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Titel: Syrizias Entgegenkommen

Datum: 8. Mai 2015 um 14:27 Uhr
Rubrik: Europäische Union, Griechenland, Schulden - Sparen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Eine interessante kleine Meldung stand in der FAZ vom 2. Mai: Die Europafiliale von Goldman Sachs empfiehlt neuerdings den Kauf spanischer Aktien. Die Begründung: Die Schwierigkeiten der Syriza-Regierung in Athen und die Tatsache, dass sie ihr Wahlprogramm nur sehr begrenzt realisieren kann, habe dazu beigetragen, dass Podemos in den spanischen Umfragen an Boden verliert. Ob der unterstellte Zusammenhang zwischen den Problemen der Regierung Tsipras und den Umfragewerten für Podemas zu verifizieren ist, ist gar nicht so wichtig. Denn schon indem Goldman Sachs einen solchen Zusammenhang herstellt, ergibt sich eine politische Wirkung. Sie erinnert uns daran, dass die (über)optimistische Erwartung, ein Sieg der Linken in Griechenland würde die gesamte europäische Linke beflügeln, auch ihre Kehrseite hat. Wenn das Unternehmen Syriza misslingt oder eine Episode bleibt – ein „Ereignis in Parenthese“, wie man in Griechenland sagt – hat nicht nur die griechische Linke für längere Zeit verspielt. Auch im europäischen Maßstab hätten dann die neoliberalen Krisenmanager ihre Vorherrschaft langfristig abgesichert. Von Niels Kadritzke

Es liegt nahe, diesen gesamteuropäischen Zusammenhang als zentralen Erklärungsfaktor für die unnachgiebige Verhandlungslinie, zu sehen, die der „harte Kern“ der Eurozone gegenüber Griechenland eingeschlagen hat. Die Logik liegt auf der Hand: Indem ein Erfolg der Syriza-Regierung verhindert wird, kann man alle aufmüpfigen bis rebellischen Kräfte in anderen EU- und Euro-Ländern entmutigen. Diese plausible These lässt jedoch eine wichtige Frage offen: Welcher Maßstab soll für einen „Erfolg“ der Syriza gelten? Die ausländischen Sympathisanten und Anhänger von Tsipras sind sich darüber keineswegs einig. Und viele von ihnen würden erhebliche Abstriche am Wahlprogramm der Syriza zweifellos als „Verrat“ oder „Unterwerfung“ verurteilen.

Transparenz und Ehrlichkeit gegenüber den Wählern

Tsipras selbst und ein Großteil seiner Regierung sieht das anders. Sie sind dazu verdammt, bereits einen „ehrenvollen Kompromiss“ als Erfolg zu empfinden. Wobei das Problem ist, dass das Kriterium „ehrenvoll“ dehnbar ist und nur im Licht der realen Möglichkeiten definiert werden kann. In diesem Punkt hat Alexis Tsipras letzte Woche eine klärende Feststellung gemacht: Ein Kompromiss könne auch den Rückzug von den eigenen Positionen erforderlich machen, allerdings müsse man das dann auch den Wählern offen darstellen und plausibel machen.

Der Regierungschef setzt also auf das Prinzip der Transparenz und der Ehrlichkeit, das auch das Eingestehen von Fehlern einschließt: „Fehler und Versäumnisse gehören nun mal zur menschlichen Existenz“, sagte Tsipras letztes Wochenende in einem langen Interview mit dem TV-Sender Star, „und das Beste, was eine Regierung tun kann, ist aus den Fehlern zu lernen.“ Genau das unterscheide seine Regierung von ihren Vorläufern.

Die Äußerung bezog sich zwar auf eine Frage nach der „Neuorganisierung“ seines Teams für die Verhandlungen mit der „Brüsseler Gruppe“. Aber sie ist auch ein Signal für die prinzipielle Bereitschaft zur Selbstkritik und zur Flexibilität in Positionen, die sich als nicht durchsetzbar erweisen.

Varoufakis und das „Fiasko von Riga“

In welchen Punkten sich substantielle Zugeständnisse der Syriza-Regierung abzeichnen, die eine „ehrenvolle“ Vereinbarung ermöglichen sollen, werde ich später darlegen. Zunächst noch einige Anmerkungen zur Causa Varoufakis. Wenn ich unseren Lesern das Interview zugänglich machen wollte, dass der Finanzminister nach dem von allen Medien kolportierten „Fiasko von Riga“ gegeben hat, dann nicht nur, um die „Gegendarstellung“ des viel gescholtenen Ministers zu verbreiten. Aus dem Interview kann man auch erfahren, wie intelligent, überzeugend und – ja – pragmatisch und realitätsnah der Intellektuelle Varoufakis argumentiert, und wie klar er die verhängnisvollen Wirkungen eines Grexit oder Graccident einschätzt.

Vor allem aber spürt man den tiefen Zwiespalt, in dem sich der realistische Ökonom Varoufakis gegenüber dem Realpolitiker gleichen Namens befindet. Der erste ist nach wie vor fest überzeugt von der Notwendigkeit eines Schuldenschnitts; der zweite musste erfahren, dass diese logische und vernünftige Einsicht derzeit keine reale Durchsetzungschance hat. Angesichts dessen muss sich der Finanzminister tagtäglich um die Frage kümmern, wie man das Geld zusammenkratzen kann, um einen sofortigen Graccident zu verhindern. In der Hoffnung, in einer späteren Verhandlungsphase möge die Einsicht obsiegen, dass eine Schuldenentlastung für Griechenland unvermeidbar ist. Eine Entlastung, die übrigens ein Versprechen der alten Troika“ aus dem Jahr 2011 darstellt, das unter der Bedingung gegeben wurde, dass in Athen ein Überschuss des Primärhaushalts erzielt wird. Was inzwischen geschehen ist und was auch die Regierung Tsipras anstrebt.

Man fragt sich angesichts dessen, wie Varoufakis es schafft, nicht verrückt zu werden. Zumal er ständig Zuspruch von anderen intelligenten und realistischen Ökonomen und Beobachtern bekommt. Wie zuletzt von Mohammed El Erian, der durchaus ein Mann des Marktes ist. Der Chefberater des Allianz-Konzerns schrieb am 4. Mai in einem Gastkommentar für Bloomberg, die Gläubiger Griechenlands müssten endlich „eine Wahrheit akzeptieren, die Varoufakis ihnen ständig klarzumachen versucht hat: dass Reformen der griechischen Wirtschaft, und seien sie noch so kühn, erfolglos bleiben werden, wenn man nicht die strengen Haushaltsauflagen lockert und eine weitere Schuldenentlastung gewährt…“

Verständnis für Varoufakis vom Allianz-Chefberater

El Erian versteht also sehr gut, dass Varoufakis – auch bei den Verhandlungen der Eurogruppe – von Ungeduld getrieben ist und versucht hat, seine Kollegen „wachzurütteln“. Er benennt aber auch das Problem: „In seinem Bestreben, eine big bang-Lösung zu erreichen, hat er die kleinen vertrauensbildenden Schritte vernachlässigt, die dafür notwendig sind.“

Das hat wohl auch Tsipras im Auge, wenn er von Fehlern spricht, aus denen man lernen müsse. Ob dies Varoufakis und seinen Kollegen gelingt, wird man abwarten müssen. In jedem Fall bleibt der Finanzminister – wie der Regierungssprecher am 4. Mai noch einmal hervorhob – Leiter des Team der griechischen Unterhändler mit der „Brüsseler Gruppe“ und genießt nach wie vor das Vertrauen der Regierung. Auch zum nächsten Treffen der Euro-Finanzminister am 11. Mai wird Varoufakis nach Brüssel reisen. Davor konzentriert er sich auf Gespräche mit den Finanzministern, zu denen er einen besseren Draht hat. So reiste er diese Woche zu den Kollegen Padoan in Rom und Sapin in Paris, und dann weiter nach Brüssel zu seinem speziellen Freund, EU-Finanzkommissar Moscovici. All diese Gespräche beurteilte Varoufakis als fruchtbar und konstruktiv; auch Mosovici meldete „bedeutende Fortschritte“ in den Verhandlungen, ohne allerdings von einem Durchbruch der Euro-Finanzminister am 11. Mai zu sprechen.

Trotz der aktiven Rolle von Varoufakis: Die wichtigen Gespräche werden neuerdings von dem „Koordinator“ des Teams, Tsakalotos, und Vize-Premier Dragasakis geführt, der ohnehin als eine Art Superminister für die Bereiche Wirtschaft und Finanzen fungiert. Beide fuhren am Dienstag nach Frankfurt, um politische Gespräche mit EZB-Präsident Draghi zu führen, die für Athen von herausragender Bedeutung sind. Denn in Frankfurt wird darüber entschieden, ob die griechischen Banken den finanziellen Spielraum bekommen, um den griechischen Staat durch Ankauf von T-bills noch bis Ende Mai über Wasser zu halten.

Die Rolle der EZB wird immer wichtiger

Nach Berichten der Athener Presse waren die Gespräche in Frankfurt freilich nicht besonders erfolgreich. Zwar hat die EZB am Mittwoch der griechischen Zentralbank weitere 2 Mrd. Euro an ELA-Mitteln bewilligt, die für die Liquidität der griechischen Banken unabdingbar sind. Aber Draghi wiederholte die Drohung, die Bewertung griechischer Staatspapiere zu senken, die den Athener Banken als Sicherheit (collateral) bei weiteren Käufen von T-Bills vorweisen müssen. Damit würde die Fähigkeit dieser Banken, den Fiskus zahlungsfähig zu halten, erheblich beschnitten.

Diese Frage ist auch deshalb so wichtig, weil sich der Zeithorizont für den angestrebten Kompromiss zwischen Athen und der Brüsseler Gruppe weiter verschoben hat. Niemand geht noch davon aus, dass eine endgültige Vereinbarung bis zum 11. Mai noch möglich ist. Bis zu diesem Zeitpunkt strebt die griechische Seite jetzt nur noch eine erste „positive Evaluierung“ ihres Reformpakets an, das wenigstens die Auszahlung der Zinsgewinne von 1,9 Mrd. Euro ermöglicht, die bei der EZB für die dort lagernden griechischen Bonds aufgelaufen sind. Das würde knapp ausreichen, um die bis 12. Mai fälligen Rückzahlungen von IWF-Krediten zu gewährleisten.

Schon jetzt ist klar, dass die Regierung ohne finanzielle Zufuhr „von außen“ am Ende dieses Monats, wenn der Großteil der Gehälter und Renten ausgezahlt werden muss, nicht mehr zahlungsfähig wäre. Zwar hat sie sich – durch eine „Notverordnung“ und politischen Druck – eine Art Liquiditätsreserve von den Kommunen, öffentlichen Betrieben und Institutionen wie auch von den Sozialkassen beschafft (siehe dazu meinen letzten Bericht vom 28. April). Die Kassen haben zugesagt, der Zentralbank insgesamt 290 Millionen Euro zu überweisen, wobei die größten Summen von der IKA (der griechischen AOK) und der Versicherungskasse der selbständigen Berufe (ETAA) stammen. Diese Kassen haben allerdings ein Problem: Da sie die geforderten Gelder von ihren Konten bei Geschäftsbanken abziehen müssen, sind dafür hohe Strafgebühren fällig. Das Finanzministerium hat deshalb die Banken gebeten, sich gegenüber den Kassen „flexibel“ zu zeigen (weitere Details in einem Bericht der Kathimerini vom 1. Mai).

Die eingetriebenen Summen sind aber weit geringer als erwartet (anfangs war von erhofften 2,5 Mrd. Euro die Rede). Hinzu kommt, dass diese kurzfristig transferierten Gelder von Kassen stammen, die großenteils auf staatliche Subventionen angewiesen sind. Hier werden also Löcher gestopft, die den künftigen Subventionsbedarf nur noch weiter erhöhen; zumal die an die Zentralbank überwiesenen Gelder von dieser mit 2,5 Prozent verzinst werden.

Ein Staat, der sich sein Geld auf rechtlich so problematische und auch kostspielige Weise zusammen kratzen muss, pfeift tatsächlich aus dem letzten Loch. Zumal die zuvor von den Gemeinden und öffentlichen Unternehmen „konfiszierten“ Gelder bereits großenteils für die letzten April-Gehälter ausgegeben. Die Rückzahlung von 890 Millionen Euros an den IWF zum 12. Mai ist damit ebenso wenig abgedeckt wie die Gehalts- und Pensionszahlungen, die Ende Mai fällig werden.

Der Zeithorizont der Athener Regierung

Von der fiskalischen Front kommen weitere Hiobsbotschaften. Nach einem Zeitungsbericht, der sich auf das Finanzministerium beruft (Kathimerini vom 30. April) werden die Steuereinnahmen des Monats April um mindestens 400 Millionen unter dem erwarteten Aufkommen liegen.

Noch viel größere Gefahr droht von einer anderen Seite. Bis 11. Mai will das Oberste Verwaltungsgericht des Landes (Symvoulio tis Epikratias, StE) ein letztinstanzliches Urteil über die Ansprüche von Staatspensionären fällen, die gegen die Kürzung ihrer Altersbezüge geklagt haben. Bekämen die Kläger Recht, würde dem Fiskus eine zusätzliche Belastung von bis zu 4,5 Mrd. Euro drohen, was alle Haushaltsplanungen zur Makulatur machen würde.

Was heißt das für die inhaltliche und zeitliche Strategie der Regierung? Bis Anfang nächster Woche muss von irgendwo Geld herkommen. Und nachdem die Barmittel aller öffentlichen Institutionen abgeschöpft sind, kommen nur zwei Quellen in Frage: die Erträge neuer T-bills oder Geld von den Gläubigern, sei es von der EU oder der EZB, wobei letztere die entscheidende Instanz ist. Denn sie muss im ersten Fall den Absatz kurzfristiger Bonds ermöglichen, oder im zweiten Fall die Zinsen für die von ihr gehaltenen langfristigen griechischen Obligationen nach Athen überweisen.

Zwar konnten in Athen vor zwei Tagen noch einmal T-Bills mit einer Laufzeit von sechs Wochen in Höhe von 1,14 Milliarden Euro verkauft werden. Ohne diese Einnahme hätte Athen nicht über die 200 Millionen Euro verfügt, die am selben Tag als Rückzahlung an den IWF fällig waren. Aber die T-Bills wurden eben nur von einheimischen Banken gekauft, da es derzeit keine ausländischen Interessenten gibt. Wie lange sich der griechische Staat auf diese Weise noch „von der Hand in den Mund“ finanzieren kann, hängt wiegesagt davon, ob die EZB den Spielraum für derartige Käufe erweitert oder einschränkt.

Um die Gläubiger und insbesondere der EZB zu einer dieser finanziellen Rettungsaktionen zu „erweichen“, hat das „ökonomische Kernkabinett“ am Sonntag eine neue Strategie beschlossen. An der Diskussion im Amtssitz von Tsipras waren (nach dem Bericht der regierungsnahen Efimerida ton Syntakton vom 4. Mai) alle wirtschafts- und finanzpolitischen Köpfe der Regierung beteiligt, also Vize-Regierungschef Dragasakis, Varoufakis, Tskakalotos und Stathakis. Der Plan sieht vor, mit der Vorlage neuer Kompromissvorschläge mehrere wichtige kontroverse Punkte bis zur Eurofin-Runde vom 11. Mai beizulegen. Aufgrund eines ermutigenden Zwischenberichts der Euro-Minister könnte dann die EZB jene Geldspritze bewilligen, die erforderlich ist, um den IWF-Kredit zum 12. Mai bedienen zu können.

Entscheidend an dem Plan ist, dass die beiden wichtigsten strittigen Themen (Arbeitsmarkt und Renten bzw. Sozialkassen) einerseits kein Tabu mehr sind, andererseits aber zunächst ausgespart bleiben sollen. Man will sie in die „Hauptverhandlungen“ verschieben, die nach der angestrebten „Zwischenlösung“ beginnen sollen. Darauf scheint sich Tsipras in einem Gespräch mit EU-Kommissionschef Juncker am Mittwoch geeinigt zu haben.

Dafür will man diese zweite Verhandlungsphase beschleunigt angehen, in der die schwierigen Themen auf den Tisch kommen – aber endlich auch ein „positives“ Programm und eine langfristige Strategie der Wirtschaftsbelebung. Diese schwierigen Verhandlungen will man jetzt bis spätestens Anfang Juni abschließen (und nicht, wie am 20. Februar vereinbart, erst Ende Juni).

Zu einem Kompromiss gehören zwei

Natürlich kommt alles darauf an, ob die Partner und Gläubiger auf diesen Plan eingehen. Die ersten Signale aus Brüssel, Frankfurt und Washington sind widersprüchlich und – wie schon in den letzten beiden Wochen – in fast täglich wechselnder Tonlage zwischen Ermutigung, väterlicher Ermahnung und handfester Drohung. Seit einigen Tagen dominiert wieder eine optimistischere Sicht der Dinge. Zum Beispiel bei dem Chefökonomen der Londoner Berenberg Bank Holger Schmieding. Er sah Anfang der Woche eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent für einen Kompromiss in letzter Stunde, der den griechischen Verbleib in der Eurozone sichert (Bloomberg 4. Mai).

Das aber erfordert nicht nur Flexibilität auf griechischer Seite. Sondern auch strategisches Denken und „guten Willen“ bei den Verhandlungspartnern, der bislang noch nicht zu sehen ist. Zwar hoffen Varoufakis und Tsipras immer noch, am Ende die konzilianteren Partner, etwa Rom und Paris, und vor allem auf den Kommissionsvorsitzenden Juncker als Fürsprecher zu gewinnen. Aber in Athen hat man schon des öfteren vergeblich auf diese „Verbündeten“ gehofft, die es letztlich nie wagten, die Berliner Linie zu verlassen (die allerdings auch von den meisten kleineren Euro-Partnern unterstützt wird, und zwar durchaus nicht unter Druck).

In Athen sieht man heute sehr klar, dass eine Einigung in dieser Phase von Griechenland zwei Dinge voraussetzt: erstens ein einigermaßen glaubwürdiges Zahlenwerk über die Entwicklung der öffentlichen Finanzen, was zweitens eine Reihe von Maßnahmen und Reformen voraussetzt, die auch die wichtigsten Erwartungen/Forderungen der Partner/Gläubiger berücksichtigt. Das heißt aber, dass die griechische Seite eine Reihe von „roten Linien“ überschreiten, sich also mit Themen befassen muss, die eigentlich auf ihrer Tabuliste stehen.

Was die Diskussion um diese Tabuthemen betrifft, so muss die Ex-Troika ihrerseits beweisen, dass sie im Sinne eines „beiderseits akzeptablen Kompromisses“ auch der Regierung Tsipras einen Verhandlungserfolg zugesteht. Sie muss also endlich aufhören, den Griechen „eine Lektion erteilen zu wollen“. Solange die maßgeblichen Akteure der Eurozone diese psychologisch „harte Linie“ nicht verlassen, steuern sie – ob gewollt oder ungewollt – auf einen „Bruch“ mit der Regierung Tsipras hin.

Verglichen mit den Euro-Politikern ist Tsipras ein Staatsmann

Dies ist kein „linker“ Vorwurf an den Euro-Partnern Griechenlands. Sie wird vielmehr von einem in der Wolle gefärbten Liberalen vorgebracht. Clive Crook ist leitender Redakteur beim Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg und hat für die Financial Times und den Economis kommentiert. Crook schrieb noch vor dem Rigaer Treffen (am 22. April bei Bloomberg), die Partner Griechenlands wollten die Regierung Tsipras in die Knie zwingen, indem sie demonstrieren, dass die Syriza alle ihre Wahlversprechen brechen muss. Dieser Kurs sei eine Katastrophe, weil er auf einen Grexit zu steuere, den Crook für eine große Gefahr hält – für Griechenland wie für die EU insgesamt. Denn das Letzte, was die noch fragile EU brauche, sei eine Grexit-Krise. Er befürwortet ein Programm mit langem Atem, einer fiskalischen Entlastung und einem neuen Programm, das Griechenland wirtschaftliche Entwicklung und auf lange Sicht stabile Finanzen sichert. Aber deshalb müsse die Drohung eines sofortigen finanziellen Zusammenbruchs gestoppt werden.

Der Erzliberale Crook ist kein Freund der Syriza-Regierung, dem er „taktische Unfähigkeit“ vorwirft. Aber sein Hauptvorwurf geht an die Partner Griechenlands, die er wie Gegner agieren sieht. Denn statt Tsipras zu helfen, einen erträglichen Kompromiss zu erzielen, wolle man ihn demütigen, auf die Knie zwingen. „Tsipras hat einen schrecklichen Job abgeliefert“, lautet das Fazit des liberalen Kommentators, „aber verglichen mit all den übrigen europäischen Politikern steht er wie ein Staatsmann da.“

Die bereits vollzogenen Abstriche am Syriza-Programm

Im übrigen weist Crook darauf hin, dass die Regierung Tsipras bereits erhebliche Abstriche an ihrem Wahlprogramm gemacht hat. Das ist eine sehr höfliche Formulierung. Tatsächlich hat die Syriza bereits in allen wichtigen Punkten ihres Wahlprogramms nachgegeben. Ich nenne nur die wichtigsten fünf Beispiele:

  1. Renten:
    Das Versprechen, für die niedrigsten Renten eine 13. Rente auszuzahlen, kann nicht eingehalten werden. Dafür fehlt den Kassen das Geld; und auch der Staat kann die nötigen Subventionen nicht aufbringen.
  2. Mindestlohn
    Der allgemeine Mindestlohn wird nicht sofort erhöht, vielmehr soll die Erhöhung etappenweise bis Ende 2016 erfolgen, und zwar in Absprache mit Gewerkschaften und Arbeitgebern.
  3. Steuern
    1. Die versprochene Anhebung der Schwelle eines steuerfreien Einkommens auf 12 000 Euro pro Jahr (von bisher 5000 Euro) wird auf 2016 verschoben
    2. Die unbeliebte Einheitliche Immobiliensteuer (ENFIA) wird nicht abgeschafft und wie versprochen durch eine sozial gerechtere Steuer ersetzt, die auf Immobilien der gehobenen Preisklasse beschränkt ist (FMAP). Sehr wahrscheinlich wird die alte ENFIA auch noch (mindestens) 2015 erhoben, weil der Staat auf diese Einnahmequelle ( 2,65 Mrd. Euro wurden 2014 erzielt) nicht verzichten kann. Womöglich wird sie aber geringer ausfallen, weil als Bemessungsgrundlage die (niedrigeren) Marktpreise gelten sollen.
  4. Entlassungen im öffentlichen Sektor
    Die sofortige Wiedereinstellung aller Entlassenen ist nicht erfolgt (noch nicht einmal im Fall der Putzkräfte des Finanzministeriums, die monatelang bis zum Wahlsieg der Syriza ihre alte Arbeitsstätte belagert hatten). Die Kosten der Wiedereinstellung müssen erst im einzelnen durchgerechnet und durch andere Einsparungen finanzierbar gemacht werden.
  5. Privatisierungen
    Die laufenden Privatisierungsverfahren wurden nicht gestoppt und die vollzogenen Privatisierungen werden nicht überprüft, wie es im Wahlprogramm vorgesehen war (dazu ausführlich weiter unten).

Diese und andere Maßnahmen, die den Ankündigungen des Syriza-Wahlprogramms zuwiderlaufen, erfolgten keinesfalls auf „Befehl“ der Brüsseler Institutionen. Viele Abstriche an den Wahlversprechen muss die Regierung angesichts des vorgefundenen Kassenstands – und der weiter schrumpfenden Steuereinnahmen – in eigener Verantwortung beschließen. Tsipras selbst hat ehrlicherweise eingeräumt, dass man die ENFIA nur abschaffen könne, wenn 2015 ein Wirtschaftswachstum von mindestens 1,4 Prozent erreicht wird (die Prognosen liegen derzeit bei 0,5 bis 1, 0 Prozent BIP-Zuwachs und gelten eher als zu optimistisch). Dabei stellte er explizit klar: „Wenn wir es nicht schaffen, hat das nichts mit der Troika zu tun, sondern mit unseren eigenen Prioritäten. Die Abschaffung der ENFIA hängt mit von unserer wirtschaftlichen Entwicklung ab, von den Chancen, unsere Ziele zu erreichen.“(Interview mit dem TV-Sender Star am 28. April).

Zu einem großen Teil sind diese von der (ökonomischen) Realität diktierten Abstriche am eigenen Programm jedoch gleichbedeutend mit „Konzessionen“ an die Verhandlungspartner: Viele der erzwungenen Korrekturen entsprechen den Forderungen der alten Troika wie auch der Vereinbarung, die am 20. Februar mit den nicht mehr Troika genannten „Institutionen“ unterzeichnet wurde. Das gilt etwa für die Themen Mindestlohn, ENFIA und Privatisierungen.

Ich werde in meinem nächsten Beitrag die wichtigsten strittigen Punkte darstellen, die bislang verhindern, dass die Vereinbarung vom 20. Februar in ein konkretes griechisches „Reformprogramm“ umgesetzt wurde, das die Gläubiger abzusegnen bereit sind. Es handelt sich um die Fragen,

  • wie zusätzliche Steuereinnahmen generiert werden können;
  • mit welchen Mitteln und in welchem Zeitraum die Sozialkassen saniert werden sollen;
  • ob und wann weitere „Reformen“ im Bereich Arbeitsbeziehungen und Arbeitnehmerrechte gefordert werden;
  • nach welchen Kriterien und unter welchen Bedingungen weitere Privatisierungen erfolgen sollen.

Dazu mehr in der Fortsetzung dieses Beitrags Anfang nächster Woche.


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