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Titel: Pfeifen auf dem letzten Loch: Ist die Deutsche Bahn noch zu retten?

Datum: 23. September 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ökonomie, Verkehrspolitik
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Wird das jetzt der große Wurf? An großen Worten ließ es der neue Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) jedenfalls nicht fehlen, als er am Montag in Berlin seine „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ nebst einer neuen Vorstandsvorsitzenden des bundeseigenen Mischkonzerns Deutsche Bahn AG präsentierte. Damit drücke man den Startknopf für einen Neuanfang, „strukturell und personell“. Man werde das Unternehmen auf sein Kerngeschäft konzentrieren, und das sei der Transport von Menschen und Gütern auf der Schiene. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dafür maßgeblich seien die gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte InfraGo sowie die drei Verkehrssparten DB Fernverkehr, DB Regio und DB Cargo (Güterverkehr). Alle anderen Beteiligungen des Konzerns gehörten auf den Prüfstand und würden gegebenenfalls verkauft. Das Unternehmen müsse „schneller, schlanker und wirtschaftlicher werden“. Wichtige Messlatten seien dabei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Verkehrs sowie Sicherheit und Sauberkeit in den Zügen und auf den Bahnhöfen. Für wohliges Schaudern sorgten dabei einige aktuelle Zahlen, die Schnieder präsentierte. So seien im Juli und August nur noch etwas mehr als die Hälfte aller Fernzüge pünktlich gewesen, an einigen Wochenenden sogar nur gut 40 Prozent. Dazu sei fast jeder zehnte Zug ausgefallen.

Auch die künftige Chefin Evelyn Palla fand drastische Worte. Die in Südtirol aufgewachsene Betriebswirtschaftlerin verfügt – anders als die meisten ihrer Vorgänger – über umfangreiche Expertise im Schienenverkehr. Nach ihrer Tätigkeit im Bereich Planung und Controlling beim Energiekonzern E.ON wechselte sie 2011 zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), wo sie ab 2015 im Vorstand der ÖBB-Personenverkehr für die Bereiche Nah- und Regionalverkehr, Finanzen und Einkauf zuständig war. 2019 wechselte sie zum DB-Konzern und wurde Vorständin für Finanzen der DB Fernverkehr. Im Juni 2022 wurde sie zur Vorständin der Deutsche Bahn und zugleich zur Vorstandsvorsitzenden der DB Regio berufen, die u.a. eine Pünktlichkeitsquote von 90 Prozent und schwarze Zahlen vorweisen kann. Zu ihrer „Street Credibility“ gehört auch, dass sie als einziges Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn einen Lokführerschein besitzt.

Palla versprach am Montag kurz und bündig: „Wir räumen auf“, und jetzt sei der „Tag des Aufbruchs“ für Kunden und Mitarbeiter gekommen. Absolute Priorität habe die Fokussierung auf das Kerngeschäft – „den Schienenverkehr in Deutschland“. Man werde die gemeinwohlorientierte InfraGo und die am Markt agierenden Verkehrstöchter (Fern-, Regional- und Güterverkehr) stärker voneinander trennen, die Vorstände im Konzern und in den Töchtern verschlanken, Doppelzuständigkeiten abschaffen und Ertüchtigung und Ausbau der Infrastruktur an die „oberste Stelle“ stellen. Allzu euphorisch sollte das aber nicht wirken, und daher ihre Mahnung: „Nichts wird schnell gehen.“ Es handle sich „nicht um einen Sprint, sondern um einen Marathonlauf“. Dazu passt, dass die kurz- und mittelfristigen Zielmarken für die Pünktlichkeit im Fernverkehr am Montag sogar nach unten korrigiert wurden. So soll die Marke von 70 Prozent nunmehr erst 2029 erreicht werden, der alte Bahn-Vorstand hatte dafür – bar jeden Realitätsbezugs – 2026 avisiert.

Nicht nur in den Ausführungen des obersten Dienstherrn und der Konzernchefin, sondern auch in der 34-seitigen „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ wird deutlich, dass die Infrastruktur, und dabei vor allem das undurchsichtige Finanz- und Kompetenzgeflecht zwischen Konzern und der Tochter InfraGo AG, die große Kuh ist, die vom Eis muss. Denn durch Beherrschungsverträge, Weisungsgebundenheit und Gewinnerzielungsmaximen (etwa durch eine hohe Verzinsung des in der Infrastruktur eingesetzten Kapitals) wurde InfraGo seit Jahren als Cashcow des Konzerns missbraucht, um in anderen Konzernsparten notdürftig Finanzlöcher zu flicken; was den Eigentümer, also den Bund, und die von ihm gestellten Aufsichtsräte offensichtlich herzlich wenig interessierte. In Folge dieser Struktur drehte die InfraGo kontinuierlich an der Preisschraube ihrer wichtigsten Einnahmequelle, den Gebühren für die Trassennutzung, die die Verkehrstöchter der Bahn AG und die privaten Wettbewerber im Güter- und Regionalverkehr entrichten müssen, wenn sie das zunehmend marode Schienensystem nutzen wollen; was natürlich die Preise treibt und vor allem den Güterverkehr auf der Schiene existenziell bedroht. Nach Berechnungen von Insidern – offizielle Zahlen gibt es nicht und werden sogar Aufsichtsräten unter Berufung auf das „Geschäftsgeheimnis“ verweigert – fließen nur 18 Prozent der vereinnahmten Trassenentgelte in den unmittelbaren Betrieb der Trassen.

Mit dieser absurden Struktur soll jetzt Schluss sein. In der Agenda wird dazu einiges aufgelistet: Als Voraussetzung dafür wird eine Neubesetzung und -ausrichtung der Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns und bei InfraGo angekündigt, ferner die „Festlegung einer eindeutigen Rollenverteilung zwischen Bund (Ziele festlegen und Rahmen definieren) und DB (operative Verantwortung)“. Das klingt eigentlich selbstverständlich, aber bislang agierte der Bahn-Konzern wie ein Staat im Staate. Angekündigt wird die „Sicherung einer überjährigen (also nicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr) und auskömmlichen Finanzierung der Infrastruktur und die Bereitstellung von rund 100 Milliarden Euro für die Schiene bis 2029“.

Und dieses Geld soll dann eben nicht mehr irgendwo im Konzern versickern. Im Visier der Agenda ist auch der Kontrahierungszwang innerhalb des Konzerns. Das heißt, Töchter wie InfraGo müssen bislang Aufträge – etwa für Planungs- und Ingenieurleistungen – konzernintern vergeben, auch wenn sie absurd hoch kalkuliert sind. Künftig sollen alle Gewinne der InfraGo wieder komplett in die Infrastruktur fließen und eine Quersubventionierung anderer Sparten ausgeschlossen sein. Alle Weisungen, die der Konzernvorstand auf aktienrechtlicher Grundlage erteilen will, sollen künftig dem Aufsichtsrat zur Prüfung vorgelegt werden. Ferner wird angestrebt, infrastrukturbezogene Aufgaben, die durch den Konzern wahrgenommen werden, auf die Tochter InfraGo zu übertragen. Der für Infrastruktur zuständige Konzernvorstandsposten soll entfallen. Angestrebt wird ferner, die Regularien der Kapitalverzinsung und mögliche Direktzuschüsse an die InfraGo seitens des Bundes zu prüfen, sowie neue Regularien für die Festsetzung der Trassenpreise. Und alles soll – Neuland für die DB AG – vollkommen transparent verlaufen.

Das alles klingt erst mal recht vernünftig, hat aber diverse Haken. Zum einen sollen viele der angekündigten Änderungen zunächst „geprüft“ und teilweise erst 2027 umgesetzt werden. Außerdem wurde der zeitweilig diskutierte radikalere Ansatz, nämlich die Herauslösung der Infrastruktursparte aus dem aktienrechtlichen Konzernkonstrukt und ihre Überführung in unmittelbar öffentlich-rechtliche Trägerschaft (bei weiterer Zugehörigkeit zum DB-Konzern) offenbar verworfen. Und während die Berufung von Evelyn Palla zur neuen Konzernchefin allgemein auf Zustimmung stößt, sorgt eine andere Personalie für Irritationen. Denn auch InfraGo soll einen neuen Chef erhalten, und der hat eine eher unrühmliche Vorgeschichte im Bahn-Konzern. Denn Dirk Rompf saß bereits von 2014 bis 2019 im Vorstand der InfraGo, die damals noch DB Netz hieß. Die Gewerkschaft EVG wirft ihm vor, „mit seinem Sparwahn Mitschuld an der heutigen Situation“ zu haben. Jeder Fahrgast spüre noch heute die Auswirkungen seiner schlechten Bilanz. Die EVG kündigte deshalb an, im Aufsichtsrat der DB, der am heutigen Dienstag und morgen zusammenkommt, gegen das Personalpaket zu stimmen – also auch gegen Palla. Dennoch gilt die Berufung von Palla und Rompf als sicher, zumal die andere im Aufsichtsrat vertretene Gewerkschaft, die GDL, die Kritik an Rompf für „überzogen“ hält und ihre Zustimmung angekündigt hat.

Natürlich geht es in der neuen Bahn-Agenda nicht nur um die Infrastruktur, deren Ertüchtigung auch die Grundvoraussetzung für die angestrebte Pünktlichkeit ist. Es geht auch um weitere Dauerbaustellen wie Digitalisierung, Sicherheit, Sauberkeit, Kundenkommunikation, Reisekomfort, Restrukturierung der Gütersparte und natürlich einen „Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit“. Und alles – vor allem die Wege von der Planung zur Umsetzung – soll viel schneller gehen. Für Verkehrsminister Schnieder geht es auch ums Große und Ganze: „Viele setzen das Nicht-Funktionieren bei der Bahn gleich mit einem Nicht-Funktionieren unseres Staates. Ich finde das brandgefährlich.“

Was man Schnieder zugutehalten muss: Er ist in der langen Galerie der desaströs agierenden Verkehrsminister seit der großen „Bahnreform“ von 1994 (man denke an Lichtgestalten wie Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt) und ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft der Erste, der in die vollkommen verkorkste Struktur des bundeseigenen Konzerns massiv eingreifen will. Ob ihm das gelingt, bleibt abzuwarten, denn die Beharrungskräfte der Profiteure der aktuellen Situation im Konzern sind nicht zu unterschätzen. Und der Erfolg der neuen Bahnchefin, die anscheinend klare Zielvorstellungen für die umfassende Sanierung und Neuaufstellung des Konzerns hat, hängt von der hundertprozentigen Rückendeckung durch den Dienstherrn ab. Und ob der seine recht vollmundigen Versprechungen für die Finanzierung der Infrastruktur halten kann, ist in Zeiten der Kriegswirtschaft auch nicht ausgemacht.

Aber gönnen wir Evelyn Palla jetzt mal die berühmten ersten 100 Tage im Amt, und dann sehen wir weiter. Und für die leidgeplagten Kunden des in großen Teilen dysfunktionalen Staatskonzerns wird es ohnehin erst in einigen Jahren spürbare Verbesserungen geben – oder eben auch nicht.

Titelbild: Screenshot Phoenix


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