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Titel: Fremdschämen im Bundestag

Datum: 27. November 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Bundestag, Strategien der Meinungsmache
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Nach längerer Abstinenz gönnte ich mir gestern mal wieder die Live-Übertragung einer Bundestagsdebatte auf Phoenix. Ich hätte das bleibenlassen sollen. Früher waren Generaldebatten zum Haushaltsplan ja oft rhetorische Feuerwerke des Parlamentarismus. Die gestrige Debatte war eher eine Kriegserklärung an den Intellekt der Wähler. Wieder mal ging es weniger um die Probleme unseres Landes, sondern vor allem um die AfD, die man offenbar nun als „Putins Knechte“ framen will. Da kann sich die AfD nur freuen. Einer Machtübernahme oder -beteiligung der AfD in spätestens vier Jahren dürfte nicht viel entgegenstehen, wenn sich die innere Verfasstheit der Politik nicht fundamental ändert. Von Jens Berger.

Wäre dieser Text eine Bundestagsrede, hätte ich mich bereits jetzt, im zweiten Absatz, als Gefährder der nationalen Sicherheit geoutet. Warum, fragen Sie sich? Nun, ich schreibe jetzt drei Minuten an dem Text und habe noch nicht das Leiden der ukrainischen Bevölkerung erwähnt und auch nicht klargestellt, dass Putin ein gottloser brutaler Aggressor ist, der ganz allein die Verantwortung für alle unsere Sorgen und Nöten trägt. Dies war in der Tat der Kernvorwurf der gestrigen Reden sämtlicher Redner der SPD und der Grünen an die Redner der AfD. Ei der Daus! Und dabei ging es doch eigentlich bei der gestrigen Generaldebatte um die Haushaltsplanung.

Stichwort Haushalt. Mitten im Plenum stand da ja ein richtig großer, dicker Elefant im Raum. Mehr als 108 Milliarden Euro sollen im kommenden Jahr für Rüstung und Militär ausgegeben werden. Ein historischer Rekord. An allen anderen Ecken muss nun gekürzt werden. Finanziert wird die Hochrüstung zu großem Teil auf Pump. Inklusive der Schattenhaushalte und Sondertöpfe beträgt die Nettoneuverschuldung 180 Milliarden Euro. Bei einem Haushaltsvolumen von 525 Milliarden Euro ist das rund ein Drittel, auch das ist ein historischer Höchstwert.

Doch ein Elefant im Raum ist nun mal ein Elefant im Raum, weil ihn zwar jeder sieht, aber niemand ein Wort darüber verliert. Auch die AfD nicht. Das machte AfD-Chefin Alice Weidel auch gleich in der Eröffnungsrede klar, die ihr als Oppositionsführerin ja zusteht. Ihr üblicher Sermon von Migranten, die unseren Sozialstaat gefährden (darum will die AfD auch die Steuern senken und die Rente teilprivatisieren), der ruinösen Energiewende (man müsse die „Sprengung der Kernkraftwerke beenden“) und einer, wie sie es ausdrückt, „linken Einheitsfront“ von CSU bis zu den „Kommunisten“ der SPD nahm jedoch niemand so richtig wahr. Als Weidel dann aber ausnahmsweise mal was Richtiges sagte, kochten die Emotionen wie auf Knopfdruck hoch. Was war geschehen?

Nun ja, Alice Weidel hatte doch tatsächlich angeregt, wieder preiswerte Energie aus Russland zu kaufen. Und dies ist in der öffentlichen und erst recht in der parlamentarischen Debatte offenbar ein Tabu. Kaum hatte Weidel den Satz ausgesprochen, rumorte es in den Reihen der Abgeordneten und der SPD-Politiker Dirk Wiese meldete sich mit einer Kurzintervention zu Wort. Da war sie, die Gretchenfrage der politischen Gegenwart: Wie hältst Du es mit Russland? Ein Hauch McCarthy und dem Komitee für unamerikanische Umtriebe wehte durch die Hallen des Bundestags. Doch Weidel blieb ruhig und stellte – durchaus wahrheitsgemäß – fest, dass die AfD die einzige Fraktion im Bundestag sei, die offene Kanäle zu Donald Trump und zu Russland halte. „Offene Kanäle“? Mit Russland? Wie kann man nur? Schon waren Schulden, Wirtschaftskrise und die Rentendebatte vergessen und es ging fast nur noch um die Ukraine, Putin und die AfD, deren Position in diesen beiden Punkten offenbar der letzte brüchige Stein der Brandmauer zu sein scheint.

Dies merkte auch Friedrich Merz, der als zweiter Redner zum Pult trat und heilfroh war, dass er endlich ein Thema gefunden hat, mit dem er den leidigen Rentenstreit in seiner Koalition übertünchen konnte. Felsenfest stünde die Bundesregierung hinter der Ukraine und mit einer AfD, die Putin nicht einmal als Aggressor benenne, sei keine Zusammenarbeit möglich. Applaus von CDU und SPD – offenbar hat man den letzten Kitt gefunden, der die Koalition zusammenhält.

Auftritt Grünenchefin Britta Haßelmann, die trotz ihrer Funktion als Oppositionspolitikerin nicht den Kanzler, sondern erst einmal in epischer Länge die AfD kritisiert. Sie könne es nicht fassen kann, dass Weidel nicht bereits zu Beginn ihrer Rede an das Leid der Menschen in der Ukraine erinnert habe, so Haßelmann. Applaus von allen Fraktionen außer der AfD. Dann belehrte sie – weil das ja in Deutschland offenbar noch nie und nimmer nicht gesagt wurde – noch das Plenum, dass Putin der Aggressor sei. Und wenn die AfD „sich auch noch damit brüste, offene Kanäle zu Russland zu pflegen“, sei ja wohl klar, welche Gefahren von dieser Partei ausgingen. Die AfD sei im Inneren und Äußeren eine Gefahr für das Land.

So ging es weiter. Erst bezeichnete der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch die AfD wegen ihrer Russland-Kontakte als „ein Sicherheitsrisiko für Deutschland“, dann legte sein CDU-Amtskollege Jens Spahn noch einen drauf, beschwor den heroischen Freiheitskampf der Ukraine und versuchte zu belegen, dass wahre Patrioten CDU- und nicht AfD-Politiker seien. „Politisch schwach sind diejenigen, die Liebe zu unserem Land vorgaukeln und in Wahrheit das Spiel fremder Mächte spielen. Sie reden hier, Frau Weidel, wie die fünfte Kolonne Putins.“ Das ist schon mal eine sehr interessante Wortwahl, die vor allem in der bereits erwähnten McCarthy-Ära weitverbreitet war, um Linke und Liberale als „Handlanger Moskaus“ zu diskreditieren.

Nun war Weidels Co Tino Chrupalla an der Reihe und zunächst konnte man das Popcorn weglegen, da Chrupalla sich – wenn auch eigenwillig – mit so langweiligen Themen wie der Wirtschaft und der Rente beschäftigte. Aber dann legte auch Chrupalla los. „Die Ukraine ist nicht das 17. Bundesland der Republik“, so der AfD-Mann, der auch ansonsten nicht viel von der finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine hält. Und plötzlich waren wieder alle wach.

Vorhang auf für Runde Zwei! Wieder meldet sich Dirk Wiese von der SPD via Kurzintervention zu Wort: „Sie arbeiten für russische Interessen!“ Kein Wort habe Chrupalla dazu gesagt, dass Putin der Aggressor sei. Wie konnte Chrupalla das nur unterschlagen? Und damit das auch keinesfalls in Vergessenheit geriet, eröffnete die auf Chrupalla folgende SPD-Rednerin Wiebke Esdar ihre Rede auch mit nahezu exakt den gleichen Vorwürfen in Richtung AfD und übte sich auch gleich noch in Verschwörungsideologie, indem sie mutmaßte, dass die „offenen Kanäle“ der AfD durch die „Geldkanäle“ (aus Russland) mitbestimmt seien. Oh je.

Es war zum Fremdschämen! Lediglich Linken-Politikerin Reichinnek bemühte sich – wenn auch erfolglos – am typisch linken Spagat und kritisierte zwar die Rüstungsausgaben als solche, ohne jedoch friedenspolitische Akzente zu setzen, würde dies doch Teile ihrer Partei verunsichern. Nie war so deutlich, wie sehr das BSW als letztes Korrektiv im Parlament fehlt.

Wir haben eine ambitionslose Regierungskoalition und mit Grünen und Linken zwei Oppositionsparteien, die allesamt im Herzen das alte Parteiensystem aufrechterhalten wollen. Das ist ihr gutes Recht, und dass die reaktionäre und zutiefst neoliberale AfD keine wirkliche Alternative sein kann, ist ja auch richtig. Wenn aber nun eine übergroße informelle Koalition ausgerechnet die Zukunft der Ukraine und Deutschlands Position zu Russland als das zentrale Unterscheidungsmerkmal zur AfD konstruiert, kann einem nur angst und bange werden. Dann sind also horrende Rüstungsausgaben und die Rückkehr in einen neuen Kalten Krieg mit einer Rhetorik, die die des alten Kalten Krieges mühelos in den Schatten stellt, nun das gemeinsame Bekenntnis der „Demokraten“? Das soll der letzte Kitt sein, der das morsche System zusammenhält?

Wenn dem so ist, braucht sich wirklich niemand zu wundern, wenn die Koalition schon bald zusammenbricht und spätestens bei den nächsten Wahlen es gar keine Mehrheit mehr gibt, die ohne die AfD auskommt. Ob dann die CDU oder die AfD ihren Russlandkurs korrigieren werden, steht außen vor. Beides ist möglich. Wie dem auch sei. Auf jeden Fall ist dann der konservativ/reaktionäre Backlash vollzogen. Deutschlands Zukunft ist reaktionär. Und die Parteien, die sich heute als „linksliberal“ bezeichnen, merken das noch nicht einmal. Traurig.

Titelbild: Screencap bundestag.de


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