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Titel: Medien schüren Kriegsangst

Datum: 12. November 2025 um 10:01 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Die Schlagzeilen überschlagen sich. Ein Angriff Russlands scheint in vielen Redaktionen nicht mehr als eine „Ob-“, sondern nur noch als eine „Wann-Frage“ verstanden zu werden. In schier unzähligen Schlagzeilen finden sich alarmistische Warnungen. Mal heißt es, Russland könne „morgen“ schon angreifen, mal könnte der Angriff auch „sofort“ erfolgen. Wer da nicht aufpasst, verpasst vielleicht den Angriff. Vielleicht hat er ja schon vorgestern stattgefunden – und niemand hat es bemerkt. Über diese „Berichterstattung“ ließe sich ob ihrer Schwachsinnigkeit laut lachen – aber sie ist gefährlich! Journalistisch unverantwortlich, schüren Medien so Kriegsangst und helfen mit beim Feindbildaufbau. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Eine grundlegende journalistische Regel lautet: Aussagen, die als relevant für die Berichterstattung betrachtet werden, sind kritisch zu überprüfen und zu hinterfragen. Das gilt insbesondere für Aussagen, die von hochrangigen Persönlichkeiten kommen. Nicht jeder, der über einen Doktortitel verfügt, sagt, „was ist“. Und längst nicht jeder, der über ein Amt verfügt, weiß, was wirklich los ist. Als US-Außenminister Colin Powell 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat über die angeblichen „Massenvernichtungswaffen“ des Irak sprach, war seine Rede gespickt von Falschinformationen – warum auch immer. Das hinderte Medien rund um den Globus nicht daran, die Rede kritiklos zu verbreiten und den Worten des Politikers einen weitreichenden Realitätsstatus zuzuschreiben.

All das ist seit Langem bekannt. Jeder Journalist weiß, dass gerade im Vorfeld von Kriegen alle Warnanlagen angeschaltet sein müssen – insbesondere, was Aussagen von „Autoritäten“ aus dem eigenen Land angeht. Wer betreibt Propaganda? Wer spielt ein falsches Spiel? Wer käut Propaganda wieder, ohne es zu merken? Wer ist naiv und baut längst sein Feindbild auf Manipulationen auf, denen er selbst unterliegt? Das sind für Journalisten ziemlich unbequeme Fragen, denn: Wer sie stellt, eckt an. Wer diesen Fragen als Journalist konsequent nachgeht, spielt das „Spiel“ der Feindbildbauer im eigenen Land nicht mit, sondern dekonstruiert es. Daran mit Nachdruck zu erinnern, ist gerade angebracht, denn: Seit einigen Tagen überschlagen sich die Schlagzeilen regelrecht. Überall ist davon die Rede, dass ein Angriff Russlands erfolgen könne. Jede Äußerung in dieser Richtung, getätigt von irgendeinem hochrangigen Funktionsträger, wird von Medien aufgenommen wie ein Glas Wasser von einem Verdurstenden.

Da heißt in der Überschrift der Frankfurter Rundschau:

Deutscher General sieht Angriff Russlands „bereits morgen“

Kritische Distanz zu der Aussage des Generals? Ein Suchtrupp, der den Artikel durchkämmt, wird dergleichen nicht in dem Artikel finden.

Eine Überschrift auf dem Portal t-online lautet:

Putin kann schon jetzt angreifen: Bundeswehrgeneral warnt vor Stärke Russlands

Der Nachrichtendienst MSN schreibt in der Überschrift:

Deutscher Top-General schlägt Alarm: Russland könnte „schon morgen“ die Nato angreifen

Die Merkur-Redaktion fährt folgende Überschrift auf:

Wladimir Putin könnte NATO laut Bundeswehr „morgen“ angreifen

Die ZEIT führt an:

Sicherheitspolitik: Boris Pistorius warnt auf Bundeswehrtagung vor Gefahr aus Russland

Bei der Berliner Morgenpost ist folgende Schlagzeile zu lesen:

Regierung und Militärs warnen: „Russland rüstet sich für weiteren Krieg“

Auf der Plattform von 1&1 ist zu lesen:

Bundeswehr: Russland könnte sofort angreifen

Und so geht es reihum. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Schlagzeilen der vergangenen Tage. Wer mit entsprechenden Suchanfragen auf den „News-Seiten“ der Suchmaschinen nachforscht, sieht: So geht es seit Jahren – mit augenscheinlich zunehmender Intensität.

Wie oft soll man es den Redaktionen noch sagen? Richtig ist: Die Aussage eines Generals hat ein Gewicht. Aber: Es geht hier um nichts Geringeres als um die große Frage von Krieg und Frieden. Den Positionierungen von Militärs sind von Redaktionen gerade in einer Zeit, wo die Politik von „Kriegstüchtigkeit“ redet, mit äußerster Vorsicht und Distanz zu begegnen. Generalleutnant Alexander Sollfrank mag seine Einsichten und Einschätzungen haben. Aber: Wie sehen Experten das, die inhaltlich eine andere Position vertreten? Begreifen Redaktionen nicht? Ohne kritische Perspektivierung, Einordnung, Gegenstimmen machen sie an dieser Stelle ihre „Berichterstattung“ zum verlängerten Arm einer Politik, die von Interessen, Propaganda und Manipulation durchtränkt ist. So wie damals Journalisten den Aussagen Powells nicht hätten trauen dürfen, so kommt es heute darauf an, jeden Satz, der im Zusammenhang mit Russland geäußert wird, kritisch zu zerlegen.

Die angeführten Schlagzeilen verdeutlichen exemplarisch: Weite Teile der deutschen Medien sind dazu nicht in der Lage – aus welchen Gründen auch immer.

Titelbild: JoeBakal/shutterstock.com


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