NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Waldai-Forum: Putin appellierte an den Westen, sich den wirklichen Problemen zu stellen

Datum: 6. Oktober 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Der Präsident von Russland, Wladimir Putin, trat am 2. Oktober auf dem Waldai-Forum mit einer Grundsatzrede zur internationalen Lage auf (Protokoll der Plenarveranstaltung auf Englisch hier, Video auf Russisch hier). Das Waldai-Forum, welches diesmal in Sotschi tagte, gibt es seit 2004. Es ist ein Forum für Politologen, Journalisten und Politiker aus aller Welt. Das diesjährige Treffen stand unter dem Motto „Die polyzentrische Welt, eine Gebrauchsanleitung“. An diesem 22. Treffen nahmen 140 Teilnehmer aus 42 Ländern teil. Von Ulrich Heyden.

Die Rede des russischen Präsidenten dauerte 50 Minuten. Danach beantwortete der russische Präsident drei Stunden lang Fragen aus dem Publikum. Die Fragen kamen von Vertretern aus Indien, China, Iran und anderen Staaten. Es fragte auch eine ehemalige US-Bürgerin, die aus politischen Gründen nach Russland übergesiedelt ist und jetzt in Moskau für RT arbeitet. Eine weitere Frage stellte der britische Politologe Anatol Lieven. Auch ein Deutscher war im Plenarsaal zu sehen, Thomas Fasbender, Redakteur bei der Berliner Zeitung.

Als der Moderator der Veranstaltung, Fjodr Lukjanow, den russischen Präsidenten nach seiner Rede fragte, ob man von ihm eine Instruktion erwarten könne, wie man in der komplizierten Weltlage agieren muss, meinte Putin: Nein, so eine Instruktion werde er nicht geben. Denn es gäbe die Erfahrung, dass solche Instruktionen nicht eingehalten werden.

Der Hegemon ist geschwächt – und nun?

Die Weltlage sei im Fluss, erklärte der russische Präsident in seiner Rede. Ständig, ja fast stündlich ändere sie sich. Da es den Hegemon, der alles diktiert, nicht mehr gibt, gäbe es jetzt einen großen Raum für Außenpolitik. Um eine neue Balance herzustellen, müsse man um Vereinbarungen ringen, mit denen alle einverstanden sind.

„Die Aufweichung des Diktats, das es in der bisherigen Zeit gegeben hat, die Erweiterung des freien Raumes für alle ist zweifellos ein Gewinn. Gleichzeitig ist es unter diesen Bedingungen schwerer, eine stabile Balance zu finden, was an sich schon ein klares und extremes Risiko darstellt.“

Dann erzählte der russische Präsident, wie er selbst Entscheidungen fällt und wie oft er sich unsicher ist. Diese Offenheit war erstaunlich, wird doch in einigen westlichen Hauptstädten seit Jahren an dem Bild eines Diktators gebastelt, der sich eisern an die Macht klammert und sich nur noch auf den Sicherheitsapparat stützen kann.

Der russische Präsident erklärte, alle Versuche, Russland „aus dem Weltsystem auszuschließen und uns in die politische, kulturelle und Informations-Isolation zu drängen“, hätten ihr Ziel nicht erreicht. Die Welt brauche Russland, „weil Russland ein bedeutender Teil der allgemeinen Balance ist. Und nicht nur wegen seines Territoriums, seiner Volksgruppen, seines Verteidigungs-, technologischen und Industriepotentials und seiner Bodenschätze, […] sondern insbesondere, weil eine Balance in der Welt ohne Russland nicht herstellbar ist, nicht im ökonomischen, strategischen, kulturellen und logistischen Bereich.“

Während die Probleme in Europa wüchsen und die Führung in Brüssel versuche, die „Risse zu kitten“, schaffe man in den europäischen Hauptstädten ein Bild der äußeren Bedrohung, „das schon vor 100 Jahren ausgedacht wurde“. Angeblich stehe ein Krieg mit Russland „kurz bevor“. Doch die Regierungen in der EU glaubten selbst nicht an ihre Behauptungen. „Sie können nicht glauben, was sie sagen – dass Russland die NATO angreifen will. Das zu glauben, ist unmöglich.“ Die Führungen in Europa seien „nicht anständig, weil sie das selbst nicht glauben, sie aber versuchen, ihre Bürger davon zu überzeugen.“

Scharfe Worte an die Adresse von Berlin

„Die Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel, spricht davon, dass die deutsche Armee wieder die stärkste in Europa werden soll. Nun gut, wir hören das aufmerksam und schauen, worum es geht. Ich denke, niemand zweifelt daran, dass man auf die Antwort von Russland nicht lange warten muss. Die Antwort auf eine Bedrohung wird sehr überzeugend sein, eben die Antwort.“

Die Führungen in der EU lenkten mit ihren Kriegs-Warnungen von eigenen Problemen ab.

„Ich möchte es so sagen, werdet klug, […] kümmert euch endlich um eure Probleme, schaut euch an, was auf den Straßen von Europa los ist, was in der Wirtschaft und der Industrie passiert, was mit der europäischen Kultur, der Identität passiert, was mit den großen Schulden und der wachsenden Krise in der sozialen Sicherung, der unkontrollierten Migration, der Zunahme von Gewalt – auch politischer Gewalt – los ist.“

Die Erhöhung der Zölle gegen russisches Gas und Öl würden den Niedergang der Wirtschaft in Europa beschleunigen, denn alles werde teurer werden.

„In den USA wird es weniger Waren aus China geben oder man wird (Öl und Gas) über Drittländer kaufen, weil es ein Defizit gibt. Die Preise werden steigen. Und die Federal Reserve Bank wird den Leitzins erhöhen müssen, um die Inflation zu bremsen und das wird die Wirtschaft in den USA selbst bremsen.“

Die Absage an russisches Öl sei für Indien nicht vorteilhaft. „Der Verzicht auf russische Energieträger bedeutet (für Indien) einen Ausfall von 9 bis 10 Milliarden Dollar. Außerdem wäre das auch ein politischer Schaden. Das Volk von Indien wird eine Erniedrigung durch wen auch immer niemals zulassen. Ich kenne Ministerpräsident Modi. Er wird so einen Schritt niemals machen.“

Was die von den USA angekündigte Lieferung von Tomahawk-Lenkwaffen an die Ukraine betrifft, erklärte Putin, diese Waffen seien zwar nicht modern, aber eine Gefahr. Die russische Luftabwehr werde sich darauf einstellen. Sie habe auch gelernt, mit ATACMS-Raketen fertig zu werden. Ohne Personal aus den USA seien die Tomahawk-Raketen in der Ukraine nicht einsatzfähig.

Putin stellte die Frage in den Raum: „Werden sie (die Tomahawk-Raketen) unseren Beziehungen schaden, wo am Ende des Tunnels ein Licht zu sehen war? Das wird eine qualitativ neue Etappe der Eskalation sein, auch in den Beziehungen zwischen Russland und den USA.“

Palästina – Israel

Zu dem von Trump vorgelegten Plan für die Regelung des Palästina-Israel-Konflikts sagte der russische Präsident, „mir scheint, dass dies vielleicht ein Licht am Ende des Tunnels ist“. Am besten wäre es, die Macht in Gaza dem Präsidenten von Palästina, Machmud Abbas, zu übergeben. Noch sei unklar, wie die Hamas und die Führung von Palästina auf den Friedensplan von Trump reagieren werden. Russland habe Kontakte zur Hamas. Die Lösung des Konflikts könne nur das Zwei-Staaten-Modell sein.

„Was Jupiter erlaubt ist, das ist dem Ochsen verboten“

Offenbar hofft Putin darauf, dass die MAGA-Bewegung um Trump stark bleibt und den von Trump eingeschlagenen Kurs einer Verständigung mit Russland stärkt. Zu Trump fand Putin positive Worte. Ja, Trump führe scharfe Reden und er liebe pathetische Auftritte, aber auf dem Treffen in Alaska habe er erlebt, dass Trump auch „gut zuhören“ könne.

Erstaunlich war zu hören, was der russische Präsident über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA berichtete. Putin erklärte, dass die USA im ersten Halbjahr 2025 Uran im Wert von 800 Millionen Dollar von Russland gekauft habe. Bis zum Ende des Jahres erwartet der russische Präsident, dass der Wert von verkauftem Uran an die Vereinigten Staaten auf über eine Milliarde Dollar steigen wird. Russland sei der zweitgrößte Lieferant von Uran an die USA. Das Uran werde für die US-Atomindustrie verwendet, die mit 54 Atomkraftwerken 19 Prozent der Elektrizität in den Vereinigten Staaten produziert.

Vor dem Hintergrund, dass die USA anderen Staaten verbieten wollen, russisches Gas und Öl zu kaufen, sei das natürlich merkwürdig. Dazu gäbe es das alte römische Sprichwort, „was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen verboten“.

US-amerikanische Patrioten

Dem russischen Präsidenten ist sehr an einem guten Verhältnis zu den USA gelegen. Er nannte zwei US-Amerikaner, denen er besonderen Respekt zollt. Der kürzlich ermordete Charlie Kirk habe „traditionelle Werte geschützt“. Der Familie des Getöteten drückte Putin sein Beileid aus.

Der zweite US-Amerikaner, dem der russische Präsident Respekt zollte, war der 22 Jahre alte Michael Gloss. Er kämpfte in einer russischen Eliteeinheit in der Ukraine und wurde im April von einer ukrainischen Drohne getötet. Wie Michael Gloss nach Russland kam? Er habe seinen Eltern erzählt, dass er auf Reisen gehe. Er sei dann nach Moskau geflogen und habe sich bei einem Einberufungsamt gemeldet.

Michael Gloss habe eine russische Tapferkeitsmedaille bekommen, erklärte der russische Präsident. Die Medaille habe er dem US-Gesandten Steve Witkoff übergeben. Eine Schule im Donbass mit vertieftem Englisch-Unterricht trage jetzt den Namen „Michael Gloss“.

Der Kreml-Chef erzählte auch ausführlich über die Familie Gloss. Die Mutter sei stellvertretende Vorsitzende des CIA. Der Vater leite – nach Aussage des Kreml-Chefs – eines der größten Unternehmen, die für das Pentagon arbeiten. Es war unklar, warum Putin den familiären Hintergrund so ausführlich darstellte. Wollte er damit andeuten, dass es im Machtapparat der USA Kräfte gibt, welche nicht auf anti-russischem Kurs sind?

Ein Lachen und eine Überraschung

Je länger die Plenarveranstaltung mit Putin dauerte, desto lockerer begann der russische Präsident zu plaudern. Immer häufiger streute er Erlebnisse aus seinem Arbeitsleben ein, etwa wie gut er immer mit finnischen Politikern ausgekommen sei. In Finnland seien russische Arbeitskräfte gefragt gewesen, weil es viel Tourismus aus Russland gab. Es habe viel Werbung in russischer Sprache gegeben. Man habe sogar mit Rubel zahlen können. Und nun das: Finnland ist Mitglied der NATO geworden. Dabei habe es zwischen Finnland und Russland keinerlei Streitigkeiten gegeben. Es sei klar, dass die Entscheidung für eine NATO-Mitgliedschaft von bestimmten Kreisen im Westen durchgesetzt wurde und nicht auf finnische Initiative zurückgeht, meinte der russische Präsident.

Ein anderes Mal brachte der Kreml-Chef den Saal zum Lachen, als er sich versprach und sagte, „was habe ich als Leiter des CIA gesehen“. Der Saal lachte wegen des Versprechers, weiß doch jeder, dass Putin Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB war. Doch der Kreml-Chef schlug einen schnellen Haken, sodass den Zuhörern das Lachen verging. Putin erzählte, in der Amtszeit von George Bush habe ihm der Direktor des CIA geheime Dokumente gezeigt und darum gebeten, diese Dokumente zu unterschreiben.

Das russische Internet-Portal CCN lobte Putin. „Washington erhielt ein Signal. Putin erinnert sich an alle Treffen und an alle Dokumente. Er weiß mehr, als er öffentlich sagt. Er hat Informationen, die für die USA nicht günstig sind.“

„Piraterie“ vor der Küste von Frankreich

Der Öl-Tanker, der vor Kurzem nicht weit entfernt von der französischen Küste von französischen Sicherheitskräften angehalten wurde, habe sich in „neutralen Gewässern“ befunden, erklärte der russische Präsident. Die Maßnahme sei nichts anderes als „Piraterie“. Drohnen habe der Tanker nicht an Bord gehabt. Der Tanker fuhr nicht unter russischer Flagge. Die Schiffsmannschaft sei international zusammengesetzt gewesen.

Die Führung in Paris habe die Kaperung des Schiffes gebraucht, weil sie selbst in politischen Schwierigkeiten stecke. Der Führer in Paris wolle – wie Napoleon – das Volk um sich scharen. Dafür brauche er einen äußeren Feind.

Wie es weitergeht? „Es wird morgen keinen Krieg auf den Weltmeeren geben. Aber die Risiken steigen“, sagte der Kreml-Chef.

Der Moderator der Plenarveranstaltung, Fjodr Lukjanow, tat sein Bestes, damit die Veranstaltung nicht zu steif endete. Er fragte den russischen Präsidenten, warum er „so viele Drohnen nach Dänemark“ schicke, worauf der russische Präsident antwortete, „ich werde das nicht wieder tun. Nicht nach Frankreich und nicht nach Dänemark. Wohin fliegen sie noch?“ ironisierte Putin. Die derzeitige Drohnen-Hysterie in der EU erinnere, so der russische Präsident, an frühere Zeiten, wo man überall UFOs gesichtet habe.

Titelbild: Screenshot kremlin.ru


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=140115