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Titel: Nochmals zu Bild: „Höhere Rente senkt den Netto-Lohn!“ – Warum diese Schlagzeile eine Lüge sein kann

Datum: 27. März 2008 um 8:56 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Rente, Strategien der Meinungsmache
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Mit dieser Schlagzeile der „Bild“-Halle vom 26. März wird der Personenkreis angesprochen, der dann die niedrigeren Nettolöhne erhält – ein Aufruf gegen die Solidarität mit Rentnern, die unter der Stagnation ihrer Rentenbeträge leiden und sinkende Realeinkommen verkraften müssen.
Gemäß „Bild“ werden Arbeitnehmer „bis zu 21 Euro im Monat“ mit höheren Rentenbeiträgen belastet. Wie sich dieser Betrag jedoch errechnet, bleibt die Zeitung ihren Lesern schuldig. Von Karl Mai

Natürlich wird in der „Bild“ die Unternehmerseite zitiert, die sich – wie immer – um ihre Lohnnebenkosten besorgt zeigt, die dann ebenfalls steigen würden. „Experten“ geht es um die Vermeidung von jeglichen Ausgleichszahlungen für die Inflation der Lebenshaltungskosten, die gefälligst jeder Rentner selber still verkraften solle. Zwar haben Lohnempfänger wenigsten die theoretische Chance, inflationsbedingte Verluste durch Brutto-Lohnanhebung im Tarifsystem durchzusetzen – wenn auch nur durch Streikandrohungen. Sozialrentner jedoch haben keine wirksam kämpfende Lobby hinter sich. Aber als Wähler haben sie oft einen potenziell größer werdenden Einfluss auf die Machtverteilung der politischen Parteien, so dass es geradezu darauf ankommen würde, diese Chance zu nutzen.

Wieso führt diese bescheidene Rentenerhöhung von 1,1 Prozent zur Senkung der Nettolöhne? Das wäre nur dann der Fall, wenn bilanziert die Summe der höheren Rentenzahlungen die Summe der höheren neuen Beitragszahlungen dauernd übersteigt. Aber das ist noch keineswegs erwiesen – denn darauf haben mehrere Faktoren einen unterschiedlichen Einfluss: 1. die Dynamik der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne, die auf die Summe der Sozialabgaben einwirkt; 2. die Dynamik der Lohnsteuern, die ebenfalls auf die Nettolöhne einwirkt; 3. die Entwicklung der Beschäftigung und des Erwerbsbeteiligungsgrades; 4. die Verschiebung der Lohnstruktur in Richtung Billiglohnjobs und Teilzeitarbeit, die zur Reduzierung der Summe aller Abgaben vom Lohn führt.
Die „Bild“-Halle hat keine Modellrechnung vorliegen, die eine saubere Trennung der Effekte dieser Faktoren im Zeitablauf ermöglicht, deren künftige unterschiedliche Dynamik aber das Ergebnis bestimmt.

Vorerst ist es jedoch opportun, wenn die „Bild“-Halle in der Öffentlichen Meinung wieder einmal die Rentner gegen die Lohnempfänger ausspielt – und dabei ausblendet, wie rasch die Lohnempfänger selbst zu Rentnern werden. Wer profitiert dann künftig von deren niedrigeren Renten, deren relatives Niveau zum Bruttolohn (Rentenniveau) rasch weiter sinkt?
Die Lohnempfänger von heute sind die Rentner von morgen, deren Verarmungsprozess sich zu einem gesellschaftlichen Skandal ausweiten muss.

Doch keine Bange: irgendwann wird die „Bild“-Halle reißerisch melden, wie die Rentner – voran die Ostrentner – jämmerlich verarmen und daher die private Rentenversicherung dies verhindern muss – zugunsten der Versicherten und deren privaten Versicherungsfonds. Aber auch dies würde nur den Besserverdienenden wirklich helfen können, solange der globale Finanzmarkt hohe Renditen hierfür sichern kann. In vielen Fällen haben die privaten (Zusatz-)Rentenversicherungen einen negativen Erfolg, weil die Renditen in der Finanzmarktspekulation geopfert werden.

Vgl. auch NachDenkSeiten


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