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Titel: Der gefügige Transnet-Gewerkschaftschef und andere Merkwürdigkeiten

Datum: 31. März 2008 um 10:43 Uhr
Rubrik: Gewerkschaften, Privatisierung, SPD, Verkehrspolitik
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Die mächtige Bahn-Gewerkschaft Transnet hat die SPD aufgefordert, die Teilprivatisierung des Staatskonzerns nicht zu blockieren, heißt es in einer Meldung von Reuters vom vergangenen Freitag (siehe unten Anlage 1). Viele Gewerkschaftsmitglieder von Transnet verstehen diesen weiteren Umfaller ihres Gewerkschaftsvorsitzenden nicht. Noch im November 2007 hatte sich die Gewerkschaft Transnet für den Plan B ausgesprochen. Damals lehnte Transnet das jetzt zur Entscheidung stehende Holding Modell ab, siehe Ziffer 3 der Erklärung vom 13.11.2007 [PDF – 88 KB]. Plan B bedeutete, dass alles im Bundesbesitz bleiben soll. Doch der Gewerkschaftsvorsitzende Hansen macht wohl alles mit, was Bahnchef Mehdorn will. Deshalb übt er jetzt Druck auf die entscheidende Arbeitsgruppe der SPD aus. Diese Arbeitsgruppe tagt heute zum ersten Mal. Sie ist mehrheitlich mit Personen besetzt, die im Widerspruch zu den Wünschen des Hamburger SPD-Parteitags und einer Mehrheit von 70% der Bevölkerung zumindest eine Teilprivatisierung der Bahn durchsetzen will.
Den Willen zur Privatisierung der Bahn kann man nur verstehen, wenn man fragt: Wer verdient daran? So unsere auch im Kritischen Jahrbuch 2007 formulierte Erklärung zu den Merkwürdigkeiten in dieser Privatisierungsschlacht. Albrecht Müller.

In der jetzigen Debatte fallen eine Reihe weiterer Merkwürdigkeiten auf:

  1. Die Behauptung, die Privatisierung sei notwendig, um der Bahn frisches Geld zu beschaffen, wird auch jetzt immer wieder lanciert. Und selbst in einem ansonsten informativen Artikel wie in der TAZ vom 30.3. (siehe unten Ziffer 2) ist davon die Rede, die Privatisierung sei eines der Modelle, um „die chronisch unterfinanzierte Bahn zukunftsfähig zu machen.“ Die Bahn war schuldenfrei. Bahnchef Mehdorn hat mit einer globalen Einkaufstour wesentlich zur gegenwärtigen Schuldensituation beigetragen. Hinzu kommt, dass die Teilprivatisierung nur einen relativ kleinen Betrag von vielleicht 5 Milliarden € in die Kassen der Bahn bringen würde. Das ist lächerlich wenig gemessen an der Summe dessen, was der Bund jedes Jahr in die Infrastruktur der Bahn steckt (alleine für den Unterhalt des Bestandsschienennetzes 2,5 Milliarden Euro pro Jahr [PDF – 2 MB]). – Und dennoch wird die Behauptung, die Privatisierung sei nötig zur Finanzierung der Bahn, als Begründung immer bemüht. Unter anderem von Bundesverkehrsminister Tiefensee, der seit Herbst penetrant diese Unwahrheit verbreitet.
  2. Dieser wartete in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung mit der ergänzenden Begründung auf, man brauche die Privatisierung, um auf diese Weise an neue Ideen der so genannten Investoren zu kommen. Das ist grotesk angesichts dessen, was bei der Bahn notwendig ist: Die Sanierung ihres Netzes in Deutschland zum Beispiel. Dazu bedarf es keiner neuen Ideen. Im Gegenteil, diese neuen Ideen, die vermutlich auf weitere globale Tätigkeit nach dem Muster von Bahnchef Mehdorn setzen, werden dem widersprechen, was im Sinne der Zukunft der Bahn als wichtiger und ökologisch verträglicher Verkehrsträger in Deutschland notwendig ist.
  3. Interessant und merkwürdig ist die offensichtlich hergestellte Verknüpfung mit der Unterstützung Kurt Becks durch seine Stellvertreter Steinmeier und Steinbrück in der Auseinandersetzung um den angeblichen Linksschwenk des SPD-Vorsitzenden. Siehe dazu auch den Bericht der TAZ. Mir war diese Verknüpfung schon vor einiger Zeit aufgefallen. Man hat Beck vermutlich zu dieser Privatisierungsaktion verpflichtet gegen die Zusicherung, seinen jämmerlich betriebenen Linksschwenk-Versuch nicht zur totalen Hinrichtung zu nutzen. Trotz der angeblichen Unterstützung im Gegenzug zu seinem Versprechen, sich für die Privatisierung der Bahn einzusetzen, betreibt man dieses Geschäft der Hinrichtung übrigens mithilfe der Truppen um die Seeheimer und mithilfe entsprechender Propaganda in der Öffentlichkeit dennoch weiter. – Dass Kurt Beck dies nicht sieht, kann ich mir nicht vorstellen. Es ist wohl eher so, dass er sich gerne in diesen Zwang fügt, weil er vermutlich in ähnlicher Weise wie Steinbrück, Steinmeier, Tiefensee, die Bundeskanzlerin und Kauder der Finanzindustrie verpflichtet ist.
  4. Interessant und merkwürdig ist – und dies muss deshalb ausdrücklich notiert werden: Sowohl der Bahnchef als auch der Aufsichtsrat seines Unternehmens engagieren sich dafür, den Eigentümer zu entrechten, jedenfalls zu wechseln. Man muss sich das einmal übertragen auf andere Unternehmen vorstellen: Wenn der Porsche-Chef Wiedeking darauf drängte, dass die Familie Porsche ihre Mehrheit am Konzern abgibt, dann würden sich nicht nur die Betroffenen wundern, sondern auch die Öffentlichkeit. Mehdorn lässt man mit diesen Spielchen gewähren. Genauso den Aufsichtsrat. Aber, um bei der Parallelität zu bleiben, die Familie Porsche würden auch nie zulassen, dass der Aufsichtsrat Ihres Unternehmens mehrheitlich von Familienfremden, und sogar von ihren Gegnern, beherrscht wird. Beim Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG ist das so. Dort sitzen mehrheitlich nicht Vertreter der öffentlichen Hand. Vorsitzender ist Werner Müller, der Chef der Ruhrkohle AG. Man sollte diese Merkwürdigkeit beachten. Die von uns in Verantwortung gewählten Politiker verscherbeln die Macht über unser Eigentum schon, bevor es tatsächlich verscherbelt ist. – Bei der Telekom haben wir den Zustand erreicht, dass ein Minderheitsaktionär mit rund 4,5% der Aktien bestimmen kann, wer das Unternehmen leitet: Die Heuschrecke Blackstone und ihr Chef Schwarzmann bestimmen ganz wesentlich, was mit diesem Unternehmen geschieht, obwohl der Bund immer noch Großaktionär ist und vielen kleinen Aktionäre in der Summe viel mehr gehört als der Heuschrecke.
  5. Warum ist die Privatisierung oder Teilprivatisierung eines Unternehmens wie der Deutschen Bahn AG für die Finanzwirtschaft und für solche Minderheitsaktionäre wie bei der Deutschen Telekom so attraktiv?
    Zum einen verdienen einflussreiche Personen und Gruppen am Privatisierungsvorgang selbst: mit Gutachten, Provisionen, Beratungsleistungen, Propaganda und PR. Beim Börsengang der Bahn wird es dabei um dreistellige Millionenbeträge gehen, die unter die Beteiligten verteilt werden.
    Zum anderen verdienen die so genannten Investoren vermutlich an der Geschäftspolitik der dann von ihnen mitbeherrschten Deutschen Bahn AG. Ein solches Unternehmen vergibt sehr viele Aufträge, ein solches Unternehmen kauft und verkauft Tochterfirmen, ein solches Unternehmen besetzt viele attraktive Stellen für Vorstandsmitglieder, Aufsichtsräte und Geschäftsführer. Wer bei all diesen Vorgängen die Finger im Spiel hat, kann bei vielen Gelegenheiten absahnen. Diese Zusammenhänge werden häufig nicht beachtet. Übrigens auch nicht bei der Telekom. (Interessierte Journalisten sollten sich einmal darum kümmern, in welchem Maße der von Blackstones Gnaden zum Chef der Telekom gewordene Obermann Personal austauscht.)
    Auch in der Arbeitsgruppe der SPD werden einige sitzen, deren Spezies an solchen Geschäften partizipieren. Anders ist der Drang auf eine Teilprivatisierung weder in diesem Kreis noch in anderen Kreisen zu verstehen. Hier sind Plünderer unterwegs. Nur wenn man dies verstanden hat, begreift man wirklich das ab heute wieder intensiv betriebene Vorhaben Teilprivatisierung der Deutschen Bahn.

Anlagen:

1. Transnet: SPD soll Bahn-Teilverkauf nicht blockieren
Quelle: Reuters (vom 28.3.2008)

2. Unauflösbarer Widerspruch
Die Umwandlung der Staatsbahn in einen privatwirtschaftlichen Dienstleister wird die SPD in nächster Zeit in Anspruch nehmen. Ab heute diskutiert die Arbeitsgruppe Bahnreform der Partei mit Parteichef Kurt Beck und Stellvertretern. Denn es geht um die Bahn – und um den Kurs der SPD.
Quelle: TAZ

3. Bahnverkauf: Mehdorn drängelt weiter
Aufsichtsrat der Bahn fordert schnelle Entscheidung zur Privatisierung. Am Montag tagt erstmals die entscheidende SPD-Arbeitsgruppe zum umstrittenen Bahnverkauf. 70 Prozent der Deutschen wollen eine Bahn in komplett öffentlichem Besitz
Quelle: TAZ


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