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Titel: Das Ministerium „für Digitales und Staatsmodernisierung“ – ebenso neu wie überflüssig?
Datum: 29. September 2025 um 12:03 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Die Bundesregierung hat ein neues Ministerium geschaffen, das den großen Sprung ins digitale Zeitalter bringen soll: das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung, kurz BMDS. Das klingt nach Aufbruch. Doch wer genauer hinsieht, merkt schnell: Hier ist weniger Innovation am Werk als politisches Kalkül, weniger notwendige Reform als das Schaffen eines Apparates, der Geld verschlingt und Kompetenzen verwässert. Außerdem: Statt Bürgerrechte zu schützen, schafft man neue Möglichkeiten für Datenzugriffe. Von Günther Burbach.
Seit über 20 Jahren kündigen Regierungen die große Digitalisierung an. Von der E-Government-Strategie über die elektronische Gesundheitskarte bis zum Digitalpakt Schule: Jedes Projekt wurde mit Superlativen gestartet und endete in Verzögerungen, Kostenexplosionen oder schlicht im Sande. Faxgeräte in Gesundheitsämtern während der Corona-Politik, überlastete Schulserver, Datenpannen bei Bürgerportalen – die Realität steht in groteskem Kontrast zur politischen Rhetorik. Nun also ein neues Ministerium, das alles besser machen soll. Doch die Zweifel sind größer als die Hoffnung.
Bürokratie im Namen der Modernisierung
Offiziell soll das BMDS die zentrale Steuerung übernehmen, Projekte bündeln, Doppelstrukturen abbauen und so für Effizienz sorgen. In Wahrheit entsteht damit vor allem eines: eine weitere bürokratische Ebene, die neben bestehende Ressorts tritt. Innenministerium, Wirtschaftsministerium, Verkehrsministerium, alle beanspruchen weiterhin Zuständigkeiten für digitale Fragen. Statt Klarheit wächst die Unübersichtlichkeit. Wer entscheidet künftig über Budgets? Wer setzt Prioritäten? Schon in den ersten Monaten gab es Kompetenzstreitigkeiten, unklare Haushaltslinien und das peinliche Eingeständnis, dass ein eigenes Budget noch gar nicht steht.
Hinzu kommt, dass genau jene Bereiche, die wirklich sicherheitsrelevant sind, etwa Verteidigung, Nachrichtendienste oder Steuerverwaltung, ausdrücklich nicht in den Kompetenzbereich des BMDS fallen. Gerade dort, wo Cybersicherheit und digitale Souveränität am meisten gebraucht würden, bleibt also alles beim Alten. Das neue Ministerium arbeitet mit halber Kraft, bevor es überhaupt begonnen hat.
Abhängigkeit von außen, Blindheit nach innen
Deutschland hat in den vergangenen Jahren mehrfach erlebt, dass es bei großen Cyberangriffen nur Statist war. Ob SolarWinds, Hafnium oder WannaCry, entscheidende Informationen kamen aus den USA oder Großbritannien. Eigene Fähigkeiten, Angriffe frühzeitig zu erkennen, blieben marginal. Die Bundesrepublik ist strukturell abhängig von amerikanischen Technologiekonzernen, von Microsoft-Servern, Amazon-Clouds, Google-Infrastrukturen. Solange diese Abhängigkeit nicht aufgelöst wird, bleibt jedes Gerede von „digitaler Souveränität“ ein Wunschtraum.
Genau hier aber müsste ein Digitalministerium ansetzen: Aufbau eigener Strukturen, Förderung europäischer Alternativen, konsequente Investitionen in Sicherheit und Technologie. Doch davon ist bislang wenig zu sehen. Stattdessen beschränkt man sich auf neue Logos, neue Referate, neue Pressemitteilungen. Für echte Unabhängigkeit fehlen Mut, Mittel und wohl auch politischer Wille.
Daten als Währung der Macht
Besonders kritisch ist der Aspekt der Staatsmodernisierung. Modernisierung klingt positiv, effizient, bürgernah, zeitgemäß. Doch in der Praxis bedeutet es häufig Zentralisierung von Daten. Mit der „BundID” etwa wird eine digitale Identität geschaffen, die Zugang zu nahezu allen Verwaltungsleistungen bündelt. Für Bürger mag das bequem sein. Für den Staat ist es ein Instrument von nie dagewesener Reichweite.
Wer die Identität kontrolliert, kontrolliert die Zugänge. Wer die Datenströme bündelt, erhält tiefe Einblicke in Lebensläufe, Verwaltungsakte, Gesundheitsinformationen und Steuerdaten. Die Verlockung ist groß, diesen Datenschatz nicht nur für Service, sondern auch für Kontrolle zu nutzen. Schon in der Vergangenheit haben Digitalprojekte gezeigt, dass Datenschutzversprechen schnell an ihre Grenzen stoßen, sobald Effizienz oder „Sicherheit“ ins Spiel gebracht werden. Mit einem Ministerium, das sich ausdrücklich auch der Modernisierung widmet, wächst die Gefahr, dass bürgerrechtliche Schranken weiter aufgeweicht werden.
Wer profitiert wirklich?
In einem Punkt ist das Bild klar: Beratungsunternehmen und Technologiekonzerne reiben sich die Hände. Schon seit Jahren verdienen Firmen wie Accenture, Deloitte oder PwC Milliarden an der deutschen Digitalpolitik. Neue Großprojekte bedeuten neue Aufträge, neue Gutachten, neue Plattformen, die entwickelt und wieder verworfen werden. Das BMDS schafft einen riesigen Bedarf, den externe Dienstleister gerne decken.
Auch politisch hat das Ministerium seinen Nutzen für die Regierung. Es vermittelt den Eindruck von Tatkraft, schafft neue Spitzenposten, bietet Koalitionspartnern Einflussmöglichkeiten. Ein Ministerium ist immer auch ein Machtinstrument, ein Hebel zur Disziplinierung unliebsamer Stimmen in der eigenen Fraktion und ein Signal nach außen: Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Die Verlierer sind einmal mehr die Bürger. Sie zahlen die Zeche, erleben aber in der Praxis kaum Fortschritt. Termine beim Bürgeramt bleiben knapp, Verwaltungsakte dauern Wochen, Schnittstellenprobleme lähmen Behörden. Das große Versprechen des BMDS, Bürokratie zu verringern, droht ins Gegenteil zu kippen: mehr Instanzen, mehr Zuständigkeiten, mehr Verwirrung.
Ein Ministerium als Spiegelbild der Politik
Das BMDS steht exemplarisch für ein Politikverständnis, das auf Symbole setzt, statt Probleme zu lösen. Statt Strukturen zu vereinfachen, werden sie verkompliziert. Statt auf echte Unabhängigkeit zu drängen, verharrt man in Abhängigkeiten. Statt Bürgerrechte zu schützen, schafft man neue Möglichkeiten für Datenzugriffe.
Die Bundesregierung verkauft das Ministerium als großen Schritt nach vorn. In Wahrheit ist es ein Schritt in die falsche Richtung: hin zu mehr Bürokratie, mehr Kosten, mehr Kontrolle und weg von echter digitaler Souveränität.
Fazit
Deutschland hat kein Erkenntnisproblem, es hat ein Umsetzungsproblem. Jeder weiß, dass Faxgeräte nicht ins 21. Jahrhundert passen. Jeder weiß, dass eine digitale Verwaltung effizienter wäre, dass unabhängige Cyberabwehr überlebenswichtig ist, dass KI sinnvoll genutzt werden könnte. Doch die Politik setzt nicht auf konsequente Umsetzung, sondern auf symbolische Gründungen.
Das BMDS ist der jüngste Ausdruck dieser Strategie. Es ist teuer, unklar in seiner Ausrichtung und überflüssig in seiner Struktur. Anstatt Vertrauen zu schaffen, schürt es Zweifel. Anstatt Souveränität zu fördern, zementiert es Abhängigkeiten. Und anstatt Bürgerrechte zu stärken, öffnet es neue Felder für Kontrolle. Eben so neu wie überflüssig, das ist die bittere Wahrheit dieses Ministeriums.
Quellen:
Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung – Offizielle Website
Bundesregierung – Ressortübersicht zum BMDS
Zeit – BSI beklagt deutsche Abhängigkeit von US-Technologien
FAZ – Deutschland muss sich aus der digitalen Abhängigkeit befreien
Bundestag – Kritik am Digitalministerium, fehlende Haushaltsklarheit
Titelbild: shutterstock.com / Christian Horz
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