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Titel: Beinabschneider – Wenn im OP der Profit das Skalpell führt
Datum: 20. Dezember 2025 um 14:00 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, Schulden - Sparen
Verantwortlich: Redaktion
Das Kliniksterben geht weiter. 2025 machten 13 Standorte dicht, und mit Inkrafttreten der „Krankenhausreform“ wird sich die Flurbereinigung noch beschleunigen. Was in der Debatte untergeht: Von der Bildfläche verschwinden überwiegend öffentliche Grundversorger, während private Spezialanbieter in großer Mehrheit kräftige Gewinne anhäufen. Die Entwicklungen verheißen schlimme Folgen für Patienten und Beitragszahler. Von Ralf Wurzbacher.
Bis dato haben im laufenden Jahr bundesweit 13 Krankenhäuser den Betrieb eingestellt. Bei 13 weiteren, die auf der Kippe standen, konnte die Abwicklung verhindert werden. Halten sich Glück und Unglück also die Waage? Keineswegs! Denn erstens ist das allgemeine Kliniksterben keine Schicksalsfrage, sondern systemisch angelegt und politisch gewollt. Und zweitens beherrscht die Versorgungslandschaft seit inzwischen vier Jahrzehnten nur ein Prinzip: Kapazitätsabbau. Wogegen sich das Prinzip Hoffnung längst erledigt hat.
Die passenden Zahlen dazu präsentierte am Mittwoch das „Bündnis Klinikrettung“. Die in Trägerschaft des Vereins „Gemeingut in Bürgerinnenhand“ (GiB) befindliche Initiative zieht seit 2020 stets zum Jahresende Bilanz, wie viel von einer ehemals intakten Versorgungslandschaft noch übrig ist. Allein in diesen sechs Jahren sind 101 Standorte von der Bildfläche verschwunden, im Schnitt rund 17 Stück jährlich. Allein im ersten Corona-Jahr 2020 gingen bei 21 die Lichter aus, inmitten eines, wies es damals hieß, historischen Gesundheitsnotstands. Tatsächlich waren die Fallzahlen auf einen historischen Tiefstand eingebrochen. Der wirkt bis heute nach, hat den wirtschaftlichen Niedergang vieler Kliniken beschleunigt und die Flurbereinigung noch forciert.
„Nicht so viel Überflüssiges“
Dass später ausgerechnet Karl Lauterbach im Amt des Bundesgesundheitsministers als „Krisenbewältiger“ auftrat, gab dem Lauf der Dinge eine ironische Note mehr. Der SPD-Mann hatte schon 2019 zum Besten gegeben:
„Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite Klinik schließen sollten. Dann hätten wir anderen Kliniken [sic] genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges.“
In leitender Position legte er prompt los, seine Worte in die Tat umzusetzen. Sein Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) war ein Rezept des geordneten Kahlschlags, und das durch seine Nachfolgerin Nina Warken (CDU) als „Weiterentwicklung“ verkaufte „Krankenhausreformanpassungsgesetz“ (KHAG) ist es nicht minder. Sie will lediglich weniger schnell und nicht ganz so rabiat die Abrissbirne schwingen und dabei insbesondere die Bundesländer „mitnehmen“. Beim Ziel, dem „Abbau von Überkapazitäten“, sprich der weiteren Ausdünnung der Versorgungslandschaft, bleibt es.
Jedenfalls sieht das „Bündnis Klinikrettung“ angesichts der vergleichsweise geringen Verluste in 2025 „keinen Grund zur Entwarnung“. Das Warken-Gesetz wird planmäßig im Frühjahr 2026 voll in Kraft treten. Deshalb würden die Folgen, vor allem der massenhafte Verlust kleinerer Allgemeinkrankenhäuser im ländlichen Raum, „erst in den nächsten Jahren voll durchschlagen“, bemerkte Verbandssprecher Rainer Neef im Rahmen einer Videokonferenz. Der große Aderlass tritt ein, sobald das System der sogenannten Leistungsgruppen greift. Durch Aufspaltung der Kliniklandschaft entsprechend des offerierten Behandlungskatalogs werden haufenweise Standorte zu Rumpfversorgern degradiert und kurz- bis mittelfristig vom Markt verdrängt. Die politische Maßgabe lautet, dass nur noch wirtschaftlich arbeitende Krankenhäuser überleben sollen.
40 Jahre Beutezug
Kommt es so, werden insbesondere auf dem Feld der staatlichen Kliniken riesige Lücken gerissen. Wohin die Reise geht, zeigt ein von den „Klinikrettern“ vorgelegtes Hintergrundpapier mit dem Titel „40 Jahre Gewinn und Verlust im Krankenhaus – eine Bilanz“. Ausgangspunkt ist das 1985 erlassene Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung (KHNG), mit dem das Markt- und Konkurrenzprinzip Einzug in den Kliniksektor fand. Von da an war es Betreibern erlaubt, Gewinne und Verluste zu erwirtschaften. Damit war der Beutezug der Privatkonzerne eingeläutet und die Erosion bei der Versorgung vorgezeichnet. Von den damals 2.362 Kliniken sind heute kaum mehr als 1.800 übrig.
Gestartet mit 15 Prozent Marktanteil, sind die Privaten heute mit 40 Prozent der dominante Player auf dem Markt, den Rest teilen sich öffentliche Träger mit 28,5 Prozent und freigemeinnützige mit 31,5 Prozent. Genau umgekehrte Vorzeichen gibt es bei den vorgehaltenen Betten: Auf die Privaten entfallen bloß 19 Prozent, auf die Nichtkommerziellen 81 Prozent. Warum? Letztere betätigen sich überwiegend in der Allgemein- und Notfallversorgung, während Erstere sich auf planbare Spezialbehandlungen insbesondere Fachkliniken spezialisieren. Vereinfacht ausgedrückt: Die Öffentlichen und Gemeinnützigen erledigen die kostenintensive Grund- und Rundumversorgung, während sich die Konzerne die Rosinen mit Gewinngarantie herauspicken.
Durch Einführung des DRG-Fallpauschalensystems (Diagnosis Related Groups) vor 23 Jahren geriet das ungleiche Duell noch unfairer. Mit ihm wurde der Einsatz moderner Medizintechnik deutlich besser vergütet als pflege- und zeitintensive Therapieformen. Unter DRG-Vorzeichen explodierten die Kosten geradezu. Zwischen 2003 und 2023 haben sich die jährlichen Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Kliniken mehr als verdoppelt – bei im Zeitverlauf nahezu konstant gebliebenen Fallzahlen. Dafür stieg zum Beispiel die Zahl der Amputationen bei arteriellen Verschlusskrankheiten (AVK) signifikant an. Ein Bein zu entfernen, rentiert sich einfach mehr als zeitintensive Behandlungen, die es erhalten könnten. Dabei sind die Gefahren solcher Eingriffe erheblich.
Geburten lohnen nicht
Das GiB-Papier liefert noch mehr Erhellendes. Die Zahl der Belegungstage in öffentlichen Kliniken ist weit mehr als doppelt so hoch wie im Fall der Privaten. Schwere, langwierige Behandlungen von mithin multimorbiden Patienten rechnen sich nicht und sind deswegen das (teure) Metier der Staatlichen. Entsprechend zählten sie 2023 insgesamt nahezu dreimal so viele Krankheitsfälle wie die Privaten, obwohl die inzwischen sogar mehr Allgemeinkrankenhäuser unterhalten. 2023 waren dies 584, öffentliche gab es nur noch 438. Allerdings fangen die Privaten die Verluste nicht auf, sodass die Gesamtzahl seit Jahren zurückgeht. Und: In den privaten Allgemeinkliniken finden sich nicht einmal die Hälfte der in öffentlichen Häusern verfügbaren Betten.
Mit dem Vormarsch des Kommerzes hat die Versorgungssituation in der Fläche erheblich an Substanz verloren. Beispielhaft zeigt sich das am massiven Schwund von Notaufnahmen und Geburtskliniken, beides Bereiche mit geringer Kalkulierbarkeit und niedrigen Margen. Während 1991 fast 50 Prozent aller Krankenhäuser eine Geburtshilfe anboten, waren es 2023 weniger als ein Drittel, wobei sich die Zahl der Kreißsäle sogar halbierte. Und weil intensive Betreuung eben kostenintensiv ist, werden heute immer mehr Kaiserschnitte vorgenommen. Außerdem ist Deutschland „Weltmeister“ beim Implantieren von Hüft- und Kniegelenken, bei Herzkatheteruntersuchungen, Kniegelenksspiegelungen und Wirbelsäulen-OPs. Die moderne Gerätemedizin verschlingt bei vielfach unsinnigen und nicht zielführenden Eingriffen Unsummen an Geld, das dort fehlt, wo es um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung geht.
Im Notfall keine Notaufnahme
Die Quittung: Deutschland ist in Europa mit weitem Abstand Spitzenreiter bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit, rangiert jedoch in puncto Volksgesundheit, Lebenserwartung und Prävention auf den hinteren Plätzen. Das alles hat System und ist das Werk politischer Handlanger im Auftrag von Lobbyisten. „Kliniken wurden mit dem KHNG zum Geschäfts- und Anlagemodell“, beklagte GiB-Geschäftsführerin Laura Valentukeviciute. „Der gegenwärtige Reformprozess stoppt den Niedergang in keiner Weise.“ Tatsächlich liegen nach ihrer Darstellung für 2026 und 2027 bereits 25 Schließungsbeschlüsse vor. Allein damit könnten weitere 100.000 Menschen das dann nächstgelegene Krankenhaus nicht mehr innerhalb einer halben Stunde Fahrzeit erreichen. Im Fall der in diesem Jahr verrammelten Häuser wurden fast 64.000 Menschen von einer wohnortnahen stationären Versorgung abgeschnitten. Die Distanzen können im Notfall Leben kosten.
Das Perfide ist: Die Kommerziellen machen das System extrem teuer und graben den öffentlichen Kliniken damit erst recht das Wasser ab. Patienten, mit denen sich keine Kasse machen lässt, landen da, wo sie als Kostentreiber die Bilanzen verhageln. Heutzutage schreibe der Großteil der Kliniken rote Zahlen, ist überall zu hören. Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. 2024 haben gemäß GiB-Recherchen 89 Prozent der öffentlichen Kliniken Verluste aufgetürmt, die freigemeinnützigen immerhin zu 68 Prozent. Auf Seiten der Privaten haben dagegen 83 Prozent Gewinne eingefahren. Angesichts dessen ist völlig klar und absehbar, dass das anhaltende Kliniksterben vor allem staatliche und halbstaatliche Hospitäler betrifft und damit die für die Allgemeinheit nötigsten Strukturen der Grundversorgung immer weiter wegbrechen.
Schluss mit Rendite!
Und nicht nur das. Mittel der Wahl beim Profitmaximieren sind auch: Das Unterlaufen von Tarifverträgen, Arbeitszeitverdichtung, Auslagerung von Arbeitsplätzen – allesamt Ausbeutermethoden, die sich in staatlichen Einrichtungen nicht so einfach umsetzen lassen und den Sozialstaat zusätzlich belasten. Aber für Leute wie Lauterbach laufen faire Löhne und Tariftreue unter „Überflüssiges“, so wie bestehende lebensrettende und lebenserhaltende Strukturen. Sogenannte Gesundheitsökonomen wollen große Teile der stationären Versorgung einfach ambulantisieren, woran abermals vor allem die Privaten verdienen sollen – so, als hätten sie nicht schon genug.
Was folgt aus all dem? Das deutsche Gesundheitssystem ist deshalb so kostentreibend, weil Patienten und Beitragszahler für die Profite kommerzieller Player bei zugleich rückläufigen Leistungen und schlechter werdender Qualität zu sorgen haben. Faktisch macht das System die Menschen in der Breite ärmer und kränker. Nach gut 40 Jahren sei es geboten, ehrlich Bilanz zu ziehen und die fälligen Schlüsse zu ziehen, bekräftigte Valentukeviciute. Abfließende und nicht gedeckelte Gewinne von bis zu 15 Prozent machten den Betrieb teuer und weiter: „Das muss sich ändern. Die Abschaffung der Renditen ist überfällig.“ Das lässt sich undiplomatischer formulieren: Weg mit den Halsabschneidern!
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