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Titel: Die Welt des Bundeskanzlers: „Wir sind nicht mehr im Frieden“

Datum: 1. Oktober 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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„Ich will’s mal mit einem Satz sagen, der vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen schockierend ist, aber ich mein‘ ihn genau, wie ich ihn sage: Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.” Das sagte Friedrich Merz gerade beim Ständehaus-Treff der Rheinischen Post in Düsseldorf. Wen auch immer der Bundeskanzler mit „wir“ meint: Die Mehrheit der Deutschen lebt in Frieden und hat keinen Krieg im Kopf. Wenn hier einer nicht mehr im Frieden lebt, dann mag das Merz sein – samt der Kalten Krieger unserer Zeit. Wäre es zu viel von den Damen und Herren der Zeitenwende verlangt, die Öffentlichkeit nicht mehr mit ihrem Kriegsgeklapper zu belästigen? Nein, das ist nicht zu viel verlangt. Im Gegenteil: Im Sinne des Friedensauftrages des Grundgesetzes ist es dringend angebracht, zu sagen: Genug mit dem Geraune von „Wir sind nicht mehr im Frieden“. Der Eindruck verfestigt sich, dass ein Krieg künstlich herbeigeredet wird. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Der Weg zum Abgrund kann mitunter ziemlich lang sein. Steht man aber erst mal davor, ist es nur noch ein Schritt bis zum Sturz hinein. Deutschlands Politik marschiert mit strammen Schritten auf den Abgrund zu – und weit davon entfernt ist sie nicht mehr. Das wäre an und für sich kein Problem. Schließlich: Wenn diese Politik in einen Abgrund fiele, wer mit einem Intelligenzquotienten über Zimmertemperatur würde das ernsthaft bedauern? Das Problem ist aber leider: Die deutsche Politik geht nicht allein im Gleitschritt Richtung Abgrund, sie schleppt das ganze Land hinter sich her.

Da steht er, Friedrich Merz, der Bundeskanzler der Republik, dessen Aufgabe es ist, Schaden vom Land abzuwenden und den Bürgern zu dienen, und er sagt: „Ich will’s mal mit einem Satz sagen, der vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen schockierend ist, aber ich mein‘ ihn genau, wie ich ihn sage: Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“

Ein jeder, der die Berichterstattung verfolgt, weiß, worum es geht. Russland! Immer wieder Russland. Hybride Kriegsführung, Drohnenangriffe, Kampfjets im Luftraum der NATO: Zwar weiß man nichts Genaues, aber dennoch steht fest, nein, muss feststehen: Russland ist eine Bedrohung. Diese „Feststellung“ ist für die deutsche Politik das, was für den Boden der Dünger ist. Die Politik der Zeitenwende braucht die Bedrohung. Die Politik der Aufrüstung braucht die Bedrohung von außen. Oder genauer: Die Politik der Kriegstüchtigkeit muss alles daransetzen, das Feindbild Russland in der Öffentlichkeit zu verankern – am besten aufseiten potenzieller Multiplikatoren. Und da eignet sich doch so eine Veranstaltung einer Zeitung, die mit rund 190.000 verkauften Exemplaren mit zu den größeren Tageszeitungen in Deutschland gehört.

Über den Ständehaus-Treff schreibt das Blatt:

Es ist eine einzigartige Veranstaltung, die es so nicht in Berlin, München oder Hamburg gibt, sondern nur in Düsseldorf. 25 Jahre, 100 Gäste: Im Ständehaus-Treff geben sich die Größen der deutschen Politik – darüber hinaus auch Wirtschaftslenker und Kulturschaffende die Ehre. Zwischen Hauptgang und Nachtisch werden Themen und Biografien auf offener Bühne live verhandelt. Im Publikum mischt sich die Düsseldorfer Stadtgesellschaft mit Entscheidern aus ganz Nordrhein-Westfalen. Der Talk mit einem prominenten Gast steht im Zentrum, aber ebenso wichtig ist es für viele, ihr Netzwerk zu pflegen. Was gerade läuft, lässt sich hier per Smalltalk erfahren.

Da es keine Nachrichten darüber gibt, dass die versammelten klugen Köpfe aufgrund der realitätsbrechenden Aussagen von Merz schlagartig den Raum verlassen haben, ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Gäste gespannt den Ausführungen gelauscht und zwischendurch Applaus gespendet hat. Angeracht wäre aber ein solcher Schritt gewesen – als Zeichen dafür, dass es mit der Feindbildpolitik reicht! Doch nichts dergleichen.

Die Katastrophe – sie wird immer sichtbarer. Bürger und Mitmenschen, die aufgrund ihrer exponierten Stellung dem Bundeskanzler direkt in exklusiver Runde gegenüberstehen, hätten die Möglichkeit, im Sinne des Friedensauftrages des Grundgesetzes ihren Mund aufzumachen. Sie könnten sich – auch wenn es unbequem ist und das juste milieu ihnen dafür keine Streicheleinheiten anbietet – dem politischen Wahnsinn entgegenstellen. Stattdessen aber macht sich ein Teil in erbärmlicher Anbiederung zum munter-beschwipsten Zaungast einer Politik, die Kriegstüchtigkeit auf ihre Fahnen schreibt. Und ein anderer, wahrscheinlich eher kleiner Teil, den vielleicht – irgendwo, irgendwie – ein Unbehagen beschleicht, der schweigt eben vor sich hin. Bloß nicht negativ auffallen. Bloß nichts Falsches sagen. Man will ja dazugehören und sich keine strategischen Vorteile verbauen. Und so vervollständigt sich von Tag zu Tag immer mehr das Bild eines Deutschlands, dessen Eliten in weiten Teilen den Weg ins Verderben nicht erkennen, nicht erkennen wollen oder längst die Propaganda – aus welchen Gründen auch immer – geschluckt haben.

„Wir“, die Bürger Deutschlands, leben sehr wohl im Frieden – auch mit Russland. Und auch die russischen Bürger leben im Frieden mit Deutschland. Merz und die Kalten Krieger unserer Zeit mögen in ihrem Kopf nicht mehr „im Frieden leben“. Dann möchten sie aber, bitte, aufhören, die Öffentlichkeit mit ihrem Gerede zu belästigen. Mehr und mehr verfestigt sich der Eindruck, dass ein Krieg regelrecht herbeigeredet wird. Aufwachen!

Titelbild: EUS-Nachrichten/shutterstock.com


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