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Titel: Wie Barack Obama sich seinen Drohnen-Krieg zurechtlügt

Datum: 6. Juli 2016 um 8:49 Uhr
Rubrik: Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache, Terrorismus
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Am vergangenen Freitag veröffentlichte das Weiße Haus ein Papier zu den zivilen Opfern des Drohnen-Krieges. Als ausführlichen oder gar transparenten Bericht kann man das Ganze nicht bezeichnen. Stattdessen biegt man sich die Wirklichkeit zurecht, wäscht sich das Blut von denen Händen und verhöhnt dabei all die namen- und gesichtslosen Opfer, die das Morden mit den Drohnen in den letzten fünfzehn Jahren gefordert hat. Von Emran Feroz[*].

Zwischen 64 und 116 Zivilisten sollen während der gesamten Amtszeit Barack Obamas durch dessen illegalen Drohnen-Krieg getötet worden sein. Dies will uns zumindest ein dreiseitiges Papier, welches am letzten Freitag veröffentlicht wurde, weismachen. Laut den bescheidenen Ausführungen der US-Administration fanden im Zeitraum 2009 bis 2015 in Pakistan, Somalia, Libyen und dem Jemen 473 Drohnen-Angriffe statt. Diese Angriffe sollen zwischen 2.372 und 2.581 „terroristische Kämpfer“ getötet haben. Das Papier, von einem Bericht kann nämlich keine Rede sein, ist das erste seiner Art und wurde schon seit längerem erwartet. Naiverweise erhofften sich einige Beobachter davon mehr Transparenz. Davon kann jedoch keine Rede sein. Stattdessen wird die Realität verzerrt. Es scheint, als ob die Vereinigten Staaten ihren Drohnen-Krieg, der sich in den letzten Jahren neben dem Foltergefängnis auf Guantanamo zu einem weiteren Symbol für Unrecht und Unterdrückung entwickelt hat, zurechtlügen wollen. Die genannte Anzahl von „Kollateralschäden“ ist nicht nur dreist, sondern ein Schlag ins Gesicht für all die namen- und gesichtslosen Opfer, die das Morden mit den Drohnen in den letzten fünfzehn Jahren gefordert hat.

Sogar die konservativsten Zählungen und Schätzungen übertreffen die neuesten Angaben Washingtons und gehen von deutlich höheren Opferzahlen aus. Das Bureau of Investigative Journalism (BIJ), eine in London ansässige Journalisten-Gruppe, geht in den genannten Regionen von Hunderten von Opfern aus und bewegt sich mit seinen Angaben, die auf ausführlicher und unabhängiger Recherche beruhen, sogar im Bereich von über eintausend zivilen Opfern.

Nur vier Prozent Al Qaida

Des Weiteren zerstörte die Arbeit des BIJ schon vor geraumer Zeit den Mythos der präzisen Drohne, die angeblich nur Terroristen tötet. So wurde etwa deutlich, dass lediglich vier Prozent der identifizierten Drohnen-Opfer Pakistans Mitglieder von Al Qaida gewesen sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass die jüngsten Angaben des Weißen Hauses nur die vier bereits genannten Staaten beinhalten. Afghanistan, Syrien und der Irak, wo Drohnen-Angriffe ebenfalls zum Alltag gehören, wurden nicht berücksichtigt. Der Grund: In den drei Staaten finden sogenannte „konventionelle Kriege“ statt, was im neu-orwellschen Jargon in etwa soviel bedeutet, wie dass das Massenmorden auf irgendeine Art und Weise, etwa durch die UN oder irgendeine andere westliche Institution, rechtlich legitimiert ist.

Dabei gilt Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin als das am meisten von Drohnen bombardierte Land der Welt. Der erste Einsatz einer bewaffneten Drohne fand im Jahr 2001 am Hindukusch statt. Damals hieß es, das Ziel sei Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar gewesen. Dieser lebte allerdings mehr als ein Jahrzehnt später immer noch. Stattdessen wurden zahlreiche andere Menschen, hauptsächlich aufgrund ihres Turbans oder ihres Vollbartes, getötet.

Dieses Szenario wiederholt sich weiterhin, immer und immer wieder. Erst im vergangenen Mai wurde Mullah Akhtar Mohammad Mansour, der Omar im vergangenen Jahr beerbte, durch einen Drohnen-Angriff in der pakistanischen Provinz Belutschistan getötet. Obwohl der Führer der Gruppierung dieses Mal tatsächlich getroffen wurde, war er an jenem Tag nicht das einzige Opfer. Die Hellfire-Rakete riss nämlich auch Mohammad Azam, den Fahrer des Taxis, in dem Mansour sich befand, in Stücke. Azam war ein Zivilist, der lediglich versuchte, seine fünfköpfige Familie, bestehend aus seinen vier Kindern und seiner Ehefrau, zu ernähren. Mit den Taliban oder anderen militanten Gruppierungen hatte er keinerlei Verbindungen. De facto wusste er nicht einmal, um wen es sich bei seinem letzten Fahrgast handelte.

USA schufen Präzedenzfall

Mohammad Azams Familie ist mittlerweile juristische Schritte eingegangen, um gegen den Mord vorzugehen. Es wurde etwa bereits ein so genannter „First Information Report“ eingereicht, der die US-Regierung für die Tat verantwortlich macht und die Aufnahme eines Mordverfahrens fordert.

Etwas ins Abseits gerückt ist der Einsatz von Drohnen in Syrien. Diese, so heißt es immer wieder, werden hauptsächlich gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) eingesetzt. Die Realität vor Ort ist jedoch eine andere. Vor wenigen Tagen wurde etwa der US-amerikanische Journalist Bilal Abdul Kareem zum Ziel eines Drohnen-Angriffs nahe Aleppo. Abdul Kareem, der zu den letzten westlichen Reportern vor Ort gehört, überlebte den Anschlag, weiß jedoch weiterhin nicht, wer dafür verantwortlich gewesen ist. Bewaffnete Drohnen werden in Syrien sowohl von den USA als auch von Russland, dem Iran sowie Großbritannien benutzt. Für den versuchten Mordanschlag macht Abdul Kareem jedoch hauptsächlich die USA verantwortlich. Diese, so Abdul Kareem, haben immerhin den Präzedenzfall für derartige Attentatsangriffe geschaffen.

Juristische Schritte gegen das Vorgehen der USA sind wichtig und begrüßenswert. Allerdings haben sie vor allem einen symbolischen Charakter, der Bewusstsein für das kriminelle Handeln der US-Regierung schafft. Dass diese bezüglich ihres täglichen Mordens schon seit langem unantastbar geworden ist, liegt nämlich auf der Hand. Auch wenn die nun veröffentlichten Zahlen eine Farce sind: Barack Obama ist wohl der einzige Staatschef der Welt, der sich öffentlich zu 64- oder 116-fachen Mord bekennen kann – und damit ohne jegliche Anklage davonkommt.


[«*] Emran Feroz ist freier Journalist mit österreichisch-afghanischem Migrationshintergrund. Seine Themengebiete sind Naher & Mittlerer Osten, Migration und Europa und die islamische Welt.


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