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Titel: Kriegspropaganda und Krieg sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Dazu ein Essay von Wolfgang Bittner.

Datum: 26. Februar 2016 um 11:06 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege
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Die Frage, ob wir vor einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen West und Ost stehen, bewegt vermutlich viele Menschen. Die Vorstufe militärischer Konfrontation ist die Konfrontation der Propaganda. Die Bedeutung der Propaganda hat der Westen um vieles früher erkannt als Moskau. Moskau versucht nach zu ziehen. Westliche Agitatoren rufen: Haltet den Dieb! Und sie verkürzen die Erzählung der Geschichte im Falle Syriens wie auch der Ukraine-Krise nach ihrem Gusto. Verkürzt. Wir bringen heute einen Essay von Wolfgang Bittner. Die Lektüre erfordert ein bisschen Zeit. Dennoch ist sie sehr zu empfehlen. Bitte geben Sie den Text weiter, wenn Sie ihn gut finden. Es ist wichtig, andere Menschen zu informieren. Albrecht Müller

Wer daran noch zweifelt, sollte sich bei Spiegel-Freunden den Spiegel dieser Woche ausleihen und dort auf Seite 10 den Leitartikel des stellvertretenden Chefs der Außenpolitik des Spiegel, Mathieu von Rohr, anschauen. Hier die englische Version. Für die deutsche gibt es noch keinen Link.
Das ist reine Kriegspropaganda. Ein solch aggressives Stück habe ich zuletzt im Stern gefunden. Siehe hier.
Alleine die Tatsache, dass zwei Medien, die in den sechziger und siebziger Jahren noch Befürworter der Entspannungspolitik waren, jetzt auf die Seite der Kriegspropagandisten gewechselt sind, muss man als dramatische Verschlechterung der Chance sehen, zu einer Politik der Kooperation statt der Konfrontation zurückzukommen.

Nun also der Text von Wolfgang Bittner:

Wolfgang Bittner

Informations-Krieg gegen Russland
Wie die Fakten verkehrt werden und Kritiker kaltgestellt werden sollen

Von Wolfgang Bittner

Sowohl in der ARD-Tagesschau [1] als auch bei SPIEGEL-Onlinei [2] wird am 8. Februar 2016 berichtet, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die russischen Bombardierungen in Syrien heftig kritisiert hat. Sie sei „nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt“ sagte sie in Ankara auf einer Pressekonferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, „was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch die Bombenangriffe entstanden ist“. Und obwohl in Syrien seit September 2014 von den USA sowie einzelnen Golfstaaten gebombt wird und bereits Millionen geflüchtet sind, gibt es für die Bundeskanzlerin jetzt einen Schuldigen für das Leid und das „Flüchtlingsdrama“: Russland mit seinen Militäraktionen seit Ende September 2015.

Unterschlagen wird, dass allein die von der Assad-Regierung in Moskau angeforderte Militärhilfe mit dem Völkerrecht vereinbar ist, weil die anderen Kombattanten innerhalb des Territoriums des souveränen Staates Syrien agieren. Auch der brutale Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch das türkische Militär ist keines Protestes wert. Ebenso wenig stehen die ständigen massiven Menschenrechtsverletzungen der Türkei im eigenen Land zur Debatte. Und dass die türkische Armee kurdische Städte bombardiert und kurdische Einheiten, die in Syrien gegen den IS kämpfen, auf syrischem Territorium angreift, wird einfach übergangen. Sonst könnten die Verhandlungen in der „Flüchtlingsfrage“ beeinträchtig werden – so die Intentionen von Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. [3]

Am 15. Februar 2016 steht dann in der ZEIT, dass bei Angriffen auf zwei Krankenhäuser und eine Schule in den syrischen Provinzen Aleppo und Idlip 19 Menschen starben und dass eine „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrecht“ die russischen Streitkräfte dafür verantwortlich macht. [4] Eine genauere Untersuchung hat bis dato nicht stattgefunden, aber das ist offensichtlich unerheblich. Die deutschen Medien berufen sich gern und oft auf Berichte der Syrian Observatory for Human Rights, obwohl die in England ansässige Organisation, die von einem syrischstämmigen sunnitischen Geschäftsmann aus seinem Privathaus in Coventry betrieben wird, bekanntermaßen einseitige und zum Teil falsche Informationen verbreitet.

Der Ukraine-Konflikt und die Krim-„Annexion“

Das Gleiche gilt für Meldungen, die aus Kiew über den Ukraine-Konflikt kommen. Zu den dortigen Auseinandersetzungen hat die Bundeskanzlerin ebenfalls ihre eigenen Vorstellungen, die nicht mit den Fakten übereinstimmen. In Berlin stärkte sie Anfang Februar dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der Krieg gegen seine ostukrainischen Landsleute führt, den Rücken und sprach sich für eine Weiterführung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland aus. [5] „Merkel bleibt hart gegen Russland“, titelt die Bild-Zeitung. [6] Obwohl die Chronologie der Ereignisse beweist, dass in der Ukraine seit Jahren von ausländischen Regierungen, Geheimdiensten und NGOs auf einen Regimewechsel hingearbeitet wurde, [7] wird die Propagandalüge verbreitet, Russland sei der Aggressor.

Die jüngere Geschichtsschreibung in der Ukraine beginnt für die westlichen Politiker und Medien mit der fälschlich als „Annexion“ bezeichneten Abspaltung der Krim, und in Syrien fängt sie mit dem Eingreifen russischer Streitkräfte am 30. September 2015 in den dortigen Bürgerkrieg an. Beides wird zum Vorwand für die fortwährende Aggressionspolitik gegen Russland genommen, alles Vorhergegangene wird ignoriert, bemäntelt oder umgelogen.

Die Abspaltung der Krim von der Kiewer Ukraine dient der westlichen Allianz seither zum Vorwand für Wirtschaftssanktionen, die nicht nur Russland treffen, sondern in erheblichem Maße auch Europa, wie der US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden im Oktober 2014 in einer Rede an der Harvard Kennedy School in Cambridge/Massachusetts zugab. [8] Ständig wird zur Rechtfertigung auf die angebliche Annexion der Krim durch Russland verwiesen, die jedoch bei genauerem Hinsehen eine Sezession war – ein gravierender Unterschied. Denn es gab keine gewaltsame Aneignung der Autonomen Republik Krim durch Russland, sondern eine Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit nach freien Wahlen und Beitritt zur Russischen Föderation. [9]

Aber die Hintergründe des Ukraine-Konflikts werden im Dunkeln gelassen; wie auch der Putsch in Kiew, die Morde auf dem Maidan-Platz und in Odessa oder der Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH 17. Es wird weiter verschleiert, gedroht, gehetzt und in einer Weise aufgerüstet, die Russland als ernsthafte Bedrohung empfinden muss. Dass die von den USA dominierte NATO dabei eine führende Rolle spielt, geht aus zahlreichen Verlautbarungen des Nato-Generalsekretärs Stoltenberg, seines Vorgängers Rasmussen wie auch des Nato-Oberbefehlshabers Philip Breedlove hervor.

Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sind beauftragt

Nun lese ich am 20. Februar 2016 in einer kleinen Notiz in meiner Tageszeitung, dass die Bundesregierung von Geheimdiensten untersuchen lassen will, ob „der Kreml mit verdeckten Mitteln die öffentliche und politische Debatte in Deutschland manipuliert“. [10] Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sollen im Auftrag des Kanzleramtes herausfinden, „ob russische Geheimdienste mit Desinformationskampagnen gezielt für Unruhe sorgen wollen“. Es bestehe der Verdacht, so heißt es, dass Moskau an einer „systematischen Destabilisierung“ Deutschlands und auch der Bundesregierung arbeite; Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck hätten sich persönlich an dieser Frage interessiert gezeigt und auch das Auswärtige Amt sei offenbar eingebunden.

Mir fällt ein, dass die Bundeskanzlerin schon im Februar 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor „Russlands Vorsprung im Informationskrieg“ und vor „Missinformation, Infiltrierung und Verunsicherung“ warnte, womit es sich „auseinanderzusetzen“ gelte. [11] In der FAZ ortete man die Missinformanten, Infiltrierer und Verunsicherer sogleich unter den Bloggern und in Webseiten, die damit beschäftigt seien, „Moskaus Sicht der Dinge in die Welt zu tragen“. [12]

Moskau, die Krimtataren und die USA

Dass die Infiltrierung bereits bis in die Unterhaltungsbranche vorgedrungen ist, allerdings um die Sicht Deutschlands und der Kiewer Ukraine in die Welt zu tragen, lese ich am 23. Februar 2016 zum Frühstück auf der ersten Seite meiner Lokalzeitung. [13] Eine Krimtatarin will nämlich für die Ukraine mit einem kritischen Lied den Eurovision Song Contest gewinnen. Der Song, mit dem die Sängerin das Land im Mai in Stockholm vertreten will, handelt von der Deportation der Krimtataren unter stalinistischer Herrschaft. „Dennoch – oder gerade deshalb – wurde sie von einer Jury und dem Fernsehpublikum auserkoren“, lese ich, und dass die Krimtataren als „Nazi-Kollaborateure“ verfolgt und 1944 nach Zentralasien zwangsumgesiedelt wurden.

Warum ich diese Informationen erhalte, wird sogleich deutlich. Ich erfahre, das Lied beschreibe genau, worunter die Ukraine heute wieder leide: „2014 hatte Russland die Krim annektiert.“ Aber die Tataren lehnten die Annexion wegen ihrer historischen Erfahrungen vehement ab. Und seither gehe Moskau „hart gegen die Minderheit vor“. Aktivisten seien festgenommen, Anführer verbannt worden. Dazu fällt mir ein, Wochen zuvor eine Meldung gelesen oder gehört zu haben, dass in der Ostukraine von Nationalisten Strommasten gesprengt wurden, um die Stromversorgung für die Krim zu unterbrechen. Mitten im Winter waren die Bewohner der Krim tagelang ohne Elektizität.

Außerdem erinnere ich mich, eine Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin gelesen zu haben, in der er sagte: „Ja, es gab eine Zeit, als man den Krimtataren, wie auch anderen Völkerschaften der UdSSR gegenüber mit Härte und Ungerechtigkeit aufgetreten ist. Ich will eines sagen: Millionen von Menschen verschiedener Nationalitäten wurden Opfer der damaligen Repressionen, vor allem natürlich auch Russen. Die Krimtataren sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt. Ich bin der Ansicht, dass es notwendig ist, alle politischen und rechtlichen Schritte dazu zu unternehmen, die Rehabilitation der Krimtataren zu vollenden und ihren guten Namen in vollem Umfang wiederherzustellen. Wir achten Vertreter aller Nationalitäten, die auf der Krim leben. Das ist ihr gemeinsames Haus …“ [14]

Putin, die USA und Westeuropa

An anderer Stelle fuhr Putin seinerzeit (im März 2014) fort: “Wir wollen Freundschaft mit der Ukraine, wir wollen, dass sie ein starker, souveräner und sich selbst genügender Staat ist. Für uns ist die Ukraine ja einer der wichtigsten Partner, es gibt unzählige gemeinsame Projekte, und ungeachtet aller Dinge glaube ich an ihren Erfolg. Und das Wichtigste: Wir wollen, dass Frieden und Einvernehmen auf ukrainischem Boden einkehren, und gemeinsam mit anderen Ländern wollen wir darin umfassende Unterstützung leisten.“
Über die USA sagte der russische Präsident in derselben Rede: „Sie glauben an ihre Erwähltheit und Exklusivität, daran, dass sie die Geschicke der Welt lenken dürfen und daran, dass immer nur sie allein Recht haben können. Sie handeln so, wie es ihnen einfällt: Mal hier, mal da wenden sie Gewalt gegen souveräne Staaten an, bilden Koalitionen nach dem Prinzip ‚wer nicht mit uns ist, ist gegen uns‘. Um ihren Aggressionen das Mäntelchen der Rechtmäßigkeit zu verleihen, erwirken sie entsprechende Resolutionen bei internationalen Organisationen, und wenn das aus irgendeinem Grunde nicht gelingt, dann ignorieren sie sowohl den UN-Sicherheitsrat, als auch die UNO als Ganzes. So war es in Jugoslawien (…) Danach folgten Afghanistan, Irak und unverhohlene Verletzungen der UNSC-Resolution zu Libyen, als man anstelle der Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone mit Bombardements begann.“

Putins wiederholte Friedens- und Kooperationsangebote, zum Beispiel am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag [15] wie auch in seiner außerordentlich klugen, auf Verständigung ausgerichteten Rede vom 24. Oktober 2014 auf der Waldai-Konferenz in Sotschi [16] blieben unerwidert. Sein Werben um einen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraum vom Pazifik bis zum Atlantik, von Wladiwostok bis Lissabon, wurde ignoriert; ebenso wenig wurde seine mehrmalige Kritik an der Nato-Osterweiterung zur Kenntnis genommen. Stattdessen führte US-Präsident Barack Obama im Mai 2014 in einer Rede vor der Militärakademie Westpoint aus: „Von Europa bis Asien sind wir der Dreh- und Angelpunkt aller Allianzen, unübertroffen in der Geschichte der Nationen (…) So sind und bleiben die Vereinigten Staaten die einzige unverzichtbare Nation [‚the one indispensable nation‘]. Dies ist für das vergangene Jahrhundert wahr gewesen und das wird für das nächste Jahrhundert gelten.“ [17]

Wie aus Äußerungen US-amerikanischer Politiker und Regierungsberater hervorgeht, gibt es eine Strategie, Russland als Machtfaktor in der internationalen Politik auszuschalten (deshalb auch die Verteufelung Putins) und durch Wirtschaftssanktionen, Beeinflussung der Kapital- und Energiemärkte sowie die aufgebürdeten Kosten für Nachrüstung zu ruinieren. Ganz offensichtlich ist das Ziel, Osteuropa den westlichen Kapitalinteressen aufzuschließen und den imperialen Zielen der USA unterzuordnen. [18] Wer sich nicht beugt, wird bekanntlich entweder bombardiert oder ruiniert.

Antiamerikanismus? Nein, es gibt keine kollektive Identität! Immer mehr Menschen wenden sich mit dem Recht der an dieser furchtbaren Politik Verzweifelnden gegen die Zerstörung von Ländern durch die USA, gegen Kriegshetze, Militarisierung und Aufrüstung, gegen Totalüberwachung durch die NSA, Drohnenmorde, Folter, Mediennetzwerke zur Indoktrinierung ganzer Bevölkerungen usw. Doch die Kritik wird als „Verschwörungstheorie“ abgetan, Kritiker und Oppositionelle müssen damit rechnen, dass sie bespitzelt werden.

Die Umkehrung der Fakten

Die Propaganda gegen Russland wird immer noch verstärkt, und die Mobilisierung gegen hiesige Oppositionelle nimmt groteske, alarmierende Formen an. Am 24. Februar finde ich auf der zweiten Seite meiner Tageszeitung einen langen Artikel mit der Überschrift: „Russland will die Europäer verunsichern“, Untertitel: „EU-Behörde deckt Propaganda-Aktivitäten aus Moskau auf – und ist zunehmend beunruhigt.“ [19] Zu erfahren ist, dass der Auswärtige Dienst der EU (EAD) eine Spezialeinheit mit dem Namen „East StratCom Task Force“ (Strategisches Kommunikationsteam Ost) gebildet hat, die sich um eine „großflächig organisierte Propaganda“ russischer Behörden in den Ländern der EU kümmern soll. Experten der EU-Kommission sind sicher, dass Moskau schon seit Monaten das Ziel verfolge, die Europäische Union zu destabilisieren und mit gezielter Desinformation und Verunsicherung „hybride Kriegsführung“ betreibe.

Die 28 Staats- und Regierungschefs der EU (die sich zunehmend zu einem „Europäer-Gebiet“ der USA entwickelt) hatten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini im März 2015 aufgefordert, die „propagandistischen Aktivitäten“ Russlands zu untersuchen. Irritiert lese ich: „Schon damals verfestigte sich der Eindruck, gezielte falsche Berichterstattung, von Moskau initiiert, solle die Verantwortlichkeit im Konflikt um die Krim verwischen. Am Ende soll es nicht mehr nur eine, sondern viele Wahrheiten geben.“ In einem Bericht der Brüsseler Task-Force über „offensichtliche Lügen“ aus Moskau heißt es: „Sie nehmen sich ein existierendes Nachrichtenelement und pervertieren es ins Gegenteil.“

Da wird der informierte Zeitgenosse ob solcher Dreistigkeit nahezu sprachlos. Denn wir kennen doch diese Methode von unseren Politikern und aus unseren Medien. Es entspricht dem, was wir täglich erdulden müssen, was wir lesen, hören oder sehen. Wenn hier zu bestimmten Ereignissen oder Vorgängen alle Verlautbarungen in eine Richtung gehen, verfestigt sich der Eindruck, dass irgendwelche „Agenturen“ Informationen verbreiten, die vollkommen unkritisch oder sogar bereitwilligst übernommen werden. Es gibt inzwischen wissenschaftliche Untersuchungen darüber, welchen fremdbestimmten Einflüssen nicht wenige Politiker und Medien unterliegen. [20] Aber das sehen die „Experten“ der East Stratcom Task Force, die seit Oktober 2015 wöchentliche Berichte veröffentlichen, ganz anders. Der Leiter der Spezialeinheit, Giles Portman, erklärt: „Heute glaubt die Hälfte der französischen Bevölkerung und ein Drittel der deutschen, dass Kiew die Schuld am Krieg in der Ostukraine trage.“ Wer denn sonst, fragen wir uns und erinnern die Chronologie der Ereignisse in der Ukraine.

Beanstandet wird insbesondere, dass Moskau den Etat für das Nachrichtenportal Sputnik aufgestockt hat und für den Sender Russia Today, der auch ein deutsches TV-Programm ausstrahlt, 250 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Übersehen wird dabei geflissentlich, dass der staatliche Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Welle, neben Einnahmen aus Werbung und Sponsoring mit einem jährlichen Zuschuss von etwa 300 Millionen Euro (2016) vom Bund unterhalten wird. [21]

Fortschreitender Demokratieabbau

Am 23. Februar 2016 erfahre ich aus der ehemals linksliberalen Frankfurter Rundschau, die ich hin und wieder noch lese, dass der Bundesinnenminister den sogenannten Bundestrojaner freigegeben hat. [22] Gemeint ist eine Software, mit der staatliche Organe in die Computer und Smartphones von Verdächtigten eindringen und deren Kommunikation überwachen können. Sind schon nach dem seinerzeit heftig umstrittenen BKA-Gesetz in der Neufassung vom 1. Januar 2009 erhebliche Einschränkungen von Bürgerrechten zulässig [23], werden hier unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus oder organisierter Kriminalität kaum noch zu kontrollierende schwerwiegende Eingriffe der Geheimdienste in die Privatsphäre ermöglicht – ein weiterer Schritt in den Überwachungsstaat.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass „heimliche Fernzugriffe“ nur bei „tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut“ vorgenommen werden dürfen, so etwa bei Gefahr für Leib und Leben oder bei zu erwartenden Straftaten gegen die Grundlagen oder den Bestand des Staates. [24] Dabei darf nach Maßgabe des Gerichts nicht der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ verletzt werden. Ferner folge aus dem „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ nach Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, dass der Eingriff dem Vorbehalt richterlicher Anordnung unterliege.

Aber die Begriffe, mit denen hier umgegangen wird, sind auslegungsfähig. Wer hinsichtlich der Ursachen des Ukraine-Konflikts oder des syrischen Bürgerkriegs, des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland oder der Mitgliedschaft in der Nato öffentlich andere Ansichten als die Regierung und ihre Medien vertritt, könnte nach Einschätzung von „Verfassungsschützern“ eventuell die Grundlagen oder den Bestand des Staates gefährden. Wer eine Friedensdemonstration angemeldet hat, könnte eventuell eine Gefahr für Leib und Leben heraufbeschworen haben. Solche Personen könnten dann vielleicht künftig – womöglich mehr als bisher – ausgespäht werden. Es fragt sich, mit welchen Folgen für die Einzelnen und für die Gesellschaft.


[«1] https://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-merkel-pk-105.html

[«2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/angela-merkel-verurteilt-russische-bombardierungen-in-aleppo-a-1076248.html

[«3] https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Tuerkei/150918_Steinmeier_

[«4] http://www.zeit.de/politik/2016-02/angela-merkel-flugverbotszone-syrien-baschar-al-assad-islamischer-staat

[«5] https://www.tagesschau.de/ausland/poroschenko-merkel-105.html

[«6] http://www.bild.de/politik/inland/ukraine-konflikt/poroschenko-bei-merkel-44388154.bild.html

[«7] Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2015.

[«8] https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/05/28/remarks-president-

[«9] Vgl. Reinhard Merkel, Kühle Ironie der Geschichte, FAZ v. 7.4.2014

[«10] Göttinger Tageblatt v. 20.2.2016, S. 4.

[«11] Angela Merkel, zit. n.: http://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz-2015/der-ungleiche-kampf-um-die-deutungshoheit-13417093.html

[«12] Mathias Müller von Blumencron, Sicherheitskonferenz. Der ungleiche Kampf um die Deutungshoheit, FAZ v. 08.02.2015

[«13] Göttinger Tageblatt v. 23.2.2016, S. 1. Siehe auch: http://www.eurovision.de/news/Die-Krimtatarin-Jamala-singt-fuer-die-Ukraine,ukraine644.html

[«14] Wladimir Putin, Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Kreml am 18.3.2014. In: Wolfgang Bittner, a.a.O. S. 113 f.

[«15] Wladimir Putin, Wortprotokoll der Rede im Deutschen Bundestag am 25.09.2001; zit. n.: https://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/putin/putin_wort/244966

[«16] Wladimir Putin, sog. Waldai-Rede, zit. n.: nachdenkseiten.de, http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/141107_Rede_Putin_Diskussionsclub_Waldai_deutsch.pdf

[«17] Barack Obama, Remarks by the President at the United States Military Academy Commencement Ceremony, 28.5.2014, https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/05/28/remarks-president-united-states-military-academy-commencement-ceremony

[«18] Dazu Wolfgang Bittner a.a.O., S. 145 ff.

[«19] Göttinger Tageblatt v. 24.2.2016, S. 2.

[«20] Siehe dazu u.a. die Untersuchungen der Wissenschaftler Uwe Krüger („Meinungsmacht“, Köln 2013) und Daniele Ganser („Nato-Geheimarmeen in Europa“, Zürich 2008).

[«21] http://www.dw.com/de/bund-stärkt-die-deutsche-welle-105-millionen-euro-zusätzlich-für-2016/a-18886781

[«22] http://www.fr-online.de/datenschutz/ueberwachung-regierung-gibt-bundestrojaner-frei,1472644,33834782.html

[«23] Dazu: Wolfgang Bittner, Der Freitag v. 20.11.2008, Anzapfen, verwanzen, ausspähen, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/anzapfen-verwanzen-ausspahen

[«24] http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entschei


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