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Titel: Offener Brief Professor Massarrats an BM Steinmeier wegen seines Vorschlags KSZE für Nahost

Datum: 28. Juli 2014 um 11:05 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Friedenspolitik
Verantwortlich:

Sein Optimismus ehrt Prof. Massarrat. Man muss alles versuchen, wenn es um Krieg und Frieden geht. Noch interessant im Kontext: ein Interview Steinmeiers im Deutschlandfunk. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Offener Brief
anlässlich des Vorschlags von Frank-Walter Steinmeier
einer KSZE für den Mittleren und Nahen Osten
im Tagesspiegel vom 21.07.2014

Sehr geehrter Herr Außenminister Frank-Walter Steinmeier,

mit großem Interesse las ich Ihren Vorschlag im Tagesspiegel vom 21.07.2014, möglichst schnell den Weg für eine KSZE für den Mittleren und Nahen Osten einzuschlagen. Ihre Initiative wird von einigen Kommentatoren kritisch gesehen und auch pessimistisch beurteilt. Auch ich selbst, kann Ihnen meine eigene Skepsis nicht vorenthalten. Sie rührt trotz meiner Freude über Ihren Vorschlag daher, dass bei allen laufenden Konflikten, die wir zur Zeit in der Ukraine, wie aber auch in Syrien und jetzt in Gaza, erleben, Deutschland und der gesamte Westen selbst zutiefst verstrickt sind. Dennoch sehe ich in Ihrem Vorstoß ein Zeichen der Hoffnung. Um weitere Katastrophen zu verhindern, ist es nie zu spät. Sie haben mit Ihrer Feststellung Recht, „der Nahe Osten gerät aus den Fugen“. Spätestens jetzt führen die brutalen ISIS-„Gotteskrieger“ jedem, der es sehen will, vor Augen, welche Saat seit langem im Mittleren und Nahen Osten gesät worden ist und nun aufgeht. Durch eine gänzlich irrationale Fixierung auf kurzfristige Macht- und geopolitische Interessen der Mächtigen im Westen, waren Politiker in Europa leider sehr häufig außerstande, den notwendigen Weitblick walten zu lassen und ihr Handeln auf langfristige Lösungsmöglichkeiten auszurichten, nicht zuletzt auch wegen europäischer Eigeninteressen. Insofern hat man es auch immer wieder versäumt, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun.

Ich möchte Ihnen, sehr geehrter Herr Steinmeier, ein Beispiel nennen: Die UNO hatte 2010 beschlossen, im Dezember 2012 in Helsinki (!) eine Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren und Nahen Osten einzuberufen. Wie Sie sicherlich wissen, wurde diese Konferenz durch das Veto von zwei einflussreichen Staaten verhindert. Dabei wäre gerade diese Konferenz ein entscheidender Schritt in Richtung einer KSZE für diese Region gewesen. Die Teilnehmerstaaten wären zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit der Idee von Dialog und Verhandlungen zur dauerhaften Verbannung von nuklearen, chemischen und anderen Massenvernichtungswaffen zusammengekommen. Noch wichtiger wäre aber gewesen, dass alle Staaten der Region Gelegenheit gehabt hätten, sich mit der Idee der Kooperation und der gemeinsamen Sicherheit, ganz im Sinne von KSZE, zu beschäftigen. Denn Sicherheit ist in der Region, wie Sie ganz zu Recht sagen, „ein Bedürfnis, das die einzelnen Staaten eint.“ Dennoch wurde aber dieses friedenspolitische Projekt, das sowohl genial wie perspektivisch für die Zukunft einer der konfliktreichsten Regionen der Welt von welthistorischer Bedeutung ist, wie ein Federstrich einfach so beiseite gewischt. Bis auf ein Häuflein aufrechter Friedensaktivisten in Helsinki und in Berlin, die gegen die Absage der Helsinki-Konferenz wie einsame Rufer in der Wüste protestierten, hat niemand sonst diese unglaubliche Ignoranz und Verantwortungslosigkeit der Bremserstaaten wahrgenommen. Auch die deutsche Bundesregierung hat dieses Versäumnis nicht einmal mit einem Wort des Bedauerns bedacht.

Sehr geehrter Herr Außenminister,

ich möchte trotz dieser Versäumnisse und der Skepsis nicht jammern. Ich sehe in Ihrer Feststellung, dass es für den Mittleren und Nahen Osten nicht mehr reicht, “nur an Symptomen zu kurieren, die uns letztlich einer nachhaltiger Lösung nicht näher bringen,“ einen aufrichtigen Versuch, das Versäumte nachzuholen. Ich stimme Ihnen auch vorbehaltlos zu, dass wir handeln müssen, “und zwar so schnell wie irgend möglich.“ Der friedenspolitisch faszinierende Kerngedanke der KSZE ist doch, die Sicherheit der Gegenseite als Bestandteil der eigenen Sicherheit zu betrachten und sich zu diesem Zweck, mit Respekt auf berechtigte Interessen von Anderen, gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Dieses Grundprinzip galt seinerzeit im KSZE-Prozess – was im augenblicklichen Ukrainekonflikt jedoch leider ignoriert wird – und dieses Prinzip gilt erst Recht angesichts des gegenwärtigen Israel-Palästina-Krieges für den Mittleren und Nahen Osten.

Genau deshalb und auch aus den von Ihnen in Ihrem Beitrag genannten Gründen haben wir in einer zivilgesellschaftlicher Initiative, in Kooperation mit der deutschen Sektion der IPPNW, vor zehn Jahren begonnen, ein Netzwerk im Mittleren und Nahen Osten für eine zivilgesellschaftliche Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZMNO) zu schaffen, allen finanziellen und personellen Widrigkeiten zum Trotz. Wir haben mit der Evangelischen Akademie Bad Boll auch erreicht, dass NGO-Vertreterinnen und -Vertreter aus zehn Staaten der Region, einschließlich Israel und Palästina, ganz zu diesem Zweck zusammen kamen. Zu einer Vernetzung in der Region ist es jedoch nicht gekommen, weil wir an die Grenzen unserer bescheidenen Ressourcen stießen und weil wir keine deutschen oder internationalen Geldgeber fanden, die sich unser, wohlgemerkt utopisch anmutendes Anliegen, zu Herzen nahmen. Frieden im Mittleren und Nahen Osten ist aber keine Utopie, sondern machbar. Dazu reicht aber bei weitem nicht, dass sich Einzelne aus der Zivilgesellschaft dafür einsetzen. Das kann man auch an Jürgen Todenhöfer sehen, der mit seinen bewundernswerten Aktivitäten seit Jahren versucht, aus den Konflikt- und Bürgerkriegsländern für die Aufklärung der Weltöffentlichkeit gegen Propaganda und Feindbilder einen Beitrag zu leisten – leider ein Tropfen auf den heißen Stein.

Schon aus diesen Gründen haben Sie, Herr Steinmeier, mit Ihrem Appell als Außenminister eines wichtigen EU-Staates, einen bemerkenswerten Schritt unternommen, der breite Unterstützung verdient. Ich bin mir völlig im Klaren: dieselben mächtigen Kräfte, die die Helsinki-Konferenz im Dezember 2012 verhindert haben, werden alles unternehmen, um auch Ihren Vorstoß im Keim zu ersticken. Politiker aber werden zu herausragenden Staatsmännern, die in die Geschichte eingehen, wenn sie unbeirrt das Richtige zum richtigen Zeitpunkt tun – und das trotz aller widrigen Umstände. Willy Brandt hat es mit seiner Ostpolitik vorgemacht. Ganz in diesem Sinne möchte ich, als Mitinitiator der KSZMNO-Initiative, Ihnen folgenden Vorschlag unterbreiten:

Laden Sie bitte Herr Außenminister kraft Ihres Amtes sämtliche Außenminister der Staaten des Mittleren und Nahen Ostens und die Außenminister der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit nach Berlin ein, und zwar zum baldmöglichsten Termin. Handeln Sie jetzt!

Damit werden Sie, dessen bin ich mir sicher, die gesamte Friedensbewegung und alle Menschen, die sich nach Frieden in der Welt sehnen, auf Ihrer Seite haben

Mit freundlichen Grüssen
Prof. i. R. Dr. Mohssen Massarrat
Berlin, den 27.07.2014


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