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Titel: Schuldner verzweifelt gesucht – die EZB und die schwäbische Hausfrau

Datum: 11. Dezember 2013 um 15:47 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Schulden - Sparen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Gibt es sie nun, die schwäbische Hausfrau, die den gesunden Menschverstand verkörpert, oder nicht ? Sei’s drum, wir halten uns an den Verstand, ob er schwäbische Hausfrau heißt oder nicht. Der Verstand sagt uns und der schwäbischen Hausfrau, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben (sofern man nicht von Haus aus ein Krösus ist). Entweder es kommt zu einem, oder man besorgt es sich. Das erste heißt Einkommen, das zweite Kredit. Aber aufgepasst: Ohne sicheres Einkommen gibt es auch keinen Kredit, denn schließlich muss er ja irgendwie zurückgezahlt werden. Ein Gastartikel von Erik Jochem.

Was der schwäbischen Hausfrau für ihre eigenen Verhältnisse einleuchtet, das gilt für die Staaten in Euroland tatsächlich genauso. Auch die können seit Einführung des Euro nur ausgeben, was als Steuern zu ihnen kommt oder was sie sich leihen. Stimmt es also, dass der Staat auch nur ein (schwäbischer) Haushalt ist und beide darauf achten müssen, dass möglichst mehr Geld in der Kasse bleibt, als ausgegeben wird? Auf zwei fremden Planeten schon, aber nicht, wenn der Staat und die (schwäbischen) Haushalte in derselben Volkswirtschaft leben.

Der Staat und der Privatsektor verhalten sich in einer Volkswirtschaft nämlich spiegelbildlich zu einander: Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen und umgekehrt. Die Überschüsse des einen sind die Verluste des anderen. Wenn Sie sich den Zusammenhang merken wollen, denken Sie an die „8“ in einem Koordinatensystem. Oberhalb der waagerechten Achse ist der staatliche Sektor, unterhalb der private. Links von der senkrechten Achse ist der Minusbereich, rechts davon der Plusbereich. Am „Kreuzungspunkt“ (im Ursprung = 0) springen die Vorzeichen der Zahlungsströme um von Minus auf Plus und von Plus auf Minus.

Was immer also der Staat an „Überschüssen“ erzielt, etwa um Schulden zurückzuzahlen, statt sie umzuwälzen (über neue Kredit zu finanzieren) – es fehlt spiegelgleich dem Privatsektor, um Geld für produzierte Güter und Dienstleistungen auszugeben (Nachfrage) oder Sparvermögen aufzubauen.

Angeblich soll es ja auf das Konto der schwäbischen Hausfrau gehen, dass die Staaten in Südeuropa ihre Zahlungen an den Privatsektor – unter anderem durch Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und Entlassungen – gekürzt und Steuern erhöht haben. Gegen diese Vereinnahmung aber erheben wir Einspruch. Die schwäbische Hausfrau kennt nämlich die „8“ und sie weiß genau, wer die Zeche für die angebliche Sparsamkeit des Staates zahlen muss: Der Privatsektor und damit auch sie selbst.

Und wer nach einem handfesten Beleg für diese Behauptung sucht, der muss sich nur die verzweifelten Versuche der EZB anschauen, mit Niedrigzinsen den Privatsektor in den Südländern dazu zu bewegen, sich endlich wieder zu verschulden, damit das Geld, dass sich der Staat als angebliche schwäbische Hausfrau absichtlich nicht mehr geliehen hat, durch Verschuldung der Privaten wieder in die Wirtschaft kommt. Schon weiter oben aber hatte die schwäbische Hausfrau den Zusammenhang zwischen Kredit und Einkommen erkannt, der da lautet, dass – wenn alles mit rechten Dingen zugeht – nur der Kredit beantragt und bekommt, der über ein sicheres Einkommen – bei Unternehmen heißt so etwas Profit – verfügt.

Während der Staat immer über ein sicheres Einkommen verfügt und er darüber hinaus auch erhebliches Sachvermögen besitzt, Kredite für ihn also prinzipiell kein Problem darstellen, ist das im Privatsektor ganz anders. Ohne gesicherte Einkommenserwartung für die Zukunft gibt’s keine Kredite und wollen die schwäbische Hausfrau und die Unternehmen auch keine.

Und weil das so ist – dass bei gesunden Verhältnissen Kreditwachstum im Privatsektor die Folge guter Konjunktur und nicht umgekehrt ist – sind die schwäbische Hausfrau und ihresgleichen in Europa das eigentliche Opfer der angeblich in ihrem Namen geführten Politik. Mit staatlicher Kürzungspolitik und restriktiver staatlicher Kreditaufnahme die Krise schüren und mit den Mitteln der Geldpolitik darauf hoffen, dass der Privatsektor über eine höhere Verschuldung die Karre wieder aus dem Dreck zieht – das widerspricht tatsächlich allen Grundsätzen, die eine schwäbische Hausfrau mit gesundem Menschenverstand aufstellen könnte.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Staat verschuldet sich als erster und erhöht so die Einnahmen des Privatsektors, der daraufhin wieder Kredite aufnimmt und das Wirtschaftswachstum anheizt – was die Staatskassen infolge erhöhten Steueraufkommens wieder füllt. Man nennt das auf allen Seiten Investition in die Zukunft, die aber eben nur in der richtigen Reihenfolge funktioniert.

Und die armen Enkel der schwäbischen Hausfrau, die eines Tages die übriggebliebenen Staatsschulden zahlen müssen? Keine Angst, sagt die schwäbische Hausfrau: Die Leute, die heute in Staatsanleihen investieren, tun das nur, um zukünftig endlich wieder Vermögenssteuern zahlen zu können. Meinen Enkeln aber gehört das Haus, das ich aus unserem abgezahlten Kredit (und unserem Einkommen) finanziert habe. Für sie und mich ist staatliche Kreditaufnahme kein Problem – im Gegenteil: Erst die, dann ich…


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