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Titel: Massen-Altersarmut ist kein Schicksal. Die Sorge davor wird missbraucht.

Datum: 14. Februar 2008 um 12:26 Uhr
Rubrik: Rente, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente, Strategien der Meinungsmache
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“Die Hungerrentner von morgen“ lautet die Schlagzeile eines Artikels im Spiegel dieser Woche und gestern bei SpiegelOnline. Weiter heißt es dort: “Langzeitarbeitslose, Geringverdiener, Solo-Selbständige: Millionen Babyboomern droht im Alter bittere Armut, viele werden als Rentner nur noch Leistungen auf Sozialhilfeniveau bekommen, warnen Ökonomen. Gibt es Wege aus der Versorgungsfalle?“
Quelle: Spiegel-online

Spiegel und SpiegelOnline setzen mit diesem Artikel fort, was die Bild-Zeitung in der mit dem 28.1. beginnenden Woche angefangen hat: Albrecht Müller.

Die Altersarmut wird zum großen Thema gemacht, um dann zu empfehlen, sich mit Privatvorsorge dagegen zu schützen. Es wird als zwangsläufig und als nicht korrigierbar dargestellt, was in mehrerer Hinsicht politisch gewollt, jedenfalls gemacht und verschuldet worden ist:

  1. Mit der Verweigerung einer expansiven Wirtschaftspolitik bei gleichzeitiger restriktiver Geldpolitik wird – von kleinen Unterbrechungen wie dem Einheitsboom abgesehen – seit über 25 Jahren ein hoher Sockel an Arbeitslosigkeit geschaffen. Das Überangebot an Arbeitskräften ist die Grundlage für den Druck auf die Löhne – statistisch nachweisbar in der Stagnation der realen Löhne in fast dem gesamten Zeitraum, bei gleichzeitiger Explosion der Spitzen- und Vermögenseinkommen. Stagnierende Löhne führen zu geringen Rentenanwartschaften. Hohe Arbeitslosigkeit führt zu geringen Beitragseinkünften.
  2. Gleichzeitig hat man die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente durch eine Fülle von Maßnahmen zurückgeführt und massiv beschädigt. Letzte gravierende Tat: die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Wir haben darüber mehrmals in den NachDenkSeiten berichtet, zum Beispiel am 8.3.2007.
  3. Ausweitung des Niedriglohnsektors und der prekären Arbeitsverhältnisse. An der Propaganda dafür war der Spiegel maßgeblich beteiligt, sogar mit Spiegel-Titeln. Der Niedriglohnsektor war über einige Zeit hinweg im Spiegel fast schon so etwas wie der deus ex machina. Jetzt schildert der Spiegel mit Tränen in der Stimme, dass der Anteil der Niedriglöhner, die sich mit 4 oder 5 € die Stunde verdingen müssen, von 1995 bis heute um 43% gestiegen sei.

Der Fairness halber kann ich hier anmerken, dass es im Spiegel-Artikel durchaus einsichtige Anmerkungen gibt. Z.B. wird notiert, die Politik habe „kräftig mitgewirkt am Aufschwung … fragiler Erwerbsformen“. Oder es wird festgehalten, dass die Reformen gerade den unteren Stufen der Einkommensskala weitere Einbußen beschert haben. Diese richtigen Erkenntnisse bleiben aber folgenlos. Was ich z.B. weiter unten unter „zweitens“ vorschlage, fordert der Spiegel eben nicht. Und er landet am Ende bei der Empfehlung einer „steuerfinanzierten Grundrente, … für den Rest müsste jeder selbst sorgen“. Das ist der Traum der Versicherungswirtschaft und der Banken.

Der Spiegel erweckt, auch unter Berufung auf den ach so unverdächtigen Experten Miegel, den Eindruck, dass die Verarmung etwa der Hälfte der Seniorenschaft auf dem Niveau der Grundsicherung unabwendbar sei. Und

Es ist keine Frage, dass es schwierig ist, diese Entwicklung abzuwenden. Aber selbstverständlich könnte man gegensteuern und das hätte auch Wirkung. Dazu würde zum Beispiel gehören:

Erstens und das wichtigste: Aktive Makropolitik zur Förderung der Beschäftigung, Verringerung der Arbeitslosigkeit und Steigen der Löhne.

Zweitens ein Programm zur Förderung der Normalarbeitsverhältnisse statt der prekären Arbeitsverhältnisse und der Minijobs. Wenn die Bundesregierung sich nur dazu bekennen würde, dass dies das Ziel ist, wenn sie den Unternehmen dazu raten würde und die gesicherten Arbeitsverhältnisse als modern und erstrebenswert darstellen würde, wäre schon viel gewonnen. Unternehmen orientieren sich auch an solchen modischen Trends.

Drittens: Konzentration der Fördermittel auf das Umlageverfahren und die gesetzliche Rente mit dem Ziel, deren Leistungsfähigkeit wieder anzuheben. Wenn die öffentlichen Mittel für Rürup-Rente, Riester-Rente und Betriebsrenten auf die gesetzliche Rente konzentriert würden, wenn gleichzeitig die Beitrags-/Prämienerhöhung, die heute mit der Riester-Rente de facto einhergeht, auf die gesetzliche Rente konzentriert würde, dann würde man dort auch Spielraum gewinnen, um jene Menschen besser abzusichern, die das Pech hatten, die Opfer einer ideologisch bestimmten, falschen Makropolitik zu werden, und in Arbeitslosigkeit oder Minijobs ausgelagert wurden.
Die Privatvorsorge jedenfalls bewahrt diese Menschen nicht vor Altersarmut. Sie leisten sich das nicht, weil sie es nicht können oder weil sie auf noch mehr verzichten müssen. So gesehen muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass jene, die jetzt die Altersarmut als Argument für die Privatvorsorge massiv ins Spiel bringen, eindeutig auf die besser Verdienenden zielen. Deren Bereitschaft zu riestern oder zu rürupen soll – sozusagen über Bande gespielt – angestachelt werden. Diese Erkenntnis schimmert selbst in diesem Spiegelartikel durch.

Viertens: Alles hilft, was die Produktivität zu steigern hilft.

Fünftens: Und alles hilft, was die Erwerbsquote zu steigern hilft.

Das Wichtigste steckt in Erstens: die Konjunktur muss in den nächsten Jahren – in Kombination mit viertens, der Steigerung der Produktivität – so befördert werden, dass die Arbeitnehmer wieder Alternativen haben. Nur dann werden die Löhne real steigen. Dann werden Menschen, die heute mit miserabel bezahlten Jobs vorlieb nehmen müssen, dazu auch Nein sagen können, weil sie eine bessere Chance haben. Das ist die beste Basis auch einer guten Altersversorgung.


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