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Titel: Trump und Netanyahu im Rampenlicht

Datum: 1. Oktober 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Friedenspolitik
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20 Punkte aus Washington sollen mehr als 100 Jahre koloniales Unrecht regeln. Der US-Plan für ein Ende des Krieges zwischen Israel und der palästinensischen Hamas im Gazastreifen stößt international auf Zustimmung, heißt es in deutschen Medien. Die Palästinenser wurden nicht gefragt. Eine Einschätzung von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auch Bundeskanzler Friedrich Merz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Regierungschefs aus Großbritannien und Frankreich begrüßen den Plan und appellieren an die Hamas, dem Vorschlag zuzustimmen und „den Weg zum Frieden frei zu machen“. Deutschland könne bei der Umsetzung helfen. Zahlreiche arabische Golfstaaten und die Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat sagen Unterstützung zu, die Vereinten Nationen kündigen an, sofort nach einer Einigung dringend benötigte Hilfsgüter in den weitgehend zerstörten Gazastreifen zu bringen.

In einer gemeinsamen Stellungnahme erklären die Außenminister von Katar, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten ihre Bereitschaft, mit den USA zusammenzuarbeiten, um das Abkommen umzusetzen und den Menschen der Region Frieden, Sicherheit und Stabilität zu bringen. Die Türkei, Pakistan und Indonesien unterstützen den Plan ebenso.

Die Reaktionen aus Israel sind gemischt. Die Familien der in Gaza festgehaltenen Israelis hoffen auf ein umgehendes Ende des Krieges, wofür sie seit zwei Jahren auf die Straßen gehen. Die rechtsextremen Minister der Netanyahu-Regierung und die Siedlerbewegung kritisieren den Vorschlag. Finanzminister Smotrich spricht von einem „diplomatischen Fehlschlag“.

Volle Unterstützung für „Bibi“

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu im Weißen Haus hatte US-Präsident Donald Trump am vergangenen Montag vor der Presse seinen Plan zur Beendigung des Krieges zwischen Israel und der palästinensischen Organisation Hamas im Gazastreifen vorgetragen. Sollte die Hamas nicht zustimmen, werde die USA Israel in der direkten Konfrontation mit der Gruppe unterstützen, fügte der US-Präsident dann hinzu. „Wie Du weißt, Bibi, Du wirst unsere volle Unterstützung in allem haben, was Du tun musst“, so Trump. „Bibi“ ist der Spitzname von Netanyahu.

Netanyahu, gegen den seit November 2024 ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (Den Haag) wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazakrieg vorliegt, erklärte anschließend, er unterstütze den Plan, der das Erreichen der israelischen Kriegsziele bedeute. Sollte die Hamas den Plan nicht unterstützen oder sollte die Hamas so tun, als würde sie ihn akzeptieren, um dann „alles zu tun, um ihn zu unterlaufen, dann wird Israel den Job allein zu Ende bringen“. Das könne auf einem „einfachen Weg“ geschehen oder „hart“, so Netanyahu. Auf jeden Fall werde „der Job erledigt“.

Der 20-Punkte-Plan

Der erste Punkt hält fest, dass „Gaza eine entradikalisierte terrorfreie Zone“ werden soll, die „keine Gefahr für seine Nachbarn“ bedeute. Zweitens soll Gaza „zum Wohl der Menschen“ neu entwickelt werden“. (3) Wenn beide Seiten dem Vorschlag zustimmen, wird der Krieg sofort aufhören. Israelische Truppen werden sich auf eine vereinbarte Linie zurückziehen, um die Freilassung der Geiseln vorzubereiten. Alle militärischen Operationen, auch Luft- und Artilleriebeschuss werden „in dieser Zeit“ ausgesetzt, die Frontlinien werden „eingefroren, um den kompletten Abzug“ umzusetzen.

(4) Innerhalb von 72 Stunden, nachdem Israel offiziell der Vereinbarung zugestimmt hat, werden alle Geiseln, lebend oder tot, zurückgegeben. (5) Wenn alle Geiseln frei sind, wird Israel 250 Gefangene (lebenslänglich) und 1.700 Bewohner von Gaza freilassen, die nach dem 7. Oktober 2023 festgenommen worden waren. Auch alle Frauen und Kinder (aus Gaza), die in diesem Kontext gefangengenommen wurden, sollen freikommen. Für jeden toten Israeli wird Israel die sterblichen Überreste von 15 toten Personen aus Gaza freigeben. (6) Danach werden Hamasmitglieder, die einer friedlichen Koexistenz (mit Israel) zustimmen und ihre Waffen übergeben, amnestiert. Hamasmitglieder, die den Gazastreifen in Richtung von Aufnahmeländern verlassen möchten, werden sicheren Abzug erhalten.

(7) Wenn der Vereinbarung zugestimmt wird, wird Hilfe umgehend und vollständig in den Gazastreifen geschickt. Die Menge soll dem entsprechen, was am 19. Januar 2025 den Gazastreifen erreicht hatte. Die Strom-, Wasser- und Abwasserversorgung soll wiederhergestellt werden, ebenso Kliniken und Bäckereien. Schweres Gerät soll den Gazastreifen erreichen, um die Trümmer zu beseitigen und Straßen wieder freizulegen. Am 19. Januar 2025 war eine vereinbarte Waffenruhe in Kraft getreten, die von Israel zwei Monate später, Anfang März, gebrochen worden war.

Internationaler „Friedensrat“ mit Trump und Blair als Statthalter

(8) Die Hilfslieferungen werden von keiner Seite behindert und sollen von den Organisationen der Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee vom Roten Halbmond transportiert werden. Auch andere internationale Organisationen werden einbezogen, bis auf diejenigen, die mit einer der beiden Seiten verbunden sind. Der Grenzübergang Rafah soll entsprechend vorherigen Vereinbarungen geöffnet werden.

Punkt 9 befasst sich mit einer „zeitlich befristeten Übergangsregierung, die aus einem technokratischen, unpolitischen palästinensischen Komitee“ bestehen und die Alltagsangelegenheiten der Bevölkerung regeln soll. Dieses Gremium soll von einem neuen internationalen Übergangsgremium, einem „Friedensrat“, kontrolliert werden. Den Vorsitz dieses „Friedensrates“ soll US-Präsident Donald Trump übernehmen und gemeinsam mit „anderen Mitgliedern und Staatschefs, einschließlich dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair“, kontrollieren. Dieser „Friedensrat“ soll für politische Entscheidungen zuständig sein, bis die Palästinensische Autonomiebehörde ein Reformprogramm umgesetzt hat, dass dem Trump-Plan und dem von Saudi-Arabien und Frankreich erstellten Vorschlag entspricht. So solle eine „moderne und effiziente Regierungsführung“ entstehen, die dem Volk von Gaza diene „und Investitionen anziehen soll“.

Geschäfte und Investitionen werden in Punkt 10 beschrieben. Im Mittleren Osten sollen „moderne, blühende Wunderstädte“ entstehen. Arbeitsplätze und Hoffnung für Gaza sollen geschaffen werden. (11) Eine spezielle Wirtschaftszone mit Sonderzöllen soll in Kooperation mit anderen Ländern entstehen. (12) Niemand werde gezwungen Gaza zu verlassen, wer aber gehen wolle, sei frei, das zu tun, und „frei, zurückzukehren“. (13) Hamas und die andere (bewaffnete) Organisation stimmen zu, keine Rolle mehr in der Regierung von Gaza zu spielen. „Weder direkt, noch indirekt oder irgendwie anders.“ Internationale Beobachter werden die Entmilitarisierung des Gazastreifens überwachen. Das „neue Gaza wird sich ganz dem Aufbau einer boomenden Wirtschaft und friedlichen Koexistenz mit den Nachbarn“ verschreiben.

In den Punkten 14 bis 20 geht es um die Garantie regionaler Partner, dass Hamas und andere ihre Verpflichtungen vollständig einhalten. Die USA werde mit arabischen und internationalen Partnern eine befristete internationale Stabilisierungtruppe (ISF) für Gaza aufstellen und stationieren. Diese werde palästinensische Polizeikräfte ausbilden, wobei sie mit Jordanien und Ägypten kooperieren solle. Diese Kräfte sollen langfristig die Sicherheit gewährleisten und dabei mit Ägypten und Israel kooperieren. Es dürfe keine Munition in den Gazastreifen gelangen. Israel werde Gaza weder besetzen noch annektieren. Die israelische Armee werde lediglich Stabilität absichern und soll sich entsprechend der Umsetzung des Plans allmählich zurückziehen.

Die israelische Armee soll schließlich die Kontrolle an die internationale Stabilisierungstruppe übergeben. Schlussendlich soll ein interreligiöser Dialog aufgenommen werden, um die Werte von Toleranz und friedlicher Koexistenz zu vermitteln und „die Denkweise und Narrative von Palästinensern und Israelis zu verändern, indem sie die Vorteile hervorheben, die sich aus dem Frieden ergeben können.“ (19) Wenn alles das funktioniert, könnten die Voraussetzungen für palästinensische Selbstbestimmung und ein Staatenwesen erreicht sein, wie es sich das palästinensische Volk erhofft. (20) Schließlich werden „die Vereinigten Staaten einen Dialog zwischen Israel und den Palästinensern einleiten, um sich auf einen politischen Horizont für ein friedliches und prosperierendes Zusammenleben zu einigen“.

Die Unterwerfung Palästinas

Während westliche Politiker aus Europa, die Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat und verschiedene arabische Golfstaaten voll des Lobes und der Hoffnung über den Plan scheinen, der zu einem Frieden führen könne, wurde vor allem von den USA, Israel, auch Deutschland und anderen EU-Staaten betont, dass nun die Hamas zustimmen müsse.

In die Diskussion des Plans und der einzelnen Punkte waren weder die verschiedenen palästinensischen Organisationen und Parteien, nicht die Autonomiebehörde (PA), nicht die PLO noch die bewaffneten palästinensischen Organisationen wie Hamas, Islamischer Jihad oder andere einbezogen. Auch Vertreter der großen palästinensischen Zivilgesellschaft, weder aus Ostjerusalem noch aus dem Westjordanland, nicht aus den Flüchtlingslagern und nicht aus dem Gazastreifen waren gehört worden.

Die Palästinenser fordern Sicherheit vor neuen Angriffen Israels, ein Ende der Besatzung – wie auch der Internationale Gerichtshof es fordert – sie wollen Neuwahlen für alle palästinensischen Gebiete, den Abzug der Siedler und einen selbstbestimmten Wiederaufbau des Gazastreifens.

Nicht die Rede ist zudem von Wiedergutmachung für die mehr als 66.000 ermordeten Palästinenser durch israelische Angriffe. Auch eine Untersuchung gegen die israelische Regierung wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge des Krieges und die Zerstörung palästinensischen Eigentums im besetzten Westjordanland kommt in dem Plan nicht vor. Und schließlich steht noch immer die Untersuchung für die Verantwortlichen in der israelischen Regierung und bei den Sicherheitskräften aus, die Warnungen vor einem möglichen palästinensischen Angriff am 7. Oktober 2023 missachtet hatten. Nichts davon ist vorgesehen.

Neuauflage kolonialen Unrechts

Der Trump-Plan für ein Ende des Gaza-Krieges erinnert mehr an die Abkommen, die während und nach dem 1. Weltkrieg getroffen worden waren, als mit dem Sykes-Picot-Abkommen (1916), der Balfour-Erklärung (1917) und den Kolonial- und Mandatsmächten (Frankreich, Großbritannien) Palästina und die ganze Region zerteilt und zwischen dem Jordan-Fluss und dem Mittelmeer“ eine „jüdische Heimstatt in Palästina“ errichtet werden sollte.

Der Trump-Plan soll keinen gerechten Frieden schaffen, sondern die Grundlage für eine regionale Ausweitung der Abraham-Abkommen, der „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel und eine wirtschaftliche Vernetzung mit den arabischen Golfstaaten stabilisieren. Die Perspektive für USA, Israel, EU und arabische Golfstaaten soll Wirtschaft und Dominanz über eine geopolitisch bedeutende Region sichern, nicht Selbstbestimmung, Souveränität, Frieden und Stabilität für die Völker und Staaten der Region.

Für die Palästinenser bedeutet diese neokoloniale Perspektive Entrechtung und Unterwerfung. Sie werden entwaffnet und ohne Sicherheitsgarantien unter internationales Mandat gestellt, wie nach dem 1. Weltkrieg. Die Perspektive ähnelt eher einem Reservat als einem unabhängigen Staat. Der Gazastreifen, als Freihandelszone mit großen Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer, soll mit entrechteten Palästinensern, durch den Krieg traumatisierten und verkrüppelten Billiglohnkräften als Sklaven, die Region erblühen lassen.

Der zuvor vorgelegte Friedensplan der Vereinten Nationen, den Israel – unterstützt von ununterbrochenen Waffenlieferungen aus den USA und Deutschland – immer wieder torpediert und gebrochen hat, basierte auf der UN-Charta und dem internationalen Recht, das auch für die Palästinenser und die anderen Völker der Region gilt. Der Trump-Plan setzt dagegen auf Unterwerfung durch militärische Gewalt, durch Bruch des internationalen und humanitären Rechts und mittels eines Wirtschaftskrieges, der durch Sanktionen verschärft wird. Der Trump-Plan bietet einen Blick in die Zukunft und in eine Welt, in der nicht mehr internationales Recht, sondern Macht durch Unterwerfung gelten soll. Darum gibt es Widerstand in der Region – Palästina ist ein Fanal für die ganze Welt.

Titelbild: noamgalai/shutterstock.com


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