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Titel: Die AfD und der Schraubenschlüssel im Getriebe des Systems – bitte nicht Symptom und Ursache verwechseln

Datum: 25. September 2017 um 10:52 Uhr
Rubrik: AfD, Audio-Podcast, Medienkritik, Rechte Gefahr, Wahlen
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Es kam genau so, wie es kommen musste. Die AfD zieht mühelos als drittstärkste Fraktion mit 94 Abgeordneten in den neuen Bundestag ein, die Leitartikler fragen sich, wie es nur so weit kommen konnte und vor allem das linksliberale Bürgertum sieht in der AfD eine „gemeinsame Herausforderung für alle Demokraten“ und den Kampf gegen sie als gemeinsames Glaubensbekenntnis. Gefühlt sind wir nun im November 1932. Wer sich am gestrigen Wahlabend bei jeder Erinnerung an den SPD-Widerstand gegen die NSDAP ein Bier aufgemacht hat, war schon zu Beginn von Anne Will betrunken. Man konnte glatt denken, die Machtübernahme der Dackel-Krawatten und damit das Vierte Reich stünden unmittelbar vor der Tür. Geht´s auch ein bisschen leiser? Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Chauvinismus und ein reaktionäres Gesellschaftsbild sind doch keine Folge der AfD. Wer so argumentiert, verwechselt Symptom und Ursache. Und wenn das nicht verstanden wird, könnte die AfD zu einer festen Größe in der Bundespolitik werden. Aber selbst das wäre kein Weltuntergang, denn so funktioniert Demokratie nun einmal. Von Jens Berger.

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Lesen Sie dazu bitte auch Albrecht Müllers Wahlanalyse

Deutschland ist bunt, liberal, modern und oft auch ein wenig prekär – das scheint das Ergebnis der medialen Nabelschau zu sein. Wen wundert es. Die meisten Leitartikler leben in den Soja-Latte-Vierteln von Berlin, Hamburg und München und erleben ihre Umwelt tatsächlich so. In den „Szene-Vierteln“ Berlins haben auch gestern wieder einmal die Grünen die absolute Mehrheit geholt – ein AfD-Problem gibt es hier nicht. Wer AfD wählt, lebt meist in der Provinz – vor allem im Osten, aber auch im Süden der alten Bundesrepublik. Hier ist Deutschland nicht immer bunt und modern, hier leben und wählen auch viele Menschen, die man nun hochnäsig als Modernisierungsverlierer bezeichnen könnte. Menschen, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr angesprochen und schon gar nicht vertreten fühlen und für die im Zweifel ihre Echokammer auf Facebook meinungsbildender ist als jeder geschliffene Leitartikel in der verhassten „Lügenpresse“. Wer seine linksliberale Seifenblasenwelt in den letzten zwei Jahren weder virtuell noch real verlassen hat, der ist nun sehr erstaunt, ja schockiert, über das Ergebnis der AfD. Der Rest hätte es ahnen können; nein, ahnen müssen.

Vierzehn Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2010 ist das Land von einer Schneise der Verunsicherung durchzogen. Statt tariflicher Anstellungen in klassischen Berufen gibt es befristete, prekäre Jobs. Wer sich früher schon im jungen Alter darüber Gedanken machte, was denn die Kinder mal studieren werden und wo man überall hinreisen wird, wenn das Häuschen mal abgezahlt ist, fragt sich heute, wie er der Altersarmut entgehen kann und wie er sich überhaupt einmal Haus und Kinder leisten soll. Die linksliberalen Leitartikler finden solche Sorgen spießig und altmodisch; und werden daher auch nie verstehen, warum die AfD hier eine Lücke füllt.

Die Politik von CDU, SPD, Grünen und der FDP war der fruchtbare Schoß, aus dem die AfD kroch. Aber auch die Linken haben es nicht geschafft, die Unzufriedenen, die gestern die AfD gewählt haben, für sich zu begeistern. Das kann – vor allem im Osten – daran liegen, dass die Linke vielfach bereits als Teil des Systems wahrgenommen wird. Das kann aber auch daran liegen, dass die Alternativen der Linken naturgemäß an der konservativen Klientel auf dem Lande vorbeigehen und hausgemachte Fehler – vor allem während der Flüchtlingskrise – tun ihr übriges. Wobei auch die Flüchtlingskrise in diesem Kontext sicher nicht die Ursache, sondern eher eine Initialzündung war. Die AfD-Klientel hasst Veränderungen und Unsicherheit, eine „Masseneinwanderung“ von Flüchtlingen „muslimischen Glaubens“ wurde dem Volk von den Medien als maximale Veränderung und maximale Verunsicherung verkauft. Die AfD als dritte Kraft im Bunde war damit geboren. Und das war nur der Anfang. Alleine im Jahr 2016 ging es bei Will, Plasberg, Maischberger und Illner im Schnitt jede zweite Woche um das AfD-Themenpotpourri Islam, Terror, Flüchtlinge und Integration. Wer nach Gründen für den AfD-Erfolg sucht, darf die Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen nicht vergessen. Ohne Frank Plasberg und seine Spießgesellen wäre die AfD womöglich gar nicht in den Bundestag gekommen.

Warum haben so viele Menschen die AfD gewählt? Dafür gibt es sicherlich zahlreiche Motive. Natürlich gibt es die klassischen „Nazis“, für die die AfD eine Art Nachfolgepartei von NPD, Republikanern, DVU, Schill-Partei und Co. ist. Immer wieder feiern rechtsextreme Parteien kurzzeitig enorme Erfolge und verschwinden dann wieder. Doch wer die AfD darauf reduziert, macht es sich viel zu einfach. Neben den „Nazis“ und den „Protestwählern“ wurde die AfD wohl zu einem großen Teil vom konservativen bis reaktionären Bürgertum gewählt, das in der Provinz immer noch zahlreich vorhanden ist. Diese Klientel gab es schon immer und sie war auch nie wirklich weg, auch wenn man sie in den Berliner Redaktionsstuben nicht wahrnahm. Früher fühlten diese Menschen sich noch durch Politiker wie Wallmann, Dregger oder Steinbach an die CDU gebunden. Der nationalkonservative Flügel der Union ist heute jedoch so gut wie bedeutungslos und hier hat die AfD wohl ihren eigentlichen Kern gefunden. Protestwähler kommen und gehen, die „Nazis“ können schon morgen eine neue Heimat gefunden haben; der nationalkonservative Kern dürfte der AfD indes lange erhalten bleiben; zumal die CDU es in einer Koalition mit FDP und Grünen auch schwer haben dürfte, verlorene Wähler am rechten Rand wieder einzufangen.

Zwei Szenarien für die Zukunft

Wie geht es jetzt weiter? Ist ein Deutschland mit der AfD im Bundestag ein anderes, ein neues Deutschland? Wie sich die Zukunft entwickeln wird, hängt ganz maßgeblich vom Verhalten der Medien und der etablierten Parteien ab. Wenn man künftig die AfD als „normale“ Partei behandelt und sie inhaltlich in die Bredouille nimmt, dürfte dies die Partei schon sehr schnell entzaubern. Denn die Inhalte, die man zu den maßgeblichen Themenbereichen Soziales, Rente, Wirtschaft und Arbeit beizutragen hat, sind bestenfalls mau, schlimmstenfalls gar nicht vorhanden. Schlussendlich hängt der Erfolg der AfD aber vor allem mit dem Vermögen zusammen, sich als „Alternative“ zu verkaufen. Dies kann schon schnell scheitern.

Großbritannien zeigt, wie man rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte marginalisiert. Als Labour den neoliberalen Kurs einschlug, gehörten vor allem die rechtspopulistische UKIP und die rechtsextreme BNP zu den Gewinnern. UKIP wurde 2014 bei den Europawahlen sogar vor Labour und den Tories mit 27,5% stärkste Partei. Doch als Jeremy Corbyn Labour neu aufstellte und zur echten sozialdemokratischen Alternative machte, gingen die Werte für UKIP und BNP rasant zurück. Labour wurde nun als Alternative wahrgenommen und bei den letzten Unterhauswahlen konnte UKIP nur noch 1,8% der Stimmen holen. Auch die Medien haben dabei „mitgespielt“. War früher UKIP-Chef Nigel Farage der „Buhmann“, der vordergründig bekämpft, aber eigentlich als Alternative positioniert wurde, drischt man heute gemeinsam auf Corbyn ein. Farage saß derweil in Straßburg und wurde einfach ignoriert. Bye, bye UKIP.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Deutschland die AfD pragmatisch marginalisiert und eine linke Alternative die Protestwähler einfängt. Sowohl Grüne als auch SPD zeigten vielmehr bereits am Wahlabend, wohin die Reise geht. Die SPD will angeblich nur deshalb in die Opposition, um die AfD nicht zur Oppositionsführerin zu machen. Ei der Daus. Die letzten vier Jahre war die Linke Oppositionsführerin. Fragen Sie doch mal Sahra Wagenknecht, wie viele Vorteile dieser Titel mit sich bringt. Es ist nur noch albern. Anstatt sich den echten Themen zu stellen, tun SPD und Grüne gerade so, als sei es nun ihre wichtigste Aufgabe, eine 12,6%-Partei zu bekämpfen. Damit weisen sie der AfD erst die wichtige Rolle zu, die diese Partei doch eigentlich gar nicht hat. Schlimmer noch: Nur um von den eigenen Fehlern abzulenken und in den eigenen Reihen zu punkten, überhöht man die AfD und führt ihr damit Wähler zu. Denn die Sprüche von der „Rettung der liberalen Demokratie“ werden doch ohnehin nur von Wählern der SPD und der Grünen wahrgenommen. Ein AfD-Protestwähler sieht darin doch eher eine Bestätigung. Denn der AfD-Wähler will die liberale Demokratie – so es sie denn überhaupt gibt – nicht retten. Er will sie behindern, „denen da oben“ kräftig in den Kaffee spucken. Der typische AfD-Wähler schmeißt einen Schraubenschlüssel ins Getriebe und hofft, damit den größtmöglichen Schaden anzurichten. Und so lange Medien und etablierte Politik der AfD diese Funktion andichten, betreiben sie damit ganz aktiv Wahlkampf für die AfD. Wenn das nicht verstanden wird, bleibt die AfD als dauerhafte Kraft im Bundestag.

Auch wenn es sehr schwer fällt: Wer die AfD wirklich „bekämpfen“ will, darf nicht an den Symptomen herumdoktern, sondern muss die Ursachen bekämpfen. Die nationalkonservativ bis reaktionären Wähler wird man wohl nicht mehr zurückholen können. Für sie ist die AfD wie gemacht. Da kann man nur hoffen, dass die AfD sich selbst auseinandernimmt und bei der inhaltlichen Debatte derart versagt, das die reaktionären Wähler aus der Provinz in die innere Emigration zurückkehren und daheim am Kamin von einem besseren genetisch reinen Deutschland in den Grenzen von 1937 mit einer Kanzlerin Steinbach träumen. Sollen Sie.

Erreichbar sind jedoch die Protestwähler. Im Idealfall dadurch, dass man ihnen den Grund für den Protest entzieht, indem man eine gute Politik macht, die dem Neoliberalismus wenn möglich rückabwickelt, gerecht und sozial ist und vor allem auch die abgehängten Menschen in den Provinzen mitnimmt. Dies wird unter einer Mitte-Rechts-Koalition nicht möglich sein. Daher muss die linke Opposition sich als Alternative positionieren und die Protestwähler an sich binden.

Fest steht, dass die AfD es ihren Gegnern sehr leicht machen wird. Kaum sind die Stimmen ausgezählt, gibt es mit Frauke Petry schon den ersten Fraktionsaustritt und dies wird sicher nicht der letzte sein. Wie viele Fraktionen die gewählten AfD-Abgeordneten am Ende der Legislaturperiode bilden und wie viele Splitterparteien sich noch abtrennen werden, ist ebenfalls offen. Auch hier wirkt aber hysterischer Druck von außen nur einigend auf die AfD.

Wir sind nicht im Jahr 1932, die AfD ist nicht die NSDAP, und Alexander Gauland ist kein zweiter Hitler, sondern auch „nur“ der geifernde böse Opa, den man nie haben wollte. Es ist natürlich wichtig, sich gegen rechtsextreme und fremdenfeindliche Ausfälle klar zur Wehr zu setzen und die AfD inhaltlich vorzuführen. Wer die AfD nun zum übergroßen gemeinsamen Feind stilisiert, macht dies jedoch nicht, um die AfD zu bekämpfen, sondern um die eigenen Reihen hinter sich zu schließen. Und das haben die Urheber solcher Sprüche auch bitter nötig. Die SPD hat eine historische Klatsche bekommen und kein Personal, mit dem man einen glaubwürdigen Neuanfang starten könnte. Und die Grünen dürften ihre letzten nicht-konservativen Anhänger durch eine Teilnahme an einer Mitte-Rechts-Koalition endgültig vertreiben. Klar, dass man da die Chance nutzt, die AfD-Gegnerschaft als vereinendes Element aus dem Hut zu zaubern. Dass man die AfD damit stärkt, wird als Kollateralschaden verbucht. Dank solcher Manöver und hysterischer Leitartikler wird die AfD uns wohl noch lange erhalten bleiben.


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