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Titel: In unverbrüchlicher Freundschaft zu den Vereinigten Staaten

Datum: 15. Juli 2016 um 12:19 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Gerade in der jetzigen Zeit, der Zeit einer wieder zunehmenden Konfrontation zwischen Ost und West, einer Zeit immer aggressiver werdender Rhetorik gegenüber Russland, die man auch als einen neuen Kalten Krieg begreifen kann, wird gern und häufig auf die langjährige Freundschaft Deutschlands mit den Vereinigten Staaten verwiesen. Es ist ein allgemein anerkanntes Narrativ – die stets wiederholte und damit in scheinbares Wissen übergegangene Erzählung der Geschichte – geworden, das beständig wiederholt und auch von kaum jemandem überhaupt mehr hinterfragt wird, der sich nicht der Gefahr aussetzen will, des „Anti-Amerikanismus“ bezichtigt zu werden. Von Lutz Hausstein[*].

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Diese Formulierung griff auch Albrecht Müller in seiner Rede in Kaiserslautern im Rahmen der „Stopp-Ramstein“-Kampagne auf, schränkte die vermeintliche Allgemeingültigkeit jedoch ein, indem er auch andere Sichtweisen andeutete.

„Viele Deutsche sehen in den USA eine Nation und in den dortigen Menschen ein Volk, das uns sehr geholfen hat: mitgeholfen bei der Befreiung von den Nazis, geholfen bei der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann dieses Bild hinterfragen, aber es hat viel Wahres an sich und außerdem empfinden es sehr viele Leute so. Nicht alle.

Viele Deutsche sehen in den USA jene, die uns vor den Sowjets und den Kommunisten geschützt haben. Auch wenn man das anders sehen kann, generell kann man wohl sagen, dass in den fünfziger und sechziger Jahren so etwas wie ein abschreckendes Gleichgewicht der Kräfte bestand. Damals waren wir von den USA geschützt, heute werden wir benutzt.“

Wie berechtigt das Vorhandensein einer anderen, möglichen Sichtweise ist, soll im Nachfolgenden einmal näher beleuchtet werden. Denn ist es wirklich so einfach und selbstverständlich, eine schon ewig währende, durch nichts zu erschütternde Freundschaft generalisierend für „die“ Deutschen anzunehmen? Gibt es vielleicht auch außer Acht gelassene Umstände, die diese Betrachtungsweise plötzlich in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen könnten?

Die USA waren daran beteiligt, das deutsche Volk und Europa von der Naziherrschaft zu befreien. Von einer Terrorherrschaft, die in ganz Europa, aber auch in Deutschland selbst, schreckliche Verbrechen begangen und unsägliches Leid verursacht hat. Die Vereinigten Staaten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch nicht völlig selbstlos, geholfen, den Wiederaufbau voranzutreiben und auch eine enorme wirtschaftliche Wachstumsepoche in (West-)Deutschland einzuleiten. Denn in der bald nach dem Krieg beginnenden Konfrontation der Blöcke hatte die Bundesrepublik von Beginn an auch eine „Schaufenster“-Funktion gegenüber der DDR. Je attraktiver der Westen den Menschen in der sowjetisch besetzten Zone und später dann in der DDR erschien, umso destabilisierender musste sich dies auf das vom Krieg stark zerstörte und zusätzlich durch Reparationszahlungen, oftmals auch durch Demontage ganzer Betriebe, belastete Ostdeutschland auswirken. Und vor diesem Hintergrund war die USA besonders daran interessiert, Westdeutschland möglichst schnell in ein wirtschaftlich florierendes, modernes und attraktives Land zu verwandeln.

In der (west-)deutschen Öffentlichkeit formte sich so alsbald das Bild einer freundschaftlichen Verbundenheit mit den USA, ungeachtet der Ursachen für deren Handeln. Die sprichwörtlichen Rosinenbomber der Amerikaner zu Zeiten der Berliner Luftbrücke sind nur ein besonders plakatives Beispiel für diese Hilfe der USA. Die Stationierung amerikanischer Soldaten in der Bundesrepublik ließ verbreitete Vorurteile der Deutschen gegenüber den GIs nach und nach abklingen, und zwar nicht erst, seit ein gewisser Elvis Presley als stationierter Soldat auch hier in Deutschland die Hüften kreisen ließ. Vor allem aber waren die amerikanischen Kasernen mit ihren Besatzungen auch vielerorts als nachfragestarker Standort- und Wirtschaftsfaktor beliebt. Und selbstverständlich begriffen die Westdeutschen die amerikanischen Soldaten auch als Garanten für ihre äußere Sicherheit. Als Schutz vor den Warschauer Vertragsstaaten und vor den sowieso schon immer vor der Tür stehenden Russen.

Die Vereinigten Staaten als Befreier, als Freund und Helfer, als Beschützer, als „guter Hegemon“. All dies sind jedoch Wahrnehmungen aus einer ausschließlich westdeutschen Perspektive. Dreht man all dies einmal auf links, so eröffnen sich plötzlich neue Blickwinkel und man sollte vor dieser Perspektive noch einmal von vorn beginnen, Grundsätzliches zu erörtern. Entspricht diese Bewertung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses denn auch der ge- und erlebten Realität ostdeutsch Sozialisierter? Und ist das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetunion resp. Russland wirklich dazu einfach nur entgegengesetzt?

Die US-Amerikaner als Befreier von der Nazidiktatur zu feiern, ist selbstverständlich auch aus der Sicht der Ostdeutschen korrekt und logisch. Gleiches gilt jedoch auch für die Rote Armee der Sowjetunion. Regional betrachtet sogar noch um ein Vieles mehr, denn die überwiegenden Teile Ostdeutschlands wurden durch Soldaten der Roten Armee befreit. Sie sind also gleichermaßen als Befreier Deutschlands zu feiern. Wie man dies in der amerikanisch besetzten Zone also den USA nachsagen kann, gilt dies im selben Maße für die Sowjetunion in der sowjetisch besetzten Zone.

Die Sowjetunion war jedoch nicht der wirtschaftliche Helfer beim Wiederaufbau (Ost-)Deutschlands, wie es die USA für Westdeutschland darstellte. Hatte die UdSSR doch mit 27 Millionen Toten fast die Hälfte aller Opfer des Zweiten Weltkriegs zu beklagen. Gleichfalls war ein Teil der Sowjetunion durch die schweren Bombardierungen, das vollständige Auslöschen ganzer Ortschaften sowie durch die Taktik der verbrannten Erde der Wehrmacht schwer zerstört. So ist es auch kaum verwunderlich, dass die Sowjetunion, im Gegensatz zu den USA, vielmehr Reparationsleistungen forderte, als Hilfe beim wirtschaftlichen Wiederaufbau zu leisten. Diese Reparationen wiederum trieb sie fast ausschließlich in der von ihr besetzten Zone ein. Häufig in Form der Demontage kompletter, hochmoderner Wirtschaftsbetriebe oder Eisenbahnstrecken, aber auch als Entnahmen aus der laufenden Produktion. Bis zur Einstellung der Reparationsleistungen im Jahr 1953, auch aus Reaktion auf die Protestaktionen vom 17. Juni in der DDR, leistete die SBZ (ab 1949 dann die DDR) insgesamt Reparationen von 99,1 Mrd. DM (zu Preisen von 1953), die französisch, britisch und amerikanisch besetzten Zonen hingegen 2,1 Mrd. DM (Quelle: Siegfried Wenzel: „Was war die DDR wert?“, Das Neue Berlin, 2015). Bezogen auf die jeweiligen Einwohnerzahlen trug demzufolge jeder Ostdeutsche das 130-fache an Reparationsleistungen gegenüber einem Westdeutschen. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest nachvollziehbar, dass die Sowjetunion in der allgemeinen Wahrnehmung nicht gerade als der wirtschaftliche Aufbauhelfer gesehen wurde, gar nicht gesehen werden konnte.

In ihrer Funktion als militärische Schutzmacht Ostdeutschlands hingegen unterschied sich die UdSSR durch nichts von der der USA gegenüber Westdeutschland. Abgesehen von der gruseligen Rhetorik, gemäß der „die Soldaten der Nationalen Volksarmee Seite an Seite mit ihren Waffenbrüdern der Sowjetarmee für den Frieden auf Wacht stehen“, haben auf der gegenüberliegenden Seite die Soldaten der Bundeswehr unter dem Strich exakt dasselbe getan: im Verbund mit Einheiten ihrer jeweiligen Schutzmacht militärische Stärke und mindestens Zweitschlagfähigkeit gegen einen potentiell möglichen Angriff der anderen Seite zu demonstrieren. Ebenso wie man aus westdeutscher Perspektive die Schutzfunktion des US-amerikanischen Militärs für Westdeutschland hervorheben kann, muss man dies natürlich gleichfalls für das sowjetische Militär in Ostdeutschland tun.

Ist es dann aber, besonders aus der Sicht über 30-jähriger und älterer Ostdeutscher, nicht befremdlich, wenn sowohl Angela Merkel in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin als auch der CDU-Bundesvorstand in einer Erklärung zum 10. Jahrestag der Anschläge von Nine Eleven eine immerwährende, „unverbrüchliche Freundschaft“ zu den Vereinigten Staaten proklamieren? Insbesondere diese Beschwörung einer bedingungslosen, schon ewig währenden Verbundenheit mit den USA vor dem Hintergrund einer zunehmend verhärteten Eskalation gegenüber Russland, die also Russland als Gegner und Feind aufbaut, muss in den Augen der meisten Ostdeutschen einfach nur lächerlich wirken. Für konservative, westdeutsche Hardliner mag ja „der Russe“ schon immer im Keller gewesen sein oder wenigstens vor der Tür gestanden haben. Für viele andere Deutsche hingegen ist eine solche Darstellung einfach nur Unfug.

Europa, der brüchige Frieden und die gesamte Welt brauchen keine behaupteten „unverbrüchlichen Freundschaften“, die nicht überwindbare Gräben zwischen den Fronten ausheben und zementieren. Sie brauchen Vertrauen, Respekt und gegenseitige Akzeptanz, damit wir uns auch morgen noch an der Welt erfreuen können. Ohne unverbrüchliche, dafür aber viel lieber mit ganz normalen, ehrlichen Freundschaften.


[«*] Lutz Hausstein, Wirtschaftswissenschaftler, ist als Arbeits- und Sozialforscher tätig. In seinen 2010, 2011 und 2015 erschienenen Untersuchungen „Was der Mensch braucht“ ermittelte er einen alternativen Regelsatzbetrag für die soziale Mindestsicherung. Er ist u.a. Ko-Autor des Buches „Wir sind empört“ der Georg-Elser-Initiative Bremen (2012) sowie Verfasser des Buches „Ein Plädoyer für Gerechtigkeit“ (2012).


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