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Titel: Indonesien vor 60 Jahren: Mandarine, Marodeure und westliche Marketender staatlichen Terrors (II von II)
Datum: 21. September 2025 um 16:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Vor 60 Jahren entfesselte das indonesische Militär im Zeichen eines aggressiven Antikommunismus das bis dahin größte Massaker nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Jahre 1965 und 1966 markierten den Höhepunkt einer systematisch geschürten Pogromstimmung gegen Linke beziehungsweise gegen all jene Personen, die von den neuen Militärmachthabern um General Suharto für solche gehalten wurden. Ein Rückblick unseres Südostasienexperten Rainer Werning.
Der erste Teil dieses Beitrags, den Sie hier nachlesen können, erschien am 20. September. Darin enthalten sind auch die Liste weiterführender Literatur sowie Anmerkungen.
„Bewegung 30. September“ oder: Ein Putsch, der keiner war
Diesem Plan, so er tatsächlich bestand, kam der in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1965 von Oberstleutnant Untung, dem Chef der Leibgarde Sukarnos, inszenierte „Gegenputsch“ zuvor. Seinen Truppen gelang es, sechs ranghoher Generäle – darunter auch Yani – habhaft zu werden. Die gefangen genommenen Generäle und einer ihrer Adjutanten, ein Leutnant, wurden getötet und deren Leichen anschließend in einen Brunnen in der Nähe des Flughafens und Luftwaffenstützpunkts Halim geworfen, wo sich Untung und seine Leute verschanzt hielten.
Nunmehr überschlugen sich die Ereignisse. Über Radio Jakarta wurde am Morgen des 1. Oktober die Konstituierung eines „Revolutionsrates“ bekannt gegeben. (Eine zweite Rundfunkansprache der Untung-Gefolgsleute, die sich den Namen „Gerakan September Tiga Puluh“ – „Bewegung 30. September“ – gegeben hatten, erfolgte am Nachmittag desselben Tages.) Auffällig war, dass sich der ausgerufene „Revolutionsrat“ aus zahlreichen Militärs und zig Personen zusammensetzen sollte, die darüber nicht einmal selbst informiert waren oder offen der anderen Seite zuarbeiteten. Über die Gründe des Unternehmens wurde nur mitgeteilt, dass sich führende Militärs der Komplizenschaft mit der CIA schuldig gemacht hätten und deshalb kaltgestellt worden seien. Präsident Sukarno, so die Rundfunkerklärung, befinde sich in Sicherheit und werde auch weiterhin wie gewohnt die Staatsgeschäfte lenken.
So nebulös der Plan und die politische Plattform der Gefolgsleute Untungs waren, so rasch stürzten sie auch einem Kartenhaus gleich in sich zusammen. Sukarno, der sich ebenso wie Aidit zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse in Halim aufhielt, bewahrte Stillschweigen und äußerte sich weder pro noch kontra zu den sich um ihn herum ereignenden Geschehnissen. Weder von Aidit noch von der PKI-Parteispitze oder parteinahen Publikationen waren Aufrufe an die Bevölkerung zur Unterstützung der Bewegung 30. September erfolgt. Im Gegenteil, die Parole hieß allerorten: Ruhe bewahren, alles sei unter Kontrolle und das Wohlergehen Sukarnos gesichert.
Cui bono – wem nützte all das? Der Chef der strategischen Heeresreserve (der Eliteeinheit Kostrad) unter dem Befehl von Generalmajor Suharto hatte binnen weniger Stunden alles unter Kontrolle. Nicht zuletzt deshalb, weil einige der „Putschisten“ der Bewegung 30. September – namentlich Oberst Latief – zu seinen Vertrauten zählten. Bereits am späten Abend des 1. Oktober war der „Putsch“ in sich zusammengebrochen. Was folgte, war die gnadenlose Rache der Sieger.
Zu den noch immer bestehenden Wissenslücken und Ungereimtheiten über den genauen Verlauf jener verhängnisvollen Stunden zählt auch die eigentümliche 2.-Oktober-Ausgabe der PKI-Zeitung Harian Rakyat. In ihr noch wurden – selbst im Leitartikel – die Taten der Untung-Leute vom Vortrag gelobt, während deren Scheitern bereits bei Erscheinen besiegelt war und laut Anweisung Suhartos keine Zeitung an diesem Tag (2. Oktober) ohne Zustimmung kurzfristig eingesetzter Zensoren hätte publiziert werden dürfen. Starke Indizien sprechen dafür, dass da professionelle Fälscher am Werk waren; eine entsprechende Publikation glich einem Akt politischen Selbstmords.
So verwunderte es nicht, dass Suharto und seine Gefolgsleute später ausgerechnet die 2.-Oktober-Ausgabe der Harian Rakyat als „unumstößlichen Beweis” für die „tiefe Verstrickung” der PKI in die Bewegung 30. September heranzogen und damit ihren erklärten Vernichtungsfeldzug gegen „den Kommunismus” rechtfertigten. Die fortan offiziell verkündeten und ausdrücklich gutgeheißenen „Säuberungsaktionen“ gegen tatsachliche und vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der Partei wurden auch von religiösen Führern und vor allem seitens der Großgrundbesitzer vorbehaltlos begrüßt. Deren gedungene Schergen und paramilitärisch ausgerüsteten Banden flankierten fortan den von Suharto entfesselten Staatsterror, wodurch im Gegensatz zur alten Ordnung unter Sukarno die „Neue Ordnung“ begründet werden sollte.
Und koste dies (an Menschenleben), was es wolle.
„Wir hatten Angst vor den großen kommunistischen Führern. Sie verfügten über magische Kräfte, die sie unsterblich machten. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Man konnte sie noch so sehr schlagen, sie starben nicht. Riß man ihnen die Haare aus, wuchsen ihnen neue. Wir mußten ihnen die Buchstaben PKI mit glühenden Eisen in den Schädel einbrennen, um dieses Wunder zu beenden. Einige starben noch immer nicht. Nicht einmal, als wir Bambus-Sprößlinge in ihre Münder und Ohren pflanzten, nicht einmal, nachdem wir ihnen die Augen ausgerissen hatten. Dann legte man ihnen eine Katze in den Bauch – die Katze ist das Symbol des Tigers –, sie wurden dann verrückt, verloren ihre Zauberkraft und starben.“
Der das sagte, war nicht einmal 18 Jahre alt, Mitglied der KAPI, der indonesischen Schülerfront, und praktizierender Katholik – der Zauberei und schwarzen Magie nicht abgeneigt. Überliefert hat dies der französische Publizist Philippe Gavi in seinem 1969 veröffentlichten Buch „Konterrevolution in Indonesien“. Mitglieder und (vermeintliche) Sympathisanten der PKI bildeten die Hauptzielscheibe des seit Anfang Oktober 1965 entfesselten Militärterrors, in dessen Verlauf mindestens über eine halbe Million Menschen – manche Quellen sprechen von bis zu drei Millionen Toten! – massakriert wurden.
„Heile Welt – freie Welt“
Erklärtes Ziel war es, nicht nur Indonesien in das Gefüge der „westlichen Wertegemeinschaft“ und in den weltweit antikommunistischen Block zu integrieren, sondern auch in dem größten, bevölkerungsreichsten und lukrativsten Markt Südostasiens Fuß zu fassen und sich dort dauerhaft fest zu etablieren. Auf diese Weise sollte auch ein neues Klima geschaffen werden, in dem Privatunternehmen und „Entwicklungs“länder für ihr gegenseitiges Interesse und ihren Profit und für den noch größeren Profit der freien Welt zusammenarbeiten. Bereits vom 2. bis 4. November 1967 traf sich eine hochrangige indonesische Delegation, darunter Außenminister Adam Malik, in Genf mit einer erlesenen Auswahl US-amerikanischer und europäischer Geschäftsleute zu einer Indonesian Investment Conference, die eigens auf Kosten des US-Verlags Time-Life eingeflogen worden waren.
Die indonesische Seite „glänzte“ bei der Gelegenheit mit Sonderangeboten und Steilvorlagen für Investoren im Neuen Indonesien –
„politische Stabilität, ein schier unerschöpfliches Reservoir an billigen Arbeitskräften, einen riesigen Markt, eine Schatzkammer voller natürlicher Ressourcen sowie an nationalen und internationalen Universitäten bestausgebildete Fachkräfte, die jederzeit hilfreich zur Seite stehen, um neuen Wirtschaftsunternehmungen zum Erfolg zu verhelfen.”
David Rockefeller, Vorsitzender der Chase Manhattan Bank, dankte Time-Life für die Chance, mit „Indonesiens Top-Wirtschaftsteam“ zusammengetroffen zu sein und sich von deren „hoher Bildungsqualität“ überzeugt haben zu können.
Im Juni 1968 organisierte Suharto sodann im Gegenzug ein Wiedertreffen der in Jakarta als „Berkeley-Mafia” bezeichneten Technokraten und Wirtschaftsfachleute. Zum Handels- und Commerceminister ernannte er bei der Gelegenheit Sumitro (PhD, Rotterdam), Chef und Vizevorsitzender der Nationalen Planungsbehörde wurde Widjojo (PhD, Berkeley, 1961) beziehungsweise Emil Salim (PhD, Berkeley, 1964), während Subroto (Harvard, 1964) zum Generalsekretär für Marketing- und Handelsforschung und Ali Wardhana (PhD, Berkeley, 1962) zum Finanzminister avancierten. Außerdem wurde zum Vorsitzenden des Technischen Teams für Auslandsinvestitionen Mohamed Sadli (MS, MIT, 1956) ernannt und Barli Halim (MBA, Berkeley, 1959) als Generalsekretär für die Industrie berufen. „Koko“ Soedjatmoko, der Außenminister Adam Malik als Berater zur Seite gestanden hatte, wurde Indonesiens neuer Botschafter in Washington.
Um was es bei alledem wirklich ging, zeigte sich ein Jahr später im Jahre 1969, als 23 Firmen, unter ihnen 19 aus den USA, Konzessionen für Ölschürfungen in der Javasee und anderen Küstengewässern Indonesiens erhielten. Überhaupt: Wer ab 1965/66 in Indonesien unternehmerisch Fuß fassen wollte, musste auf Suharto-Getreue und/oder ein engmaschiges Netz von Loyalisten als „Berater“ zurückgreifen. Zu diesen zählte zweifellos der Geschäftsmann und engste Suharto-Wirtschaftspartner Mohammad (Bob) Hasan. Beide hatten bereits vor 1965 eine Reihe lukrativer Geschäfte betrieben, was Suharto ermöglichte, daraus erzielte Gewinne für sich als früherer Kommandeur der Diponegoro Division und ihm treu ergebene Offiziere einzustreichen.
US-Logistik für Suhartos Staatsterror
„Indonesien ist das Beste, was Uncle Sam nach dem Kriegsende passierte.”
– Ein hochrangiger Weltbank-Mitarbeiter, zit. in: D. Ransom (1970: 26)
Durch ein „peinliches Missgeschick“, so Mark Mansfield, ein Sprecher der CIA, Ende Juli 2001 gegenüber der New York Times, sei ein Exemplar eines vom State Department erstellten Geschichtsbuchs über die Rolle der USA im Indonesien der 1960er-Jahre an Mitarbeiter des National Security Archive der George Washington University in Washington gelangt. Deren Mitarbeiter platzierten dieses Dokument – Titel: „Die auswärtigen Beziehungen der Vereinigten Staaten, 1964-68 – Band XXVI: Indonesien; Malaysia-Singapur; Philippinen“ – am 27. Juli 2001 auf ihrer Homepage im Internet.
Das 570 Seiten umfassende Kapitel über Indonesien liefert eine Fülle von Beweismaterial staatsterroristischer Schurkereien. So leitete beispielsweise die US-Botschaft in Jakarta am 13. November 1965 Informationen der indonesischen Polizei weiter, wonach „jede Nacht zwischen 50 und 100 PKI-Mitglieder in Ost- und Zentraljava getötet“ wurden. Dieselbe Behörde kabelte am 15. April 1966 die Notiz nach Washington:
„Wir wissen – ehrlich gesagt – nicht genau, ob die tatsächliche Zahl (getöteter PKI-ler – RW) näher bei 100.000 oder bei 1.000.000 liegt, doch wir halten es für klüger, vor allem im Falle von Nachfragen seitens der Presse, von der niedrigeren Schätzung auszugehen.“
Auf Seite 339 heißt es, man habe sich auf Initiative des Außenamtsmitarbeiters Richard Cabot Howland schließlich 1970 auf die Zahl von 105.000 getöteten Personen verständigt. Der damalige US-Botschafter in Jakarta, Marshall Green, funkte am 10. August 1966 nach Washington, die Botschaft habe eine von ihr erstellte Liste mit den Namen führender PKI-Kader den indonesischen Sicherheitskräften übermittelt, denen es offensichtlich an solchen Informationen gemangelt habe. Am 2. Dezember 1965 gab Green in Absprache mit William P. Bundy, seinerzeit im State Department verantwortlich für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten, grünes Licht für die Bereitstellung von 50 Millionen Rupiah an die Kap-Gestapu-Bewegung, die als „eine von der Armee inspirierte, doch aus Zivilisten gebildete Aktionsgruppe (…) die Bürde der andauernden repressiven Maßnahmen gegen die PKI trägt.“
Allem Anschein nach hatte die CIA bereits vor 1965 Zugang zu Geheimakten über die PKI, die in der G-2-Sektion, der Abteilung für nachrichtendienstliche Aktionen und Aufklärung der indonesischen Armee, gelagert waren, welche seinerzeit unter Führung von Generalmajor Siswondo Parman stand. (Dieser war einer der sechs in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1965 getöteten Generäle.) Doch die indonesischen Akten wurden von US-Analysten unisono als unzureichend betrachtet, da sie PKI-Funktionäre lediglich auf „nationaler” Ebene identifizierten, nicht aber auch die Tausende ihrer Kader auf regionaler und kommunaler Ebene aufgelistet hatten, die verdächtigt worden waren, in Geheimoperationen oder in Kurier- oder Finanzierungsgeschäfte verstrickt gewesen zu sein.
Die Zustimmung zur Herausgabe der Namenslisten kam von der Spitze der US-Botschaft, einschließlich dem früheren Botschafter Marshall Green, dem stellvertretenden Missionschef Jack Lydman und dem Chef der politischen Abteilung Edward E. Masters, was alle drei später in Interviews bestätigten:
„Wir hatten viel mehr Informationen über die PKI als die Indonesier selbst”, sagte Green. (Kadane, 1990b) Martens „sagte mir bei mehreren Gelegenheiten, dass die Regierung über keine sehr guten Informationen über die kommunistischen Pläne verfügte, und er vermittelte mir den Eindruck, dass unsere Informationen weitaus besser waren als all das, worüber die indonesische Regierung verfügte.”
Informationen über die Gefangenen und Getöteten kamen unmittelbar von Suhartos Einsatzzentralen, so Joseph Lazarsky, der 1965 stellvertretender Stationschef der CIA in Jakarta war. Suhartos Kommandozentrale in Jakarta war die Sammelstelle aller landesweit einlaufenden Berichte, welche die Gefangennahme und Tötung von PKI-Führern erfasste. Lazarsky erklärte dazu:
„Wir erhielten in Jakarta eine umfassende Zusammenstellung, wer aufgegriffen wurde. Die Armee verfügte über eine ‚Abschussliste’ von etwa 4.000 bis 5.000 Leuten.” (ebd.)
Howard Federspiel, 1965 als Indonesienexperte im Büro für nachrichtendienstliche Aufklärung und Forschung im State Department tätig, konstatierte nach einer Ende Januar 1966 vorgenommenen Abgleichung amerikanischer mit indonesischen Todes- und Verhaftungslisten, dass die Armeeführung unter Suharto die PKI zerstört habe.
„Keinen kümmerte das“, erklärte Federspiel in einem Interview mit der Journalistin Kathy Kadane (Kadane, 1990a), „solange es sich um Kommunisten handelte, die abgeschlachtet wurden.“
Ähnlich ungeschminkt äußerten sich andere von Kadane befragte Personen – darunter die bereits oben genannten Personen Marshall Green, Jack Lydman, Edward E. Masters sowie Robert Martens, Analyst der indonesischen Linken unter der Leitung von Masters, Joseph Lazarsky, 1965 stellvertretender Chef des Jakarta-Büros der CIA, und der damalige Direktor der CIA-Fernostabteilung, William Colby.
Vor allem Colby und Masters ging es zuvörderst um „umfassendere“, „verfeinerte” Todeslisten. Wiederholt hatten sie bemängelt, dass die indonesischen Behörden lediglich über nationale Auflistungen von PKI-Mitgliedern und -sympathisanten verfügten, nicht jedoch über entsprechende regionale und lokale Listen. Colby und sein Stab hatten deshalb fieberhaft an der Erstellung solcher Listen gearbeitet, was ihm nach eigenem Bekunden im Rahmen der Operation Phönix in Vietnam zugutekam. Bei dieser im Dezember 1967 auf Weisung der CIA initiierten gemeinsamen amerikanisch-südvietnamesischen Operation ging es darum, mit Hilfe identifizierter (Infra-)Strukturen des politischen Untergrunds so viele Mitglieder der Nationalen Befreiungsfront als Verbündete Nordvietnams wie möglich „zu neutralisieren“. Ohne solche Listen, so Colby, „kämpfst du blind“. Mit Blick auf die Operation Phoenix merkte er an:
„Es herrschte ein Krieg und sie kämpften. So zielte denn alles darauf ab, Erkenntnisse für die unmittelbare Durchführung von Operationen und nicht einfach nur ein großes Bild der Sache zu gewinnen.”
Bis Ende Januar 1966, so Lazarsky, waren so viele Namen auf den Todeslisten abgehakt, dass die CIA-Analysten in Washington zu dem Schluss gelangten, die PKI-Führung sei gänzlich ausgeschaltet. Auf Nachfragen zu den abgehakten Namen erklärte Colby:
„Wir kamen zu dem Schluss, dass mit dieser drakonischen Art, wie die Operationen durchgeführt wurden, die Kommunisten um viele Jahre zurückgeworfen wurden.“
Im Juni 1966, nachdem das „große Schlachten” vorbei war, kommentierte dies die New York Times lakonisch mit der Schlagzeile „Ein Lichtschimmer in Asien” (Reston, 1966). James Reston, damals der angesehenste politische Berichterstatter und Kommentator der Zeitung, verglich die entmutigenden Nachrichten aus Vietnam mit „den hoffnungsvolleren Entwicklungen in Asien”, wo sich „die schonungslose Transformation Indonesiens von einer prochinesischen Politik unter Sukarno hin zu einer herausfordernden antikommunistischen Politik unter Suharto” vollzogen hätte. In beiden Ländern, so fügte er hinzu, sei es immerhin um eine synchronisierte und miteinander verschränkte Planungspolitik Washingtons gegangen.
„Es ist zweifelhaft“, so Reston in seinem oben genannten Beitrag in der New York Times, „ob der Coup (in Indonesien – RW) jemals ohne die amerikanische ‚show of strength’ in Vietnam oder die klandestine Hilfe von hier aus (Washington – RW) geglückt wäre beziehungsweise hätte durchgeführt und aufrechterhalten werden können.“ (s. ferner: Franke, 1983)
Neben der Offiziersausbildung und Bereitstellung sensibler nachrichtendienstlicher Erkenntnisse leisteten die USA auch handfeste logistische Unterstützung für Suhartos Truppen. Das betraf Waffen und Munition ebenso wie die Lieferung von geländetauglichen Jeeps und seinerzeit modernsten Funkgeräten und Feldtelefonen. All das war in großen Vorräten auf dem nördlich von Manila gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt Clark Air Field in den Philippinen gelagert und konnte binnen weniger Stunden in Jakarta angelandet werden. Laut einem früheren Botschaftsbeamten hatte die CIA außerdem in Eile Funkgeräte besorgt und nach Clark verfrachtet – hochwertige Collins KWM-2s, Einseitenband-Sende- und Empfangsmodule mit hohem Frequenzbereich –, die besten und stärksten mobilen Funkgeräte, die damals existierten.
Diese Geräte wurden sodann in geheimer Mission nach Indonesien gebracht und dort von Mitarbeitern des Pentagon direkt an die Einsatzzentrale Suhartos ausgeliefert. Auf diese Weise konnten unverzüglich Mängel in der Armeekommunikation behoben werden; zuvor nämlich gab es keine Möglichkeiten, dass sich Truppen auf Java und den weit abgelegenen Inseln direkt mit Jakarta absprechen konnten. Auch konnten Funkkontakte der anderen Seite abgefangen werden. Die mobilen Funkgeräte sendeten dann direkt an eine große transportable (ebenfalls eilig eingeflogen von einer C-130-Maschine) Antenne vor dem KOSTRAD-Hauptquartier. So hatte die CIA sichergestellt, dass die von der indonesischen Armee benutzten Frequenzen im Voraus der National Security Agency (NSA) bekannt waren. Diese hörte die Radiokommunikation von einer Stelle in Südostasien ab, wo Analysten sie dann übersetzten, und konnte notfalls auch jederzeit operativ eingreifen.
So hatte sich letztendlich jenes Szenario realisiert, das Greens Vorgänger, US-Botschafter Howard Jones, sehnlichst herbeigewünscht hatte:
„Aus unserer Sicht wäre natürlich ein erfolgloser Coupversuch seitens der PKI“, hatte Jones bereits am 10. März 1965 anlässlich einer gemeinsamen Regionalkonferenz von US-Chefdiplomaten in der nordphilippinischen Stadt Baguio erklärt, „die mit Abstand beste Entwicklung, um die politischen Trends in Indonesien umzukehren.” (zit. in: Kahin & Kahin, 1995: 225)
An diesem jährlichen Treffen der US-Missionsleiter nahmen neben W. Averell Harriman, dem Staatssekretär für politische Angelegenheiten, und William P. Bundy auch Ellsworth Bunker als persönlicher Vertreter von Präsident Johnson teil. Bunker verbrachte sodann zwei Wochen im April 1965 in Indonesien – zur Einschätzung der Situation vor Ort. Zwei Jahre später avancierte er zu Washingtons Botschafter in der südvietnamesischen Metropole Saigon.
Schützenhilfe für die „Neue Ordnung“ aus der alten BRD
Helfershelfer Suhartos war seitens der Bundesrepublik auch der Bundesnachrichtendienst (BND), der die indonesischen Militärs mit Logistik und Waffen unterstützte. Von der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz gab es für die fernen Freunde Hilfestellung in Form von Ausbildungskursen für Offiziere an der Bundeswehrakademie Hamburg-Blankenese sowie Spezialtrainings bei der Elitetruppe GSG 9 in Hangelar bei Bonn. Dort erhielt unter anderen auch ein Schwiegersohn Suhartos, der damalige Hauptmann, spätere General und heutige Präsident Prabowo Subianto, vom 1. April bis zum 18. Dezember 1981 ein Training. In seine Heimat zurückgekehrt, avancierte Prabowo zum Chef der indonesischen militärischen Spezialeinheiten und übernahm zudem das Kommando des wegen seiner Brutalität gefürchteten „Detachment 81“.
Und für die in- wie ausländische Imagepflege Suhartos als stets „lächelnder General“ zeichnete ausgerechnet mit dem 1912 in Leipzig geborenen Rudolf Oebsger-Röder ein glühender Ex-Nazi und SS-Obersturmbannführer verantwortlich. Vorgesetzte beim Sicherheitsdienst der SS hatten Röder eine „tadellose Auffassungsgabe“ attestiert und ihn als jemanden charakterisiert, der sich „stets mit seiner ganzen Person für den Nationalsozialismus eingesetzt“ habe. Nach dem Krieg war Röder unter anderem hauptberuflich für die Organisation Gehlen, dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND), tätig, setzte sich Ende Dezember 1959 nach Indonesien ab und arbeitete in Jakarta unter dem Namen O.G. Roeder sowohl als BND-Mitarbeiter als auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. In der indonesischen Metropole gelang es ihm, Zugang zu Suharto zu finden und als dessen Berater und Biograph zu wirken.
Roeders Chef, der ehemalige Nationalsozialist und erste Präsident des BND bis 1968, Reinhard Gehlen, hatte Mitte Oktober 1996 in einem Beitrag des ARD-Fernsehmagazins „Monitor“ den Machtantritt Suhartos mit den Worten gepriesen:
„Der Erfolg der indonesischen Armee, die (…) die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte verfolgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“
„Die rächende Armee hat nicht gezögert“, hatte Peter Christian Hauswedell bereits in Die Zeit (3. November 1967) geschrieben, „die einmalige Chance zur Vernichtung ihres einzigen Rivalen wahrzunehmen. Mit offizieller Billigung, ausgeführt von der Armee, von militanten Jugendgruppen der Moslems und der PNI (Partai Nasional Indonesia), begann dann der wohl größte Massenmord seit Hitlers Tagen. Er kam einem Pogrom der PKI-Anhänger gleich und wurde schließlich – außer Kontrolle geraten – zu einem nationalen Amoklauf, wobei Privatfehden und allgemeine soziale Konflikte unter dem bequemen Deckmantel des Antikommunismus bereinigt wurden.“
Erst knapp fünf Dekaden nach den blutigen Ereignissen in dem südostasiatischen Inselstaat rückte Indonesien erneut ins Blickfeld der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Dazu maßgeblich beigetragen hatte eine Kleine Anfrage von Mitgliedern der Fraktion DIE LINKE im Bundestag (Deutscher Bundestag Drucksache 18/1554, 18. Wahlperiode – 27. Mai 2014). In der Antwort auf diese Anfrage äußerte sich die Bundesregierung beispielsweise zum Themenkomplex der militärischen Zusammenarbeit mit Indonesien wie folgt:
„Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen der bilateralen Beziehungen den indonesischen Transformationsprozess hin zu einem demokratischen Rechtsstaat. Dazu gehört auch die militärische Kooperation der Bundeswehr mit den indonesischen Streitkräften. Sie ist ein Instrument präventiver Sicherheitspolitik. Indonesische Offiziere nehmen regelmäßig am Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst International (LGAI) teil. Dort sollen den ausländischen Lehrgangsteilnehmern auch die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die außen- und sicherheitspolitischen Positionen Deutschlands vermittelt sowie die deutsche Führungskultur ‚Innere Führung’ und ‚Staatsbürger in Uniform’ erlebbar gemacht werden.“
Laut Ausführungen der Bundesregierung hielten sich zwischen 1960 und 1998 im Rahmen der Militärischen Ausbildungshilfe (MAH) insgesamt 122 indonesische Soldaten als Lehrgangsteilnehmer an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr in Deutschland auf.
Auf solche Fragen wie „Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die direkte oder indirekte Unterstützung der Massaker durch ausländische Regierungen, Geheimdienste oder andere Organisationen?“ oder zur Rolle des BND während dieser „Geschehnisse“ fielen die Antworten stets dürr aus beziehungsweise verschanzte man sich hinter staatlichen Sicherheitsinteressen:
„Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung nicht offen erfolgen kann. Die erbetenen Auskünfte sind geheimhaltungsbedürftig, da sie Hinweise zu nachrichtendienstlichen Quellen enthalten. Der Quellenschutz stellt für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste einen überragend wichtigen Grundsatz dar. (…) Deshalb sind die entsprechenden Informationen als Verschlusssache gemäß der Verschlusssachenanweisung mit dem VS-Grad ‚VS-Vertraulich’ beziehungsweise mit dem Geheimhaltungsgrad ‚Geheim’ eingestuft.“
Erstaunlich, dass auch ein halbes Jahrhundert nach den „blutigen Geschehnissen“ im Indonesien Mitte der 1960er-Jahre die Bundesregierung es für nötig erachtete, noch immer einen dichten Schleier darüber auszubreiten, statt seit 1998 mit Transparenz und Aufklärung zum Demokratisierungsprozess beziehungsweise zur „Reformasi“ in dem südostasiatischen Land beizutragen.
Erloschenes Irrlicht mit Schwelbrand
Am 21. Mai 1998 wurde Präsident Suharto, dessen Familienvermögen das Londoner Wirtschaftsmagazin The Economist seinerzeit auf bis zu 40 Milliarden US-Dollar schätzte, nach 32-jähriger Herrschaft infolge massiver politischer Unruhen im Sog der sogenannten Asienkrise zum Rücktritt gezwungen. Doch es war dies ein Abgang in geschmeidiger Suharto-Manier. Selbst im Moment der Niederlage führte er lächelnd Regie, wohlwissend, dass seine guten Geister ihn nicht gänzlich verlassen hatten.
Sein langjähriger Intimus Bacharuddin Jusuf Habibie beerbte Suharto und leistete unverzüglich seinen Amtseid. Dann schüttelte bapak, der „Vater der Nation“, als der sich Suharto stets wähnte, die Hand seines Ziehsohns Habibie und trat von der Bühne ab. Unbehelligt von internationalen wie nationalen Justizbehörden verbrachte Suharto noch knapp ein Jahrzehnt in seiner Residenz in Jakartas Menteng-Viertel, wo er am 27. Januar 2008 friedlich verstarb.
Sein ehemaliger Schwiegersohn Prabowo Subianto, der am 20. Oktober 2024 als achtes Staatsoberhaupt des Inselstaates vereidigt wurde, teilt pikanterweise mit Präsident Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr., dem seit Sommer 2022 im nördlichen Nachbarland Philippinen amtierenden Sohn von Marcos Sr. (1965 – 1986), ein gemeinsames Erbe. Beide sind Ziehsöhne von Diktatoren, die im Falle tiefgreifender innenpolitischer Krisen nicht davor zurückschrecken, das Militär allein aus Gründen schieren Machterhalts einzusetzen.
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