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Titel: Der Meister des Kasinos

Datum: 6. November 2013 um 10:12 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse
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Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, hat eine Reise ins Spielkasino nach Baden-Baden unternommen für ein Foto-Shooting des FAZ-Verlags.

Das Ergebnis ist Teil der seit Jahren laufenden FAZ-Werbekampagne “Dahinter steckt immer ein kluger Kopf”. Aber hat Jens Weidmann bei der Wahl dieser “Location” klug gehandelt? Einmal ganz abgesehen von der Frage, ob der nicht gewählte, ranghöchste deutsche Geldpolitiker überhaupt gut daran tut, sich vor den Werbekarren eines in Sachen Wirtschaftspolitik extrem einseitigen Blattes spannen zu lassen. Von Stefan Dudey[*].

Jens Weidmann erklärt laut FAZ-Webseite zu dem Foto: “Jedes Spiel braucht klare Regeln und das richtige Maß an Kontrolle – sei es auf den Finanzmärkten oder im Kasino”. Tatsächlich gehört die Bankenaufsicht zu den Aufgaben der Deutschen Bundesbank. Die Spielbank in Baden-Baden hingegen ist sicher keine “Bank”, die unter die Aufsicht der Deutschen Bundesbank fällt, und so kann ich Jens Weidmanns Aussage nur im übertragenen Sinn verstehen, dass er es für wichtig hält, das Kasinogeschäft der Geschäftsbanken zu kontrollieren.

Kasinogeschäft der Geschäftsbanken, das sind Aktivitäten auf spekulativen Märkten, wo man bestimmte Formen des Herdenverhaltens ausnutzen kann, um große Gewinne zu machen (und nebenher die Theorien des Nobelpreisträgers Eugene Fama zu widerlegen). Mit dem klassischen und langweiligen “lean banking” (die Bank nimmt Einlagen der Sparer und vergibt Kredite an andere Kunden) geht das nicht. Das berühmte Ziel von Josef Ackermann, 25% Eigenkapitalrendite vor Steuern zu erzielen, war und ist ohne spekulative Geschäfte nicht zu erreichen, dafür sind die Margen im Wettbewerb zu knapp. Und, wichtiger noch, dafür kann auch die beste aller Volkswirtschaften nicht schnell genug wachsen: real, also mit echtem Güterzuwachs unterlegt, kann es keine jährliche Steigerung um ein Viertel geben, auch nicht in der Finanzbranche. Es sei denn, es findet eine Umverteilung zulasten anderer Branchen und Einkommensbezieher statt, etwa der Arbeitnehmer.

Das ist in den vergangenen zehn Jahren in großem Maßstab gelungen und zwar dank der Spielregeln, die in der Finanzbranche hierzulande und anderswo inzwischen gelten mit Zustimmung oder zumindest stillschweigender Duldung der Kontrolleure. Oder kann sich jemand erinnern, die Deutsche Bundesbank oder die Europäische Zentralbank (EZB) gegen die Liberalisierung des deutschen Finanzplatzes wettern gehört zu haben, als der Sachverständigenrat exakt diese Liberalisierung in seinem Gutachten vom November 2005 [PDF – 5.1 MB] anmahnte (Tz. 743: “Ein funktionierendes, wettbewerbsorientiertes Bankensystem und ein innovativer Kapitalmarkt stellen eine wichtige Wachstumsvoraussetzung und einen integralen Bestandteil für eine Verbesserung der Unternehmensfinanzierung dar. Aus diesem Grund sind die neueren Gesetzesinitiativen der Bundesregierung zur Finanzplatz-Förderung sowie die rasche Umsetzung entsprechender EU-Vorgaben zu begrüßen. Die Politik sollte den Kurs der Liberalisierung und Modernisierung des deutschen Finanzplatzes zügig fortsetzen, um die Chancen von neuen Finanzinstrumenten nutzbar zu machen”)? Bekannt ist auch das Beispiel von Jörg Assmussen, der ab März 2003 Abteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen war und ab Juli 2008 dort Staatssekretär. Heute ist er Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. 2006 forderte er in einem Aufsatz [PDF – 226 KB] in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen eine “moderne Kapitalmarktgesetzgebung” und konkret die Weiterentwicklung des Marktes für Asset Backed Securities in Deutschland. Gedruckt ist gedruckt, diese Meinungsäußerung kann man nicht mehr ungeschehen machen. Anders sieht das mit noch kräftigeren Formulierungen auf der Internetseite des Bundesministeriums für Finanzen aus. 2005 stand dort beispielsweise “Die gewaltigen Potenziale des deutschen Finanzmarktes müssen als Motor für Wachstum und Beschäftigung der Volkswirtschaft vollständig ausgeschöpft werden… Die Bundesregierung hat es Kreditinstituten erleichtert, Kreditforderungen zu verbriefen …”. Heute sind diese Eintragungen längst gelöscht.

In einer am 30. August 2013 in Hamburg gehaltenen Rede hat Jens Weidmann auf die Frage geantwortet, wo er Handlungsbedarf bei der Bankenaufsicht und Bankenregulierung sieht. Als Folge der Krise seit 2008 sind das aus seiner Sicht vor allem zwei Punkte: Erstens die Verschärfung der Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken (Basel III), und zweitens müsse “die enge Verknüpfung von Staaten und Banken gelockert werden”.

Mit diesem zweiten Punkt zielt der Präsident der Deutschen Bundesbank darauf, dass ein erheblicher Teil der Staatsanleihen von Geschäftsbanken gehalten wird. Da die Geschäftsbanken die notwendige Liquidität für den Kauf von Staatsanleihen von der Zentralbank günstig bekommen, um das Geld dann zu einem höheren Zins an den Staat weiter zu reichen, werden sie hier im Grunde subventioniert (siehe Banken und Spielbanken vom 20.5.2013). Weil die Banken dabei nur als “Durchlauferhitzer” fungieren, könnte im Übrigen aus ökonomisch-pragmatischer Perspektive die Zentralbank direkt die Staatsanleihen kaufen anstelle der Banken (vgl. Abo-Artikel von Heiner Flassbeck vom 9.7.2013 Es ist kein Geld da, mit dem man Staat machen könnte).

Es ist zu vermuten, dass Jens Weidmann genau dieser Zusammenhang aufgefallen ist: Zwischen der verbotenen direkten Staatsfinanzierung durch die Zentralbank und der praktizierten und erlaubten indirekten Staatsfinanzierung durch die Zentralbank über den Umweg der privaten Geschäftsbanken besteht kein großer Unterschied bzw. nur der den Steuerzahler belastende, dass Zinsen an die privaten Banken für ein risikoloses “Geschäft” gezahlt werden müssen. Und deshalb hat er in der zitierten Hamburger Rede und bei anderen Gelegenheiten angefangen, die seit Jahrzehnten praktizierte indirekte Staatsfinanzierung zu kritisieren. Was hier passiert ist nichts anderes als das etwas verklausulierte Einstimmen des Bundesbankpräsidenten in den Chor all jener, die Staatsschulden generell für verwerflich halten. Und für diese Kritik an den Staatsschulden gibt es vielleicht eine emotionale, aber keine rationale Basis (mehr dazu ebenfalls in dem oben zitierten Abo-Artikel von Heiner Flassbeck vom 9.7.2013). Mit der Sorge um die Stabilität des Bankensektors hat das wenig zu tun.

Wie aber steht es mit den Kasinoaktivitäten der Geschäftsbanken unter seiner Aufsicht? Diese Aktivitäten sollen kontrolliert werden, sagt Jens Weidmann und will diese Absicht offenbar mit dem Foto aus der Werbekampagne suggerieren. Aber worin konkret besteht diese Kontrolle? Die riskanten Aktivitäten der Banken zur Erreichung der hohen Renditeziele finden auf einer sehr schmalen Eigenkapitalbasis statt, Basel III hin oder her, und das weiß Jens Weidmann. Diese schmale Eigenkapitalbasis erzeugt tatsächlich eine “enge Verknüpfung von Staaten und Banken”, aber das ist etwas ganz anderes als die Frage, die Jens Weidmann thematisiert, nämlich wer die Staatsanleihen hält. Die Deutsche Bank, um nur das prominenteste Beispiel zu nennen, hat eine Bilanzsumme von etwa 2,2 Billionen Euro (Billionen, nicht Milliarden). Stellt man diesen Betrag in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt Deutschlands, kommt man auf einen Wert von mehr als 80%. Ein solches Kreditinstitut ist selbstverständlich “too big to fail”, wobei allerdings relativ viel Phantasie gefragt ist bei der Antwort auf die Frage, wie der Staat eine solche Bank (und zugleich weitere Banken) bei einer ernsthaften Schieflage noch auffangen wollte.

Die Forderung Heiner Flassbecks, dass Banken eine “dienende Funktion” für die Realwirtschaft haben müssen, finde ich bei Jens Weidmann nicht. Er setzt sich nicht ein für die (wie schon 1933) dringend notwendige Trennung zwischen klassischem Bankgeschäft und spekulativen Geschäften, die auch als “Investment Banking” bezeichnet werden. Ich höre vom Bundesbankpräsidenten keine Forderungen, das erneute Spiel mit toxischen Finanzinnovationen, das die Banken treiben und das mit hohen Risiken für unsere Wirtschaft verbunden ist, generell zu verbieten oder wenigstens auszutrocknen. Lieber will er den deutschen Arbeitsmarkt mehr “flexibilisieren”, damit die real Arbeitenden noch stärker ausgepresst werden können zur Finanzierung der Kasinoaktivitäten. Zur Imagepflege beim “kleinen Mann” lässt sich Jens Weidmann als Wächter der Stabilität vor goldener Tresortür ablichten, gegen die wirklichen Risiken geht er nicht ernsthaft an.

Was mir das Foto der FAZ-Werbekampagne klar macht, ist, dass der oberste deutsche Zentralbanker das Finanzkasino nicht schließen sondern leiten will. Dass er sich obendrein traut, diese Grundhaltung auch noch öffentlich zur Schau zu stellen, zeigt, wie gleichgültig ihm die tiefe Spaltung unserer Gesellschaft ist.

Jens Weidmanns Vorgänger Axel Weber hat sich während seiner Amtszeit als Präsident der Deutschen Bundesbank nach meiner Erinnerung nie politisch dafür eingesetzt, die Kasinoaktivitäten der Geschäftsbanken zu verbieten. Im Längsschnitt betrachtet (er ist heute Verwaltungsratspräsident der Schweizer Großbank UBS) war das vielleicht für ihn persönlich eine gute Strategie. Jens Weidmann hat die Chance, es anders und damit aus meiner Sicht besser zu machen.


[«*] Stefan Dudey ist Volkswirt und schreibt regelmäßig auf flassbeck-economics


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