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Titel: Rezension: Hans Jürgen Krysmanski, 0, 1 % Das Imperium der Milliardäre

Datum: 16. Oktober 2012 um 9:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Rezensionen, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Der Verfasser dieses Werks beschäftigt sich mit Außerirdischen („Aliens“). Das ist auf den ersten Blick verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Hans Jürgen Krysmanski ein höchst anerkannter Vertreter einer der Realität zugewandten Wissenschaft (Soziologie) ist. Und in der Tat ist das hier zu besprechende Buch alles andere als „Science Fiction“. Es beschäftigt sich mit der Wirklichkeit, und zwar mit einer extrem ungleichen und hässlich gewordenen Gesellschaft. Der Autor befasst sich mit einer zahlenmäßig kleinen Gruppe von Menschen, den wenigen „Superreichen“, die letztlich über eine unübersehbar große Zahl von Menschen und deren Schicksal entscheiden. Eine Buchbesprechung von Wolfgang Hetzer[*].

Krysmanski geht zunächst der Frage nach, ob die Milliardäre dieser Welt eine legitime Rolle spielen. Unter der reizvollen Überschrift „Eat the Rich“ kommt Krysmanski in einem Prolog angesichts des Einflusses von Milliardären schon bald zu dem beunruhigenden Ergebnis, dass ein amerikanischer Präsident wahrscheinlich billiger zu haben ist als eine ordentliche Siebzig-Meter-Luxusmotoryacht. Er begnügt sich jedoch nicht mit polemischen Vermutungen. Krysmanski legt bei der Betrachtung eines „weiten Feldes“ analytisch dar, dass die Epoche des Kapitals zu Ende geht. Er erwirbt sich dabei besondere Verdienste, war es doch bislang meistens richtig, dass „Elite“ diejenigen sind, deren Soziologie niemand zu schreiben wagte. Der Autor gehört offensichtlich zu den Wagemutigen. Er stellt die Frage, wem die Welt gehört, ob es eine global herrschende Klasse gibt und in welchen Eigentumsformen uns heutzutage Kapital gegenübertritt. Von besonderer aktueller Bedeutung sind dabei seine Untersuchungen zur „Aneignung Europas“. Sie stellen auch den Versuch dar, die Frage zu beantworten, ob die europäische Integration zu einem Projekt der intellektuellen Elite verkommen ist, dem der Großteil der Bürger sowie auch die Politik bestenfalls mit Gleichgültigkeit und Desinteresse begegnen. Dabei wird gezeigt, dass auch in Europa ein „schamloser“ Reichtum entstanden ist. Die Aussichten sind alles andere als rosig. Auch wenn Kriege zwischen Staaten eher unwahrscheinlich geworden sind, wird es zu Konflikten innerhalb der Gesellschaften kommen, weil aufgrund der ungleichen Vermögensverteilungen ein sozialer Sprengsatz nach dem anderen explodieren dürfte.

Unterdessen bleibt die sozialempirische Annäherung an die Geldelite schwierig. Das ist auch deshalb bedauerlich, weil Krysmanski unter Berufung auf amerikanische Quellen (Richard Sennett) daran erinnert, dass der moderne Kapitalismus in seiner Grundtendenz antidemokratisch ist und zu einer „weichen Spielart des Faschismus“ führt. Vor diesem Hintergrund hält es der Verfasser für einen großen Fortschritt, dass sich mit Bewegungen wie „Occupy Wall Street“ und „99 Prozent“ in den Köpfen von uns allen Einsichten festgeschrieben haben, hinter die man nicht mehr zurückfallen könne. Dazu gehöre die extreme Ungleichheit der Einkommen auf nationaler und globaler Ebene und der extreme Einfluss von Geldmacht auf alle Formen der Politik.

In diesem Zusammenhang widmet sich Krysmanski der Frage nach dem „neuen Souverän“ und den Erscheinungsformen zukünftiger Revolutionen, die er als solche für alternativlos hält, weil das kapitalistische Eigentum sich selbst verschlingen werde und niemand mehr hingehe, wenn der Kapitalismus ruft. Dabei handelt es sich keineswegs um spätpubertäres Wunschdenken, sondern um schlüssige Ableitungen aus wissenschaftlichen Erhebungen, in denen sich der Autor dem Phänomen „privater Imperien zwischen Biopolitik und Plutokratie“ zuwendet.

Darüber hinaus fördert Krysmanski erstaunliche Einzelheiten über individuelle Vertreter des sagenhaften modernen Reichtums zu Tage. Anhand konkreter Einzelbeispiele wird gezeigt, dass all das Utopische, das bei der „Reichendiskussion“ wegen Unseriosität unter den Tisch fällt, nicht über die harten Fakten hinwegtäuschen kann. Dabei geht es um Geldoperationen, die nach seinem Empfinden das Härteste sind, das uns in der Gesellschaft, in sozialen Zusammenhängen begegnen kann, bis hin zu allen Formen des Verbrechens. Krysmanski gelingt es auch, aus übergreifender Perspektive die Varianten des Kapitalismus insgesamt zugänglich und verständlich zu machen. Für ihn ist die wachsende Zahl der Superreichen nicht nur ein Indiz für das Wegbrechen staatlicher und demokratischer Kontrollen, sondern auch für die Wandlungsfähigkeit des kapitalistischen Privateigentums als solchem. Mit diesen Prozessen wachse die Isolierung der Superkapitalisten, also ihre Distanz zu den übrigen 99,9 Prozent. Darin werde auch die Instabilität und Überlebtheit des Kapitals mit Händen greifbar.

Krysmanski bietet insoweit beeindruckende Milieuskizzen, u. a. Waffenmärkte und Finanzmärkte und beschäftigt sich mit Prozessen wie „Planetarisierung“ und „Nomadisierung“. In seinem Schlusskapitel stellt er die etwas paradox anmutende Frage, ob Milliardäre das Kapital überwinden können. Der Autor schreibt den Milliardären und ihrem Gefolge die Fähigkeit zur Ausdifferenzierung der Selbstverwertungskräfte ihres Kapitals zu, ohne auf die UBS- oder Merril-Lynch-Manager angewiesen zu sein. Mit anderen Worten: Die Superreichen werden sich auch im kommenden Chaos gut behaupten. Krysmanski beschreibt vor diesem Hintergrund eine Welt „zwischen Refeudalisierung und Absurdistan“. In seinen Augen häufen sich die Anzeichen für einen mit dem Globalisierungsprozess verbundenen Absturz in Zustände vergleichbar dem Chaos früherer, vorkapitalistischer Weltepochen.

Der „Sinkflug der Demokratie in den Bonapartismus“ scheint schon begonnen zu haben. Dabei werden die Übergänge in die „Großkriminalität“ als noch besorgniserregender eingeschätzt. Der Epilog des Werks steht unter der Überschrift „Avanti Dilettanti (2029)“. Zur Ausgangsthese der dort angestellten Überlegungen gehört die Auffassung, dass sich unter den Bedingungen moderner Kommunikations- und Informationstechnologie eine bestimmte aristokratisch-bürgerliche Form der Privatheit auflöst. Der Zustand, dass sich alles in den Händen weniger und nichts in den Händen der vielen befindet, werde unmöglich.

Krysmanski gelingt es, die abstrakten und konkreten Voraussetzungen und Folgen einer obszön ungleichen und damit auch unerträglich ungerechten Vermögens- und Einkommensverteilung mit persönlicher Leidenschaft und wissenschaftlicher Nüchternheit zu beschreiben und zu erklären. Insoweit schließt sein Buch immerhin teilweise eine Lücke, aufgrund derer sich eine einsichtige und handlungsfähige Koalition zwischen verschiedenen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht bilden konnte. Dafür ist es aber höchste Zeit.

Dem Werk von Krysmanski ist mindestens in Andeutungen zu entnehmen, welche katastrophalen Folgen für den inneren und äußeren Frieden innerhalb und außerhalb Europas eintreten werden. Nach der Lektüre wird man die etablierten Feigheitsrituale („Das habe ich nicht gewusst. Das habe ich nicht gewollt.“) nicht guten Gewissens fortsetzen können. Im Hinblick auf das Buch ist die Konsequenz jedoch ganz einfach: Kaufen! Lesen! Diskutieren! Handeln!

Bibliografische Angabe:
Hans-Jürgen Krysmanski, „0,1 % – Das Imperium der Milliardäre“; erschienen bei Westend, Oktober 2012, 240 Seiten, 19.99 Euro


[«*] Dr. Wolfgang Hetzer, ist Autor des Buches „Finanzmafia – Wie Banken und Banditen unsere Demokratie gefährden“, Westend Verlag, Frankfurt/Main 2011; 336 Seiten; 19,95 Euro. Eine Rezension siehe hier.
Hetzer war langjähriger Leiter der Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.


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