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Titel: Der „Fall Lisa“ nimmt kein Ende und Teile der Medien lernen es einfach nicht

Datum: 21. Juni 2017 um 14:26 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Das Verschwinden eines damals 13jährigen deutsch-russischen Mädchens wurde im Januar 2016 zu einem Schlachtfeld im deutsch-russischen „Medienkrieg“ . Der „Fall Lisa“ wurde sowohl von deutschen als auch von russischen Journalisten in übelster Art und Weise ausgeschlachtet. Die Wahrheit war das erste Opfer dieses Krieges und geriet schnell in Vergessenheit. Daran hat sich wenig geändert. Gestern wurde ein Urteil im Umfeld des damaligen Falls gesprochen und schon wieder blamieren sich sowohl deutsche als auch russische Medien so gut es nur geht. Hört das denn nie auf? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Über den „Fall Lisa“ und den Kampf um die Deutungshoheit hatten die NachDenkSeiten schon berichtet. Seitdem sind einige Monate ins Land gegangen und eigentlich hätte man denken können, dass die Redaktionen die Zeit genutzt haben, um selbstkritisch über ihre Versäumnisse zu reflektieren. Eigentlich sollte man annehmen, dass gerade in diesem Fall nun besondere Obacht gilt und man ganz genau aufpasst, dass man nicht wieder ins offene Messer läuft und noch mehr Vertrauen bei den Lesern verspielt.

Leider wurde diese Chance jedoch offenbar von einigen Kollegen vertan. Gestern wurde vor Gericht ein Urteil im Umfeld des damaligen Falls gesprochen und wieder einmal wird – wahrscheinlich sogar mit Vorsatz – ungenau berichtet. Stellvertretend für zahlreiche Artikel in deutschen Zeitungen sehen Sie hier die entsprechende Meldung aus der Rheinischen Post von heute:

Was ist Ihr erster Eindruck? Im Zusammenhang mit der Überschrift muss der Eindruck entstehen, dass es beim Gerichtsurteil um eine Verurteilung im Fall Lisa ging. Erst im Kleingedruckten am Ende des zweiten Absatzes kommt die nicht eben unwichtige Information, dass der Verurteilte gar nichts mit „dem eigentlichen Fall Lisa zu tun hat“. Das ist auch kein Wunder, da der Fall, der gestern vor Gericht verhandelt wurde, einen Vorfall aus dem Oktober 2015 behandelt, der „Fall Lisa“ sich aber im Januar 2016 abgespielt hat. Warum textet man dann aber in der Überschrift, dass der „Fall Lisa“ nun mit einer Bewährungsstrafe endet?

Einen ebenfalls falschen Eindruck vermitteln die Schlagzeilen der Tagesschau, der Süddeutschen Zeitung und der Deutschen Welle.



Alle drei „Qualitätsmedien“ stellen den Zusammenhang im Text zwar korrekt dar, erwecken jedoch mit ihrer Überschrift einen exakt gegenläufigen Eindruck. Es ging vor Gericht eben nicht um den „Fall Lisa“. Und das wissen die zuständigen Redaktionen auch. Es ist auch kein Zufall, dass die herbeigeschriebene „Wiederauflage“ vor allem dafür genutzt wird, die damaligen Fehler Russlands genüsslich wieder aufzuwärmen. Man berichtet also selbst ungenau, um der „Gegenseite“ Ungenauigkeiten anzulasten. Das ist peinlich und dürfte die allermeisten Leser wohl eher abschrecken.

Aber auch die russische Agentur Sputniknews, die im „Fall Lisa“ eine sehr unrühmliche Rolle gespielt hat, lernt nicht aus ihren Fehlern und erweckt ebenfalls den Eindruck, dass es beim Urteil um den „Fall Lisa“ ging – anders als die Rheinische Post erwähnt Sputnik noch nicht einmal, dass es sich hier um zwei unterschiedliche und zeitlich weit auseinanderliegende Vorfälle handelt. Auch dies sicher mit Vorsatz. Kein Wunder, dass einige Leser im Kommentarbereich bereits schlussfolgern, dass die damaligen Anschuldigungen russischer Medien dann ja doch korrekt waren.

Man mag diese Fehler als Petitessen abtun. Dem ist aber nicht so. Medien haben schließlich auch eine Verantwortung und jede falsche Berichterstattung hat ihre Folgen. Bereits heute tobt in den Sozialen Netzwerken eine Auflage des Kampfes um die Deutungshoheit im „Fall Lisa“. Sympathisanten der russischen Seite fordern bereits, die deutschen Medien sollten sich sofort bei Außenminister Lawrow entschuldigen, da ja nun erwiesen sei, dass Lisa von einem „Ausländer“ vergewaltigt wurde. Auf der anderen Seite nutzen Sympathisanten einer Konfrontationspolitik gegenüber Russland die Neuauflage dazu, wieder einmal den „Fall Lisa“ als Musterbeispiel für russische Fake News aufzuwärmen. Und dabei liegen beide Seiten falsch und machen sich lächerlich. Wir können unseren Lesern nur raten, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich vor allem bei derart unübersichtlichen und unappetitlichen Themen sorgfältig aus verschiedenen Quellen zu informieren. Fake News kommen nämlich von vielen Seiten. Die NachDenkSeiten versuchen, Ihnen hier Orientierung zu geben.


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