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Titel: Sascha Lobo und das Giftgas – Ist Realität nur noch eine Meinung?

Datum: 6. April 2017 um 10:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Jens Berger

Sascha Lobo kann es nicht lassen. Der oberste Interneterklärer vom Dienst, der im Nebenjob auch Kolumnist bei SPIEGEL Online ist, hat wieder einmal ein vermeintliches Internetphänomen gefunden, das er den SPON-Lesern am schrägsten aller möglichen Beispiele näherbringen will. Es geht um „Social Propaganda“. Die macht er nämlich aktuell bei der russischen Reaktion auf den vermeintlichen Giftgasangriff in Syrien und die Verwertung dieser Reaktion durch RT aus. Das ist drollig. Denn die Erklärungen Lobos lassen sich 1:1 auch auf die westlichen Reaktionen und die Berichterstattung westlicher Medien anwenden. Egal wie sehr sich Russia Today und Co. anstrengen – von der Titelseite der BILD prangt stets bereits ein fettes „Ick bün all dor“. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Über den Giftgasvorfall von Idlib gibt es in der Tat zwei konkurrierende Erklärungen, die des Westens und die Russlands. Welche Version näher an der Wahrheit ist, ist für einen Journalisten am Schreibtisch in Deutschland freilich unmöglich zu sagen. Und da der Leser schnelle „Wahrheiten“ will, kann man offenbar auch nicht abwarten, bis die UN oder die OPCW durch Ermittlungen Fakten herausfinden, die dann auch belastbar sind. So haben die meisten Journalisten ihre Meinung zu den Vorfällen bereits gefasst und sind mit frischem Eifer dabei, diese Meinungen als Realitäten unter das Volk zu bringen.

Dennoch zieht Sascha Lobo ausgerechnet die russische Version und die Reaktion der Sozialen Medien als Beispiel für „Social Propaganda“ heran. Das wiederum ist selbst Propaganda, denn eigentlich könnte man die westliche Version und die Berichterstattung der klassischen Medien viel besser für eine Erklärung der Propagandatechniken verwenden.

Glaubt man Sascha Lobo, arbeitet „Social Propaganda“ aktiv mit „grausigen Bildern und Filmen“ und bietet Erklärungen an, bei denen die Bilder in einen Kontext gebracht werden, der sich „logisch und sinnvoll“ anhört, dass man ihn „geradezu glauben möchte“. Dann schauen wir uns doch mal einen Screenshot von tagesschau.de an, auf dem die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley ihre Version aktiv mit „grausigen Bildern“ unterstützt.

Beweise hat Haley wohlweislich auch keine. Streng genommen haben die USA zu den Vorgängen in Idlib auch nur eine Meinung. Problematisch ist jedoch, dass die Meinung der US-Regierung von sehr vielen klassischen Medien als Realität wahrgenommen und weiterverbreitet wird. Ein greifbares Beispiel dafür ist wieder einmal die BILD – vermeintlich seriösere Medien unterschieden sich da jedoch auch nur in Nuancen.


Print-BILD

Worin, werter Sascha Lobo, unterscheidet sich eigentlich die Berichterstattung von BILD und BILD.de von Deiner „Social-Propanda-Definition“? Richtig! Der einzige Unterschied ist, dass die Propaganda über ein klassisches Medium verbreitet wird. Und die Öffentlichkeitsarbeit aka Propaganda der US-Regierung? Nun ja, die US-Regierung wendet 1:1 die Methoden an, die Lobo als „Social Propaganda“ definiert – sie nutzt emotionale Schreckensbilder, erzählt eine einfache, nicht nachprüfbare Geschichte, die vor allem auf emotionaler Ebene funktioniert und ein geschlossenes Bild liefert, das sicher von vielen Lesern und noch mehr Journalisten gern geglaubt wird.


Bild.de

Wer Lobo aufmerksam gelesen hat, erkennt hier den eigentlichen Unterschied – nicht die sozialen, sondern die klassischen Medien sind die eigentlichen Durchlauferhitzer, die aus Meinungen Realitäten machen. Aber das kann ein Interneterklärer ja nicht schreiben, da er ja dafür bezahlt wird, das Netz zu erklären. Und die selbsternannten Qualitätsjournalisten nicken eifrig. Wäre ja auch noch schöner, wenn die Realität sich nicht an ihre Meinungen halten würde.


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