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Titel: Modische Trends und Vitamin B (neudeutsch: Netzwerke) prägen und erlauben die Fehlentscheidungen unserer Spitzen.

Datum: 4. April 2007 um 17:05 Uhr
Rubrik: Globalisierung, Wertedebatte, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Heute erwägt DaimlerChrysler auf Druck seiner Hauptversammlung, Chrysler wieder los zu werden. Gestern erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Leser-Kommentar zu einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 30.3.. Der Kommentar ist exzellent und animiert zu einigen Anmerkungen über unsere Wirtschaftseliten und die angeschlossenen politischen Eliten. Zunächst zitiere ich eine kurze Passage aus dem Kommentar: Albrecht Müller.

Der Kommentar von „Kirschsth“ vom 3.4.07 (korrigiert um ein paar Schreibfehler):

Eigenartig sind nicht nur allein diese Management Moden, die so schnell wechseln, dass die Nächste schon da ist bevor man die vorausgehende überhaupt verstanden hat. Eigenartig ist vielmehr, wie diese Moden sich im Herdentrieb unter allen deutschen Managern gleichzeitig kollektiv ausbreiten. Beobachtet man dies, wird einem bewusst, wie wenig Selbstbewußtsein diese selbsternannte Manager-“Elite” aus “Eliteschulen” und mit Hintergrund meist “gutbetuchtes Elternhaus” heute hat. Einer fängt mit einer Mode an und kurze Zeit später äffen alle deutschen Manager sie gleichzeitig im Kollektiv nach. Sowie alle Trends aus USA auch.

Das Netzwerken heute “in” ist,sieht man am aktuellem Beispiel Siemens. “Netzwerken” in der Praxis heißt ja “Beziehung” und Beziehung ist taktvolles “Geben und Nehmen”: und so “gibt” man und “nimmt” man auf allen Ebenen, mal etwas weniger, mal etwas mehr. Um sich persönlich was Gutes zu tun, um die Karrieren der Enkel und Kinder zu sichern, um Geschäfte zu machen, um Karriere zu machen, um Einfluß zu sicher zustellen – solange, bis der Staatsanwalt kommt…

Und dann weiter:

Es verwundert einem immer wieder, wie Deutschland erfolgreich nach dem Krieg allein durch Arbeit und ganz ohne Unternehmensberater und ganz ohne “Manager” zur Wirtschaftsmacht aufgebaut werden konnte. Seit Arbeit nun aber durch “Managen” und “Beratung” ersetzt ist, geht es ziemlich bergab mit vielen deutschen Wirtschaftszweigen.

Und hier noch einige eigene Anmerkungen:

  1. Als ich zwischen 1987 und 1990 als Mitglied des Deutschen Bundestages Vertreter meiner Fraktion im Wirtschaftsausschuss war, gab es von Seiten der Bundesregierung und der Wirtschaft eine starke Bewegung für eine massive Beteiligung Deutschlands an der so genannten bemannten Weltraumfahrt. Einige Kolleginnen/en und ich hatten zusammen mit dem Fraunhofer-Institut in Karlsruhe massive Bedenken gegen diese Milliarden-Förderung. Die Führung von Daimler-Benz, damals Edzard Reuter als Vorstandschef, war massiv für diese Förderung, weil Edzard Reuter die Diversifizierung des Konzerns Daimler-Benz für eine große Zukunftsvision hielt und den Konzern auf dieser Linie umbaute und erweiterte: um AEG, um Unternehmen der Wehrtechnik, um Teile der Flugzeugindustrie und vieles mehr. Bei einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung griff er mich damals massiv mit dem Vorwurf an, wir hätten keine Ahnung davon, wo zukünftig die Musik spiele.
    Nicht allzu lange Zeit später erwies sich Edzard Reuters-Zukunftsvision als äußerst kostspielige Trendsetterei. Die Zukunftsvision war nur orientiert an modischen Sprüchen und Kampagnen der öffentlichen Meinungsbildung und nicht an der Sache. Es war kein Wunder, dass das Fraunhofer-Institut auf der Seite von uns Kritikern stand.
  2. Dann kam Jürgen Schrempp mit einer neuen Mode: ein Globalplayer sollte Daimler werden. Also wurde Chrysler übernommen, und Mitsubishi zum Teil und so weiter. Jetzt muss man sich vom Kind dieser Mode trennen, ebenfalls mit Milliardenverlusten und Belastungen für die anderen Produktionen und die Arbeitnehmer.
  3. Jetzt ist die Konzentration auf das Kerngeschäft angesagt. Die Moden wechseln ständig. Und immer wieder entstehen riesige Verluste.
  4. Ähnliche Vorgänge kann man bei einer Fülle anderer Unternehmen beobachten: bei Siemens, bei Telekom, bei der Post AG, bei der Bahn, bei der Deutschen Bank und vielen mehr.
  5. Eine der neuen Moden, an die in diesem Kontext noch erinnert werden muss, ist der Börsengang und alle anderen Tätigkeiten auf dem so genannten modernen Kapitalmarkt. Dort wird mit Handel von Vermögenswerten großartig verdient, wenn Publicrelations und Beratung stimmen, wenn also das Netzwerk funktioniert, obwohl keine oder kaum Wertschöpfung stattfindet.
  6. Dass diese unsachliche Unternehmens-Politik störungsfrei und unter Applaus der veröffentlichten Meinung betrieben werden kann, bis kurz bevor das Kind in den Brunnen fällt, hat viel mit der mangelnden Qualifikation der herrschenden Manager zu tun. Darauf wird im Kommentar in der Süddeutschen Zeitung wie auch in Ansätzen im kommentierten Artikel mit dem Titel „Inflation der Trendsetterei“ hingewiesen. – Dass diese Unternehmens-Politik so viel zum Zuge kommt und offenbar der Sanktionsmechanismus gegenüber dem Management nicht funktioniert, jedenfalls die Kontrollfunktion nicht wahrgenommen wird, hat viel mit dem Einfluss von Beratungsunternehmen und den damit verbundenen Netzwerken zu tun.
  7. Zu den Netzwerken und Beziehungsgeflechten, mit denen auch der größte Unsinn abgesichert wird, gehören heute neben den Beratern maßgeblich noch die Publicrelations Unternehmen. Diese Branche boomt auch deshalb, weil es sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik viele unvernünftige Entscheidungen gibt, die nur über massive PR in der Öffentlichkeit und damit auch gegenüber den Kontrollgremien abgesichert werden können.
  8. Diese Beobachtungen zum Bereich der Wirtschaft können auf die Politik übertragen werden. Dort funktioniert es auf ähnliche Weise. Ja die beiden Bereiche sind in ihrer hohlen Performance sogar eng aufeinander angewiesen. Hans Eichel und Peer Steinbrück, Wolfgang Clement und Angela Merkel, Gerhard Schröder und Friedrich Merz wären ohne die Koordinationsfunktionen von Beratungsfirmen und Publicrelations Agenturen – und ohne Applaus der Wirtschaft für ihre ideologie- und interessengeprägte Politik – vermutlich ziemlich unbedeutend geblieben.

Übrigens: In anderen Beiträgen der NachDenkSeiten wie auch – ganz verständlich in „Machtwahn: Wie eine mittelmäßige Führungselite und zugrunde richtet“, wie der Untertitel schon andeutet – finden Sie eine Reihe von weiteren Belegen für die hier notierten aktuellen Beobachtungen.


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