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Titel: Die beiden Seiten der Zocker-Medaille

Datum: 26. März 2014 um 9:13 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
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In den vergangenen Wochen beherrschte die Causa Hoeneß maßgeblich die Medienlandschaft, wobei man sich auf die Frage der Steuerhinterziehung konzentrierte. Zusammenhänge, die sich hinter diesen Fakten verbergen, stellte jedoch kaum jemand her. So wurde der nunmehrige Ex-FC-Bayern-Präsident in einem Schnellprozess wegen der Hinterziehung von 28,5 Mio. Euro Steuern verurteilt, die – wenngleich nicht gerichtsrelevante – Frage nach Spekulationsgewinnen und -verlusten sowie deren jeweilige, ursächliche Herkunft blieb unbeachtet. Hinter dem Betrag an nichtgezahlten Steuern stehen jedoch erheblich höhere Beträge an Spekulationsgewinnen. Von Lutz Hausstein[*].

Das Geld ist nicht weg …
Angesichts des Ausgangskapitals von 20 Mio. DM ist der zeitweise Kontostand des Hoeneß´schen Zockerkontos von 150 Mio. Euro schon beträchtlich. In der Zwischenzeit kursieren sogar Meldungen, welche von bis zu 400 Mio. Euro sprechen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache sollte man beginnen, Überlegungen nach der Herkunft des Differenzbetrags anzustellen. Denn unabhängig vom Breitengrad des jeweiligen Spekulationsstandortes sind weder aus der gemäßigten Klimazone noch den Tropen oder den Subtropen bisher biologische Gewächse bekannt, an denen Früchte mit Geldscheinen oder Goldstücken eine natürliche Entwicklung nehmen würden. Oder anders ausgedrückt: Geld wächst nicht auf Bäumen. Die Gewinne des Einen basieren zwingend auf Verlusten eines anderen oder mehrerer anderer.

… es hat jetzt nur ein And´rer
Diese so simple Erkenntnis scheint jedoch in den öffentlichen, aber auch den rein privaten Betrachtungen bei der Anhimmelung von Spekulationsgewinnern, sei es nun aus Währungs-, Zins-, Immobilien- oder Rohstoffspekulationen, regelmäßig ausgeblendet zu werden. Kein Gewinner ohne Verlierer. Dies gilt völlig unabhängig von den Umständen, die den Gewinner überhaupt erst zum Gewinner gemacht haben. Sei es genutztes Insiderwissen, sei es eine Überlegenheit infolge technischer Hilfsmittel, die trotz nur mikroskopisch kleiner Varianzen (ab Min. 6:02) zu exorbitanten Unterschieden im Ergebnis führen können oder einfach nur aufgrund von Glück, Zufall oder Fachkenntnissen. Abseits all dieser Umstände steht die Erkenntnis, dass mit Spekulationen keine realen Werte geschaffen werden, sondern nur die schon existenten umverteilt. Während die einen also, teils erhebliche, Gewinne realisieren, verlieren andere im Gegenzug denselben Betrag.

Systemrelevanz schlägt Marktgesetze
All dies klingt zunächst einmal nachvollziehbar und logisch. So hat sich im Zuge der Spekulationen das Vermögen der Spekulationsverlierer verringert. Die weltweite Finanzkrise hat jedoch offenbart, dass permanent und fast überall auf der Welt diese simple Logik ausgehebelt wurde. Die in den verschiedensten und abenteuerlichsten Finanzmarktkonstrukten versteckten Gelder aus den unterschiedlichsten Quellen (vom Rentenfonds des einfachen Büroangestellten oder Fabrikarbeiters über die Finanzmarktaktivitäten eines Uli Hoeneß bis hin zu den keine sinnvolle Realverwendung mehr findenden Gelder von Vermögens-Milliardären) sind über Banken in den Spekulationsprozess eingespeist worden. Nach der Realisierung von großen Verlusten im Verlauf von Spekulationsgeschäften (ebenso wie auch großen Gewinnen auf der anderen Seite der Zockermedaille) waren nun jedoch zuerst die verschiedenen Banken als Mittler der Geschäfte unter Druck. Denn je nach konkretem Vertragskonstrukt waren diese Banken gegenüber ihren Kunden und Gläubigern zur Zahlung größerer Geldsummen verpflichtet. Geldsummen, deren Gesamtbetrag in nicht wenigen Fällen das Eigenkapital der Banken überstiegen hätte.
Vor diesem Fiasko wurden in Deutschland die inländischen Banken jedoch durch die Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem ersten schwarz-roten Regierungskabinett sowie dem damaligen Finanzminister Steinbrück errettet, indem sie sie flugs alle Banken für „systemrelevant“ erklärten und zu deren Rettung die bis dato unvorstellbare Summe von 480 Mrd. Euro über Nacht bereitstellten. Allein am Beispiel der mit staatlichen Geldern geretteten „Hypo Real Estate“ lässt sich anhand der einerseits extrem heterogenen Gläubigerstruktur, die viele andere Banken, Versicherungen, Rentenfonds, im geringen Maße aber auch Organisationen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen bis hin zum WDR und den Kirchen als Kreditgeber hatte, andererseits aber auch aufgrund der wie ein Staatsgeheimnis gehüteten Informationen zu den Gläubigernamen erkennen, wie wenig durchdringbar dieses Dickicht für die Öffentlichkeit war, das mit dem Duktus der Systemrelevanz umwoben wurde.

privatisierte Gewinne – sozialisierte Verluste
So konnten auf der einen Seite die Gewinner ihre, allzu häufig exorbitant hohen, Gewinne freudestrahlend einstreichen, wofür sie in der öffentlichen Darstellung gar noch als „Leistungsträger“ hofiert wurden und bis heute werden. Die Verluste auf der anderen Seite hatten jedoch nur selten die Verlierer zu tragen, sondern diese wurden zumeist vom Staat übernommen und fanden ihre Reinkarnation als „Staatsschulden“. Und diese rührten, wie wir durch die beständige Wiederholung inzwischen ja auch alle wissen, daher, dass „wir“ (ich und du, Müllers Kuh) „über unsere Verhältnisse gelebt“ haben. Denn wer könnte dies bestreiten, da man doch seit Jahren nichts anderes dazu hören konnte? Zumindest in dem Teil der Bevölkerung, der in immer größer werdender Zahl in zunehmender Armut (insbes. Pkt. 7) leben muss, wird diese Behauptung im besten Fall höhnisches Gelächter auslösen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen Staaten, die all ihre systemrelevanten Banken mit öffentlichen Geldern gerettet haben. So wie die besonders hart vom Austeritätsregime betroffene griechische Bevölkerung, in der aufgrund zusammengestrichener Gesundheitsversorgung und gestiegener Zuzahlungen für Medikamente längst verdrängte Krankheiten neu aufleben, die Menschen sich aus schierer Verzweiflung mit dem HI-Virus anstecken, um zumindest Sozialhilfe zu erhalten oder gar den Selbstmord wählen. Denn auch sie haben ja in der Vergangenheit „über ihre Verhältnisse gelebt“, weswegen sie nun endlich „den Gürtel enger schnallen müssten“.
Betrachtet man diese Zusammenhänge nüchtern, so kommt man zu dem Schluss, dass letzten Endes den Gewinnern vieler Spekulationsgeschäfte deren Gewinne von der breiten Masse der Bevölkerung finanziert wurden. Auch und vor allem durch jene, die gar nicht selbst an den diversen Spekulationsgeschäften beteiligt waren. Die Folgen daraus haben sie jedoch umso mehr zu tragen, denn die seither grassierende Austeritätspolitik in Form vielfältiger Streichungen und mehr (finanzieller) „Eigenverantwortung“ vermögen viele nicht mehr zu kompensieren, wohingegen – welche Ironie – ausgerechnet die Gewinner über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, dies gegebenenfalls auch „eigenverantwortlich“ zu regeln. Denn nur Reiche können sich einen armen Staat leisten.


[«*] Lutz Hausstein (45), Wirtschaftswissenschaftler, ist als Arbeits- und Sozialforscher tätig. In seinen 2010 und 2011 erschienenen Untersuchungen „Was der Mensch braucht“ ermittelte er einen alternativen Regelsatzbetrag für die soziale Mindestsicherung. Er ist u.a. Ko-Autor des Buches „Wir sind empört“ der Georg-Elser-Initiative Bremen sowie Verfasser des Buches „Ein Plädoyer für Gerechtigkeit“.


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