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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Steuerhinterziehung – ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse
Datum: 17. März 2008 um 9:45 Uhr
Rubrik: Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Steuerbetrug und obskure Konten in Liechtenstein oder anderen „Steueroasen“ sind kein neues Phänomen. Schon Anfang der 80er Jahren wurden z.B. über 20 Millionen Mark von der Hessen-CDU als „jüdisches Vermächtnis“ auf ein Geheimkonto des Schweizer Bankenvereins transferiert. Die Rechnungshöfe beklagen seit Jahren: „Dem Fiskus entgehen durch nationale und internationale Betrugsdelikte im Bereich der Umsatzsteuer jährlich zweistellige Milliardenbeträge“, so etwa in der Unterrichtung des Bundestags durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes (Drucksache 15/1495 [PDF – 268 KB]) vom September 2003. Auf 30 Milliarden Euro veranschlagt der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, das Volumen der jährlichen Steuerhinterziehung in Deutschland (Süddeutsche Zeitung vom 18.02.08). Gar auf 70 bis 100 Milliarden werden die Einnahmeverluste durch Steuerhinterziehung in einer Veröffentlichung der Memo-Gruppe geschätzt [PDF – 172 KB]. Selbst Bundesfinanzminister Steinbrück gesteht ein: “Wenn es nicht ein solches Ausmaß an Steuerhinterziehung in Deutschland gäbe, könnte ich die Steuersätze senken” (taz v. 5.3.08). Warum wurde aus einem angeblichen „Volkssport“ plötzlich ein Skandal? Wolfgang Lieb
Etwa nur weil ein Vorzeigeunternehmer, ausgestattet mit allen Orden und Ehrenzeichen, mit Geldanlagen als Stiftungen in Liechtenstein rund eine Million Euro an Steuern hinterzogen haben soll? Oder weil dank einer vom Geheimdienst für angeblich 5 Millionen von einem Datendieb abgekauften CD mit Kundendaten der Liechtensteiner LTG-Bank einige hundert sog. „Leistungsträger“ (so ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums) in Verdacht stehen, Steuern in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro hinterzogen zu haben?
Dass in Deutschland massenhaft Steuerbetrug begangen wird und Schwarzgeld in Milliardenhöhe in „Steueroasen“ verschoben wird, ahnte oder wusste jeder, der das nicht verdrängt oder bewusst geleugnet hat, doch schon seit langem. Und jeder, der schon sich bei seiner Bank über eine günstige Geldanlagemöglichkeit beraten ließ, ist doch schon mehr oder weniger direkt auf „steuermindernde“ Möglichkeiten im Ausland hingewiesen worden.
Nicht die Finanzverwaltungen und auch nicht die Steuerfahndung sind dem umfangreichsten Steuerbetrugsskandal auf die Spur gekommen, sondern die Hinweise entstammen der kriminellen Tat eines offensichtlichen Insiders, der Daten von Hunderten von Steuerhinterziehern auf eine CD gebrannt hat, um damit viel Geld zu erpressen.
Obwohl man vom Steuerbetrug in Milliardenhöhe wusste, hatten die Steuerhinterzieher von den Finanzbehörden nicht viel zu befürchten. Den Finanzbeamten ist anscheinend ja nicht einmal aufgefallen, dass Klaus Zumwinkel trotz seines großen Vermögens aus dem REWE-Verkauf und trotz eines Jahreseinkommens von 3 Millionen Euro bei seinen erklärten Zinseinnahmen zeitweise unter dem Sparerfreibetrag gelegen haben soll.
Seit Jahren wurde zwar gefordert, die Finanzämter besser auszustatten und die Steuerfahndung personell zu verstärken. Die bundeseinheitlichen Vorgaben für die Steuerverwaltungen, um einen gleichmäßigen und geordneten Steuervollzug zu gewährleisten, wurden jedoch in kaum einem Land erfüllt – in Bayer etwa wurden diese Vorgaben nur zu 70 Prozent umgesetzt (siehe die Presseerklärung des bayerischen SPD-Finanzpolitikers Werner Schieder vom 26.02.08). Dabei kassierten die derzeit eingesetzten 13.500 Betriebsprüfer 2006 zusätzliche Steuern in Höhe von 14 Milliarden Euro ein. Jede Prüferin oder Prüfer brachte dem Fiskus also eine Zusatzeinnahme von einer satten Million Euro ein (taz vom 05.03.08).
In Deutschland hat es nie ernsthafte Versuche gegeben, Steuerhinterziehung massiver zu bekämpfen. Diese Bekämpfung ist zwar eine Angelegenheit von Bund und Ländern, doch (anders als etwa in Frankreich) sind die Länder allein verantwortlich für den Vollzug. Als in Nordrhein-Westfalen ein Zentralfinanzamt zur Steuerbetrugsbekämpfung eingerichtet werden sollte (Finanzministerium NRW), gab es einen Aufschrei. Die meisten Länder haben eine zentrale Steuerfahndung vehement abgelehnt, weil sie in einer intensiveren Nachprüfung einen Standortnachteil gesehen haben, durch den möglicherweise Investoren und Unternehmen hätten abgeschreckt werden können. Der Wettbewerbsföderalismus hat eine lasche Steuererhebung geradezu zu einem Vorteil im Standortwettbewerb erhoben.
Für Einkommensmillionäre am Starnberger See liegt das Risiko einer Steuerprüfung bei 10 Prozent. Dieses Risiko gehen viele einfach ein.
In kaum einem anderen Land konnten so hohe Milliardenvermögen (geschätzte 300 Milliarden meist sogar völlig legal durch Wohnsitzverlagerungen) ins Ausland abwandern. Bezeichnenderweise gibt es darüber keinerlei Statistik. „Die gegenwärtigen Regeln sind nur begrenzt geeignet, den deutschen Steuerzugriff beim Wegzug vermögender Steuerpflichtiger in Steueroasen sicherzustellen“, schreibt der Bundesfinanzhof in einer am 5. März 2008 veröffentlichten Entscheidung (Az.: I R 19/06) dem Bundesfinanzminister ins Stammbuch (Vgl. Handelsblatt v. 6.3.08).
Das Stiftungsrecht bei uns, vor allem aber in den „Steueroasen“, eröffnet zahllose Gestaltungsmöglichkeiten, die die Grenzen zwischen Legalität und einer kriminellen Steuerhinterziehung verwischen. Anonyme Nummernkonten oder Briefkastenfirmen oder verschlungene und nicht mehr nachvollziehbare Transaktionen über diverse Konnten erleichtern Geldwäsche und Steuerbetrug.
Kein vergleichbares Land in der Welt bietet so viele Möglichkeiten einer legalen Steuerflucht wie Deutschland. Warum wurde daraus plötzlich ein Skandal?
Alles nur eine Inszenierung?
Die gesamte Affäre legt den Verdacht einer Inszenierung nahe.
Warum wurde gerade „ein lupenreiner Profiteur des bundesrepublikanischen Systems, ein Günstling“ der Politik rechtsstaatswidrig an den öffentlichen Pranger gestellt, der Chef eines Unternehmens, dessen größter Aktionär mit 30,5% der Bund ist? War es etwa ein Racheakt an Zumwinkel für dessen Abschluss eines Tarifvertrags mit einem Mindestlohn für Briefzusteller und der allgemeinverbindlichen Aufnahme in das Entsendegesetz?
Nein, das wäre wohl zu verschwörungstheoretisch gesponnen. Wenn man allerdings über den Zorn liest, den der Springer-Chef Döpfner öffentlich abgelassen hat, so liegt der Gedanke an solche Rankünen ziemlich nahe: „Die Figuren und Unternehmen, die hier moralisch gescheitert sind, repräsentieren das alte deutsche Modell des sozialen Konsenses, das in Wahrheit asozial ist. …Wäre die Steueraffäre vier Monate früher passiert, wäre es zu einem Mindestlohn auf überhöhtem Niveau nicht gekommen,“ macht Döpfner in der ZEIT (vom 28.02.08) seinem Ärger darüber Luft, dass er durch den Mindestlohn bei den Briefzustellern mit seiner auf Billiglöhne spekulierenden PIN AG ein Investition von 600 Millionen (manager-magazin vom 15.12.07) in den Teich gesetzt und dem Springer-Konzern in der Bilanz einen Fehlbetrag von 288 Millionen eingebracht hat (Netzeitung vom 03.0308).
Jedenfalls würde es einen nicht wundern, wenn der Fall des Post-Chefs Zumwinkel jetzt dazu benutzt würde um Druck zu machen, dass die Bundesanteile an der Post AG oder wenigstens Teile davon, wie etwa die Postbank, möglichst rasch an private Investoren verscherbelt werden.
Merkwürdig an dieser Affäre ist auch, dass von den Hunderten von „Leistungsträgern“ (so ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums) bis auf Bayerns obersten Datenschützer keiner mehr ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde. Folgte da etwa die Steuerfahndung dem Motto „Verhafte einen und warne hundert?“ (Telepolis vom 19.02.08). Sollten also durch die Medieninszenierung der Verhaftung des Post-Chefs nur weitere Verdächtige gewarnt und zur Selbstanzeige veranlasst werden, damit ihre Identität unter der Decke des Steuergeheimnisses bleibt?
Niemand hat etwas geahnt
Nach der spektakulären Verhaftung des Post-Chefs konnte man den Eindruck gewinnen, als hätte niemand dieses Ausmaß an Steuerbetrug geahnt. Kaum jemand will von den intensiven Werbeaktionen der Banken aus Liechtenstein und anderswo für Möglichkeiten zur Steuerflucht gehört haben. Bezeichnend ist die Aussage von Kanzlerin Angela Merkel: “Ich glaube, es geht mir wie vielen Menschen in Deutschland: Das ist jenseits dessen, was ich mir habe vorstellen können, und was viele sich haben vorstellen können” (Süddeutsche Zeitung vom 15.2.08).
Ein massenhaft begangenes Delikt wurde offenbar verdrängt oder gar geleugnet.
Für die Beschreibung des allgemeinen Umgangs mit Steuerstraftaten ist deshalb die Art und Weise der bisherigen Skandalbewältigung fast interessanter und kennzeichnender als der Steuerbetrugsskandal selbst.
Die Steuerfahndung wird attackiert
Das Fürstentum Liechtenstein, die Anwälte Zumwinkels, ja sogar deutsche Parlamentarier wie etwa Max Stadler von der FDP empörten sich vor allem über den rechtsstaatswidrigen „Datenklau“: „Eine Regierung, die keine Hemmungen hat, ihre Bürger auszuforschen, indem sie Millionenbeträge für Informationen aus nachweislich kriminellen Quellen zur Verfügung stellt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich damit noch auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit bewegt“ (Die Presse.com vom 8.3.08).
Es ist schon ziemlich paradox, dass Politiker die Steuerhinterziehung seit langem tolerierten und nun die Helfershelfer beim Steuerbetrug – wie das Liechtensteiner Fürstenhaus – plötzlich den Rechtsstaat für sich reklamieren und in erster Linie nach der Rolle des BND bei der Beweisbeschaffung fragen.
Man darf gespannt darauf sein, ob die Gerichte das Beweismaterial akzeptieren.
Steuerhinterziehung wird verharmlost
Kurze Zeit nach dem Schock erschienen in vielen Medien – allen voran in der FAZ – regelrechte „Gaunerbreviere“ mit Tipps für Steuerhinterzieher und für Selbstanzeigen (FAZ vom 15.02.08; siehe auch NachDenkSeiten „FAZ liefert ein Gaunerbrevier für Steuerhinterzieher“).
Die Häufung solcher ´Hilfestellungen` gerade im Umfeld der Aufdeckung eines der umfangreichsten Steuerhinterziehungsskandale lässt den Verdacht aufkommen, die FAZ und auch andere Medien wollten denjenigen, die nach der Durchsuchung von Zumwinkels Wohnung befürchten mussten, dass nun die Steuerfahnder auch an ihrer Tür klingelten, noch schnell ein paar Handlangerdienste bieten durch Hinweise, wie sie belastendes Material beseitigen können. Etwa wie sie ihre Computer und Notebooks säubern oder ihre Handys beiseite schaffen können.
Schon die Sprache belegt, wie die Straftat der Steuerhinterziehung, für die der § 370 Abgabenordnung eine Höchststrafe von immerhin 10 Jahren Gefängnis vorsieht, bewertet wird: Da schreibt etwa die FAZ von „Steuerschummeleien“ und von „vergessenen Einnahmen“, oder es wird darüber spekuliert, ob und wann sich eine Selbstanzeige überhaupt „lohnt“. Steuerhinterziehung wird als Verlagerung von Geld ins „steuerschonende Ausland“ verharmlost.
Steuerhinterziehung, ein Betrug an der Allgemeinheit, wird als Kavaliersdelikt heruntergespielt.
Kein Wort über das unsoziale Verhalten von Steuerflüchtlingen, die nach wie vor steuerfinanzierte, staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, aber den ihrer Steuerpflicht entsprechenden Beitrag und somit ihre staatsbürgerliche Mitverantwortung verweigern.
Die Schuld wird abgeschoben
Steuerhinterziehung sei ein „Volkssport“ (FAZ vom 7. März 2008). Der FDP-Vorsitzende Westerwelle sieht darin den politischen Ausdruck eines allgemein verbreiteten, „steuerrebellischen Bewusstseins“ (zitiert nach Super-Illu). Und Steuersenkungsapologeten wie der Linzer Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider rechneten rasch vor, dass Normalverdiener in Deutschland mehr Steuern als Reiche hinterziehen (Focus v. 19.02.08).
Um den Verfall der Sitten nicht etwa bei den Geldeliten, sondern bei den unteren Schichten zu verorten, berichet die wirtschaftsliberale FAZ, dass „das Wachstum des Wohlfahrtsstaats in den vergangenen Jahrzehnten … zu einem geringeren Niveau an gesellschaftlicher Moral geführt“ habe.
So schlecht kann aber offenbar die Steuermoral der Deutschen gar nicht sein, denn 86 Prozent denken, dass Steuerhinterziehung auch bei normalen Bürgern kein Kavaliersdelikt ist, sondern ein kriminelles Vergehen.
Nach dem Motto „wir sind alle kleine Sünderlein“ werden von vielen Kommentatoren alle Steuersünder über einen Leisten geschlagen. Die Unselbständigen, die ihre Steuer schon vom Lohn abgezogen bekommen und um jeden Euro Rückerstattung kämpfen müssen, werden munter mit den großen Steuerhinterziehern und Bunkerern von Schwarzgeld in Millionenhöhe verglichen.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, verweist auf einen angeblich viel größeren Betrugsskandal. Er hält die Schwarzarbeit in Deutschland für ein viel schlimmeres Übel als den Transfer von Schwarzgeld ins Ausland. Vor lauter Abwiegelungseifer vergisst er sogar das kleine Einmaleins, wenn er in Bild am Sonntag (vom 24.2.08) vorrechnet, dass durch Schwarzarbeit 300 bis 350 Milliarden verloren gingen und dies der Arbeitsleistung von 2 bis 3 Millionen regulären Arbeitsplätzen entspräche. Wenn Weise nachgerechnet hätte, wäre ihm aufgefallen, dass er auf phantastische 100.000 bis 150.000 Euro pro regulärem Arbeitsplatz kommt (Egon W. Kreutzer, Newsletter vom 25.2.08). Als Chef der Arbeitsagentur hätte er besser wissen müssen, wie hoch die Durchschnittslöhne für reguläre Arbeitsplätze liegen. Doch um mit dem Finger auf andere zeigen zu können, scheint jedes Argument recht zu sein.
Es wird abgewiegelt
Die besorgte sog. Wirtschaftselite wiegelte ab und machte den Steuerskandal zu einer Angelegenheit von einigen wenigen „schwarzen Schafen“. Gleichzeitig gingen viele Manager in die Offensive und sahen wie üblich die Ursache in zu hohen Steuern und in einem zu komplizierten Steuersystem in Deutschland (vgl. Die Welt vom 23.2.08). Erst die „Steuerwüste“ Deutschland mache „Steueroasen“ möglich. Randolf Rodenstock (seines Zeichens Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)) meint z.B.: “Unser Steuersystem ist ein maßgeblicher Grund dafür, wenn den Menschen zu wenig netto vom brutto verbleibt. Das alles entfremdet den Menschen vom Gesetz und lässt ihn es als ungerecht erscheinen. Dafür ist ohne Frage die Politik verantwortlich.” Prompt griff auch die Politik einmal mehr das Thema Steuersenkung auf – für Marktradikale ohnehin das Allheilmittel: Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs (CDU), forderte mal wieder niedrigere Steuersätze: „Je mehr der Staat zulangt, desto größer ist die Neigung der Bürger, Steuern zu hinterziehen“ (zitiert nach wdr.de). Es wird so getan, als ob gerade diejenigen, die Millionen am Fiskus vorbei schieben, Schwierigkeiten mit dem Steuerrecht hätten. Als ob nicht gerade sie genügend Geld haben, um sich von Finanzberatern die besten Wege aufzeigen zu lassen, wie man die Steuern ins Ausland schafft.
Steuersenkungen kein Mittel gegen Steuerflucht
Und war die Politik in den letzten Jahren nicht gerade den Weg der Steuersenkungen gegangen? Die effektive Steuerbelastung der Spitzenverdiener ist laut DIW in den Jahren 1992 bis 2002 um 10 Prozentpunkte auf 34 % gesunken.
Und wollte man nicht den „Steueroasen“ durch Steuersenkungen das Wasser abgraben?
Die Methode Steinbrück „Lieber 25 Prozent auf x statt 42 Prozent auf Garnix“ (Rede auf der 12. Handelsblatt Jahrestagung „Banken im Umbruch” am 4.9.2007) war ein Schlag ins Wasser. Die unter Rot-Grün im Jahr 2004 erlassene Steueramnestie – das “Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit” (!) – war offenbar für kaum einen Steuerhinterzieher ein „Anreiz“, nicht versteuerte Vermögenswerte oder Erträge gegenüber der zuständigen Steuerbehörde nachträglich zu deklarieren und pauschal abzugelten. Statt der erhofften 5 Milliarden Euro gingen gerade mal 900 Millionen ins Staatssäckel (so der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, MdB Heinz Seiffert).
Trotz der für 2009 angekündigten Steuersenkung auf Kapitalerträge von 42 auf 25 Prozent (Abgeltungssteuer) nimmt die Kapitalflucht ständig zu (Spiegel Online vom 17.02.08). “Wir stellen fest, dass wegen der Abgeltungssteuer mehr Geld ins Ausland fließt”, sagt Dieter Ondracek, Chef der Steuergewerkschaft (taz vom 25.02.08).
Die am 1. Juli 2005 in Kraft getretene Europäische Richtlinie zur Zinsbesteuerung mit einem anfänglichen Satz von nur 15 % (Deutsche Bank Research EU Monitor Nr. 25 vom 6. Juni 2005 [PDF – 292]) ist verpufft. Drittstaaten wie die Schweiz, Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino oder die assoziierten Gebiete von Mitgliedstaaten, wie z.B. Guernsey und Jersey, entziehen sich ihr schlicht, und das sogar sanktionsfrei. Und auch im angeblich so kooperativen Luxemburg rühmt sich die HVB Luxembourg bis heute: „So haben Luxemburg und Österreich nach wie vor ein Bankgeheimnis, das in gewissen Aspekten über das schweizerische Bankgeheimnis hinausgeht. Daran wird auch die geplante Harmonisierung der EU-Zinsbesteuerung nichts ändern“ (so nachzulesen auf der offiziellen Homepage dieser Bank).
Steuerhinterzieher und Steuerflüchtlinge können sich bei ihren gemeinschaftsschädlichen Transaktionen offenbar weiter sicher fühlen. Der Staat hat mit den Steuersenkungen eher ein Signal gesetzt, dass er es mit der Steuerehrlichkeit nicht so ernst meint.
Es wird moralisiert
Es gibt selbstverständlich auch viele Kritiker des kriminellen Verhaltens unserer „Leistungsträger“. Von Heiner Geißler bis zum ehemaligen Daimler-Chef Edzard Reuter wird die „Gier“ der Eliten in Wirtschaft und Politik angeprangert (vgl. Albrecht Müller in den NachDenkSeiten).
An dieser moralischen Beurteilung mag so viel richtig sein, dass in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ein Mentalitätswandel stattgefunden hat. In den 60er Jahren war auch in der Bundesrepublik die Einstellung noch relativ weit verbreitet, dass alle in der Gesellschaft ihren Teil am Wohlstand haben sollen und jeder seinen Beitrag dafür auch in Form von Steuern leisten muss.
Der Verweis auf die „Gier“ soll eine Vertrauenskrise verdecken
Mit der Verlagerung der durch den Steuerskandal zu Tage getretenen kriminellen Energie auf die Ebene der persönlichen Moral wird allerdings mehr verdeckt als erklärt. Es wird abgelenkt von der „Vertrauenskrise“, die die gesamte gesellschaftliche Elite erfasst hat (Erwin Huber, CSU in der Rheinischen Post vom 16.2.08).
Das Verhalten der „Leistungsträger“ ist Ausdruck der herrschenden Ideologie
In einem Land, in dem sich Markt- und Wettbewerbsdenken in alle gesellschaftlichen Bereiche bis hin zu Bildung und Kultur ausgebreitet hat, bestimmt die herrschende Ideologie eben auch das Verhalten derjenigen, die diese Glaubenslehre propagieren. In einer Gesellschaft, in der als gesellschaftliche Norm verkündet wird, dass jeder seines Glückes Schmied sei, und in der Konkurrenz und Wettbewerb zum allgemein gültigen Steuerungsprinzip erhoben wird, gilt der Staat als Störfaktor. Unter dem Kampfruf der Reaganomics „starve the beast“ wird der Staat zum Raubtier, und deshalb geraten Abgaben an die Gemeinschaft zum Diebstahl am persönlichen Vermögen. „Das fehlende Schuldbewusstsein bei der Steuerhinterziehung ist ein Symptom dafür, dass immer mehr Bürger ein gestörtes Verhältnis zu unserem Staat aufweisen. Er wird nicht als Interessengemeinschaft gesehen, die uns jene Ziele ermöglicht, die wir über den Markt nicht erreichen könnten – sondern als feindlich gesinnte Organisation, die die ihr zur Verfügung gestellten Mittel verprasst, ohne einen Nutzen zu entfalten“ (Peter Bofinger).
Wenn zur herrschenden Lehre wird, dass Egoismus und der ungehemmte Einsatz des Ellbogens über die „invisible hand“ des Marktes das allgemeine Wohl am besten fördern, braucht man sich nicht zu wundern, wenn jeder nur seinen eigenen Vorteil sucht, auch und gerade gegenüber der Gesellschaft. Der Stärkere bestimmt die Regeln selbst und braucht sich an die Gesetze der anderen nicht mehr zu halten. In den Chefetagen der Wirtschaft, gerade auch im Mittelstand, herrscht die Meinung vor, dass der Staat Unternehmertum systematisch behindert und hart erarbeitetes Eigentum durch seine Steuern raubt – das könne man sich nicht einfach gefallen lassen. Ganz selbstverständlich wird deshalb gegen gesetzliche Regeln verstoßen. “Es gibt uns, und es gibt die Gesellschaft” (Michael Hartmann im Tagesspiegel vom 23.2.08).
„Der Zwang zur Selbstoptimierung hat längst das Leben auch niedrigstufiger Kader erfasst. Zu sehen, wo man bleibt, ist nicht länger die Verhaltensweise charakterloser Egoisten, sondern praktisches Gebot“ (Hary Nutt).
Das Verhalten der „Leistungsträger“ ist eben nicht nur ein moralisches Versagen, sondern eine Begleiterscheinung ihrer Ideologie, für die sie auch politisch eintreten. Es hat sich die Sicht durchgesetzt, dass prinzipiell alles schiefgeht, wo der Staat seine Finger drin hat – privatwirtschaftliche Lösungen werden als ausschließliches Ideal dargestellt. Und wenn der Staat die von den Geldeliten geforderten „Reformen“ zum „schlanken Staat“ nicht durchsetzt, dann ist das ein politisches Versagen und nicht das eigene. Und deshalb gilt dann Steuerhinterziehung als „eine Art private Rache gegenüber dem Staat“(Julia Friedrichs)
Neo-feudale Strukturen
Wir befinden uns auf einer Entwicklung zu neo-feudalen Strukturen, wo die Oberschicht sich kaum noch einer Kontrolle unterworfen sieht, wo sich die „Eliten“ frei bedienen können und ihre Netzwerke der Macht stricken, die selbst von der Rechtsprechung (vgl. etwa den Mannesmann-Prozess) nicht mehr ernsthaft bedroht werden können, und die dazu auch noch die veröffentlichte Meinung bestimmen. Diese Entwicklung wurde von der Politik massiv gefördert.
Die Politik hat die „Gier“ gefördert
Unter der Kampfparole „Leistung muss sich lohnen“ wurde das Eintreten für soziale Gerechtigkeit als „Sozialneid“ denunziert. Die „Gier“ der „Leistungsträger“ wurde von den politisch Entscheidenden mannigfach belohnt und verziert. Nach dem herrschenden, angebotsorientierten Wirtschaftsdogma muss der Staat alles für die Unternehmen tun, die Unternehmen erledigen den Rest. Teilhabegerechtigkeit wurde als „Umverteilung“ verunglimpft, und gleichzeitig wurde die massivste Umverteilung in der Nachkriegsgeschichte von unten und von der Mitte nach oben durchgesetzt. Die explodierenden Spitzeneinkommen wurden etwa durch die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42%, durch die Streichung der Vermögensteuer oder durch die Befreiung von Steuern auf Veräußerungsgewinne beim Verkauf von Aktienpaketen von Unternehmen und Unternehmensteilen mit einer Steuerreform nach der anderen entlastet.
Es hat sich auch in der Politik die Sicht durchgesetzt, dass prinzipiell alles schlechter funktioniert, wo der Staat seine Finger drin hat – privatwirtschaftliche Lösungen, PPP oder ÖPP werden als Ideal dargestellt. Dabei wurde gerade wiederum die Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur Quelle von Profit und Korruptionsgeldern, die ins Ausland verschoben werden mussten, um sie zu verbergen. Etliche Formen von Korruption können in den Steuerparadiesen ebenso verschleiert werden wie Insidergeschäfte. Der entscheidende Vorteil für die Begünstigten ist dabei nicht nur die Tatsache, dass sie keine Steuern auf diese Gelder bezahlen müssen; der Vorteil besteht vor allem darin, dass solche Gelder – etwa aus einer ungesetzlichen Provision – überhaupt auf einem Konto und noch dazu auf einem durch das Bankgeheimnis geschützten Konto landen können. Ohne Nummernkonten und Briefkastenfirmen in „Steueroasen“ wären Subventionsschwindel, Schmiergeldzahlungen oder Schwarzgeldwäsche viel zu riskant.
Was tun?
Am wichtigsten ist es, Normen und Institutionen wieder Geltung zu verschaffen, die die Quellen der Ungleichheit in der Gesellschaft eindämmen können.
Paul Krugman hat in seinem neuen Buch „Nach Bush“ für die USA dargestellt, dass es eben nicht die Globalisierung ist, die zu Ungleichheit und zur Herrschaft der „Plutokratie“ geführt hat, sondern eine „neue Ökonomie der Ungleichheit“. Krugmans Fazit: „Die Indizien sprechen eindeutig für die Annahme, dass Institutionen und Normen und nicht die Technik oder die Globalisierung die Hauptquellen der Ungleichheit in den Vereinigten Staaten sind“ (S. 157).
Ohne sich in die Details des Steuerrechts oder der Steuerfahndung vertiefen zu müssen, ist offensichtlich, dass das geradezu zu einem Grundrecht hochstilisierte Steuer- und Bankgeheimnis der Schutzschild für Steuerhinterziehung und für die Verlagerung von Geld und Vermögen in Steueroasen ist: „Das Bankgeheimnis ist letztlich ein Steuerhinterziehungsgeheimnis“ [PDF – ???].
Dabei wird unter dem Pathos des Schutzes der „Privatsphäre“ vertuscht, dass das Steuergeheimnis nur eine Einkommensform privilegiert, nämlich die aus Geld- und Kapitaleinkommen. Jeder normale Gehalts- und Lohnempfänger ist in seinen Einkommensverhältnissen bereits heute vor den autorisierten Steuerbehörden „gläsern“.
Und noch einen Unterschied machen Staat und Recht im Hinblick auf die Privatsphäre: So müssen Empfänger von staatlichen Transferleistungen wie z.B. Hartz–IV es über sich ergehen lassen, dass selbst unter der Bettdecke nachgeforscht wird, ob zwischen zwei Wohnungsmietern eine Bedarfsgemeinschaft besteht.
Die Steuerhinterzieher, die den Staat in viel größerem Umfang schädigen, werden dagegen mit Samthandschuhen angefasst.
Man müsste ja nicht so weit gehen wie in Schweden, wo es überhaupt kein Steuergeheimnis gibt und wo die Steuererklärungen prinzipiell öffentlich sind. Im „Taxeringskalender“ kann dort von jedermann nachgelesen werden, wer tatsächlich wieviel Steuern zahlt.
In einer Zeit, wo in Deutschland die staatliche Überwachung bis in tief in die Privatsphäre vordringt, wo es als selbstverständlich hingenommen wird, dass massenhaft Fluggastdaten gespeichert oderTelekommunikationsdaten vorgehalten werden müssen, ist es schon bemerkenswert, dass Kontenbewegungen zumal ins Ausland für die Steuerbehörden nicht annähernd so transparent sein dürfen wie der Gehaltszettel der großen Masse der Unselbständigen.
Man könnte eine Berichtspflicht oder Kontrollmitteilungen der Banken bei Überweisungen zumindest in solche Länder einführen, die keine Doppelbesteuerungsabkommen abschließen wollen. Oder man könnte auf (nicht warengebundene) Geldtransfers vorab eine Quellensteuer erheben. Oder man könnte – wie das die USA mit Banken rund um die Welt durchgesetzt haben (siehe List of Approved KYC Rules der amerikanischen Steuerbehörde) – solche ausländischen Banken oder Off-shore-Steuerparadiese, die sich nicht an die Regeln halten, vom Banken und Zahlungsverkehr ausschließen (vgl. Handelsblatt vom 20.2.08; siehe auch schon NachDenkSeiten vom 18.2.08).
Die Flucht von Steuerbetrügern in „Steueroasen“ ist ja nicht nur ein deutsches Phänomen. Nur wenige Tage nach der Verhaftung Zumwinkels ist bekannt geworden, dass 200
französische Steuerpflichtige das gleiche Spiel getrieben haben. Im Zusammenhang mit dem aktuellen Skandal ist von mindestens zehn Ländern die Rede, die von Steuerflucht nach Liechtenstein und andere Steueroasen, darunter die Schweiz, massiv betroffen sind. Es wäre also im Interesse jedenfalls der wirtschaftsstärksten Länder der EU, sich zusammenzutun und sowohl innerhalb Europas als auch weltweit „Steueroasen“ dadurch auszutrocknen, dass man den Zahlungsverkehr mit solchen Ländern kontrolliert und jede Bank, die diese Regelungen auch nur als „Zwischenhändler“ missachtet, massiv sanktioniert; z.B indem nur noch solche Banken eine Lizenz erhalten, die Kontrollmitteilungen über Einnahmen der Kunden machen oder eine Pauschalsteuer abführen.
Neben dem Bank- und dem Steuergeheimnis erleichtert vor allem das „Steuerdumping“ gerade auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Steuerflucht. Um Steuern zu sparen, werden Gewinne aus in Deutschland ansässigen Unternehmen auf Tochterniederlassungen etwa nach Irland transferiert und dem deutschen Fiskus systematisch entzogen. Durch Werkvertragsunternehmen mit tatsächlichem oder vorgeblichem Auslandssitz sowie durch unseriös arbeitende Subunternehmen und Scheinfirmen gehen nach Einschätzung des Bundesministeriums der Finanzen (Bundesministerium) jährlich etwa 64 Mrd. Euro Steuereinnahmen verloren.
Über eine gemeinsame Militärpolitik, über eine einheitliche Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, über eine einheitliche, ideologisch ausgerichtete Lissabon-Strategie in der Wirtschaftspolitik, über den europäischen „Hochschulraum“, über alles und jedes finden in Europa Anpassungen und Angleichungen statt, nur über ein zentrales Feld, bei dem langfristig alle verlieren, nämlich in der Steuerpolitik, gibt es keinerlei Anstrengungen für eine Harmonisierung. Warum wird in Europa nicht wenigstens ein Bruchteil des Aufwandes, der für Überwachungsmaßnehmen gegenüber Fußballfans oder Imigranten aufgewandt wird, zur Verfolgung von gemeinschaftsschädlichen Steuerstraftaten betrieben?
Möglichkeiten, den Steuerbetrug und die Steuerverlagerung einzudämmen, gäbe es jedenfalls genug. Man müsste die Bekämpfung nur wollen.
Die „Bewältigung“ des jüngsten Steuerbetrugsskandals lässt aber wenig Hoffnung aufkommen, dass ein solcher Wille in der Politik vorhanden ist und von der veröffentlichten Meinung als dringlich behandelt wird. Man hört und liest schon nach wenigen Tagen kaum noch etwas über den umfangreichsten Steuerskandal der Nachkriegsgeschichte. Stattdessen beschäftigt sich die politische und mediale Öffentlichkeit seit Wochen nur noch damit, ob und wie die SPD mit der Linken kooperieren darf – vielleicht damit nicht wirklich ernsthaft etwas gegen den Steuerbetrug unternommen werden kann.
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