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Titel: Netzwerkeln mit Seeblick – ein Gipfel im Bayerischen lässt tief blicken
Datum: 19. November 2025 um 13:47 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Redaktion
Alljährlich versammeln sich am Tegernsee Deutschlands gesellschaftliche Eliten im Geiste Ludwig Erhards zum „Meinungsführertreffen“. Das kommende Stelldichein Ende April sorgt bereits jetzt für Schlagzeilen. Der Veranstalter verkaufe Wirtschaftsleuten „Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern“, lautet der Vorwurf. An sich wäre das kaum der Rede wert, weil heute nicht unüblich. Zum Aufreger wird es ausnahmsweise dadurch, dass der mutmaßliche Verkäufer ein hohes Regierungsamt innehat. Von Ralf Wurzbacher.
Bis zu seinem Wechsel in die Politik war Wolfram Weimer Geschäftsführer der Weimer Media Group GmbH (WMG), die er gemeinsam mit seiner Frau Christiane Goetz-Weimer 2012 gegründet hatte. Das Unternehmen publiziert rund ein Dutzend Zeitschriften überwiegend im Bereich Wirtschaftsjournalismus und richtet Wirtschaftsevents aus, darunter das „Frankfurt Finance & Future Summit“, den „SignsAward“, die „Marken Gala“ sowie den nun in die Schlagzeilen geratenen „Ludwig-Erhard-Gipfel“. Dessen zwölfte Auflage steigt vom 28. bis 30. April 2026 wie stets seit 2014 im Gut Kaltenbrunn (Bild oben) in Gmund am Tegernsee.
Bis dato hatte „Deutschlands Meinungsführertreffen“, wie es der Gastgeber auf der begleitenden Webseite unbescheiden annonciert, keine größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diesmal ist alles anders. Das rechtslibertäre Onlinemagazin Apollo News berichtete am Montag exklusiv über eine mögliche Interessenvermengung in Person Weimers in seiner Doppelrolle als hochgestellter Politiker und mutmaßlich monetärer Profiteur der Veranstaltung. Unter dem Titel „Korruption im Kanzleramt“ erhebt Autor Daniel Gräber den Vorwurf, der 61-Jährige verkaufe „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“.
„Mont Blanc“ für 80.000 Euro
Weimer fungiert seit dem Machtwechsel im Mai als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, ist „als Staatsminister direkt dem Bundeskanzler zugeordnet und nimmt an den Sitzungen des Bundeskabinetts teil“. Er gilt, wie es heißt, als enger Vertrauter von Bundeskanzler Friedrich Merz, sei mit diesem per Du und ist ihm auch räumlich nahe. Der CDU-Chef hat einen Wohnsitz in Gmund, nicht weit vom WMG-Sitz in Tegernsee Stadt. Ihre Enge umschrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) Ende April mit „Tegernsee-Connection“ (hinter Bezahlschranke). Mit seiner Berufung nach Berlin hatte Weimer bekanntgegeben, dass er die Verlagsgruppe „mit sofortiger Wirkung“ verlasse. Tatsächlich firmiert er seither nicht mehr als Geschäftsführer, die Leitung ging komplett auf seine Gattin über. Allerdings hält er weiterhin die Hälfte der Firmenanteile, wie ein aktueller Handelsregisterauszug belegt. Gewinne, die die WMG mit dem Ludwig-Erhard-Gipfel mache, „fließen damit direkt in die Taschen des Staatsministers“, hält Apollo News fest.
Dabei geht es um recht dubiose Einnahmequellen. In Verkaufsunterlagen, die dem Magazin vorliegen, würden interessierten Unternehmen „exklusive Zugänge“ zu Spitzenpolitikern offeriert, als sogenannte Top-Assets „Premiumvernetzung in entspannter Atmosphäre am Tegernsee“ und „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“ beworben. Dabei ließen sich unterschiedliche Pakete buchen. Das namens „Zugspitze“ koste 40.000 Euro plus Mehrwertsteuer, enthalte „zehn Eintrittskarten zur Konferenz für Geschäftspartner, Kunden und Unternehmensmanager“, Werbeleistungen in den WMG-Wirtschaftsmedien sowie eine „Rednerpräsenz auf der Konferenz (Panelteilnahme)“. Beim Paket „Matterhorn“ zu 60.000 Euro netto und „Mont Blanc“ zu 80.000 Euro netto komme die „Teilnahme eines Vorstands/Geschäftsführers an der exklusiven Executive Night“ hinzu.
Quelle: Apollo News
Stammgast Lars Klingbeil
Zitiert wird aus der Antwort einer WMG-Mitarbeiterin per E-Mail auf die Frage nach direkten Kontaktmöglichkeiten zur Bundesregierung. Sie sei „der Meinung, dass wir hier auf eines der höheren Pakete zurückgreifen sollten, nämlich das Matterhorn-Paket, das Rednerpräsenz auf der Konferenz einschließt, eine große Standpräsenz im Konferenzzentrum und die Teilnahme an der exklusiven Executive Night, wo auch die Minister teilnehmen werden“. Das Spitzenpaket „Mont Blanc“ soll zudem eine „Besprechungs-Lounge für vertrauliche Gespräche“ beinhalten. „Nicht unüblich“ seien bei derlei Veranstaltungen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Dienstag schrieb, „Side-Meetings, in deren Rahmen das gezielte wie diskrete Miteinander-ins-Gespräch-Kommen zumindest erleichtert wird“.
Laut Apollo News soll Cheforganisator Matthias Nieswandt einen Besuch des Bundeskanzlers in Aussicht gestellt haben. Entschieden sei das zwar noch nicht, aber „ich denke, dass wir die halbe Bundesregierung vor Ort haben werden“. Nimmt man die aktuelle Liste der „Speaker“, haben sich für kommendes Frühjahr mit Katherina Reiche und Thorsten Frei (beide CDU) sowie Dorothee Bär (CSU) und Alois Rainer (beide CSU) immerhin vier Bundesminister angekündigt. Beim letzten Termin im Mai dieses Jahres war auch Merz mit dabei, neben Ricarda Lang (Grüne) und SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD), den Gastgeberin Goetz-Weimer im Vorfeld in einem Interview mit dem Münchner Merkur einen „Stammgast“ nannte.
Kein Platz für Extremisten
Seinerzeit hatte Schwarz-Rot einen Tag vor dem Treffen in Gmund die Amtsgeschäfte übernommen. Damit sei der Gipfel „quasi die Keimzelle der neuen Bundesregierung“, so Goetz-Weimer. Überhaupt mag es die Frau exklusiv. „Wir verstehen uns als Gipfel der bürgerlichen Mitte“, und es gehe darum, „Brücken zu bauen“. Allerdings nicht über alle Gräben hinweg. AfD, BSW und Die Linke lade man grundsätzlich nicht ein, denn: „Extremisten bleiben bei uns außen vor.“ Das Format beschrieb sie so: „Bei uns treffen sich seit Jahren die Top-Entscheider. Sie diskutieren bei uns die wichtigsten Fragen der Zeit auf offener Bühne und tauschen sich daneben auch vertraulich aus.“ Was ihr auch sehr gut gefalle: „Sie kommen nicht nur, um zu senden, sondern auch, um zu empfangen“, und „treffen sich auch zu vielen bilateralen Gesprächen“. Dass der Austausch gegen allerhand Geld vonstatten geht, sagte sie nicht.
Ihr Gatte sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In einem Gespräch mit Die Welt (hinter Bezahlschranke) bekräftigte er: „Natürlich sind Minister nicht käuflich.“ Ferner wies er den Vorwurf zurück, von der Veranstaltung finanziell zu profitieren, ohne allerdings in Abrede zu stellen, weiter an der WMG beteiligt zu sein. Nur so viel: „Ich habe dort keine Funktionen, auch kein Beratermandat“, es gebe „eine glasklare Trennung zwischen meiner Tätigkeit als Minister und der meiner Frau als Geschäftsführerin und Verlegerin“. Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, den Gipfel auszusetzen, solange er Regierungsmitglied sei, wollte der Interviewer wissen. Nein, so Weimer, „das käme einem Berufsverbot für meine Frau nahe“.
Kanzler muss handeln
Aufschlussreich ist, wie er die Vorgänge um seine Person einordnet. Demnach begreift er sich als Opfer einer Kampagne „rechter Netzwerke“ in Gestalt von Apollo News, Nius und der AfD. „Die Rechten setzen gezielte Diffamierung als Waffe der politischen Auseinandersetzung ein.“ Das ist gewiss zutreffend, geht aber am Thema vorbei. Denn fraglos stört es auch Bürger, die sich als konservativ, politisch in der Mitte oder links davon verorten, wenn bei Politikern der Anschein entsteht, sie könnten ihr Amt mit geschäftlichen Interessen verquicken. Die meisten dürften es bereits als anstößig empfinden, dass bei Events wie dem am Tegernsee politische und ökonomische Macher auf Tuchfühlung gehen, um die Geschicke des Landes unter sich auszumachen. Das ist an sich schon problematisch genug, wenn dabei sogar Geld fließt, noch schlimmer.
„Wir sehen es schon an sich kritisch, wenn ein privilegierter Zugang zu hochrangigen Politikerinnen und Politikern gegen Geld angeboten wird“, äußerte sich in einer Stellungnahme der Verein LobbyControl. „Wenn das Geld dann aber indirekt an einen amtierenden Minister fließt, erschüttert dies das Vertrauen in die Integrität der Bundesregierung und fügt dem Bild der Politik insgesamt Schaden zu.“ Der Kanzler müsse „Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die unverantwortliche Vermischung von politischem Amt und privaten Geschäftsinteressen in seinem Kabinett beendet wird“.
Den Verdacht der Käuflichkeit gilt es offenbar tunlichst auszuräumen. Jedenfalls lassen die Reaktionen in der Politik erkennen, dass man die Angelegenheit sehr ernst nimmt. Jede Beteiligung am Gipfel werde derzeit überprüft, teilte die Bayerische Staatsregierung mit. Man habe zudem eine interne Compliance-Prüfung veranlasst, um zu ermitteln, „ob eine Fortsetzung der staatlichen Unterstützung weiterhin möglich ist“. Die Veranstaltung wurde in den vergangenen Jahren vom Freistaat insgesamt mit einem mittleren sechsstelligen Betrag bezuschusst.
Plötzlich ganz distanziert
Heikel ist im Besonderen die Rolle von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der war an der Seite seiner Kabinettskollegen mehrfach als Schirmherr des Gipfeltreffens aufgetreten und bemerkte einmal: „Es könnte so auf Dauer ein bayerisches Davos werden“, angelehnt an das Weltwirtschaftsforum (WEF) in den Schweizer Alpen. Vielleicht hat sich das alsbald erledigt. Das Magazin Cicero raunte am Dienstag (hinter Bezahlschranke): „Markus Söder ist ein mächtiger Mann. (…) Es ist kaum vorstellbar, dass er seinen eigenen Ruf ohne Not dem amtierenden Kulturstaatsminister opfert.“ Erste Rücktrittsforderungen an Weimers Adresse kamen gestern von Seiten der FDP (ausgerechnet). Nach Informationen von Apollo News sollen mit Bär, Rainer und Frei schon drei Minister ihre Teilnahme an besagter „Executive Night“ abgesagt haben: Sie wollen nun lediglich als Redner im Hauptprogramm auftreten.
Aus dem Haus Reiche verlautete: „Es liegt keine Zusage für den Ludwig-Erhard-Gipfel vor.“ Dies, obwohl sie schon länger als „Speakerin“ auf der Webseite angekündigt ist. Zu den Förderern des Events gehört auch die E.on-Tochter Westenergie, als „Member“ Teil der obersten Sponsorenkategorie. Die heutige Wirtschaftsministerin war dort bis zu ihrem Wechsel in die Politik Vorstandschefin. Seit der Auftaktkonferenz 2014 machte sie jedes Jahr ihre Aufwartung. Ähnlich oft ließ sich auch der Kanzler blicken. Von ihrer Rede beim Treffen im letzten Mai ist folgender Satz überliefert. „Sie können sich schon mal merken, wenn Sie elf Mal durchhalten, werden Sie Bundeswirtschaftsminister.“
Titelbild: Screenshot ludwig-erhard-gipfel.de
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