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Titel: Eichels Sparkurs vergrößert das Loch in der Kasse. Wie Bill Clinton den Haushalt sanierte.

Datum: 12. Mai 2004 um 13:35 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Steuern und Abgaben, USA, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Seit 20 Jahren erklärten alle Bundesregierungen die Haushaltskonsolidierung zu einem der wichtigsten politischen Ziele, im Gegensatz dazu sind aber die Schulden der öffentlichen Haushalte immer weiter auf nunmehr 1,3 Billionen Euro gestiegen. Finanzminister Eichel, der die Nettokreditaufnahme durch Einsparungen ab 2006 auf Null zurückfahren wollte, steht vor immer größere Löchern in der Kasse, weil die Steuereinnahmen immer weiter hinter den Schätzungen zurückbleiben weil Steuern gesenkt wurden und die Konjunktur nicht anspringt. Bush Senior hinterließ 1992 Bill Clinton ein Haushaltsdefizit von fast 5 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts; am Ende seiner Amtszeit hatten die USA sogar einen Haushaltsüberschuss. Mit Sparen? Mit Steuersenkungen? Mit Kürzung der Sozialleistungen?

Wie die Clinton-Administration das Kunststück schaffte, aus einer Rezession heraus das Haushaltsdefizit abzubauen, die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitslosigkeit zu senken, ohne vor allem auf die Kürzung von Sozialleistungen zu setzen, beschreibt Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft im Jahr 2001 und einer der wichtigsten Wirtschaftsberater Clintons, in seinem Buch “Die Roaring Nineties” (Siedler, 2004).

Sein Erfolgsgeheimnis lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Niedrigere Zinsen und die größere Bereitschaft der Banken, Kredite zu vergeben.
  • Vertrauen in die Zukunft zu bilden, sogar mit dem Mittel “die Statistiken ins rechte Licht zu rücken”, z.B. indem man z.B. die Inflationsgefahr “klein redete”.
  • Verringerung der Einkommensungleichheit.
  • Technologische Innovationen und Beseitigung von Infrastrukturdefiziten.
  • Ausgabenkürzungen bei (man höre und staune) gleichzeitigen Steuererhöhungen überwiegend für die “Reichen”, um die Kosten des Anpassungsprozesses zu teilen.

Bei uns hört und tut man geradezu das Gegenteil: Die Zinsen sind doppelt so hoch wie in den USA. Die Banken halten sich mit der Kreditvergabe zurück. Statt Vertrauen zu bilden, wird das Land mies geredet. Die Steigerung der Einkommensungleichheit wird als Stimulus für mehr Leistungsbereitschaft erklärt.
Ausgabenkürzungen finden überwiegend auf Kosten der Ärmeren statt und Steuererhöhungen (zumal für die Reicheren) werden zum konjunkturellen Gift erklärt.
Immerhin fängt die Bundesregierung jetzt an, Impulse bei der technologischen Innovation zu setzen.

Natürlich hatte die damalige amerikanische Situation ihre Besonderheiten und schon gar nicht kann man sie mit der heutigen Situation in Deutschland vergleichen (schon allein deshalb nicht, weil unser Haushaltsdefizit zum Teil durch die rund 1250 Milliarden Transferleistungen in die neuen Bundesländer verursacht wurde), aber anders als unsere “Wirtschaftssachverständigen” kommt Stiglitz zu dem allgemeinen Ratschlag: “Moderate Defizite (hinzunehmen), die in dem Maße abgebaut werden, wie die Konjunktur wieder tritt fasst, (sind) der beste Weg, um Vertrauen wiederherzustellen” (S. 75).
“Der Abbau der Haushaltsdefizite (was ja de facto nicht einmal gelungen ist) löste in Europa bislang keinen Aufschwung aus, und er wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht tun.” (S.78), meint Stiglitz und fügt hinzu, “dass eine expansive Fiskalpolitik erwiesenermaßen die beste Arznei gegen einen konjunkturellen Abschwung ist” (S. 77).
“Eine fein abgestimmte kreditfinanzierte Erhöhung der Staatsausgaben dagegen hätte die Konjunktur kurzfristig beleben und Wachstum langfristig stärken können” (S. 79).
Die von Bush Senior durchgesetzten Steuersenkungen (wie bei uns vor allem für die Kapitaleinkünfte) verfehlten sowohl kurzfristig als auch langfristig ihr Ziel.

Stiglitz kritisiert scharf die 3%-Grenze das Maastrichter Vertrages: “Daher waren der Europäischen Zentralbank die Hände gebunden, als sich die Konjunktur in Europa im Jahr 2001 abschwächte. Sie verzichtete weitgehend auf Zinssenkungen, und die einzelnen Regierungen konnten die Konjunktur nicht durch Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen ankurbeln – in krassem Gegensatz zu den USA..” (S. 106)

Vergleicht man diese ökonomischen Erfahrungen und Einsichten mit der Debatte bei uns, so bleibt das traurige Fazit: Unsere Ökonomen haben aus den neunziger Jahren nichts gelernt. Sie empfehlen noch immer die Rezepte der Reaganomics, die da lauten: Sparen bei den Schwachen bei gleichzeitiger Steuersenkung für die Reichen, Entstaatlichung oder kurz: “Starve the Beast”.


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