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Titel: Ukraine-Konflikt: Verhandlungen in Moskau – Westeuropäer bleiben außen vor
Datum: 3. Dezember 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Steve Witkoff und Jared Kushner haben in der vergangenen Nacht mit Präsident Putin und russischen Diplomaten weiter an einer Friedenslösung für die Ukraine gearbeitet. Ein Durchbruch wurde zwar nicht erzielt, aber die Richtung stimmt, machte Präsidentenberater Juri Uschakow im Anschluss deutlich. Die Westeuropäer sind neben Selenskyj klar identifizierbar das größte Problem für einen diplomatische Lösung des Konflikts. Sie werden daher über den Verlauf der Gespräche im Unklaren gehalten. Von Gert-Ewen Ungar.
Die Pendeldiplomatie läuft auf Hochtouren. Kurz nachdem eine ukrainische Delegation in den USA zu Gast war, um sich dort mit den Amerikanern über den Vorschlag zur Regulierung des Ukraine-Kriegs abzustimmen, sind die US-Unterhändler Steve Witkoff und Jared Kushner in Moskau zu Gast. Am Dienstagabend um kurz nach halb acht Ortszeit trafen sie mit Präsident Putin, Präsidentenberater Juri Uschakow und dem Leiter des staatlichen Investitionsfonds, Kirill Dmitrijew, zusammen. Das Gespräch dauerte rund fünf Stunden.
Uschakow teilte im Anschluss mit, es sei „im Ganzen sehr konstruktiv, nützlich und sinnvoll“ gewesen. Konkrete Angaben zu Inhalten machte er nicht. Man habe Stillschweigen vereinbart. Man habe auch nicht über konkrete Formulierungen des inzwischen noch 27 Punkte umfassenden Plans gesprochen, sondern das Wesen des Plans erörtert. Zudem seien Moskau vier weitere Dokumente übergeben worden. Ein Durchbruch wurde in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch aber nicht erzielt.
„Es wurde noch kein Kompromiss gefunden, aber einige amerikanische Vorschläge scheinen mehr oder weniger akzeptabel zu sein, sie können diskutiert werden“, sagte Uschakow in einem Interview im Anschluss an das Gespräch. Insgesamt sei man auf dem richtigen Weg, der Dialog werde fortgesetzt. Er fügte hinzu, es benötige aber noch viel Arbeit bis zu einem unterschriftsreifen Dokument. Er wiederholte damit nahezu wortgleich die Formulierung von US-Außenminister Marco Rubio, mit der Rubio die Ergebnisse der Unterredung mit der ukrainischen Delegation in Florida zusammenfasste.
Unterdessen gehen die Kampfhandlungen im Donbass weiter. Am Rande eines Staatsbesuchs in Kirgisistan, der in der vergangenen Woche stattfand, sagte Putin, der Konflikt ließe sich entweder auf dem Verhandlungsweg beenden oder Russland werde seine Ziele militärisch durchsetzen. „Wenn sich die ukrainischen Soldaten aus den von ihnen derzeit noch gehaltenen Gebieten (im Donbass) zurückziehen, endet die militärische Operation. Verbleiben sie dort, erreichen wir das Ziel auf militärischem Weg.“ Die Abtretung von Gebieten ist einer der zentralen Streitpunkte. Die Ukraine lehnt es bisher ab, auf die von Russland beanspruchten vier Regionen zu verzichten.
Die Position der Ukraine hat sich gleich aus mehreren Gründen deutlich verschlechtert. Der Vormarsch der russischen Truppen beschleunigt sich, die Frontline ist inzwischen nicht mehr stabil. Ukrainische Kriegsgefangene berichten von einem umfassenden Mangel an so ziemlich allem. Es fehlt nicht nur an Munition, sondern auch an Nahrung und Trinkwasser. Der Ukraine fehlt es inzwischen auch an Männern. Laut russischen Angaben werden jeden Tag um die 1.500 Soldaten liquidiert. Die Ukraine kann die dadurch entstehende personelle Lücke nicht mehr durch Mobilisierung schließen. Der Konflikt scheint auch dadurch lösbar, indem eine ganze Generation ukrainischer Männer entweder getötet oder verstümmelt wird.
Die USA haben sich aus der direkten Versorgung der Ukraine mit Waffen und Munition zurückgezogen. Die Westeuropäer, verstanden als EU und Großbritannien, werden nicht müde, der Ukraine ihre Solidarität und Unterstützung zu versichern, sind aber nicht in der Lage, die durch den US-Rückzug entstandene Versorgungslücke zu schließen. Für die Ukraine stellt dies ein enormes Problem dar.
Ein Korruptionsskandal, der den inneren Machtzirkel rund um Selenskyj erschüttert, hat die Verhandlungsposition der Ukraine zusätzlich geschwächt. Kurz vor Abflug in die USA musste der Verhandlungsführer der ukrainischen Delegation ausgetauscht werden. Andrij Jermak, Leiter des Präsidialamtes und enger Vertrauter Selenskyjs, ist zurückgetreten, nachdem die Antikorruptionsbehörde NABU sein Büro und seine Privaträume durchsucht hat. Einen Tag zuvor veröffentlichte das US-Magazin The Atlantic ein Interview mit Jermak, in dem er sagte, Selenskyj werde Gebietsabtretungen niemals zustimmen. Jermak gilt als derjenige im Umfeld des Präsidenten, der Selenskyj steuert.
NABU kooperiert mit dem FBI. Laut ukrainischen Quellen koordiniert das FBI die Ermittlungen der Antikorruptionsbehörde NABU. Von einem zufälligen zeitlichen Zusammenfallen der Ereignisse kann daher kaum gesprochen werden. Wir wohnen einer Inszenierung bei. Inzwischen gibt es sogar Gerüchte um einen Rücktritt Selenskyjs zum kommenden Wochenende. Der ukrainische Rada-Abgeordnete Artem Dmitruk behauptet, dass Selenskyj angewiesen wurde, innerhalb der nächsten Tage sein Amt niederzulegen. Was an der Behauptung dran ist, ist schwer zu sagen, wird sich aber in den nächsten Tagen zeigen. Das Gerücht hat eine eingebaute zeitliche Begrenzung.
Immer bizarrer agieren die Westeuropäer, allen voran die EU. Das Einzige, was gut zu funktionieren scheint, ist die Verabredung von Sprachregelungen. So ist man sich in den westeuropäischen Hauptstädten mit Brüssel einig, dass der Druck auf Putin erhöht werden müsse, um ihn an den Verhandlungstisch zu zwingen. Man spricht die gefundene Formel in jedes vorgehaltene Mikrofon. Das wirkt angesichts der Abläufe und Entwicklungen nur noch absurd.
Zum einen verfügt die EU nicht über die Mittel, Druck auf Russland auszuüben. Der Versuch, durch Sanktionen die Fähigkeit Russlands zur Kriegsführung einzuschränken, ist klar gescheitert. Nach fast vier Jahren Sanktionen mit dem Ziel, die Einnahmen Russlands zu minimieren, weil – so der Glaube – dann Russlands militärischer Komplex an Stärke verlieren werde, ist Russland nach wie vor in der Lage, zu jeder Zeit jeden geographischen Punkt in der Ukraine mit hunderten von Drohnen und Raketen anzugreifen und die Aktivität an der Front sogar noch auszuweiten. Doch statt die Strategie zu überdenken, hält man am eingeschlagenen Weg fest.
Unmittelbar vor dem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel am Montag sagte Kaja Kallas, „es ist klar, dass Russland keinen Frieden will, deshalb müssen wir die Ukraine so stark wie möglich machen, um sie in die Lage zu versetzen, sich selbst verteidigen zu können“. Zudem will sie Russlands Armee Obergrenzen auferlegen. Kallas führt die maßlose Selbstüberschätzung der EU der Weltöffentlichkeit vor.
Auch Bundeskanzler Merz will Putin an den Verhandlungstisch zwingen, an dem inzwischen eigentlich alle sitzen, außer die Westeuropäer. Das hat einen guten Grund, denn neben Selenskyj sind sie es, die einer Verhandlungslösung im Wege stehen. Man besteht darauf, aus einer Position der Stärke mit Russland zu verhandeln, in der man sich allerdings nicht befindet.
Während man die Floskeln offenbar abspricht, mit denen man sich an die Öffentlichkeit wendet, sind diese Floskeln in keiner Weise mit Inhalt unterfüttert. Man bekennt sich zwar auch unter den willigen Koalitionären zu einer diplomatischen Lösung, betreibt aber keine Diplomatie. Weder Kallas, noch Merz oder Starmer unterhalten diplomatische Kontakte nach Moskau. Macron telefonierte nach zweieinhalb Jahren Stille im Sommer mit Putin und handelte sich dafür ebenso massive Kritik ein wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der diplomatische Kontakte nach Russland unterhält. Nach seinem letzten Besuch in der vergangenen Woche bei Putin war es Bundeskanzler Merz ein wichtiges Anliegen, festzustellen, dass Orban dazu nicht autorisiert war. Diplomatie ist nach westeuropäischer Vorstellung, wenn man sie komplett unterlässt.
Die Westeuropäer haben sich durch eine Mischung aus Selbstüberschätzung, Ersetzen von Politik durch PR für das heimische Publikum, verbunden mit einer umfassenden Abschottung von der Realität, selbst aus dem Spiel genommen. Die Frage ist, wie sie zum Frieden gezwungen werden können. In Russland geht man davon aus, dass Brüssel und westliche Politiker von der Korruption in der Ukraine direkt profitiert haben. Beweise gibt es dafür derzeit noch keine. Allerdings erschüttert inzwischen auch Brüssel ein Korruptionsskandal – ausgerechnet in der Behörde von Kallas. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
Dass die Westeuropäer inzwischen aber aus allen diplomatischen Bemühungen herausgehalten werden, weil sie Verhandlungslösungen bisher regelmäßig sabotiert haben, ist klar zu erkennen. Sie werden über den Stand der Verhandlungen im Unklaren gehalten. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Christian Freuding, beschwert sich darüber, dass zwischen der Bundeswehr und dem Pentagon kein Kontakt mehr besteht.
Das scheint nicht nur Deutschland zu betreffen. Heute treffen sich die NATO-Außenminister in Brüssel, um über die weitere Unterstützung der Ukraine zu beraten. US-Außenminister Marco Rubio hat seine Teilnahme abgesagt. Deutlicher lässt sich kaum illustrieren, dass ein Riss durch das westliche Bündnis geht. Die Ukraine wird immer deutlicher erkennbar zum Stolperstein auch für die EU und viele westeuropäische Regierungen.
Titelbild: © Kristina Kormilitsyna („Rossiya Segodnya“)
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