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Titel: Die Automobillobby konterkariert mit Hilfe der Bundesregierung den Klimaschutz in absurder Art und Weise

Datum: 8. November 2017 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Lobbyismus und politische Korruption, Schadstoffe, Verkehrspolitik
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Am Montag begann in Bonn die große UN-Weltklimakonferenz. Sicher wird bis kurz vor Toresschluss am nächsten Freitag um einzelne Formulierungen im Abschlusskommuniqué gerungen und am Ende werden die Medien Klimakanzlerin Merkel für ihren gottgleichen Einsatz für das Weltklima feiern. Was für eine absurde Show. Was von derlei Absichtserklärungen in der Realität zu halten ist, beweist die EU-Kommission am heutigen Tag. Während in Bonn Politik und Wissenschaft um niedrigere CO2-Emissionen feilschen und Grenzwerte aufstellen, werden diese Grenzwerte zeitgleich ad absurdum geführt. Die EU-Kommission stellt nämlich heute ihre neuen Abgasvorschriften für die europäische Autoindustrie vor und die werden Medienberichten zufolge nach massivem Lobbying durch VW, die deutsche Automobillobby und sogar die Bundesregierung selbst in einer Art und Weise ausgehebelt, dass ein Erreichen der Grenzwerte des Pariser Klimaschutzabkommens einem Wunder gleichkäme. Für was verhandelt man dann überhaupt noch? Nur für die Show, die schönen Bilder und positive Schlagzeilen? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vorgeschichte

Wer die aktuellen Meldungen richtig einordnen will, der sollte sich ein paar Minuten Zeit nehmen und die Vorgeschichte sowie die Hintergründe der aktuellen Grenzwertdebatte verinnerlichen. Nach langem Ringen auf zahlreichen UN-Klimakonferenzen konnten sich die 195 UN-Staaten 2015 in Paris auf ein Klimaabkommen einigen, in dem – zum ersten Mal seit dem Kyoto-Protokoll aus den 90-ern – verbindliche Zahlen für die Reduktion von klimaschädlichen Emissionen beschlossen wurden. Bis 2050 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken – 2020 und 2030 wurden Zwischenziele mit 20 bzw. 40 Prozent Reduktion vereinbart. Doch Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es mit großen Worten diesen Plan nicht übererfüllen wollte. Schon 2007 nahm sich die Bundesregierung verbindlich vor, die Treibhausemissionen bereits bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren.

Doch hinter diesen großen Zielen steckt in der realen Politik erstaunlich wenig. Momentan ist Deutschland weit davon entfernt, diese Ziele auch nur im Ansatz zu erreichen. Das Bundesumweltministerium rechnet aktuell kleinlaut eher mit 31,7 bis 32,4 Prozent. Schuld daran ist die schleppend verlaufende Energiewende und auch der Straßenverkehr, immerhin stammen rund 12% der Kohlendioxidemissionen von Personenkraftwagen.

CO2-Grenzwerte für Neuwagen gibt es in der EU trotz massiver Lobbyarbeit schon seit längerem. So konnte sich die EU-Kommission 2009 nach einem fast 13 Jahre dauernden Kampf gegen die Lobbyisten durchringen, die UN-Klimakonvention von 1993 umzusetzen und für 2015 durchschnittliche Emissionen von 130g CO2 pro Kilometer festzulegen; der Wert sollte bis 2021 auf 95 g/km abgesenkt werden. Kohlendioxid (CO2) ist ein direktes Reaktionsprodukt, das bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht. Daher hängt der CO2-Ausstoß direkt mit dem Kraftstoffverbrauch eines Autos zusammen. Je weniger Kraftstoff ein Auto verbraucht, desto niedriger der CO2-Austoß. Um die Grenzwerte einzuhalten, müsste die Automobilindustrie also ganz einfach leichtere, effizientere, geringer motorisierte, sprich spritsparendere Autos verkaufen. Wie wir alle wissen, ist jedoch das exakte Gegenteil der Fall.

Ein aktuelles Auto, wie der häufig verkaufte C180 von Mercedes stößt im realen Einsatz bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 8,11 Liter pro 100 Kilometer jedoch nicht die 130g CO2 aus, die er laut EU-Richtlinie ausstoßen sollte, sondern liegt bei stolzen 189g CO2 – mehr als doppelt so viel, wie 2021 – also in nicht einmal vier Jahren – erlaubt sein sollte. Nun schrillten die Alarmglocken bei der Automobilindustrie und die Lobbyisten wurden munter.

Der erste große Etappensieg der Automobillobby war die Verhinderung eines „Kompromisses“, der im Juni 2013 zwischen dem EU-Parlament und dem EU-Rat geschlossen wurde. Es ging dabei um das Kleingedruckte in der entsprechenden EU-Richtlinie und die Frage, ob und ab wann Grenzwertüberschreitungen sanktioniert werden. Drei Tage nach der Einigung scheiterte das Unterfangen jedoch: Vertreter des deutschen Kanzleramtes ließen die Abstimmung über die Richtlinie von der Tagesordnung verschwinden und verhinderten damit eine Abstimmung der Richtlinie im EU-Rat. Hinter dieser Blockade verbargen sich die Interessen der alarmierten Autolobby mit VDA-Präsident Matthias Wissmann an der Spitze. Schon im Mai hatte dieser sich in einem privaten Brief an Merkel (adressiert an die „liebe Angela“) gegen schärfere Grenzwerte und für mehr Flexibilität der Konzerne in Sachen CO2-Ausstoß ausgesprochen. Matthias Wissmann ist Mitglied der CDU und war von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister. Heute ist er Präsident des Autolobbyverbandes VDA und damit oberster Autolobbyist im Lande.

Was Wissmann und Co. erreicht haben, war u.a. Folgendes:

  1. Der zugrunde liegende Kraftstoffverbrauch wird nicht ermittelt, sondern vom Hersteller auf Basis eines absolut realitätsfernen Prüfzyklus namens NEFZ angegeben. Eine aktuelle Studie des ICCT beziffert die Abweichung – die von Jahr zu Jahr größer wird – zwischen realem und angegebenem Verbrauch mit 42%. Das muss man sich mal bildlich vorstellen. Die Automobillobby schafft es alleine durch einen einzigen Rechentrick, auf dem Papier 42% weniger CO2 auszustoßen als in der Realität. Beim oben genannten C180 liegt die Abweichung sogar bei 61% und damit sinkt der CO2-Ausstoß durch den Rechentrick von realen 189g/km bereits auf offizielle 116g/km und mit dieser Phantasiezahl kommt Mercedes dem EU-Flottenverbrauch schon näher. Der bezieht sich ja auf den Durchschnitt und die hochmotorisierten Spritfresser im Luxus-, Sport- und Geländewagensegment stoßen natürlich ein Vielfaches dieses Durchschnitts aus. Diese Zahlen zeigen übrigens die Absurdität der gesamten Debatte. Offiziell sind die CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr gegenüber 1990 nicht um 40% gesunken, sondern um 20% gestiegen. Rechnet man nun noch die Differenz zwischen den offiziellen und den realen Werten hinzu, kommt man auf ein Plus von stolzen 70%! Und parallel rechnet man sich in Bonn die Welt schön und behauptet auch noch frech, das Klima retten zu wollen.

  2. Der Begriff „Durchschnitt“ wurde aufgeweicht. Die 130g/km bzw. 95g/km gelten natürlich nicht für alle Automobilhersteller und schon gar nicht für die deutschen. Schließlich müsse man ja auch berücksichtigen, welcher Hersteller große und kleine Autos baut. Das wurde getan und nun hat jeder Hersteller seine eigenen Durchschnittszielwerte. Seltsamerweise liegen nun jedoch alle deutschen Hersteller weit über dem offiziellen Zielwert. Für Mercedes gilt beispielsweise ab 2021 nicht etwa der Grenzwert von 95g/km, sondern ein Wert von 101,6g/km.
  3. Es wurden im Kleingedruckten unzählige Möglichkeiten eingeführt, wie man den errechneten Durchschnittswert manipulieren kann. So wurden beispielsweise „Supercredits“ eingeführt, mit denen besonders sparsame Hybrid- und Elektroautos, die noch gar nicht gebaut und verkauft sind, schon jetzt in die Durchschnittszahlen mit eingehen – und dies nicht normal, sondern faktoriert, also gleich mehrfach. So können Mercedes, VW und Co. künftig prognostizierte, aber komplett unrealistische Verkaufszahlen hypothetischer Elektromobile schon heute in ihren offiziellen Flottenverbrauch mit einrechnen. Hybride und Elektrofahrzeuge werden übrigens als emissionsfrei berechnet – obgleich die Herstellung des Stroms für diese Fahrzeuge natürlich auch CO2-Emissionen mit sich gebracht hat. Elektrofahrzeuge sind nicht emissionsfrei, sie haben ihren Auspuff lediglich im Schlot der Kohlekraftwerke. Dieser Umstand bleibt jedoch bei der EU-Flottenverbrauchs-Berechnung unberücksichtigt.

Nachdem man dies verinnerlicht hat, wird man kaum glauben, dass die Automobilhersteller trotz dieser von den Lobbyisten diktierten und von der „Klimakanzlerin“ durchgesetzten Manipulationen immer noch deutlich über den Vorgaben liegen. Der VW-Konzern wird nach eigenen Berechnungen unter Nutzung sämtlicher legaler und illegaler Rechentricks 2021 auf einen Flottenverbrauch von 98,8 g/km CO2-Emissionen kommen, dürfte jedoch nur auf 95,9 g/km kommen. Nach ursprünglicher Vorlage würde diese Abweichung ab 2021 für VW sehr teuer werden. Eigentlich waren Strafzahlungen in Höhe von 95 Euro für jedes zusätzliche Gramm vorgesehen – pro Auto wohlgemerkt! Der VW-Konzern stellt pro Jahr rund 10 Millionen Autos her. Eine Abweichung von 2,9 g/km würde den Konzern also jährlich 2,8 Milliarden Euro kosten. Wie hoch diese Zahl ohne Tricksereien wäre, ist kaum vorstellbar. Verständlich, dass man da seine Lobbyisten mobilisiert. Denn die Alternative hieße ja, spritsparende, umweltfreundliche Autos zu bauen. Und das geht ja gar nicht.

Willkommen im Hier und Jetzt

Aktuell wird in Brüssel über die Fortführung der aktuellen EU-Verordnungen über das Jahr 2021 hinaus verhandelt. Hier war ursprünglich auf Basis des Pariser Klimaschutzabkommens eine weitere Reduktion von 25 Prozent bis 2025 bzw. 35 Prozent bis 2030 geplant (jeweils auf Basis des 2021-Wertes von 95 g/km) und wohl auch innerhalb der EU-Kommission schon ausgemacht. Es ist völlig klar, dass solche Werte – so manipulativ und irreal sie auch sein mögen – ohne den massiven Umstieg auf Elektromobilität kaum zu erreichen sind. Aber das wussten die Automobilhersteller ja auch seit vielen Jahren. Doch was schon früher geklappt hat, funktioniert auch heute noch. Anstatt umweltfreundlichere Autos zu produzieren, greift man lieber zum Großangriff der Lobbyisten.

Wie die Süddeutsche heute exklusiv meldet, waren es vor allem die Lobbyisten aus dem VW-Konzern, die ganz massiv in den letzten Tagen auf die EU-Kommissare eingewirkt haben. Ziel waren offenbar die Kommissare Oettinger (Deutschland), Hahn (Österreich) und Moedas (Portugal); aber ein internes Papier spricht auch von den Kommissaren aus Tschechien, Ungarn und Spanien, in deren Ländern der Volkswagen-Konzern große Standorte betreibt. Parallel dazu hat wieder einmal Matthias Wissmann gezeigt, dass er sein Geld wert ist. Ein Telefonat beim Kabinettchef von Jean-Claude Juncker sollte offenbar letzte Klarheit verschaffen. Massiver Druck wurde jedoch anscheinend auch von der Bundesregierung ausgeübt. Niemand anderes als Sigmar Gabriel warnte erst vor wenigen Tagen eindrücklich vor „zu scharfen Vorgaben“ – sehr zum Ärger seiner Kollegin Hendricks aus dem Umweltressort.

Dieser geballte Einsatz scheint erfolgreich gewesen zu sein. Laut SZ werden die Grenzwerte von 25 bzw. 35 Prozent für 2025 und 2030 nun auf 15 bzw. 30 Prozent abgesenkt. Ursprünglich vorgesehene Quoten für Elektrofahrzeuge sind auch vom Tisch und mit ihnen die Sanktionsdrohungen gegen Hersteller, die sich nicht an die Vorgaben halten. Auch dies ist offenbar auf Matthias Wissmanns Interventionen zurückzuführen. Hinzu kommt ein weiteres gigantisches Einfallstor für Manipulationen. Künftig werden die Verbrauchswerte und damit auch die CO2-Emissionen nicht mehr nach dem komplett realitätsfernen NEFZ, sondern nach dem von der EU und Japan entwickelten realitätsnäheren WLTP ermittelt. Was eigentlich löblich ist, birgt jedoch eine Steilvorlage für die Hersteller, da die ursprünglichen Flottenverbrauchswerte ja auf NEFZ-Basis „ermittelt“ wurden und nun auf WLTP-Basis umgerechnet werden müssen. Wie dies konkret geschieht, wird sicher noch von den Lobbyisten mitgeteilt werden. Wundern wir uns also nicht, wenn schon bald der spritfressende Cayenne, mit dem die Unternehmergattin ihre Kinder in die Schule bringt, auf dem Papier als wahres Ökowunder durchgeht und die Lehrerin sich für ihre alte kleine Dreckschleuder aus Südkorea schämen muss. Willkommen in der repräsentativen Elitendemokratie.

Dass der Lobbyerfolg von Wissmann, Gabriel und Co. mit dem großen Bonner UN-Klimagipfel zusammenfällt, ist mehr als eine Koinzidenz. Die Autolobby zeigt der Öffentlichkeit vielmehr schamlos, wer im Europäischen Haus die Hosen anhat. Lass die Latzhosen doch in Bonn verhandeln, wir machen unsere eigenen Regeln. Vielleicht kann Sigmar Gabriel ja den Eisbären bei seinem nächsten Besuch in der Arktis erklären, warum ihr Frühableben nötig ist, um den Garanten für Arbeitsplätze und Wachstum nicht zu belästigen. Dafür werden die Eisbären sicher Verständnis haben.


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