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Titel: Im Visier von „Heuschrecken“ – Bilderbuch-Attacke auf den Düsseldorfer Pharmaverpackungshersteller Gerresheimer

Datum: 22. September 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ökonomie, Banken, Börse, Spekulation
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Gerresheimer ist ein typisches deutsches Vorzeigeunternehmen. Gegründet als kleine Glasfabrik im Jahre 1864, stellt der Düsseldorfer Konzern heute mit seinen über 13.000 Mitarbeitern Glas- und Kunststoffverpackungen für die Pharma- und Kosmetikbranche her. Mit Standorten in 16 Ländern auf drei Kontinenten ist Gerresheimer auch international breit aufgestellt. Wichtigster Auslandsmarkt sind die USA, wo rund ein Drittel des Geschäfts stattfindet. Im vergangenen Jahr überschritt der Umsatz erstmals die Marke von zwei Milliarden Euro. Vor allem der Boom bei den Abnehmspritzen sorgte für Fantasie. „Innovating for a better life“ lautet denn auch das Unternehmensmotto. Von Thomas Trares.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Innovieren für ein besseres Leben“ – das dürfte so manch einer bei Gerresheimer sich derzeit auch für sich selbst wünschen, vor allem in der Führungsspitze. Denn die Düsseldorfer sind in das Visier aktivistischer Investoren geraten, also jener Spezies, die der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering einmal als „Heuschrecken“ bezeichnete. Bei Gerresheimer sind es gleich zwei; der US-Hedgefonds Eminence Capital sowie Active Ownership Capital (AOC), ein in Luxemburg ansässiger Finanzinvestor, der erst im August in das Unternehmen eingestiegen ist. Das Ergebnis ließ aber nicht lange auf sich warten. Ende August gab Gerresheimer bekannt, dass Finanzvorstand Bernd Metzner das Unternehmen verlässt, zudem wird die Sparte Moulded Glass (Formglas) abgespalten.

Einstieg von Eminence Capital

Doch was war geschehen? Das Dilemma begann ziemlich genau vor einem Jahr, am 30. September 2024, als Gerresheimer völlig überraschend eine Gewinnwarnung absetzte. Der Konzern hatte seine Jahresziele deutlich nach unten korrigiert. Der Aktienkurs brach daraufhin um fast 20 Prozent ein. Das nutzte Eminence Capital, die Investmentgesellschaft des aktivistischen US-Investors Ricky Chad Sandler, zum Einstieg. Inzwischen hält der Hedgefonds 6,2 Prozent an Gerresheimer. Sandler selbst gilt als beschlagener Long/Short-Investor, das heißt, er wettet auf steigende wie auch auf fallende Kurse. Neben Eminence Capital sind auch die US-Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley in größerem Umfang bei Gerresheimer beteiligt.

Zum Verhängnis ist Gerresheimer unter anderem die Übernahme von Bormioli Pharma geworden, einem Medikamentenverpacker aus Italien, den die Düsseldorfer Mitte 2024 dem deutsch-schwedischen Finanzinvestor Triton abgekauft haben. Zum genauen Kaufpreis wurden keine Angaben gemacht, jedoch soll der Transaktion ein Unternehmenswert von rund 800 Millionen Euro zugrunde gelegen haben. Finanziert wurde die Übernahme auf Pump. Mit dem Zukauf entstand zudem der Geschäftsbereich Moulded Glass. Geplant war, vom Boom mit den Abnehmspritzen zu profitieren, für die Gerresheimer die Injektionsfläschchen herstellt. „Mit der Transaktion setzen wir ein Ausrufezeichen hinter unsere Wachstumsambitionen“, sagte Gerresheimer-Chef Dietmar Siemssen seinerzeit.

Erwartungen nicht erfüllt

Doch es kam anders. Die Erwartungen haben sich bis heute nicht erfüllt. Insbesondere die Nachfrage nach den Injektionsfläschchen sprang nicht an. Inzwischen hat Gerresheimer die Prognosen für das Geschäftsjahr 2025 mehrfach gesenkt, während die Verschuldung infolge der Bormioli-Übernahme in die Höhe schoss. Entsprechend hat sich der Börsenwert seit Oktober 2024 auf knapp 1,5 Milliarden Euro mehr als halbiert. Mit 43 Euro kostet die Aktie heute etwa so viel wie vor elf Jahren. Im Laufe dieses Jahres hat Gerresheimer dann sogar mit dem Private-Equity-Investoren KKR, Warburg Pincus und KSP über eine mögliche Übernahme verhandelt, dann aber die Gespräche abgebrochen.

Die Turbulenzen haben jedoch mit Active Ownership Capital (AOC) einen weiteren aktivistischen Investor angelockt, der dann im August bei Gerresheimer eingestiegen ist. AOC hält nun 5,3 Prozent an dem Unternehmen mit Zugriff auf weitere 1,9 Prozent. Hinter AOC verbirgt sich der Frankfurter Investmentbanker Florian Schuhbauer. Erstmals in Erscheinung trat AOC 2017 bei dem Generikakonzern Stada, der später dann an die Finanzinvestoren Bain und Cinven verkauft wurde. Derzeit ist AOC in Deutschland noch an dem Kochboxversender Hellofresh und dem Personalvermittler Amadeus Fire beteiligt.

Active Ownership Capital stellt klare Forderungen

Bei seinem Einstieg bei Gerresheimer hat AOC dann das Management mit klaren Forderungen konfrontiert. Demnach gebe es noch „beträchtliches Wertsteigerungspotenzial“, Management und Aufsichtsrat will der Investor nun „konstruktiv begleiten, dieses zu erschließen“. Um die Verschuldung abzubauen, müsse zudem der angekündigte Verkauf der Sparte Moulded Glass zügig vorangetrieben werden. Nötig seien außerdem weitere Portfoliooptimierungen und die Auflage eines Effizienzprogramms, insbesondere durch Kostensenkungen in Verwaltung und Geschäftseinheiten. All dies soll die Umsatzrendite um fünf Prozentpunkte anheben. Und nicht zuletzt forderte AOC noch Veränderungen im Management, insbesondere „im Hinblick auf die Position des Finanzvorstands und des mittleren Managements“.

Gesagt, getan! Gerresheimer-Finanzvorstand Bernd Metzner hat das Unternehmen bereits zum 31. August 2025 „auf eigenen Wunsch“ verlassen. Metzner wurde insbesondere der gescheiterte Verkauf an die Private-Equity-Investoren und auch der anhaltende Kursverfall der Aktie angelastet. Sein Nachfolger ist Wolf Lehmann, bisher Operating Partner bei dem Finanzinvestor Triton. Besonders pikant dabei: AOC-Gründer Schuhbauer war vor seiner Zeit bei AOC ebenfalls bei Triton tätig. „Wir begrüßen den zügigen Wechsel im Vorstand von Gerresheimer und die Berufung von Wolf Lehmann zum neuen CFO“, hieß es entsprechend bei AOC. Lehmann soll nun den Verkauf weiterer Konzernteile sowie ein Sparprogramm vorantreiben.

Idealtypisches Vorgehen

Inwieweit AOC am Ende mit seiner Strategie erfolgreich sein wird, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber, dass das Vorgehen bei Gerresheimer geradezu idealtypisch für aktivistische Investoren ist. Sie kaufen nicht einfach Aktien und warten auf Wertsteigerungen, sondern sie werden aktiv. Fast immer geht es dabei um Rendite. Das heißt, die Aktivisten versuchen, die Unternehmensstrategie zu beeinflussen, fordern Kostensenkungen, Abspaltungen, die Absetzung von Führungskräften und Ähnliches. Die Strategie funktioniert freilich nur bei Unternehmen, die Angriffspunkte bieten. Das können Managementfehler oder auch Unstimmigkeiten innerhalb des Unternehmens sein.

An dem Auftreten der aktivistischen Investoren scheiden sich freilich die Geister. Einerseits heißt es, dass sie eine wichtige Kontroll- und Frühwarnfunktion ausüben, indem sie bei schlecht gemanagten Unternehmen die Finger in die Wunde legen und allein schon durch ihr Auftreten disziplinierend wirken. Andererseits verfolgen die Aktivisten oft nur kurzfristige Interessen, die den mittel- und langfristigen Unternehmenszielen entgegenstehen können. So haben insbesondere die von aktivistischen Fonds oft geforderten Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe das Potenzial, die finanzielle Basis der Unternehmen zu untergraben.

Mehr Kampagnen angekündigt

Angesichts von Deindustrialisierung und Dauerrezession in Deutschland wäre eigentlich davon auszugehen, dass Gerresheimer kein Einzelfall ist und die „Heuschrecken“-Attacken sich gerade häufen. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall. Die internationale Beratungsgesellschaft Alvarez & Marsal (A & M), die das Treiben aktivistischer Investoren regelmäßig beobachtet und analysiert, hat im ersten Halbjahr 2025 zehn Kampagnen gegen deutsche Unternehmen festgestellt, das sind nur halb so viele wie im entsprechenden Vorjahreszeitraum. A & M führt den Rückgang auf geopolitische Unsicherheiten, Trumps Zollpolitik und andere Verwerfungen zurück, die auch die Aktivisten vorsichtiger werden ließen. Für das zweite Halbjahr hat A & M allerdings wieder mehr Kampagnen angekündigt. Als mögliches Ziel wurde in der Analyse, die Anfang Juli erschien, auch Gerresheimer genannt.

Titelbild: T. Schneider/shutterstock.com


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