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Titel: Edelfedern aus Stahl – Deutschlands Journalistenbrigade ist stramm auf Konfrontation gebürstet

Datum: 12. August 2016 um 14:29 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Medienkritik
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Was genau in den letzten Tagen auf der Krim geschehen ist, werden wir aller Voraussicht nach wohl nie erfahren. Russland beschuldigt die Ukraine, die Ukraine kontert, Aussage steht gegen Aussage. Doch anstatt die Ruhe zu bewahren und zumindest zu versuchen, Fakten möglichst objektiv zu ordnen und Spekulationen seriös zu bewerten, stricken die klassischen Medien lieber Verschwörungstheorien und blenden alles aus, was nicht ihrem Weltbild entspricht. „Der Russe lügt sowieso“, so das Mantra. Das ist mehr als ein Ärgernis. Vor allem dann, wenn die Edelfedern ihr Stahlgewitter herbeisehnen und wie Richard Herzinger in der WELT für militärische Aggressionen trommeln. Vielleicht sollten Historiker einmal genau untersuchen, welche Rolle Journalisten bei der Entfesselung von Kriegen spielen? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Was ist passiert? Die russische Version

Wie fast immer, wenn es um Konflikte in der ukrainisch-russischen Grenzregion geht, gibt es nichts, das einigermaßen objektiv abgesichert, verifizier- oder falsifizierbar ist. Nach offizieller russischer Sprachregelung hat der russische Inlandsgeheimdienst FSB in der Nacht vom 6. auf den 7. August einen Hinweis auf eine mögliche Infiltration von Saboteuren von See aus im Grenzgebiet der Krim erhalten. Am Einsatzort stieß man dann auf eine Gruppe Bewaffneter, die nach einem Gefecht flüchteten. Bei diesem Gefecht kamen ein FSB-Mitarbeiter und zwei Angreifer ums Leben. Daraufhin schloss man die Grenzübergänge auf der Krim und löste – unterstützt durch die Armee – eine Großfahndung aus. In der Nacht zum 8. August wehrten russische Militäreinheiten einen weiteren Infiltrationsversuch ab, wobei ein russischer Fallschirmjäger ums Leben kam. Unter den Gefangenen befand sich – russischen Quellen zufolge – auch der ukrainische Militärgeheimdienstmitarbeiter Ewgenij Panow, der daraufhin verhört wurde. Im Rahmen der Ermittlungen gegen Panow und die weiteren Saboteure wurden russischen Angaben zufolge rund 20kg Sprengstoff festgesetzt. Den Aussagen der Gefangenen zufolge, sollten mit dem Sprengstoff Anschläge auf Infrastruktur- und Tourismus-Einrichtungen auf der Krim ausgeübt werden.

Was ist passiert? Die ukrainische Version

Die Ukraine streitet dies ab, präsentiert Panow als „Opfer einer Entführung“ und belässt es ansonsten dabei, erst gar keine Fakten zu präsentieren. Lieber präsentiert man Verschwörungstheorien, nach denen die vermeintlichen Anschläge ein modernes „Sender Gleiwitz“ seien – die fabrizierte Begründung für eine geplante Großoffensive. Daher „reagierte“ man offizieller Sprachregelung nach, indem man zusätzliche ukrainische Truppen an die Grenze verlegte und die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzte.

Für die deutschen Medien ist die Sache klar. SPIEGEL-Online-Korrespondent Benjamin Bidder fasst die Gemengelage mit dem Satz „Beweise für Russlands Behauptungen gibt es nicht“ zusammen. Das ist freilich korrekt. Aber wie sollte denn bitte ein „Beweis“ aussehen? Der FSB und russische Medien zeichnen eine ziemlich lückenlose und stringente Kette, präsentieren Bilder vom beschlagnahmten Sprengstoff und Videos mit den Aussagen des festgenommen Ukrainers Panow. Na klar, das kann alles ebenfalls gestellt und fabriziert sein. Aber auf welchen „Beweis“ trifft dies nicht zu? Immerhin präsentiert Russland Belege. Die Ukraine braucht dies offenbar nicht zu tun, ihre Erklärungen werden – egal wie wirr sie sein mögen – zumindest von Deutschlands Medien ohnehin nicht ernsthaft auf Plausibilität geprüft. Wenn Aussage gegen Aussage steht, glauben deutsche Journalisten ohnehin nicht der russischen Seite – da kann kommen, was will. Anstatt die russischen Vorwürfe zumindest zur Kenntnis zu nehmen, werden sie stattdessen reflexhaft als „Kriegsrhetorik“ abgetan. Und da wundern sich die klassischen Medien ernsthaft, dass sie rapide an Deutungshoheit verlieren?

Herzinger bläst zum Sturmangriff

Ginge es nur um einseitige oder unausgewogene Berichterstattung – Schwamm drüber, daran haben wir uns ja leider schon gewöhnt. Die Vorfälle auf der Krim werden jedoch von vereinzelten kalten Kriegern der Journalistenbrigade auch skurril umgedeutet, um Kriegspropaganda zu betreiben. Anders ist Richard Herzingers bellizistischer Aufruf „Der Westen muss Putin jetzt endlich stoppen“ in der WELT kaum zu deuten. In diesem Aufsatz betreibt Herzinger Propaganda im schlimmsten Sinne des Begriffs. Die russischen Vorwürfe sind für ihn schlicht „Schauerpropaganda“, ein „fabriziertes Komplott“ um „eine groß angelegte Invasion der Ukraine vorzubereiten“. Hat Herzinger Beweise oder zumindest Belege, um diese skurrile Verdächtigung zu untermauern? Aber nicht doch.

Wer erfolgreich hetzen will, der sollte ichs gar nicht erst mit Fakten oder gar dem großen Wort „Wahrheit“ abgeben. Putin wolle den Westen wie 2008 „überrumpeln“, so Herzinger. „Georgien ließ er 2008 im August angreifen, als die westlichen politischen Entscheidungsträger am Strand oder in den Bergen vor sich hin dösten“. Selbst ein kalter Krieger wie Herzinger sollte eigentlich wissen, dass 2008 nicht Putin Georgien, sondern umgekehrt Georgien die Entität Südossetien und damit de facto Russland angegriffen hat. Was Herzinger hier betreibt, nennt sich Geschichtsrevisionismus. Aber wer weiß, vielleicht hält Herzinger auch das Unternehmen Barbarossa für eine gerechtfertigte Vorwärtsverteidigung gegen den aggressiven Russen?

Herzinger ist keinesfalls ein Solitär. „Journalisten“ wie er haben die Welt schon öfters in Unglück getrieben. Waren es nicht französische Journalisten, die 1870 auf die „Emser Depesche“ mit Schaum vorm Mund reagierten und die französische Regierung in einen Krieg mit Deutschland trieben? Waren es nicht vor allem die Edelfedern, die vor 1914 die Völker der Welt in einen besoffen-aggressiven Nationalismus trieben, der dann in den Ersten Weltkrieg und Jahre später in den Zweiten Weltkrieg mündete? Und waren es nicht Medien die unsere Politik aufforderten, 1999 das Kosovo und Serbien zu bombardieren, um ein „zweites Auschwitz“ zu verhindern? Und wer hat 2003 die „fabrizierten Lügen“ der angloamerikanischen Geheimdienste ungeprüft weiterverbreitet, um den Überfall des Irak vorzubereiten? Nicht nur Generäle und Präsidenten, auch Journalisten haben Blut an ihren Händen. Hoffen wir, dass die Geschichte Herzinger nicht mit dem Stahlgewitter belohnt, dass er sich so sehr herbeiwünscht.


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