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Titel: Vorschläge und Fragen Peter Conradis an die AG Bahnreform der SPD

Datum: 8. April 2008 um 15:26 Uhr
Rubrik: Privatisierung, SPD, Verkehrspolitik
Verantwortlich:

Der ehemalige SPD-Abgeordnete und Privatisierungsgegner mit einem Beinaherfolg beim Hamburger SPD-Parteitag hat einen Brief mit Vorschlägen und Fragen an die AG der SPD geschrieben. Antwort hat er bisher noch nicht erhalten. Er stellt uns die Texte zur Verfügung. Albrecht Müller

Brief:

Peter Conradi
27.03.2008

An die Mitglieder der AG “Bahnreform”

Lieber Kurt Beck,
liebe Genossinnen und Genossen –

es ist gut, dass das SPD-Präsidium die Arbeitsgruppe “Bahnreform” aufgefordert hat, ihre Arbeit fortzusetzen. Ich wünsche Euch eine gutes Ergebnis im Sinne unseres Parteitagsbeschlusses zur “Bahnreform” am 27.10.2007 in Hamburg. Dabei geht es nicht nur um die Modelle zum Teilverkauf der DB AG: Die Partei und die Öffentlichkeit erwarten von Euch konkrete Aussagen zu den Zielen der dringend notwendigen Reform der Deutschen Bahn und zu den Organisations- und Finanzierungsformen, die diesen Zielen gerecht werden. Einige Vorschläge und Fragen habe ich im beiliegenden Papier formuliert.

Kurt Beck hat recht: Die Partei muss über Sachthemen aus dem gegenwärtigen Stimmungstief herauskommen und dabei ihre Glaubwürdigkeit deutlich machen. Für das Thema “Bahnprivatisierung” heisst das: Wir müssen die Sorgen unserer Mitglieder und der SPD-Wählerschaft ernst nehmen und zu dem stehen, was wir in Hamburg beschlossen haben. Die Bahnprivatisierung ist in der Öffentlichkeit kein Thema, mit dem die SPD gewinnen kann, im Gegenteil.

Würden wir eine Teilprivatisierung nach dem Holdingsmodell beschliessen, bei dem Privatinvestoren volles Stimmrecht und damit massgeblichen Einfluss auf den Personen- und Güterverkehr bekämen, wären wir weder “nah bei den Menschen” noch würden wir unseren Parteitagsbeschluss ernst nehmen. Das wäre wirklich ein Wortbruch, zumal die Union beim Holding-Modell darauf spekuliert, bei einer anderen Regierungskonstellation den DB-Konzern vollends zu zerschlagen und verkaufen. Dem dürfen wir nicht Vorschub leisten.

Von Eurer Arbeit, liebe Genossinnen und Genossen, hängen die Glaubwürdigkeit der SPD und unseres Vorsitzenden Kurt Beck und unsere Zukunftsfähigkeit ab. Die SPD sollte mit einem klaren Konzept in den Bundestagswahlkampf 2009 gehen:
“Wir wollen eine reformierte bundeseigene Deutsche Bahn!”
Ich freue mich über Ermunterung und Kritik, und ich erwarte Eure Antworten, insbesondere auf meine Fragen zur Finanzierung. Ich wünsche Euch gute Arbeit!
Mit freundlichen Grüssen
Peter Conradi

Anlage: Vorschläge und Fragen

PS: Ich bitte Euch dafür zu sorgen, dass die Unterlagen zum Holding-Modell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, insbesondere die Langfassung des Gutachtens von Hölters & Eising.


Vorschläge und Fragen:

Peter Conradi
E-Mail: [email protected]

Anlage zum Schreiben vom 27.03.2008 an die Mitglieder der AG Bahnreform”

Vorschläge und Fragen zur Bahnreform und zur Bewertung des Holdingmodells

1. Ziele der Bahnreform

  • Aus ökologischen (Umwelt, Klimaschutz und Lärmverminderung), aus ökonomischen (steigende Energiepreise) und aus sozialen Gründen (Mobilität für alle; Sicherung der Arbeitsplätze) muss der Anteil der Deutschen Bahn am Personen- und Güterverkehr in den Ballungsräumen und in der Fläche deutlich erhöht werden. Die Deutsche Bahn muss ein wichtiges Instrument der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik des Bundes bleiben.
  • Die Deutschen Bahn soll alle Mittelstädte stündlich/alle Grosstädte halbstündlich mit IC/ICE-Zügen bedienen und die Reisezeiten durch integrierte Taktfahrpläne verkürzen.
  • Die Deutsche Bahn braucht ein transparentes, attraktives Preissystem, das die Bahnpreise mit der Benutzung anderer Verkehrsangebote verbindet (Mobility Card).
  • Die Deutsche Bahn muss ihren Anteil am Güterverkehr durch eine Wiederbelebung des regionalen Güterverkehrs (Gleisanschlüsse) und durch kombinierte Systemangebote und grenzüberschreitende Angebote in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Bahnen verstärken.
  • Die Deutsche Bahn muss ihre Politik der Streckenstilllegungen, Bahnhofsschliessungen und des Abbaus von Industrieanschlüssen beenden. Die Ausdünnung des Bahnverkehrs in der Fläche und die Konzentration auf die schnellen Fernverkehrsstrecken widersprechen unseren Zielen der Bahnreform.

2. Organisationsform

  • Die Organisationsform der Deutschen Bahn muss sicherstellen, dass der Bund (Bundestag und Bundesregierung) seine verfassungsrechtliche Verantwortung (Daseinsvorsorge) wahrnehmen kann: “Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten (1) … Rechnung getragen wird” (Art 87e Abs 4 GG).
  • Die Vorstände und Aufsichtsräte der DB AG und ihrer Tochterunternehmen müssen personell und institutionell so besetzt werden, dass die Interessen der Fahrgäste, des Güterverkehrs und der Umwelt Massstab für die Unternehmensführung der Deutschen Bahn sind, nicht die Renditeinteressen privater Investoren.

3. Finanzierung

  • Für welche Investitionen (Erwerbungen) braucht die DB AG “Mittel, (um) sich europäisch aufzustellen, damit sie nicht dauernd Marktanteile verliert” (2) ?
  • Wie hoch ist die derzeitige Verschuldung der bei ihrer Gründung 1994 durch den Bund schuldenfrei gestellten DB AG? Bei welchen Tochtergesellschaften sind die Schulden der DB AG angelaufen? Welche Schulden muss der Bund gegebenenfalls bei einem Teilverkauf der DB AG übernehmen?
  • Welche in- und ausländischen Verkehrs- und Logistikunternehmen hat die DB AG in den vergangenen fünf Jahren (ganz oder teilweise) erworben und wie hoch waren die Aufwendungen für diese Erwerbungen?
  • Die Verschuldung der DB AG muss durch den Verkauf von bahnfremden Tochterunternehmen und ausländischen Bahnunternehmen abgebaut werden. Die Deutsche Bahn soll nicht ausländische Verkehrsunternehmen erwerben und beherrschen, sondern mit anderen Verkehrsunternehmen gemeinsame Verkehrsangebote (3) machen.
  • Welche Gründe sprechen gegen die Mittelbeschaffung durch festverzinsliche Anleihen der DB AG, die weniger Zinsen kosten als die Renditeforderungen privater Investoren?
  • Welche Finanzierungsreserven gibt es durch Einsparungen bei überteuerten Grossprojekten?

4. Holding-Modell

  • In Hamburg hat die SPD beschlossen, dass die Deutsche Bahn ein Instrument der Daseinsvorsorge bleibt; private Investoren können sich zwar über stimmrechtslose Vorzugsaktien beteiligen, dürfen jedoch keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik bekommen; der Bahnkonzern wird nicht zerschlagen und die Beschäftigung wird gesichert.
  • Das entspricht unserem neuen Grundsatzprogramm: “Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge wollen wir nicht den Renditeerwägungen globaler Kapitalmärkte aussetzen.”(4)
  • Das Holding-Modell entspricht nicht den von Kurt Beck präzisierten Forderungen unseres Hamburger Parteitags: “Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Zur Erreichung dieses Ziels stellt die stimmrechtslose Vorzugsaktie die geeignete Form dar …eine andere Beteiligung privater Investoren lehnen wir ab.”(5) Das Holding-Modell sieht demgegenüber die Ausgabe stimmberechtigter Aktien vor und öffnet damit privaten Investoren entscheidenden Einfluss auf die Bereiche Nah-, Fern- und Güterverkehr. Der Bund als Mehrheitsgesellschafter könnte sich angesichts des Risikos von Gewinnwarnungen und Kursverlusten nicht erlauben, kapitalmarktwidrige Gemeinwohlerwägungen zur Grundlage von Unternehmensentscheidungen (Hauptversammlung und Aufsichtsrat) zu machen.
  • Die Privatinvestoren wollen mit ihrer Beteiligung nicht dem Gemeinwohl dienen, sondern Gewinne erwirtschaften, indem sie die Kosten senken, zum Beispiel durch die Streichung unrentabler Verkehrsangebote.
  • Beim Holding-Modell erhalten die privaten Investoren auch Einfluss auf das bundeseigene Netz, weil die Vorstände der Holding und der privatisierten Verkehrssparten personenidentisch besetzt werden und dafür sorgen werden, dass die privatisierten Verkehrssparten das staatlich finanzierte Netzmöglichst billig nutzen können.
  • Die Zusage des Parteitags “… die 230.000 bei der Bahn beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich auf die SPD verlassen.”(6) Bereits im Januar hat Hartmut Mehdorn drastische Sparmassnahmen durch Rationalisierung und Arbeitsverlagerung in Billiglohngebiete angekündigt. Beim Holding-Modell werden die Privatinvestoren ihre Interessen zur Steigerung ihrer Gewinne noch stärker gegen die Interessen der Beschäftigten durchsetzen.
  • Entgegen unserem Parteitagsbeschluss “Keine Zerschlagung – Erhalt des integrierten Konzerns” (6) würde das Holding-Modell den Weg in eine schrittweise Voll-Privatisierung der Verkehrssparten Bahn öffnen und damit den Konzern zerschlagen. Vermeintliche “Garantien” vertraglicher oder gesetzlicher Art können das nicht verhindern, weil zukünftige Regierungsmehrheiten diese ändern können.
  • Im Koalitionsvertrag hat sich die SPD zu keinem bestimmten Privatisierungsmodell verpflichtet. Im Gegenteil heisst es dort ausdrücklich, dass über die Gestaltung nach Prüfung entschieden wird. (7)
  • Eine breite Mehrheit der Bevölkerung und eine noch grössere Mehrheit der SPD-Mitglieder will jedoch keine DB AG, in der private Investoren das Sagen haben, sondern eine reformierte bundeseigene Deutsche Bahn. Sollte die AG Bahnreform dem Holding-Modell oder einem ähnlichen Modell zustimmen, wird der vom Parteitag auf Vorschlag von Kurt Beck beschlossene Sonderparteitag (8) unumgänglich, und es ist zu erwarten, dass der Sonderparteitag wie der Hamburger Parteitag votiert.

Anmerkungen:

(1) Die im Art 87e Abs 4 GG angesprochenen Verkehrsangebote umfassen den Personen- u n d den Güterverkehr
(2) Hubertus Heil, zitiert nach der Einladung der AG Bahnreform vom 14.03.2008
(3) Wie die Lufthansa im Rahmen der Star Alliance
(4) Hamburger Grundsatzprogramm der SPD, S. 32
(5) SPD-Parteitag 2007 in Hamburg, Beschlussübersicht Nr.45 “Für eine Bahn mit Zukunft” Ziff. 3
(6) wie vor, Ziff. 2
(7) Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005 S. 58, Ziff. 6.3
(8) wie (5) Ziff. 3 letzter Absatz


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