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Titel: Armut im Alter – Schicksal oder gesellschaftliches Versagen? Absicht! Und weitgehend vermeidbar.

Datum: 19. Oktober 2012 um 16:38 Uhr
Rubrik: Rente, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen, Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich:

Der Heidelberger OBDACH e.V., der Verein zur beruflichen Integration und Qualifizierung (vbi) und der Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) hatten im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen der Aktionswoche 2012 des Heidelberger Bündnis gegen Armut und Ausgrenzung für den 16.10.2012 zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Armut im Alter – Schicksal oder gesellschaftliches Versagen?“ eingeladen. Meine Einführung finden Sie unten. Ich belege, dass Altersarmut absichtlich herbeigeführt wurde, um dem Verkauf der Privatvorsorgeprodukte den gewünschten Schub zu verpassen, dass der demographische Wandel ein zentrales Verkaufsargument ist und dass Altersarmut erfolgreich bekämpft werden könnte, wenn die Verantwortlichen dies wollten und sich auf die Stärkung der solidarischen Rentenversicherung konzentrieren würden, statt sie der Erosion preiszugeben. Albrecht Müller.

Einführung zum Thema „Armut im Alter – Schicksal oder gesellschaftliches Versagen?“

Eine Podiumsdiskussion mit Wolfgang Reinhard (Leiter des Amtes für Soziales und Senioren der Stadt Heidelberg), Michael Bolk (Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg) und Albrecht Müller (Nachdenkseiten) am 16.10.2012, im Rahmen der Veranstaltungen von OBDACH e.V. Heidelberg gegen Armut und Ausgrenzung: „Zum Leben zu wenig – zum Sterben zu viel“ (15. – 21. Oktober 2012):

Danke für die Einladung zu dieser interessanten Veranstaltungsreihe. Ich bewundere die Arbeit von OBDACH e.V.
Das Thema „Armut im Alter – Schicksal oder gesellschaftliches Versagen?“ ist freundlich formuliert, sehr freundlich sogar. Beim gestellten Thema fehlt nämlich eine weitere Variante: Die Absicht. Wenn Sie erlauben, würde ich das Thema deshalb gerne erweitern. Es lautet dann:

„Armut im Alter – Schicksal oder gesellschaftliches Versagen oder gar Absicht und damit Teil der geläufigen politischen Korruption“.

Das mag ja etwas sperrig klingen. Aber es hilft nichts: die in der Einladung formulierte Variante „gesellschaftliches Versagen“ verharmlost den Zustand der politischen Entscheidungsabläufe und damit den Zustand unseres Gemeinwesens, Wir nennen dieses überaus freundlich immer noch eine Demokratie, obwohl das Volk, obwohl insbesondere die Opfer der Armut im Alter sehr wenig zu sagen haben und inzwischen eine fast schon feudale Herrschaftsschicht bestimmt, wo es lang geht.

Zur Begründung der Veränderung des Themas beginne ich mit drei Zitaten:

Das erste Zitat:

Es stammt aus der ARD Sendung „Rentenangst“ (ausgestrahlt am 10.3.2008 im Vormittagsprogramm der ARD). Die Journalisten Ingo Blank und Dietrich Krauß haben den Freiburger Professor und so genannten Versicherungsexperten Bernd Raffelhüschen bei einer Schulung von Versicherungsvertretern gefilmt und damit ein höchst aufklärendes Dokument geschaffen. Raffelhüschen Originalton:

„Die Rente ist sicher – sag ich Ihnen ganz unverblümt. (Gelächter unter den Versicherungsvertretern.) Die Rente ist sicher, nur hat kein Mensch mitgekriegt, dass wir aus der Rente schon längst eine Basisrente gemacht haben. Das ist alles schon passiert. Wir sind runter gegangen durch den Nachhaltigkeitsfaktor und durch die modifizierte Bruttolohnanpassung. Diese beiden Dinge sind schon längst gelaufen, ja, waren im Grunde genommen nichts anderes als die größte Rentenkürzung, die es in Deutschland jemals gegeben hat. (…) Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist quasi ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden. So, das müssen wir denen erzählen! Also, ich lieber nicht, ich hab genug Drohbriefe gekriegt! Kein Bock mehr, irgendwie. Aber Sie müssen das, das ist Ihr Job!“

So Raffelhüschens Appell an die Versicherungsvertreter. Im Interview mit den beiden Journalisten hat er dann quasi das Gegenteil gesagt. (Siehe unten als Anhang[*]) Dieser Widerspruch des Professors ist hier jedoch nicht erheblich. Erheblich ist: Die Rentenkürzung folgt nicht aus gesellschaftlichem Versagen, sie war Absicht.

Zweites Zitat:

Gerhard Schröder, damals noch Bundeskanzler, erklärte am 28.1.2005 in Davos vor den illustren Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums:

„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“

Drittes Zitat:

Sir Alan Budd, der ehemalige konservative Notenbanker beschrieb die Geldpolitik der Bank of England und Margret Thatchers neoliberalen Kurs so:

Viele haben nie (…) geglaubt, dass man mit Monetarismus die Inflation bekämpfen kann. Allerdings erkannten sie, dass [der Monetarismus] sehr hilfreich dabei sein kann, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde – in marxistischer Terminologie ausgedrückt – eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren. (The New Statesman, 13. Januar 2003, S. 21)

Fazit 1:

Prof. Raffelhüschen belegt in seinem Vortrag vor den Versicherungsvertretern die klare Absicht, die Gesetzliche Rente auf das Niveau einer Basisrente abzusenken. Er nennt die Schritte und fügt sarkastisch an: Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist quasi ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden.
Die Absenkung und damit die Erzeugung der Altersarmut wurde sinnigerweise in einer vom Staat und uns Steuerzahlern alimentierten Kommission, der Rürup-Kommission, vorbereitet. Dort haben gleich mehrere als Professoren verkleidete Lobbyisten mitgewirkt: Rürup, Raffelhüschen, Börsch-Supan vom Institut „mea“ aus unserer Nachbarstadt Mannheim, das sich, finanziert von der Versicherungswirtschaft und dem Land Baden-Württemberg, mit der Alterung beschäftigt. Andere Professoren waren auf anderen Ebenen beteiligt: Hans-Werner Sinn, Meinhard Miegel usw.
Die Rürup-Kommission war – wie viele andere Einrichtungen auch – eine als Kommission getarnte Infiltration der öffentlichen Hand durch private Interessen.

Fazit 2:

Der liebe Gerhard Schröder rühmt sich des Aufbaus des besten Niedriglohnsektors in Europa. Damit meinte er nicht, dass unsere Niedriglöhner am besten bezahlt werden; er meint, dass wir hierzulande die durch niedrige Löhne, durch Leiharbeit, durch Hartz IV und durch unsichere Arbeitsverhältnisse erzeugte Armut am perfektesten vorangetrieben haben.

Fazit 3:

Der britische Notenbanker und Geistesverwandte von Margret Thatcher bekennt dankenswerterweise, dass in seinen Kreisen durchaus erkannt worden ist, wie zentral der Aufbau einer Reservearmee von Arbeitslosen für die Strategie zur Senkung der Löhne und zur Steigerung der Gewinne und Vermögenseinkommen war und ist. D.h. konkret: diese Kreise haben bewusst nichts Entscheidendes gegen die Arbeitslosigkeit getan, sie haben bewusst gegen Beschäftigungspolitik und Konjunkturprogramme polemisiert, um damit einen wirksamen Bodensatz von Arbeitslosigkeit zu schaffen und so Druck auszuüben auf jene, die noch Arbeit haben oder als Gewerkschafter die Interessen der Arbeitnehmer vertreten.
Hierzulande müsste man noch ergänzen, dass dieser Druck mithilfe der Agenda 2010 und insbesondere mit den Hartz IV Regelungen noch einen besonderen Schub bekommen hat: wer noch in Arbeit ist, aber damit rechnen muss, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf das Niveau von Harz IV zu fallen und gegebenenfalls sein Angespartes aufzehren zu müssen, neigt nicht zur Beharrlichkeit bei Tarifauseinandersetzungen, sondern eher zum Kuschen, was ich nicht kritisieren will sondern verstehe.

Ich kritisiere allerdings jene, die die Bedeutung einer aktiven Politik zur Beschäftigung bis hin zur Vollbeschäftigung nicht verstanden und nicht mehr akzeptiert haben. Das gilt übrigens auch für linke Kreise, die – wie die Neoliberalen auch – in den siebziger Jahren eine Art Bruch in der Beschäftigungspolitik konstruierten und behaupteten, Keynes sei out und man könne für Beschäftigung nichts mehr tun und Vollbeschäftigung sei nicht möglich usw.. Möglicherweise denken Manche hier im Raum ähnlich; das kann ich Ihnen nicht verübeln. Schließlich läuft seit Jahren die Propaganda in diese Richtung.

Zusammengefasst:

  • Armut im Alter ist das Ergebnis einer gezielten Rentenpolitik, die die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente systematisch senkte, um so Raum für die Privatvorsorge zu schaffen.
  • Armut im Alter ist die Folge der Ausweitung der Niedriglöhne und der ungesicherten Arbeitsverhältnisse.
  • Armut im Alter ist auch die Folge der systematischen Vermehrung der Arbeitslosigkeit und des Nichtstuns zu Gunsten der Vollbeschäftigung.
  • Armut im Alter ist absichtlich erzeugt worden. Politische Korruption spielte dabei eine maßgebliche Rolle.

Das Ergebnis können wir jetzt „bewundern“:

  • Die „Reservearmee“ ist aufgestellt: Knapp 3 Millionen statistisch erfasste Arbeitslose, insgesamt gut 7,4 Millionen Unterbeschäftigte gibt es, also Menschen, die arbeitslos sind oder unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. 800.000 Leiharbeiter begleiten die Reservearmee. Der Anteil der Niedriglöhner liegt im Osten bei 40 % , im Westen bei 18 %.
  • Die Reallöhne stagnieren seit gut 20 Jahren, die Gewinne sind quasi explodiert. Die Lohnquote sank in den letzten 30 Jahren von über 70% auf knapp über 60%.
  • Die Gesetzliche Rente tendiert in Richtung der vom Lobbyisten der Versicherungswirtschaft Raffelhüschen gewünschten 43 % der durchschnittlichen Nettobezüge. In einem Schreiben an die junge Gruppe der CDU/CSU Abgeordneten legte Ministerin von der Leyen Zahlen über das drastisch erhöhte Armutsrisiko von künftigen Rentnern vor. Nach ihren Berechnungen droht ab 2030 allen Arbeitnehmern, die weniger als 2500 Euro brutto im Monat verdienen und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet haben, eine Rente unterhalb des Grundsicherungsbetrags von 688 Euro. D.h., diese „Menschen, die 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt und keine weitere private Vorsorge betrieben haben, müssten „mit dem Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt antreten“. So warnt BILD.

Das ist das Ergebnis, dass die Finanzwirtschaft, also die Versicherungswirtschaft, die Banken und die Finanzdienstleister sehnlichst gewünscht haben.

Ihre Motive liegen offen auf der Hand: Die Absenkung des Rentenniveaus ist das beste Vertriebsargument zum Verkauf von privaten Vorsorgeverträgen.

Privatisierung lohnt sich für die Lebensversicherungswirtschaft. Betrachten wir das Bild vom Zeitpunkt der Einführung der Riester-Rente: 2002. Die Gesetzliche Rentenversicherung hatte damals einen Umsatz von 156 Milliarden €, die Private Lebensversicherungswirtschaft einen solchen von 67 Milliarden. Wenn es gelänge, so konnte man damals kalkulieren, nur 10 % des Umsatzes der Rentenversicherung als Prämien in die privaten Lebensversicherungen zu lenken, dann wäre dies ein Umsatzplus von fast 16 Milliarden bei den Privaten.

Umsatz (2002) Mrd. €
Gesetzliche Rentenversicherung 156
Private Lebensversicherung 67

Minus 10% bei der Gesetzlichen Rente bringt Umsatzplus von fast 16 Milliarden bei den Privaten.

Neues Geschäftsfeld eröffnet – als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen

Mit der staatlich geförderten Privatvorsorge hat sich die Finanzwirtschaft ein neues lukratives Geschäftsfeld erobert. Der damalige Chef des Finanzdienstleisters AWD hat dies im Juni 2005 auf der Hauptversammlung von AWD drastisch euphorisch geschildert: Nach der Verlagerung von der staatlichen zur privaten Altersvorsorge stehe die Finanzdienstleistungsbranche «vor dem größten Boom, den sie je erlebt hat», sagte Maschmeyer. «Sie ist ein Wachstumsmarkt über Jahrzehnte.» Noch sei noch nicht überblickbar, wie sich der Anstieg der privaten Altersvorsorge im Detail ausgestalte. «Es ist jedoch so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen», sagte Maschmeyer. «Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln.» (Netzeitung 8.6.2005.)

Damit keine Missverständnisse entstehen: dass die Versicherungswirtschaft und die Banken und die Finanzdienstleister sich neue Geschäftsfelder erschließen und dass sie versuchen, vom Staat Subventionen abzugreifen, werfe ich diesen nicht vor. Ich kritisiere allerdings die politisch Verantwortlichen, die der Finanzwirtschaft mit staatlichen Subventionen und mit der Zerstörung des Vertrauens in die gesetzliche Rente den Weg bereitet hat. Die Altersarmut ist bewusst erzeugt worden und wir finanzieren als Steuerzahler obendrein die Vertriebs-, die Werbe- und die Verwaltungskosten und dann auch noch die Profite der Finanzwirtschaft.

Politische Korruption

Das ist der Skandal. Es ist neben der Rettung der Banken mit hunderten von Milliarden der zweite große Fall politischer Korruption. Riester, Maschmeyer, Rürup, Raffelhüschen, Schröder, Müntefering, Pohl, CDU, CSU, SPD, FDP, die Grünen und viele Medien sind in diese politische Korruption verwickelt – als politische Entscheider, als Berater und als Propagandisten.

Die Methoden zur Durchsetzung der privaten Altersvorsorge: Propaganda plus Unterfütterung durch politische Entscheidungen
Wir haben es mit einer interessanten Mischung aus Propaganda und politischen Entscheidungen zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit und damit zur Unterfütterung der Propaganda zu tun. Eine zentrale Rolle spielt die Erzeugung von Angst vor dem demographischen Wandel. Demographischen Wandel gab es zwar immer, die Alterung war im letzten Jahrhundert größer, als es sich jetzt für die nächste Zeit abzeichnet. Aber jetzt werden die Veränderungen richtig hochgespielt und dramatisiert.
Die Stufen der Agitation sehen so aus:

  1. Wir werden immer weniger
  2. Wir werden immer älter
  3. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr
  4. Jetzt hilft nur noch Privatvorsorge

Die Unterfütterung durch politische Entscheidungen:

  1. Netto Anpassung statt Bruttoanpassung – schon 1989 beschlossen
  2. Einführung eines demographischen Faktors, später Nachhaltigkeitsfaktor
  3. Nullrunden
  4. Sehr wichtig: Festhalten des Beitragssatzes für die Gesetzliche Rente oder sogar Absenkung wie jetzt vorgesehen.
  5. Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Das macht sachlich keinen Sinn, weil viel zu viele Menschen über 50 arbeitslos sind. Es macht aber Sinn aus der Sicht der Privatvorsorger: jene Vierzigjähriger oder Dreißigjährigen, die Angst davor haben, dass sie mit 65 ausgebrannt sind, bekommen signalisiert: wenn Ihr nicht mehr arbeiten könnt und mit 65 in Rente gehen wollt, dann werden euch zweimal 3,6 % vom Rentenniveau abgezogen, also 7,2 % weniger. Also seht euch vor, sorgt vor, schließt eine Riester- oder Rürup-Rente ab. – Das war das Herzensanliegen von Müntefering. Deshalb kann man ihn getrost in die Reihe derjenigen einordnen, die von der politischen Korruption erfasst sind. Oder er durchschaut das Spiel nicht, was ich nicht annehme.
  6. Förderung der Privatvorsorge: Zulagen für die Riester-Rente, Steuerbefreiung für Riester-Rente und Rürup Rente, Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altersvorsorge. Letzteres reduziert auch nochmal die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente.

Wenn Sie sich dieses Panorama der politischen Entscheidungen zur Verringerung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente und zugleich der staatlichen Subventionen für die Privatvorsorge kombiniert mit einer massiven, von der Politik, von der Wissenschaft und von vielen Medien getragenen Propaganda anschauen, dann begreifen Sie die eigentliche Ursache der Altersarmut. Und wenn Sie als Demokrat nicht ganz ohne Emotionen durch das Weltgeschehen gehen, dann wird Sie ein gerüttelt Maß an Zorn erfassen.

Die absurden Nachteile liegen voll auf der Hand:

Erstens: Privatvorsorge ist teurer als die gesetzliche Rente; das Umlageverfahren arbeitet billig, die Verwaltungskosten betragen ca. ein Prozent. Das Kapitaldeckungsverfahren verlangt zum Beispiel bei Riester-Rente schon 10-15 % der Prämien. Das ist auch verständlich. Denn dort kommen zu den. Uerwaltungskosten noch die Vertriebs- und Werbekosten und selbstverständlich wollen die Privatvorsorger Provisionen kassieren und Profite machen.
Zweitens: Die Privatvorsorge ist viel unsicherer. Sie hängt ab von Kursschwankungen. Die Finanzkrise hat diese Schwäche noch einmal offenbart. Allerdings ist anzumerken, dass dies alles vorher bekannt war – auch schon im Jahre 2002, als der Einstieg in die Riester-Rente und die Rürup-Rente begann.

Die totale Manipulation ist möglich

Die totale Manipulation funktioniert auf dem Feld von Privatvorsorge und demographischen Wandel immer noch. Als eine Art Standardbotschaft können wir überall sehen und hören: Der demographische Wandel führt dazu, dass immer weniger arbeitsfähige Menschen für immer mehr Alte sorgen müssen.
Auch in den Begleittext des heutigen Abends hat sich der Ergebnis der Indoktrination eingeschlichen: Dort heißt es:

„Mit der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit, Leiharbeit, Befristungen, Niedriglöhne) und der Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft (demografischer Wandel) steigt das Risiko der Armut im Alter deutlich an.“

Der erste Teil des Satzes stimmt, der zweite Teil stimmt nicht. Der demographische Wandel, die Veränderung der Altersstruktur, wäre locker aufzufangen, wenn man wollte. Diese Anmerkung ist keine Kritik an den Veeranstaltern; ich will damit nur demonstrieren, wie sehr wir nahezu alle gerade in der Demographiedebatte manipuliert werden.

Die meisten jungen Leute und auch Ältere glauben, dass der demographische Wandel die Umschaltung auf das Kapitaldeckungsverfahren erzwinge. Sie glauben, dass die Privatvorsorge und das Kapitaldeckungsverfahren die Veränderung der Relation von arbeitenden Menschen zu zu versorgenden Menschen auffangen könne. Glücklicherweise gab es hier in Heidelberg einmal den Wissenschaftler Mackenroth, der eine selbstverständliche Einsicht formulierte: das so genannte Mackenroth-Theorem: Immer muss die arbeitende Generation für die Alten und Jungen sorgen; eine Änderung der Finanzierungsmodalitäten ändert nichts an der realen Relation.
Wie heute immer wieder Professoren und Lobbyisten der Versicherungswirtschaft dieses Mackenroth- Theorem zu widerlegen versuchen, hat meist die Reife fürs Kabarett.
Da wird einmal unterstellt, dass bei uns nicht genügend gespart wird. Da stimmt eher das Gegenteil. Es wird zuviel gespart.

Und es wird dann noch unterstellt, die Anlage des Kapitals in anderen Ländern sei produktiver als bei uns. Viel Glück in den bevölkerungsreichen Ländern mit den hohen Geburtenraten! In Bangladesch oder in Marokko! Oder auch in den USA, möglichst noch mit Abwertungsrisiko.

Die Debatte ist rundum grotesk. Und dennoch glaubt die halbe Welt, Privatvorsorge und die Kapitaldeckung seien wegen des demographischen Wandels notwendig: Politiker, Medienleute, Bürgerinnen und Bürger.

Ja wir glauben sogar, dass die Beitragssätze heute tatsächlich festgehalten werden. Wir sind offensichtlich nicht mehr fähig sind, zu den 19,6 % der Gesetzlichen Rente die 4 % Riester-Renten-Prämien zu addieren. Wer riestert, hat heute schon einen Altersvorsorgebeitrag von mindestens 23,6 %. Und das ohne paritätischen Beitrag der Arbeitgeber.

Von der Leyens neue Raketenstufe zur Förderung der Privatvorsorge und der Altersarmut:

Weil immer mehr Menschen erkennen, wie wenig rentierlich und wie riskant die Privatvorsorge ist, stagnieren die Vertragsabschlüsse. Angesichts dieser Stagnation haben sich Versicherungswirtschaft und Frau von der Leyen einen neuen Gag ausgedacht: Die Zuschussrente. Ich zitiere aus der Bild-Zeitung, die in diesem Fall korrekt wenn auch im kommentierenden Tonfall tendenziös berichtet:

Von der Leyen will die Reformen angesichts des demografischen Wandels nicht zurückdrehen, sondern niedrige Rentenansprüche mit ihrer Zuschussrente auf maximal 850 Euro pro Monat aufstocken. Bedingung: Der Rentner muss 30 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben und ab 2019 auch noch nachweisen, dass er privat zum Beispiel mit einer Riesterversicherung vorgesorgt hat.

„Viele realisieren nicht, dass auch sie von Altersarmut bedroht sind, und dass sie zwingend eine zusätzliche Altersvorsorge brauchen, um der Armutsfalle im Rentenalter zu entkommen“, schreibt von der Leyen in dem Brief (an die jungen Abgeordneten der Union, d. Verf.). 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Geringverdiener (1,8 Millionen) betreiben keine private Vorsorge.

Das wird bei den meisten so bleiben. Gerade die Geringverdiener, die Arbeitslosen und Menschen in Leiharbeit und anderen prekären Arbeitsverhältnissen können sich die Riester-Rente gar nicht leisten und profitieren deshalb auch nicht von der Zuschussrente der Ministerin von der Leyen.
Es ist einfach toll, was man den Menschen hierzulande zumuten kann. Der Absatz der Privatvorsorge stagniert, weil immer mehr Menschen erkennen, dass sie mithilfe der staatlichen Förderung vor allem die Vertriebskosten und Provisionen der Finanzdienstleister bezahlen und weil die Privatvorsorge zudem auch noch riskant wird. Und was macht die zuständige Ministerin: sie zündet die nächste Stufe der Rakete zur Förderung der privaten Interessen: die Zuschussrente.

Was tun gegen Altersarmut:

Vorweg die positive Aussicht:
Das Problem ist lösbar, wenn der politische Wille da ist, d.h. konkret, wenn die Politik aus den Fängen der Interessen der Finanzwirtschaft befreit wird.

Wir haben eine Reihe von Stellschrauben, von Ansatzpunkten für eine ausreichende Versorgung der Alten und gleichzeitig für eine faire Lastenverteilung zwischen den Generationen. Insbesondere stellt die demographische Veränderung kein Problem dar. Die notwendigen Entscheidungen betreffen sowohl die Regelung der Altersvorsorge als auch den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung:

  1. Konzentration aller Mittel auf die solidarische Sicherung, also auf die Gesetzliche Rente und Erhaltung eines Rentenniveaus von mindestens 50% des Nettoeinkommens.
  2. Konzentration bedeutet: Auslaufen lassen der staatlichen Förderung von Riester-Rente, Rürup-Rente und Betriebsrenten durch Entgeltumwandlung. Die solidarische Sicherung ist das Optimum. Das Umlageverfahren müsste man erfinden, wenn es dieses nicht gäbe.
  3. In einem weiteren Schritt könnte man das System verbessern, indem die Beiträge zur Rentenversicherung nicht auf die Lohnsumme sondern auf die Wertschöpfung bezogen werden. Das nennt man Wertschöpfungsabgabe. Diese sinnvolle Idee wurde von Seiten der Wirtschaft und ihrer Meinungsmacher sofort mit dem Etikett „Maschinensteuer“ versehen und diskreditiert. Die Idee ist dessen ungeachtet zukunftsweisend.
  4. Ein weiterer Schritt wäre der Ausbau zu einer allgemeinen Erwerbstätigenversicherung, auch Bürgerversicherung genannt. Alle Erwerbstätigen würden einbezogen, ohne Versicherungspflichtgrenze.

Wichtiger und aktueller wäre:

  1. Eine Sonderregelung und ein Sonderprogramm für jene Menschen, die inzwischen durch niedrige Löhne, durch ungesicherte Arbeitsverhältnisse, durch Arbeitslosigkeit und gebrochene Erwerbsbiografien gelitten haben.

Nicht zu vergessen die Basis in der Beschäftigung, der Sicherheit der Arbeitsverhältnisse, der Förderung der Produktivität, also:

  1. Aktive Beschäftigungspolitik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung zur Verringerung der Reservearmee von Arbeitslosen.
  2. Erhöhung der Erwerbsquote und flexible Alterseintrittsmöglichkeiten
  3. Programm zur Wiederherstellung möglichst vieler gesicherter Normalarbeitsverhältnisse
  4. Wiederherstellung der Arbeitslosenversicherung, Abschied des betreffenden Teils von Hartz IV
  5. Förderung der Arbeits-Produktivität. Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität um 1,5 % im Jahr reicht, um jede Gruppe und Generation, die Arbeitenden, die Kinder- und Jugendgeneration und die Alten besser zustellen.

Es gibt keinen Grund zur Panik. Allerdings viele Gründe für eine Überarbeitung der bisherigen politischen Entscheidungen und noch mehr gute Gründe für die Befreiung von der Indoktrination durch die mächtige Lobby der Finanzwirtschaft und ihre Vertreter in Politik, Wissenschaft und Medien.


[«*] Anhang:
Prof. Raffelhüschen im TV-Interview:
„Wir machen gar keine Rentenkürzung. Wir haben auch noch nie eine Rentenkürzung beschlossen. Was tatsächlich passiert, ist, dass die Rentensteigerungen in der Zukunft gebremst werden durch mehrere demographische Faktoren. Das führt dann dazu, dass die Rente des Jahres – sagen wir mal 2035 – etwa bei einer Größenordnung liegt, die so bei 40% des Bruttolohns sein wird. Das heißt, wir haben immer noch eine Rente, die höher ist, als die Rente von heute.“


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