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Titel: Money makes the ball go around

Datum: 3. September 2014 um 9:59 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
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In einer Zeit, in der täglich Hunderte von Menschen in Kriegen ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren, erscheint es banal und unangemessen, über des Deutschen (und nicht nur dessen) liebstes Hobby zu sprechen. Doch vielerorts steht die Aufmerksamkeit zu den todbringenden Kriegen hinter der Frage zurück, wie man die fußballarme Zeit zwischen Weltmeisterschaft und jeweiliger Landesmeisterschaft überstehen kann. Inhaber von Stehplatzdauerkarten warten ebenso wie notorische Couch-Sitzplatzinhaber sehnsüchtig auf den Beginn der neuen Ligasaison und können nun endlich entspannt aufatmen. Der noch vor einigen Jahrzehnten als Proletensport verbrämte Fußball ist jedoch schon lange nicht mehr der Volkssport, als der er lange galt und bis zu einem gewissen Grad auch war. Zumindest nicht im Spitzensportbereich. Und die Breite an der Spitze wird immer schmaler, der Gipfel hingegen immer höher. Er ist letzten Endes ein Spiegel unserer Gesellschaft. Von Lutz Hausstein.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dabei begann alles einmal so gemächlich. Die Weltmeister von 1954 erhielten für den Titelgewinn sagenhafte 1000 Mark, einen Fernseher und einen Lebensmittelkorb pro Spieler. Fritz Walter bekam für seine Spielkunst in Kaiserslautern 320 Mark monatlich. Seitdem sind jedoch viele Tornetze verschlissen und die Spielergehälter haben sich – insbesondere auch im Zuge des Bosman-Urteils 1995 – geradezu explosionsartig nach oben entwickelt. Betrug die Summe der Spielergehälter aller Bundesliga-Mannschaften 1992/93 noch 97,6 Mio. Euro, so waren es in der Saison 2012/13 geschätzte 747,6 Mio. Euro. Die Spitzenwerte im europäischen Fußball, der aufgrund seiner attraktiven Ligen, neben der nordamerikanischen Major League Soccer, die höchsten Gehälter an seine Spitzenverdiener überweist, liegen teils noch erheblich über den Beträgen in der deutschen Bundesliga.

Offiziell bestätigte Zahlen existieren dazu allerdings nicht, es wird in diesem Zusammenhang stets auf Verschwiegenheit aller Seiten geachtet. Der Schwede Zlatan Ibrahimovic, der aktuell für Paris St. Germain (Eigentümer: Qatar Sport Investment) die Töppen schnürt, zählt mit seinen 14,5 Mio. Euro Jahresgehalt zu den Topverdienern der Branche. Netto wohlgemerkt. Dieser Punkt erklärt auch, warum ganz besonders französische Fußballclubs auf die Ankündigung des damaligen französischen Präsidentschaftskandidaten, Francois Hollande, eine Reichensteuer ab 1 Mio. Euro Jahreseinkommen einzuführen, so erschrocken reagiert hatten. Da die Verträge mit den Spielern auf Nettobeträgen basieren, hätte die Reichensteuer die Vereine und nicht – wie eigentlich beabsichtigt – die fußballspielenden Einkommensmillionäre belastet. Zuzüglich Prämien und Werbeeinnahmen kommt Ibrahimovic so auf jährlich geschätzte rund 40 Mio. Euro, liegt damit allerdings deutlich hinter dem „Führenden“ dieser Liste, Christiano Ronaldo, mit geschätzten 80 Mio. Euro. Dagegen hören sich die kolportierten 7 Mio. Euro Jahresgehalt des Dortmunders Marco Reus noch recht überschaubar an. Sein ehemaliger Dortmunder Mitspieler Mario Götze hingegen hat durch seinen Wechsel zu Bayern München mit kolportierten 12 Mio. Euro den bundesdeutschen und europäischen Gehaltsolymp schon erreicht. Dies sind einfach nur aberwitzige Summen für einen Fußballakrobaten, der monatlich für maximal 9 – 10 Stunden (Landesmeisterschaft plus Pokal plus europäische Pokalwettbewerbe) sein Können öffentlich zur Schau stellt. Welcher Spieler sollte da widerstehen? Und mit jedem Jahr dreht sich diese Schraube noch schneller und noch höher.

Die exorbitanten Spielergehälter sind jedoch nur ein Teil der immer grotesker ausufernden Geldhatz. Auch die Schraube der Ablösesummen für die Spieler dreht sich unaufhaltsam immer weiter nach oben und kennt einfach keine Grenzen. Sie erreichen immer häufiger Beträge, die so manchem mittelständigen Unternehmer die Tränen in die Augen treiben würden. Mit „lediglich“ 50 Mio. Euro Ablöse erscheint dabei Mesut Özil als teuerster deutscher Spielertransfer international nur an der 16. Stelle. Die TopTen eröffnet Radamel Falcao, der 2013 für 60 Mio. Euro zum französischen AS Monaco wechselte. Die drei teuersten Transfers kratzen allesamt an der 100-Mio-Euro-Marke – Gareth Bale (91 Mio. Euro), Christiano Ronaldo (94 Mio. Euro) und Neymar (95 Mio. Euro). Dass hierbei immer häufiger Investmentgesellschaften aus arabischen Ölstaaten oder – im kleineren Umfang in Deutschland – finanzstarke Unternehmer wie SAP-Gründer Dietmar Hopp (Hoffenheim) oder Unternehmen wie Red Bull (Leipzig) als Mäzenen und Clubeigentümer in Erscheinung treten, ist da fast zwangsläufig. Denn trotz immer ausgeklügelterer Einnahmequellen lassen sich solche Summen schon lange nicht mehr aus dem eigentlichen Geschäftsbetrieb des Fußballvereine darstellen.

Doch nicht nur im Kampf um die Stars und Sternchen der Branche sondern auch um hoffnungsvolle Nachwuchstalente wird stärker aufmunitioniert. Es ist zwar schon länger üblich, dass sich große Vereine mithilfe eines immer umfangreicheren Scoutingsystems schon früh auf die Suche nach Nachwuchshoffnungen begeben. Nachwuchsleistungszentren bündeln diese Talente, bilden sie gezielt aus und binden sie an die Fußballclubs. Die finanziell potentesten, europäischen Clubs versuchen nun jedoch immer früher und mit immer höheren Beträgen, diese jungen Spieler von ihren Ausbildungsvereinen weg zu locken. Sind es in Deutschland schon einmal bis zu 5 Mio. Euro, die Mönchengladbach gern für das (damals noch) 17-jährige Talent Sinan Kurt vom Interessenten Bayern München hätte, so stehen europäisch die 37,5 Mio. Euro, die Manchester United für einen 18-jährigen Verteidiger bezahlte, als aktueller Spitzenwert in der Transferliste der Jung-Kicker. Zum Anderen werden die Spieler immer jünger, um die mit Millionenbeträgen gebuhlt wird. Für ein norwegisches Ausnahmetalent, welches mit seinen erst 15 Jahren schon erste Einsätze in der ersten norwegischen Liga verbuchen konnte, werden schon Ablösesummen von 1,5 Mio. Euro geboten.

Auf der anderen Seite erschließen die Clubs immer wieder neue Finanzquellen. Die Eintrittsgelder der Stadionbesucher, an die man wohl nun als erstes denken mag, sind jedoch inzwischen nur noch ein stetig kleiner werdender Teil der Einnahmen. Welcher Familienvater stöhnt nicht auf, wenn sein Filius unbedingt das Original-Trikot seines Bundesliga-Lieblingsspielers haben möchte und er für ein einziges, mit dem Namen und der Nummer bepflocktes Leibchen bis zu 100 Euro auf den Ladentisch legen muss? Welcher fußballspielende Amateurspieler steht nicht erschrocken vor den Regalen mit Fußballschuhen, Trainingstrikots und -hosen wie auch Schienbeinschonern angesichts der dort angebrachten Preise? Doch selbst diese Beträge dürften auf mittlere Sicht auch schon bald nicht mehr ausreichen, denn der Sportartikelhersteller Adidas hat soeben eine neue Runde im Ausstatterwettstreit eingeläutet. Das Herzogenauracher Unternehmen, das auch als Aktionär an der Bayern München AG beteiligt ist, hat seinem Konkurrenten Nike den Ausstattervertrag mit Manchester United abgejagt und zahlt nun dem Verein dafür jährlich 95 Mio. Euro. Bei einer Laufzeit von zehn Jahren. Dies macht summa summarum eine knappe Milliarde Euro, die Adidas nur einem einzigen der Proficlubs überweist, bei dem man als Ausstatter fungiert. Sehr viel Geld, das die Schraube der Transfersummen und Spielergehälter noch weiter nach oben drehen lassen wird. Und auf der anderen Seite sehr viel Geld, das über Verkäufe von Sportartikeln und -zubehör hereingeholt werden muss, das wohl auch weiterhin auf Kosten der Arbeiter(innen) in den Billiglohnfabriken ärmerer Länder erwirtschaftet werden dürfte.

Doch es sind nicht nur die Sportausrüster, die die großen Fußballclubs mit immer mehr Geld versorgen. Hinzu kommen ebenfalls die Fernsehgelder, die der zuschauende ebenso wie der nicht zuschauende Verbraucher über seine Gebühren (Öffentlich-rechtliches Fernsehen) oder seine Einkäufe (werbefinanziertes Privatfernsehen) indirekt an sie bezahlt. Mit rund 620 Mio. Euro erreichte so die Bundesliga 2012/13 einen neuen Rekordwert im Bereich „Mediale Verwertung“ [PDF – 5,8 MB]. Dabei steht sie mit diesen Einnahmen der englischen Premier League mit rund 1 Mrd. Euro weltweiter Medienvermarktungsrechte sogar noch deutlich nach. Ein weiterer millionenschwerer Posten der Clubeinnahmen bildet das Sponsoring. Die knapp 600 Mio. Euro pro Jahr sind rund ein Viertel der gesamten Einnahmen.

Die immensen Summen machen deutlich, welchen enormen Wandel der Profifußball in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen hat. Der Fußballsport hat dort schon seit langem seine Unschuld verloren. Die Fußballvereine sind inzwischen Wirtschaftskonzerne. Und nach deren ökonomischen Prinzipien handeln sie auch. Der Fußball ist dabei längst nur noch das Mittel zum Zweck. Der Einzelne kann dies gutheißen, er kann dies ebenso ablehnen und kritisieren. Man kann dem gleichgültig oder aber auch resigniert gegenüber stehen. Unabhängig davon hat es aber Auswirkungen auf uns alle in der Gesellschaft. Wir sind darin involviert – bereitwillig und im vollen Wissen oder unfreiwillig und ohne unser Wissen. Entscheidend für die Zukunft wird jedoch sein, ob da wirksame Grenzen eingezogen werden. Denn ohne diese koppelt sich der Volkssport Fußball immer mehr von ebendieser Bevölkerung ab.

Anmerkung:
Falls einige Leser anhand des Vorstehenden glauben sollten, der Autor dieses Artikels stünde dem Fußball ablehnend oder zumindest gleichgültig gegenüber, so muss dem widersprochen werden. Ganz im Gegenteil. Ich bin seit beinahe 40 Jahren der „schönsten Nebensache der Welt“ mit ganzem Herzen verbunden und ich betreibe ihn auch selbst bis zum heutigen Tag aktiv im Punktspielbetrieb. Es sind vielmehr die beständig neuen Auswüchse, die auch nie ein Ende zu kennen scheinen. Glaubt man einmal, dass nun aber wirklich die Spitze des Eisbergs erreicht sei, wird man kurz darauf eines Besseren belehrt, indem ein neuer „Rekord“ aufgestellt oder – wie im aktuellen Fall von Adidas und Manchester United – gleich ein Quantensprung vollzogen wird. Dies tut weder dem Fußball noch der Gesellschaft als Ganzes gut.

Zu dem Thema hat sich auch NDS-Autor Niels Kadritzke seine Gedanken gemacht: Wo das Geld spielt – Die neue Ökonomie des Fußballs


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