Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Kufiya-Verbot in Buchenwald
Datum: 2. September 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Der Antifaschistin und Palästina-Aktivistin mit jüdischen Wurzeln Anna M. wurde der Zugang zur Gedenkstätte Buchenwald verwehrt, da sie eine Kufiya trug. M. hat gegen diesen Schritt Klage eingereicht und im Eilverfahren zunächst verloren. Von Alexander Kiknadze.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Kufiya in einer Reihe mit faschistischen Symbolen
Im August 2024 wurde einer Besuchergruppe, darunter M., im Rahmen des Gedenkens an die Ermordung des Antifaschisten Ernst Thälmann der Zugang zum ehemaligen KZ-Gelände verwehrt, da die Personen dieser Gruppe palästinasolidarische T-Shirts und Kufiya trugen. Nachdem sich die Betroffenen zunächst gegen diese Maßnahme wehren konnten, ging die Gedenkstätte Mitte 2025 weiter: Auf Grundlage einer verschärften Hausordnung wurde M. im April der Zugang verweigert. Im Juli folgte eine sogenannte „Handreichung“, die die Kufiya als „antisemitisches Symbol“ in die Reihe von faschistischen Symbolen stellte, die auf dem ehemaligen KZ-Gelände verboten sind. In dieser Handreichung werden nicht nur sämtliche palästinensischen Symbole von der Wassermelone bis zur Kufiya, sondern auch die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza und die Begriffe „Genozid“ und „Apartheid“ als „antisemitisch“ und „israelfeindlich“ eingestuft. Weiterhin werden die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) sowie mehrere linke Organisationen genannt. Diese „interne Handreichung“ wurde Berichten zufolge auch an Staatsanwälte und Richter geschickt.
Gericht folgt Argumentation der Gedenkstätte
M. ging juristisch gegen das Verbot vor. Ihr Vorwurf: Verletzung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit (GG Art. 5) und Verstoß gegen das Willkürverbot (Art.3 GG). M. reichte deshalb noch im April Klage gegen das Hausverbot ein und strengte ein Eilverfahren an.
Nach sehr langer Bearbeitungszeit empfahl das Gericht M., ihre Klage zurückzunehmen, da das Tragen der Kufiya „jedenfalls im aktuellen politischen Kontext als Ausdruck der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden verstanden werden“ könne und „keine Aussicht auf Erfolg“ bestehe. M. und ihr Anwalt Roland Meister reagierten und beugten sich dieser Empfehlung nicht, sondern kritisierten sie:
„Als Antifaschistin“, so M., „bin ich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, der internationale Solidarität und den Kampf für eine friedliche Welt betont sowie Antifaschismus als fortwährende gesellschaftliche Verantwortung bestimmt. Antifaschistisches Gedenken mitten in einem Genozid kann diesen also nicht ausklammern.“
Anwalt Meister ergänzte:
„Eine wahrhafte Schlussfolgerung aus dem Holocaust bedeutet, auch heute Verantwortung für Menschenrechte und -würde zu übernehmen. Das Tragen der Kufiya als Zeichen gegen den Völkermord in Palästina verletzt nicht die Würde der Opfer des Nationalsozialismus – im Gegenteil: Er bringt ihr Anliegen, wie es im Schwur von Buchenwald steht, zum Ausdruck.“
Auch der Vorsitzende der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, Wieland Hoban, teilt diese Haltung:
„Die Lehre aus früheren Genoziden sollte die Entschlossenheit sein, weitere zu verhindern. Ohne Bezug auf die Gegenwart ist ‚Nie wieder‘ eine leere Phrase.“
Das Verwaltungsgericht Weimar urteilte schließlich – mit erheblicher Verzögerung – am 14. August im Sinne der Gedenkstätte: Es gehe hierbei nicht um ein generelles Hausverbot für Menschen mit Kufiya, sondern um den Einzelfall M. Diese habe schließlich explizit angekündigt, ein politisches Zeichen gegen den Genozid in Gaza setzen zu wollen. Dies steht in klarem Widerspruch zur Handreichung der Gedenkstätte, die ein solches generelles Verbot vorsieht. Damit folgt das Gericht der Argumentation des Anwalts der Gedenkstätte, der behauptet hatte, die Handreichung entfalte „keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber der Antragsstellerin“. Derselbe Anwalt bezog sich jedoch in demselben Schreiben inhaltlich auf genau diese Handreichung, die aus seiner Sicht „nachvollziehbar dargelegt“, habe, dass das Tragen der Kufiya in der aktuellen Lage als politische Kundgabe verstanden werden kann, die geeignet ist, das Gedenken zu stören und die Opfer zu instrumentalisieren.“ Ms Anwalt kommentierte, dass hier „wie man so schön sagt, mit zwei Zungen gesprochen wird“.
Der Kampf geht weiter – im Hauptsacheverfahren
Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde sofort Beschwerde eingelegt. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht entschied – ebenfalls mit erheblicher Verzögerung – am 18. August ebenfalls negativ. Bei dieser Entscheidung wurde auf die inhaltlichen Argumente der Antragsstellerin – die Bedeutung der Kufiya, der Schwur von Buchenwald und die Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IGH) wegen Beihilfe zum Völkermord – nicht eingegangen. Auf den Vorwurf des Verstoßes gegen das Willkürverbot und das Recht auf Meinungsfreiheit wurde ebenfalls nicht eingegangen. Damit folgt das Gericht der Handreichung der Gedenkstätte und einer eindeutigen Positionierung der Stiftung zugunsten der israelischen Regierung. M. kündigte an, diese Entscheidung nicht zu akzeptieren, sondern die Auseinandersetzung im Hauptsacheverfahren weiterzuführen:
„Dafür braucht es eine kritische Öffentlichkeit”, so M. „Wie kann es sein, dass die Kufiya nach fast zwei Jahren Genozid in Gaza immer noch auf diese Art kriminalisiert wird? Die Haltung der Gedenkstätte muss als das benannt werden, was sie ist: ein Skandal!“
Titelbild: Edson Garcia
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=138351