschaftlichen Lage, gleichzeitig hat die NATO-Führungsetage die Ukraine damit zu einer Art buchhalterischem Instrument gemacht, das es ihnen ermöglicht, bereits an Kiew gezahlte Gelder zur Erhöhung ihrer Verteidigungsbudgetzahlen zu verwenden.

NATO unter Trump: Teurer Frieden und Europas bittere Wahrheit

Das Abkommen zwischen dem Weißen Haus und den westlichen Verbündeten lässt sich so zusammenfassen: Trump sichert die Unterstützung von Artikel 5 zu, im Gegenzug verzichten die anderen auf eine Erklärung, die Russlands Invasion in der Ukraine verurteilt und damit eine russisch-amerikanische Annäherung oder spätere Lösung gefährden würde. Der Preis für den Verbleib der USA im Bündnis ist also, dass die Partner Trumps Bedingungen akzeptieren – darunter das Stillschweigen über Europas blutigsten Krieg der letzten 80 Jahre im Abschlusskommuniqué.

Für Washingtons Verbündete war es ein Aufatmen: Trumps erstes NATO-Treffen nach seiner Wiederwahl verlief ohne größere Skandale. Das allein war schon ein Erfolg, bedenkt man, dass seine Teilnahme noch vor Wochen auf der Kippe stand. Doch wie viel ist diese neugewonnene Einheit, die in Den Haag so demonstrativ zur Schau gestellt wurde, wirklich wert? Wir leben auf einem Planeten, der zunehmend die Sprache der Macht versteht, auf dem die Versuchung wächst, eigene Regeln gewaltsam durchzusetzen und diplomatische Positionen zu stärken. Das betrifft nicht nur Russland, denn diese Art von Politik hat auch den Vereinigten Staaten schon immer sehr zugesagt.

So sagten die Europäer Ja zu einer stärkeren Verteidigung ihres Kontinents, doch werden sie die Diktate aus Washington und Trumps Expansionsbestrebungen kaum so schnell vergessen. Währenddessen bleibt die Frage, ob das Streicheln von Trumps Ego ausreicht, um die Einheit der NATO aufrechtzuerhalten.

Jeder weiß, dass die zugesagte Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent reine Fantasie ist. Dieses Versprechen dient vorerst vor allem dazu, Trumps kritische Tweets zu vermeiden. Der vorherrschende europäische Ansatz ist somit eher eine Anpassung an Trumps Launen statt einer strategischen Ausrichtung.

Die zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Schützt die europäische Elite tatsächlich Europa oder lediglich das Ego desjenigen, der am lautesten schreit? Ihr eifriges Bemühen, Trump zu gefallen, scheint die Bitterkeit der europäischen Marginalisierung zu verschleiern.

Die Europäische Union erlebt dunkle Tage, sie ist politisch schwach und wirft daher ihre oft proklamierten Werte über Bord, um die Dominanz der Stärke zu akzeptieren. Doch sie tut dies auch heuchlerisch. Dies zeigt sich deutlich in der Haltung zur Ukraine. Während in Den Haag, als man um Trumps Gunst buhlte, diese Frage demonstrativ unter den Teppich gekehrt wurde, stand sie einen Tag später auf dem Brüsseler Gipfel der EU im Mittelpunkt.

Ukraine-Hilfe: Westliche Entschlossenheit trotz internem Widerstand

Die Doppelmoral des Westens zeigte sich auch darin, dass die NATO der Ukraine gleichzeitig 40 Milliarden US-Dollar an Sicherheitsunterstützung zusagte. Doch die Absichten und das Engagement des Westens – insbesondere der EU – gehen noch weiter. Ein Beleg dafür ist die Aussage von Generalleutnant Alexus Grynkewich, dem von den USA nominierten Kommandeur der europäischen NATO-Streitkräfte: Er erklärte bei seiner Senatsanhörung auf Fragen von Senator Tommy Tuberville, die Ukraine könne den Krieg gegen Russland gewinnen.

Ein weiterer Hinweis ist der gemeinsame Meinungsartikel von Emmanuel Macron und Friedrich Merz, der vor dem NATO-Gipfel in der Financial Times erschien. Darin betonten sie Europas „unerschütterliche Entschlossenheit“, sich der russischen „imperialistischen Kriegsführung“ entgegenzustellen und den Frieden sowie die Sicherheit des Kontinents zu schützen. Diese Entschlossenheit entfaltete sich dann in Brüssel.

Die Europäische Union leistet weiterhin erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung für die Ukraine, die sich im Jahr 2025 auf 30,6 Milliarden Euro belaufen wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt auch dem Wiederaufbau; bei der im Juli in Rom geplanten Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine wird weitere internationale Hilfe erwartet. Gleichzeitig soll der Beitrittsprozess der Ukraine beschleunigt werden, Russland wurde verurteilt, und ein neues Sanktionspaket, das hauptsächlich den Finanz- und Energiesektor betrifft, wird vorbereitet.

Ungarn sprach sich als einziges Land gegen die Ukraine-Passagen im Abschlusstext des Gipfels aus, wozu auch die Eröffnung des ersten Kapitels der Beitrittsverhandlungen gehört. Der Text wurde daraufhin ohne Ungarns Unterschrift, aber mit der Zustimmung der anderen 26 Mitgliedstaaten veröffentlicht. Das 18. Sanktionspaket gegen Russland konnte indes nicht vereinbart werden, da die Frage aufgrund einer Vetodrohung von Fico von der Tagesordnung genommen wurde.

Zuvor hatten die Slowakei und Ungarn das Paket bereits im Rat für Auswärtige Angelegenheiten mit einem Veto belegt. Parallel dazu unterzeichnete der Europarat ein Abkommen mit Kiew über die Einrichtung eines Sondergerichts, das für Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine zuständig sein soll.

EU-Verteidigung: Große Pläne, wenig Rückhalt

In ihrer Erklärung zum Brüsseler Gipfel bekräftigten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten „als Reaktion auf die Herausforderungen, die durch die russische Aggression gegen die Ukraine und die grundlegende Veränderung des Sicherheitsumfelds entstehen“, ihr Engagement für die Entwicklung einer autonomeren, schnelleren und effektiveren europäischen Verteidigungspolitik. Nach ihren Worten werden die nächsten fünf Jahre entscheidend für die Stärkung der Verteidigungsbereitschaft in der Europäischen Union sein. In diesem Zusammenhang plant die EU beispielsweise bis 2027 den Aufbau eines eigenen militärischen Satellitenaufklärungssystems aufgrund der russischen Bedrohung und der Unsicherheit des Engagements der USA. Der Außenminister Polens, das die rotierende Präsidentschaft innehat, Radek Sikorski, sprach davon, dass ein neues Wettrüsten den Fall des Putin-Regimes beschleunigen könnte, wie es bei der Sowjetunion der Fall war.

Natürlich ist es auch wahr, dass die Union im Bereich der Außenpolitik ihre Impotenz mit kämpferischer Rhetorik verschleiert. Die Europäer haben seit mehr als drei Jahren deutlich gemacht, dass sie weder die Mittel noch den Willen haben, das Notwendige zu tun, um das militärische Kräfteverhältnis zugunsten Kiews zu verschieben. Weder Brüssel noch andere große Hauptstädte der EU haben einen echten Einfluss auf den Lauf der Ereignisse. Wie der Haager Gipfel bestätigte, sind die Vereinigten Staaten der Schlüsselakteur.

Nach dem Treffen bemühte sich der Europäische Rat zwar, ein gutes Bild abzugeben und nicht nur die Meinungsverschiedenheiten in den großen geopolitischen Fragen zu kaschieren, sondern auch die eklatante Schwäche einer Europäischen Union, deren Institutionen und Philosophie sich nicht an die sich entwickelnde Welt angepasst haben. Es stimmt auch, dass zur Stärkung der EU mehr als nur eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben nötig ist. Dazu müssten auch die Gesellschaften hinter der kämpferischen Rhetorik der Politiker stehen. Demgegenüber ergab eine Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2024 in 45 Ländern, dass die Europäer im Falle eines Krieges am wenigsten bereit sind, zu den Waffen zu greifen.

Der Artikel von Gábor Stier erschien ursprünglich in der ungarischen Wochenzeitung Demokrata. Aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Titelbild: Shutterstock / Gints Ivuskans


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