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Titel: Ein ganz alltäglicher Fall von Meinungsmanipulation und von Kampagnen- sowie von „Papageien“-Journalismus

Datum: 30. Juni 2014 um 9:30 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Manipulation des Monats, Medienkritik, Rente, Strategien der Meinungsmache
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Passend zum Inkrafttreten des sog. Rentenpakets am 1. Juli veröffentlicht der Bankenverband eine Umfrage, mit der die Wirtschaftslobby ihren politischen Kampf gegen die abschlagsfreie Rente mit 63 fortsetzt. Mit einem der plumpsten Propaganda-Tricks: Der Bankenverband gibt die von ihm bei der GfK Marktforschung bestellten Umfrageergebnisse exklusiv an die ihm ideologisch nahestehende „Bild am Sonntag“ und an „bild.de“. Diese Redaktionen nutzen das „Leckerchen“ gerne, um ihre schon lange andauernde Kampagne gegen die Rente mit 63 mit einer die Öffentlichkeit täuschenden Meldung fortzusetzen. Und wie Papageien, die Papageien nachkrähen, übernehmen sogar Nachrichtenagenturen und sogenannte Qualitätsmedien kritiklos die irreführende Botschaft und machen bei der Meinungsmanipulation denkfaul oder ganz bewusst mit.
Von Wolfgang Lieb.

Der Reihe nach:

In der Printfassung von „Bild am Sonntag“ und auf „bild.de“ war gestern folgender Artikel zu lesen:

Die Wünsche der Deutschen: 41 Prozent wollen länger als 65 arbeiten
Umfrage ergibt klare Mehrheit für flexibles Renteneintrittsalter
Mehr Rente für Mütter und abschlagsfreier Ruhestand schon ab 63: Zum 1. Juli tritt das Rentenpaket von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in Kraft. Dank einer Gesetzeslücke können einzelne Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren sogar schon mit 61 aus dem Job aussteigen.

Viele Deutsche würden jedoch gern länger arbeiten! So wollen 32 Prozent der Bundesbürger am liebsten erst zwischen 65 und 69 Jahren in Ruhestand gehen. 9 Prozent wollen sogar über ihren 70. Geburtstag hinaus arbeiten.

Und nur jeder zweite Deutsche bevorzugt die Rente zwischen 60 und 64. Das ergab eine repräsentative Umfrage der GfK Marktforschung für den Bundesverband deutscher Banken (1265 Befragte), die BILD am SONNTAG vorliegt.

Interessant: Sogar 54 Prozent der Senioren (über 60) würden oder hätten gern länger als bis 65 gearbeitet.

Grundsätzlich ist eine überwältigende Mehrheit von 86 Prozent der Befragten der Meinung, der Renteneintritt solle flexibel gestaltet werden. Nur 14 Prozent plädieren für ein starres Renteneintrittsalter…“

Bei Ihrer Kampagne gegen die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren scheut die „Bild am Sonntag“ nicht vor mehreren dreisten Meinungsmanipulationen zurück:

Das beginnt schon mit der Überschrift: „41 Prozent wollen länger als 65 arbeiten“. Hätte man geschrieben 59 Prozent wollen nicht länger als 65 arbeiten, dann wäre die Botschaft natürlich schon eine ganz andere gewesen.

Noch mieser ist der Versuch der Irreführung mit dem Satz: „Und nur jeder zweite Deutsche bevorzugt die Rente zwischen 60 und 64“ (Hervorhebung von mir). Was heißt hier „nur“ jeder Zweite? Die Überschrift hätte lauten können, ja sogar müssen: „Jeder Zweite will zwischen 60 und 64 in Rente gehen“. Mehr als die Hälfte der Befragten (nämlich 59 Prozent) will also nicht bis 65 arbeiten und schon gar nicht länger als 65.

Mit der Unterüberschrift der vom Bundesverband deutscher Banken bestellten Umfrage – „klare Mehrheit für flexibles Renteneintrittsalter“ – wollen die Bauernfänger in Verbindung mit der Überschrift nahelegen, als wäre eine klare Mehrheit für einen flexiblen Renteneintritt jenseits 65 Jahren.

Selbst der Artikel kann aber nicht verschweigen, dass schon die Hälfte der Befragten für einen flexiblen Renteneintritt zwischen 60 und 64 ist und nur 32 Prozent erst zwischen 65 und 69.

Kein Wunder, dass also dann insgesamt angeblich 86 Prozent eine flexible Gestaltung des Renteneintritts wollen, wobei eben schon mindestens die Hälfte unter Flexibilität das Alter zwischen 60 und 65 verstehen. Es werden also diejenigen die für einen flexiblen Renteneintritt bis 64 mit denjenigen, die für einen späteren Renteneintritt sind, schlicht addiert. Nur so erklärt sich der hohe Wert, der aber keinerlei Aussage darüber enthält, was die Befragten unter Flexibilität verstehen.

Dass die „Bild am Sonntag“ und „bild.de“ ihre Leser und Leserinnen für dumm verkaufen wollen ist schon schlimm genug, zu einer Blamage für den Journalismus wird der mediale Umgang mit dieser Meldung: Wenn nämlich Presseagenturen daraus eine Nachricht machen und diese dann von ach so bedeutenden „Qualitätsmedien“ wie etwa Zeit Online, Welt.de kritiklos nachgedruckt wird. Auch jede Menge anderer Medien belegen den Papageien-Journalismus bei uns im Lande, geben Sie einfach einmal „41 Prozent wollen länger arbeiten“ oder „GfK Marktforschung Renteneintrittsalter“ in eine Suchmaschine ein. Sie werden erstaunt sein, wie hierzulande Meinung gemacht wird.

Wie sehr grundsätzlich die Ergebnisse von Umfragen vom Auftraggeber abhängen, lässt sich einmal mehr daran ablesen, dass dasselbe Umfrageinstitut, nämlich GfK Marktforschung, im Januar dieses Jahres für die „Apotheken Umschau“ zu völlig anderen Befunden und Botschaften kam:

„Nur knapp jedem Vierten (23,7 Prozent) macht die Arbeit so viel Spaß, dass er es sich gut vorstellen kann, über das 67. Lebensjahr hinaus zu arbeiten.
Mit 69 Prozent der weitaus größere Teil möchte unbedingt weit vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in den Ruhestand gehen, falls ihm dies die finanzielle Lage dann erlaubt. Eine Rolle bei diesem Wunsch könnte auch die Sorge um die körperliche Verfassung spielen: Fast die Hälfte (47,3 Prozent) der im Arbeitsleben stehenden Befragten belastet der derzeitige Beruf gesundheitlich so stark, dass sie es sich nicht vorstellen können, wirklich bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten zu können.“

Solche Sorge darum, dass ihre derzeitige berufliche Belastung sie gesundheitlich stark belastet, scheinen sich die Redakteure, die solche Meldungen von Lobbyorganisation übernehmen oder die solche Artikel nachplappern, nicht machen zu müssen. Bevor man nachdenkt, recherchiert und sich damit überhaupt Arbeit macht, frisst man Lobbygruppen aus der Hand oder übernimmt einfach manipulierende Meldungen, die von anderen Kampagnenmedien verbreitet werden, als Nachricht. Mit einer solchen Berufsauffassung können die Papagei- Journalisten natürlich noch bis ins hohe Greisenalter „arbeiten“.

Übrigens: Papageien erreichen auch unter den Vögeln das höchste Alter. Nachkrähen strengt offenbar nicht an.


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