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Titel: Schily als Wahlhelfer für Merkel

Datum: 29. Juli 2013 um 9:37 Uhr
Rubrik: Überwachung, Innere Sicherheit, Strategien der Meinungsmache
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Der „rote Sheriff“ macht in einem SPIEGEL-Interview über die Geheimdienstüberwachung Thomas Oppermann, den Mann, der im Wahlkampfteam von Peer Steinbrück für das Amt des Innenministers steht, geradezu lächerlich. Und er hilft Merkel aus der Patsche. Dass die sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler gerade auch Schily 2005 abgewählt haben, hat er offenbar bis heute nicht wahrgenommen. Schilys Versuch, die soziale Verunsicherung durch Schröders Agenda-Politik durch umso mehr Aktivitäten der inneren Sicherheit auszugleichen ist grandios gescheitert. Die SPD ist abgesackt, dafür lässt sich Schily von der Überwachungsindustrie fürstlich entlohnen. Von Wolfgang Lieb.

In einem drei Seiten langen Interview im aktuellen SPIEGEL (Printausgabe, in Auszügen hier) schaltet sich der Innenminister der rot-grünen Koalitionen (1998 -2005) aus seinem Alterssitz in der Toskana in die Debatte um die Enthüllungen von Edward Snowden über die Abhörpraxis der Geheimdienste ein.

Die redaktionelle Choreografie des SPIEGELs ist sicherlich nicht zufällig. Da wird zunächst in einem Beitrag unter dem Titel „Tricks und Finten“ ein Strategiewechsel der Regierung konstatiert. Während die Kanzlerin sieben Wochen die Sache einfach aussitzen wollte, habe sie nun Kanzleramtsminister Pofalla nach vorne geschickt, um in die Offensive zu kommen.
Der Spiegel tut sich dann noch damit wichtig, dass er Unterlagen von Edward Snowden „einsehen“ durfte, und hält Pofalla vor, dass er Vorwürfe dementiere, die niemand erhoben habe und dass die wirklich brisanten Punkte offen blieben.

Zurecht hält das Blatt Pofalla dessen vollmundigen Satz vor, „die deutschen Nachrichtendienste arbeiten nach Recht und Gesetz“. Die entscheidende Frage ist doch, nach welchem Recht arbeiten sie? Nach den Gesetzen und dem Grundgesetz der Bundesrepublik oder darüber hinaus und unter Missachtung deutschen Rechts, nach (Verwaltungs-) Vereinbarungen und verbindlichen Absprachen mit den ehemaligen Besatzungsmächten.

Die Kanzlerin selbst bleibt in dem Artikel weitgehend verschont, nur ihr Kanzleramtsminister bekommt ein paar Schrammen ab.

Es wäre aufschlussreich gewesen, wenn der SPIEGEL diesen Beitrag mit einem Zitat des Obama-Beraters John Podesta angeschlossen hätte, das gleichfalls in dieser SPIEGEL-Ausgabe zu finden ist. Podesta sagt dort in einem Interview:

„Na ja, die Europäer agieren schon etwas heuchlerisch. Die meisten Regierungen dort wissen ja tatsächlich seit langem genau, was wir Amerikaner tun. Und sie haben dabei zumeist kooperiert und davon profitiert.“

Dieses Interview mit Podesta wurde jedoch in den Außenpolitikteil weit nach hinten im Blatt verschoben, stattdessen folgt der moderaten Kritik an der Regierung das Interview mit Otto Schily, das einem gemeinen Tiefschlag gegen die SPD und vor allem gegen Thomas Oppermann – den im Kompetenzteam Steinbrücks für die Innenpolitik Zuständigen – gleichkommt. So wird das auch vom regierungstreuen Focus prompt verstanden: „Schröder, Schily, Oppermann: SPD zetert und steckt selbst im Geheimdienst-Sumpf“, lautet die Schlagzeile mit der Merkel und ihre Regierung aus der Schusslinie genommen werden sollen.

Schily macht mit diesem Interview noch einmal deutlich, warum die SPD geführte Regierung 2005 abgewählt wurde. Der bis dahin amtierende Innenminister hatte die CDU/CSU mit seinem „Otto-Katalog“ zur Verschärfung der Überwachungsgesetze längst rechts überholt. Er wies z.B. den Verfassungsschutz an verdeckte Online-Durchsuchungen durchzuführen, er befürwortete die Vorratsdatenspeicherung, er setzte sich für die Einführung von Reispässen mit biometrischen Merkmalen an. Und nach seiner Amtszeit war es ihm nicht zu schnöde, sich in den Aufsichtsrat gleich zweier Firmen holen zu lassen, die Lösungen für biometrische Anwendungen herstellen.

Da mag die SPD in ihrem Regierungsprogramm beschließen „Vertrauliche Kommunikation muss vertraulich bleiben“ oder „der Datenschutz muss auch den Bedingungen der digitalen Welt entsprechen“ [PDF – 1 MB], Schily schert sich darum nicht. Da mag sich Thomas Oppermann noch so sehr in dem Datenspähskandal als liberaler Innenpolitiker profilieren wollen, sein Parteifreund Schily macht ihn geradezu lächerlich.

Schily zieht in dem Interview alle Register der Verharmlosung, ja der Verteidigung des Vorgehens der Geheimdienste und tut so als habe sich seit seiner Abwahl vor 8 Jahren nichts geändert. Dagegen erscheinen die die abwiegelnden Einlassungen der Kanzlerin geradezu sensibel und kritisch. Was hilft es Merkel schon, wenn Schäuble, ihr Innenminister oder der CDU-Hardliner Hans-Peter Uhl sie verteidigen, wenn ihr nun ein Sozialdemokrat beispringt, sind die „SPD-Wahlkämpfer entwaffnet“.

Originalton Schily:

„Es wird viel wirres Zeug behauptet, zum Beispiel das 80 Millionen Bundesbürger ausgespäht würden. Das ist einfach Unsinn… Die NSA (hat) möglicherweise Kommunikation, die über amerikanische Internetserver und Unternehmen lief, gespeichert, um im begründeten Einzelfall darauf zurückgreifen zu können. Das wäre im Prinzip die gleiche Methode, die wir als Vorratsdatenspeicherung kennen.“

Trotz der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung auf deutschem Boden mit Urteil vom 2. März 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat, hält er diese Speicherung für „ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus, der Organisierten Kriminalität und (nach dem Skandal um den NSU besonders dreist) des gewalttätigen Rechtsterrorismus. Sie ist geltendes EU-Recht, das Deutschland leider nicht umsetzt.“ Schily hält es für „völlig inakzeptabel“, dass sich die Justizministerin gegen geltendes EU-Recht stelle.

Ganz im Sinne des derzeitigen Innenministers Friedrich, der die Sicherheit zum „Supergrundrecht“ vor allen anderen Grundrechten erklärte, geht Schily sogar noch einen Schritt weiter, nämlich dass schon Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) verlange „die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten“.

Da wird das unabänderliche, nicht durch verfassungsimmanente Schranken einschränkbare, überragende Grundrecht zur obersten Norm für die Einschränkung von Grundrechten, wie dem Telefon- und Fernmeldegeheimnis und der informationellen Selbstbestimmung erklärt. So weit gehen nicht einmal die reaktionärsten Juristen.

Natürlich muss wieder einmal der 11. September 2001 als entscheidendes Auslegungsprinzip für das Grundgesetz herhalten: „Man soll doch bitte nicht so tun, als ob die größte Gefahr für die Menschen in Deutschland von der National Security Agency ausginge. Denn die größte Gefahr geht vom Terrorismus und der Organisierten Kriminalität aus.“

Wer hat eigentlich jemals behauptet, dass die größte Gefahr von der NSA ausgehe? Der „Terrorismus“ ist das Totschlagargument mit dem sich alles rechtfertigen lässt, da muss man nichts mehr beweisen, da reicht einfach die Beschwörung der Gefahr.

Nicht fehlen darf bei Schily natürlich auch die „vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden“ und der Hinweis, dass „viele Bürger…sorglos alle möglichen Informationen preisgeben“. Und schließlich darf auch der Verdacht, dass hinter den Kritikern „eine Portion Antiamerikanismus steckt“ nicht unausgesprochen bleiben.
Terrorismusabwehr, Antiamerikanismus, eigene Schuld, das sind die Abwiegelungsargumente mit denen Grundrechtseingriffe der – wohlgemerkt – staatlichen Geheimdienste unter den Teppich gekehrt werden sollen.

Schily glaubt das „Getöse“ lächerlich machen zu können, indem er sich zu dem absurden Vergleich versteigt, dass schließlich auch Unternehmen verpflichtet seien ihre Buchungsunterlagen aufzubewahren. Wenn also Private ihre Unterlagen aufbewahren müssen, warum soll dann nicht auch der Staat Datenbestände Privater aufbewahren dürfen, so die widersinnige Logik Schilys.

„Die Furcht vor dem Staat trägt teilweise paranoide (wahnhafte) Züge“, meint Schily sogar zweimal betonen zu müssen. Ist es aber nicht vielmehr gerade umgekehrt so, dass paranoide Politiker in der verzerrten Wahrnehmung leben, dass die Bürgerinnen und Bürger ihnen gegenüber eine feindselige Haltung einnähmen und sie deshalb dem Wahn verfallen, dass sie dem Volk misstrauen müssten. In einem Staat dessen herrschenden Politiker paranoid sind, ist der Generalverdacht und damit die Totalüberwachung eine logische Konsequenz.

Schließlich kritisiert Schily noch die Kritik seiner Parteifreunde am abwiegelnden Verhalten und mangelnden Aufklärungsinteresse der Regierung: „Law and Order sind sozialdemokratische Werte…Für sozialdemokratische Wähler war die innere Sicherheit stets ein wichtiges Thema.“

Dass die sozialdemokratischen Wähler gerade auch Schily 2005 abgewählt haben, hat der inzwischen 81-Jährige offenbar bis heute nicht wahrgenommen. In zynischer Weise setzte er auf den sozialpsychologischen Befund, dass soziale Verunsicherung mit einer Zunahme des Sicherheitsbedürfnisses der Verunsicherten zusammenhängt. Schily hoffte wohl, die mit Schröders Agenda Politik ausgelöste soziale Verunsicherung durch umso mehr Aktivitäten auf dem Feld der inneren Sicherheit ausgleichen zu können. Was die Schröder-Regierung an Sozialleistungen einsparen wollte, hat Schily für den Ausbau der Geheimdienste vergeudet, nämlich 3 Milliarden Euro.

Diese Milchmädchenrechnung ist nicht aufgegangen und sie wird auch künftig nicht aufgehen.


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