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Titel: Auf dem Weg in den Welt-Wirtschaftskrieg

Datum: 20. Oktober 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Langsam gleitet die Welt in einen großen Wirtschaftskrieg. Die Gründe des Konflikts liegen offen zutage. Rund um die Welt hat sich die Produktion von Gütern in den letzten Jahrzehnten massiv verschoben. Legt man die nach Kaufkraft gewichtete Wirtschaftsleistung zugrunde, waren die Vereinigten Staaten im Jahr 2000 dreimal so groß wie China. Deutschland lag nur knapp dahinter. Nach den neuesten Zahlen nimmt China mit beträchtlichem Vorsprung den Spitzenplatz ein und übertrifft Deutschland um das Sechsfache. Beschränkt man sich auf die Produktion materieller Güter und lässt den in New York stark aufgeblähten Bankensektor beiseite, fällt der Vorsprung noch erheblich größer aus. So stellt China etwa zehnmal so viel Stahl her wie die Vereinigten Staaten. Von Stefan Heidenreich.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der treibende Faktor des Wandels lag nicht im fernen Osten, sondern vor allem in den Unternehmen des Westens. Mit in China günstig hergestellten Gütern ließen sich enorme Gewinne machen. Dass dabei die eigene industrielle Basis geschwächt wurde, nahm man in Kauf.

Vernünftige Menschen würden versuchen, sich mit der Lage zu arrangieren, und zwar zum wechselseitigen Vorteil. So war ungefähr der Stand der Dinge bis vor etwa fünf Jahren. Langfristig würde das allerdings zu einer neuen Weltlage führen. Die westlichen Eliten müssten sich auf Dauer ihren Einfluss rund um den Globus mit China, Indien und den aufstrebenden Ländern des Globalen Südens teilen. Das war nicht so geplant. Die gewinnbringende Globalisierung war von der Erwartung getragen, dass freier Handel mit freiem Kapitalverkehr und mit einem Systemwandel hin zu liberalen Demokratien nach westlichem Muster einhergehen würden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Mit einer fortlaufenden Regulierung des Finanzwesens hat China dem einen Riegel vorgeschoben. Hier liegt die eigentliche Wurzel des Konflikts. Eine eigenständige und unabhängige Wirtschaftsmacht stellt für den Finanzsektor des Westens eine existenzielle Bedrohung dar. Dem von einer kreditfinanzierten Blase zur nächsten rotierenden und seit der Krise von 2008 angeschlagenen Finanzsektor droht damit eine Kapitalflucht mit massiver Entwertung. Um die gewaltigen Vermögen des Westens zu erhalten, muss das Aufkommen von Konkurrenten verhindert werden. Eine Flucht der Gelder in einen fremden, aber sicheren Hafen muss unbedingt verhindert werden, zumal wenn er von der Kommunistischen Partei Chinas geführt wird.

In dem umfänglichen Bericht des „Project 25“ kam es in der China-Frage zu einer aufschlussreichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Politik-Strategen Kent Lassman und Peter Navarro. Kurz gesagt plädiert Lassman dafür, weiterhin auf kulturellen Wandel zu setzen, innere Spannungen in China behutsam zu fördern, um doch noch zum Erfolg zu kommen. Erfolg heißt Regime Change.

Navarro dauert das zu lange. Schließlich enteilt die Produktion in China derjenigen der Vereinigten Staaten. Mit jedem Jahr verschieben sich die Kräfteverhältnisse weiter, daher die Eile. Im Zweifelsfall müssen militärische Mittel zum Einsatz kommen, um den Aufstieg Beijings aufzuhalten. Entsprechende Pläne hat das nun in Kriegsministerium umbenannte Haus längst vorbereitet. „War with China. Thinking through the Unthinkable“ heißt eine der meistbeachteten Studien. Sie vergleicht militärische Szenarien, die sich im Verlauf des Jahrzehnts zwischen 2015 und 2025 entfalten könnten. Die wichtigsten Erkenntnisse, wenn man das so nennen will, sind simpel. Je später man die Auseinandersetzung herbeiführt, desto riskanter. Militärisch lässt sich kein Sieg erringen. Aber – und das ist das eigentliche Ziel – die mit dem Krieg einhergehenden wirtschaftlichen Maßnahmen schaden China weit mehr als den USA. Speziell die Unterbrechung der Handelsschifffahrt in der Kampfzone des westlichen Pazifiks würde China vom Welthandel und der Ölversorgung abschneiden. Letztlich bauen die strategischen Hoffnungen und Drohungen Washingtons auf diesem Szenario.

Der Plan ähnelt dem des Ukraine-Kriegs. Es war von Anfang an klar, dass ein Krieg an Russlands Grenzen den Westen logistisch und militärisch vor große Herausforderungen stellen würde. Aber wirtschaftlich, so die Hoffnung, könnte es gelingen, ‚Russland zu ruinieren‘. Der Rubel würde ins Bodenlose fallen, hieß es, die Wirtschaftsleistung einbrechen. Dass man dafür die Ukraine und im Fall Chinas die Insel Taiwan opfern müsste, wurde in Kauf genommen. Mittlerweile hat sich der Rubel stabilisiert, und Russlands Wirtschaft ist laut Daten von Weltbank und IMF erst an Deutschland und dann an Japan vorbeigezogen. An den Planungen gegen China ändert das wenig. Schließlich liegt dort die existenzielle Herausforderung, nach dem gescheiterten Wirtschaftskrieg gegen Russland um so mehr.

Letzte Woche hat Beijing in dieser durchaus vermeidlichen Auseinandersetzung einen bemerkenswerten Schritt unternommen. Das Wirtschaftsministerium hat sehr gezielt den Export sogenannter ‚seltener Erden‘ auf zivile Nutzung beschränkt. Dass China mit diesem Schritt in dem laufenden ökonomischen Feldzug erstmals die Initiative übernommen hat, wurde an dem lauten Aufschrei aus Washington deutlich. Wer je Schach gespielt hat, weiß, wie wichtig die Initiative ist. Man kann dafür durchaus einen Bauern opfern. Bisher ging man in Washington davon aus, das Heft des Handelns in der Hand zu haben und den Lauf der Dinge lenken zu können.

Um die Folgen der Exportbeschränkung einschätzen zu können, sind einige Zusammenhänge rund um die seltenen Erden zu betrachten. Erstens sind sie nicht selten, und zweitens handelt es sich nicht einfach um Erde und Dreck, sondern um eine Gruppe von Metallen mit teils bemerkenswerten und nützlichen Eigenschaften. Im Erdboden kommen sie durchaus häufig vor, sind aber schwer zu extrahieren. Ihr Abbau geht mit einer derartigen Umweltsauerei einher, dass man sich entschlossen hat, die Angelegenheit den Chinesen zu überlassen.

Die einzige US-amerikanische Mine in Südkalifornien wurde im Jahr 2002 geschlossen. Mittlerweile wird sie reaktiviert – zu spät, denn die Chinesen haben sich mittlerweile die Wertschöpfungskette emporgehangelt. Sie produzieren nicht nur die Metalle, sondern verarbeiten sie auch weiter. Das betrifft zum Beispiel winzige Hochleistungsmagnete, die in kleine Elektromotoren eingebaut werden, mit 90 Prozent Anteil am Weltmarkt. Ohne diese Bauteile, die nun nicht mehr an westliche Rüstungsproduzenten verkauft wurden, stehen bald viele Rädchen still. Das betrifft zum Beispiel Drohnen, oder auch Flugzeuge. In einem F-35-Kampfjet sollen über 400 Kilogramm an seltenen Erden verarbeitet sein.

Vom Volumen her ist der Schritt um Größenordnungen kleiner als die Tarife von Trump, aber er trifft die Waffenproduktion an einer sehr empfindlichen Stelle. China antwortet damit auf eine lange Reihe westlicher Maßnahmen. 2018 ging man gegen das Unternehmen Huawei vor und schreckte nicht davor zurück, die Tochter des Firmengründers fast drei Jahre lang in Kanada festzuhalten. Dem holländischen Unternehmen ASML wurde untersagt, die weltbesten Belichtungsmaschinen für Mikrochips nach China zu liefern. Im April dieses Jahres überzog Trump die halbe Welt mit Tarifen, musste aber gegen China klein beigeben, da die Antwort Beijings die US-Wirtschaft schwer getroffen hätte. Seitdem geht der Wirtschaftskrieg mit einer Serie weiterer Nickligkeiten von Seiten der Amerikaner weiter. So wurde etwa in China gebauten Schiffen untersagt, US-amerikanische Häfen anzulaufen. Vor wenigen Tagen beschloss das holländische Wirtschaftsministerium, die 2018 von chinesischen Investoren erworbene Chipfirma Nexperia unter Zwangsverwaltung zu stellen. Von daher ist es nicht weiter erstaunlich, dass China sich nun entschlossen hat, dem Handelskrieg in Salamitaktik entschiedener entgegenzutreten. Normalerweise hätte man im Ablauf gegenseitiger kleinerer Sanktionen eine behutsamere Eskalation erwartet. So stellt sich die Frage, warum China diese Maßnahme gerade jetzt ergreift.

Um diese Frage zu beantworten, hilft wiederum ein Blick auf die größeren Zusammenhänge weiter. Erstens hat sich China im Lauf der letzten drei Jahre offenbar erfolgreich um die Entflechtung wirtschaftlicher Abhängigkeiten gekümmert. So bezog das Land den für viele Fertigungsprozesse wichtigen Rohstoff Helium zu großen Teilen aus den USA und hat diesen Anteil von 90 Prozent auf fünf Prozent verringert. Das ist aber nicht die einzige Erklärung.

Die globale Gesamtlage legt noch einen anderen Grund nahe. Schließlich handelt es sich bei der Auseinandersetzung nicht einfach um einen Kampf zwischen den USA und China, sondern um einen weltweiten Wirtschaftskrieg, der auch Europa nicht außen vor lässt. In Washington galt lange die Doktrin, zwei große Widersacher gleichzeitig militärisch bekämpfen zu können. Von diesem Ansatz musste man sich angesichts der globalen Kräfteverhältnisse verabschieden, was A. Wess Mitchell 2021 in dem Aufsatz „A Strategy for Avoiding a Two-Front War“ dargelegt hat. Sein Plan folgt simpler Schulhoflogik. Wenn man sich nicht gleichzeitig mit zwei Gegnern raufen kann, muss man sich erst um den einen, dann um den anderen kümmern. Erst Russland, dann China. Im Umkehrschluss ergibt sich für die beiden schwächeren Gegner genau das Gegenteil. Sie werden nur bestehen, wenn sie sich zusammentun – und das heißt, den Westen in genau den Zweifrontenkampf zu nötigen, den er vermeiden will. Während also die eine Seite die Aufgabe hat, den Kriegsverlauf hinauszuzögern, sollte die andere rechtzeitig einschreiten. Vor diesem Hintergrund lässt sich sowohl das langsame Vorgehen Russlands als auch die jüngste forsche Initiative Chinas begreifen.

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Information / weiterführende Links

Rand-Papier: „The economic harm caused by a Sino-U.S. war, unless brief or mild, would be substantially greater to China than to the United States, an asymmetry likely to persist if not grow by 2025.”

Titelbild: rawf8 / Shutterstock.com


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