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Titel: Wer spaltet die Ukraine?

Datum: 21. Mai 2015 um 11:27 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Rechte Gefahr
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Textauszug aus Ulrich Heydens neu erschienen Buch „Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine“ [*].
Mit freundlicher Genehmigung des PapyRossa Verlags veröffentlichen wir die Einleitung zum ersten Kapitel „Technologie eines Umsturzes“.

1. Wer spaltet die Ukraine?

Technologie eines Umsturzes

»In einer Lage des eskalierenden Blutvergießens hat das Parlament, damals die vielleicht letzte funktionierende Institution des Staates, zur Bändigung der Krise seine Kompetenzen durch eine Blitz-­Verfassungsreform und die ebenso rasche Absetzung des gewählten Präsidenten zweifellos weit überdehnt.« [1]
FAZ-Korrespondent Konrad Schuller am 24. Februar 2015 zum Jahrestag des Machtwechsels in Kiew

Als ich im Januar 2014 auf dem Maidan in Kiew durch die Reihen der grünen Armeezelte wanderte, in denen die Demonstranten schliefen, kam ich mit einem Mann aus der Westukraine ins Gespräch. Er war etwa 40 Jahre alt. Welche Länder unterstützen den Maidan, wollte ich wissen? Ganz stolz antwortete er, »beim letzten Maidan (2004, U. H.) haben uns die USA noch geholfen, aber diesmal machen wir alles selber. Alles ist selbstorganisiert.«

Tatsächlich, auf den ersten Blick sah alles selbstorganisiert aus. Frauen liefen mit Tabletts durch die Menge und boten den hungrigen Demonstranten belegte Brote an. Frauen aus Kiewer Stadtteilen, brachten getragene Winterkleidung für die Aktivisten. Alles sah spontan und volkstümlich aus. Man sah alte Männer mit langen grauen Bärten, grünen Militärhelmen, Stöcken und grimmigem Gesichtsausdruck. Aber es gab auch kräftige junge Männer mit modernen Ski­helmen und schwarzen Gesichtsmasken. So intelligent, wie sie sprachen, konnte man sich vorstellen, dass sie tagsüber in Kiewer Büros saßen.

Im Schnellrestaurant »Zwei Gänse«, direkt am Kreschatik-Boulevard, traf ich mich mit Nina Potarskaja. Sie ist Mitglied der Gruppe »Linke Opposition« und arbeitet im Zentrum für Sozial- und Arbeitsforschungen, das vom Milliardär George Soros und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert wird. Die Verständigung war nicht einfach, denn in dem Restaurant ging es ziemlich laut zu. Es war brechend voll. An den Tischen saßen Maidan-Demonstranten in Ski­anzügen und müde ARD-Journalisten. Man tauschte Neuigkeiten aus, döste vor sich hin oder aß etwas.

Nina erzählte, wie schwer es für Linke war, auf dem Maidan aufzutreten. Die Rechten hätten von Anfang an die Initiative gehabt. Auf der Rednertribüne kamen Linke nicht zu Wort. Schon Ende November 2013 wurden linke Plakate zerrissen. Und am 4. Dezember 2013 wurde dann der Gewerkschaftsaktivist Denis Lewin zusammengeschlagen, als er Flugblätter verteilte. Von der Bühne herab habe jemand gerufen, »da verteilt ein Kommunist Flugblätter, gibt es hier Männer, die den Typen vertreiben?« Und dann hatten 60 entschlossene Männer Denis umringt und ihn mit Faustschlägen vertrieben.

Die Genossen von der linken Organisation Borotba (Kampf) seien dann nicht mehr auf den Maidan gegangen, weil das »nichts bringe«, erzählt Nina. Doch die Aktivistin sagte, es sei wichtig, auf den Maidan zu gehen. Dort gäbe es viele kritisch denkende Bürger, und man müsse mit ihnen sprechen und versuchen, sie für soziale Forderungen wie kostenlose gesundheitliche Versorgung und kostenlose Bildung zu begeistern.

Nina war rund um die Uhr beschäftigt. Zusammen mit anderen Aktivisten versuchte sie zu verhindern, dass verwundete Demonstranten, die im Krankenhaus lagen, von der Polizei verhaftet wurden. Auch Rechte schütze sie vor Verhaftungen, erzählte die Aktivistin. »Früher haben wir gegen die Fußball-Ultras aus Charkow gekämpft. Heute holen wir sie aus dem Krankenhaus.« Warum? »Wir kämpfen jetzt alle gegen den Polizeistaat.« Dabei sei sie gegen gewaltsame Aktionen und rate auch anderen linken Aktivisten, sich nicht daran zu beteiligen. Aber viele Anarchisten könne man schon nicht mehr zurückhalten. Nachdem die Polizei mit Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgehe, würden die Anarchos Seite an Seite mit den Nationalisten Steine auf Berkut-Polizisten werfen.

Der Rechte Sektor sieht sich als nationale Avantgarde

Wer den Maidan begreifen will, kommt mit Schubladendenken nicht weiter. In Donezk traf ich Anhänger einer Föderalisierung der Ukraine, die mir allen Ernstes erzählten, sie hätten mit den örtlichen Maidan­Aktivisten sehr gute Diskussionen gehabt und einige Gemeinsamkeiten festgestellt.

Doch dass der Einfluss der Nationalisten und Rechtsextremen auf diese spontane Massenbewegung ständig wuchs, ist ein Fakt. Was war der Grund? Die extremen Rechten waren die Einzigen, die auf außerordentliche, außerparlamentarische Situationen vorbereitet waren. Sie hatten sich bereits an der orangenen Revolution 2004 beteiligt, veranstalteten paramilitärische Trainingslager, führten regelmäßig straff organisierte Fackelmärsche zum Andenken an ihr Vorbild Stepan Bandera (1909 – 1959) durch und träumten von einer »nationalen Revolution«, nicht aber von der EU. In einer im Januar 2014 veröffentlichten Erklärung sprach sich der Rechte Sektor gegen den Beitritt der Ukraine zur EU aus. Diese sei eine Struktur »zur Unterdrückung der europäischen Völker».

Dass sich der Massenprotest in der Ukraine entzündete, weil Präsident Viktor Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnen wollte, störte den Rechten Sektor nicht im Geringsten, ein ganz anderes Ziel auf die Tagesordnung zu setzen: Die »nationale Revolution«. Dass dieses Ziel noch nicht aufgegeben wurde, zeigen auch die immer wiederkehrenden Drohungen eines »dritten Maidan«. Diese Forderung kommt insbesondere aus den Reihen der von Rechtsextremen gebildeten Freiwilligen-Bataillone, die in der Ostukraine gegen die Separatisten kämpfen und ihre militärischen Aktionen nicht immer mit dem Oberkommando der ukrainischen Armee abstimmen.

Der Führer des Rechten Sektor, Dmitri Jarosch, der an der Ostfront im Einsatz ist und im Januar 2015 eine Arm- und Kopfverletzung in einem Krankenhaus auskurierte, gab Ende des Monats die Bildung eines »parallelen Generalstabs« bekannt [2]. Die Vorbereitungen dafür liefen schon. Den derzeitigen Generalstab halten die Rechten für unfähig. Unter den rechten Bataillonen geht sogar das Gerücht um, der Generalstab habe die eigenwilligen Freiwilligen-Bataillone bei den Kesselschlachten von Amwrosjewka und Ilowajsk im Sommer 2014 absichtlich verheizt, um sie loszuwerden.

Zwischen der ukrainischen Regierung und dem Rechten Sektor kommt es immer wieder zu Spannungen. In der Nacht vom 24. auf den 25. März 2014 wurde Aleksandr Musyko, der Koordinator für den Rechten Sektor in der Westukraine, bei einer Spezialoperation der Polizei unter ungeklärten Umständen getötet. Der Rechte Sektor machte Innenminister Arsen Awakow für den Tod verantwortlich.

Lange bemühte sich die Führung der ukrainischen Streitkräfte, die rechtsradikale Organisation in die offiziellen Militärstrukturen zu integrieren – und hatte schließlich Erfolg: Am 5. April 2014 wurde Dmitri Jarosch zum Berater des ukrainischen Generalstabschefs ernannt. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Jarosch den »Rechten Sektor« zu einer Freiwilligen-Brigade des Heeres umformen will, ähnlich dem Kaitselit, dem »Verteidigungsbund« in Estland. Man muss nun damit rechnen, dass Jarosch noch mehr Einfluss auf die Kriegsführung in der Ostukraine bekommt.

Kurz vor seiner Ernennung zum Berater des Generalstabschef forderte der Chef des Rechten Sektor gegenüber dem ukrainischen Internetportal Obresowatel, eine »Säuberung« der Ostukraine. Nach dieser Säuberung werde es dann eine »zarte Ukrainisierung« geben. Im Donbass gebe es einen »realen Sowok« (abfälliges Wort für sowjetische Kultur und Lebensart), und den müsse man »herausfischen«. »Sehr hart muss man mit denen arbeiten, die nicht nach den Regeln und Gesetzen leben wollen. Deportation, Aberkennung der Bürgerrechte und so weiter.« Ohne derartige Methoden könne man »die Situation nicht ändern.« [3]

Im März 2014 schlug Dmitri Jarosch, der Chef des Rechten Sektor, vor, eine Gaspipeline zu sprengen. So könne man Russlands Exporteinnahmen verringern.

Im März 2015 forderte der ukrainische Geheimdienstchef, Walentin Naliwajtschenko, alle Freiwilligen-Bataillone, die nicht in die Struktur der ukrainischen Armee eingebunden sind, auf, sich in die offiziellen Strukturen einzugliedern oder das Gebiet der Anti-Terror-Operation in der Ostukraine zu verlassen. Die Aufforderung kam just nach der Absetzung des Gouverneurs des südostukrainischen Gebietes Dnjepropetrowsk, Igor Kolomoiski, einem der Sponsoren des Rechten Sektor. Die Machtstrukturen in Kiew fürchteten offenbar, dass Kolomoiski mit den Einheiten des Rechten Sektor »in seinem Gebiet« eigene, separatistische Interessen durchsetzen könne. In Kiew läuteten die Alarmglocken. Nach der Absetzung von Kolomoiski schlug dessen Stellvertreter, Gennadi Korban, Töne an, die man bisher nur aus den ostukrainischen »Volksrepubliken« gehört hatte. Korban erklärte, Kiew habe bisher nur von Dezentralisierung des Landes gesprochen, aber nichts dafür getan.

Noch einmal zurück zum Maidan: Die etwa 100 Menschen, die im Februar 2014 im Zentrum von Kiew starben, nutzten die Rechten geschickt für die Schaffung eines nationalen Revolutionsmythos. Auf großen Gedenkveranstaltungen wurde mit Gebeten und Gesängen der »Nebesi sotni« (»Himmlische Hundertschaft«) gedacht.

Nina erzählte, dass die Nationalisten und Aktivisten des Rechten Sektor straff in Fünfergruppen organisiert seien. Jede Gruppe habe eine Nummer und jeden Abend gebe es am Prachtboulevard Kreschatik ein Straßenkampftraining für Interessierte. Unter Anleitung erfahrener Nationalisten lernten die neu dazu Gekommenen, wie man feste Reihen bildet und mit dem Knüppel richtig zuschlägt.

Wie viel Einfluss der Führer der rechtsextremen Swoboda-Partei Oleg Tjagnibok hat? Nina winkt ab. Tjagnibok habe schon lange keinen Einfluss mehr auf den Maidan, meint die Aktivistin. Und tatsächlich erlebe ich, dass die noch extremeren Redner auf der Maidan-Tribüne den größten Beifall bekommen.

In einer Fußgängerunterführung unter dem Maidan traf ich damals Andrij, einen jungen Mann, der sich eine ukrainische Flagge über den Rücken gehängt hatte. Tjagnibok? Der sei »von der Macht gekauft«, meint der 23-Jährige, der aus Lwiw kam. Der Führer der Swoboda-Partei handle nicht entschlossen genug, meinte Andrij. Was die Ukraine brauche, sei ein »richtiger Führer, der die Nation eint, so einer wie Hitler«. Und die Vernichtung von Juden, sei das auch in Ordnung? »Nein«, wehrt Andrej ab. Das Judenthema schien ihm unangenehm.

In der besetzten Stadtverwaltung kam ich mit einem übermüdeten Pärchen aus der Westukraine ins Gespräch. Während sie einen heißen Tee schlürften, beäugten sie mich misstrauisch und erzählten dann, dass die Maidan-Unterstützer aus der Westukraine im Rotationsverfahren kommen und zur Erholung nach zwei Wochen wieder in die Heimat fahren.

Die zersplitterten Gruppen machten im Dezember 2013 einen klugen Schritt. Sie schlossen sich zum Rechten Sektor zusammen. Mit dabei waren der von Dmitri Jarosch geführte Trisub (Dreizack), die von Andrij Belitzki geführten »Patrioten der Ukraine«, Swoboda und Fußball-Ultras. Eben durch die Bündelung der Kräfte gelang es den Rechten, dem Maidan ihr radikales Konzept eines Staatsumsturzes aufzudrücken.

Ideologische Vorarbeit hatte die Regierung von Viktor Juschtschenko (2005 – 2010) geleistet. In der Ostukraine wurden russische Filme vermehrt in ukrainischer Synchronisation gezeigt. Und im ganzen Land wurde der »Holodomor«, die Hungerkatastrophe von 1932/33, mit einem Gedenktag begangen. Mit dem Holodomor habe Stalin versucht, das ukrainische Volk zu vernichten, so die Sichtweise der Juschtschenko-Regierung. Dabei hatte es Anfang der 1930er Jahre Hungerkatastrophen auch in Nordkasachstan und im russischen Kuban gegeben.

Die rechten Gruppen auf dem Maidan traten immer militanter auf, und wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde nicht geschont. Am 19. Januar 2014 bekam Vitali Klitschko beim Versuch den Sturm auf eine Polizeisperre vor dem Regierungsviertel zu stoppen, von einem Radikalen eine volle Ladung weißes Pulver aus einem Feuerlöscher ins Gesicht, so dass sich der ehemalige Boxer erst einmal zurückziehen musste. Klitschko hatte sich bei den Radikalen schon am 1. Dezember 2013 unbeliebt gemacht. Damals hat er den Sturm der Gruppe »Bratstwo« (Bruderschaft) auf die Präsidialverwaltung als Diskreditierung des Maidan kritisiert. Bei dem Sturm wurden Ketten, Molotowcocktails und ein Schaufelbagger eingesetzt. Nach Mitteilung der Innenbehörde wurden über 100 Polizisten verletzt. Andere Beteiligte am Maidan gingen noch weiter. Sie sprachen von einer durch das Janukowitsch-Regime eingefädelten Provokation, die das Ziel habe, den Maidan zu diskreditieren. Doch Beweise für diese These wurden nicht vorgelegt.


[«* Aus:]

Ulrich Heyden: Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine.
Paperback, 177 Seiten, EUR 12,90
PapyRossa Verlag, Köln [Mai] 2015
ISBN 978-3-89438-576-7


[«1] Konrad Schuller: Sturz von Janukowitsch – Kein Putsch, aber auch nicht verfassungsgemäß, www.faz.net, 24.2.2015 (16.3.2015).

[«2] Jarosch predloschil …, lenta.ru, 29.1.2015 (30.1.2015). – Bei den russisch- und ukrainischsprachigen Online-Quellen werden im Folgenden bei Angabe des vollständigen Links die ersten beiden Wörter transkribiert.

[«3] Donbassu neobchodimo …, obozrevatel.com, 29.3.2015 (29.3.2015).


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