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Titel: 750.000 Euro für einen Betriebsrat? Da muss sich die IG Metall nicht wundern, wenn ihr die Mitglieder weglaufen

Datum: 22. Dezember 2017 um 12:32 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Gewerkschaften, Wertedebatte
Verantwortlich:

Jens Berger

Nachdem die Staatsanwaltschaft Braunschweig nun auch strafrechtlich gegen die Unternehmensführung der Volkswagen AG wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt, gerät das Vergütungsmodell der obersten Betriebsräte des Konzerns nun auch in die öffentliche Kritik. Und das ist auch bitter nötig, denn nicht nur die teils abstruse Höhe der Bezüge, sondern vor allem die Gehaltsstruktur der Top-Betriebsräte im VW-Konzern ist ein echter Skandal. Wenn Betriebsräte, deren Aufgabe die Vertretung der Mitarbeiterinteressen ist, jährlich eine halbe Million Euro Prämie bekommen, wenn die Renditen stimmen, dann ist dies gleich in mehrfacher Hinsicht ein Fall von Untreue. Wie kann die IG Metall einem Vergütungsmodell für ihre eigenen Spitzenfunktionäre zustimmen, das Boni dafür vorsieht, dass die Betriebsräte nicht die Interessen der Arbeitnehmer, sondern die Interessen der Unternehmenseigner vertreten? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft brachten einige Zahlen ans Licht, die man bei der IG Metall sicher lieber im Dunklen belassen würde. So beträgt das „Grundgehalt“ des VW-Betriebsratschefs Bernd Osterloh aktuell „eigenen Angaben“ zufolge rund 200.000 Euro. Osterloh selbst begründet dieses doch recht ordentliche Gehalt damit, dass er „oft privat zurückstecke und regelmäßig mindestens 70 Stunden die Woche arbeite“. Nun ja, für den Funktionär einer Gewerkschaft, die die Hälfte dieses Arbeitspensums fordert, ist diese Erklärung schon gewagt. Aufgrund der Ermittlungen hat die Unternehmensspitze nun reagiert und Osterloh sowie 14 weitere leitende Betriebsräte erst einmal in die höchste tarifliche Gehaltsstufe „heruntergestuft“. Nun liegt deren Grundgehalt bei rund 96.000 Euro. Ob dies für einen Funktionär, der als Arbeitnehmervertreter im Vorstand eines Dax-Konzerns sitzt, nun angemessen oder vielleicht doch zu wenig ist, dürfte ein interessantes Diskussionsthema sein. Doch darum soll es hier nicht gehen. Der eigentliche Skandal ist eine andere Zahl. In „besseren Jahren“ soll der VW-Betriebsratschef nämlich inklusive der erfolgsabhängigen Boni auch schon mal 750.000 Euro verdient haben. Und auch hier ist weniger die Höhe an sich – die in diesem Falle jedoch ganz sicher nicht mehr zu rechtfertigen ist -, sondern die Gehaltsstruktur der eigentliche Skandal. 500.000 Euro dieser Summe stammen nämlich aus „erfolgsabhängigen“ Boni.

„Erfolgsabhängige Boni“ – das hört sich ja nicht schlecht an. Wenn die Unternehmenseigner ihren Mitarbeitern derartige Prämien zahlen, so ist dies im Prinzip schon gerechtfertigt, auch wenn die Anreizstruktur vor allem im oberen Management (Stichwort: „Bankerboni“) durchaus ein strittiges Thema sein kann. Betriebsräte sind jedoch keine „normalen Mitarbeiter“, sondern die institutionalisierten Vertreter der Mitarbeiter, die deren Interessen im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung vertreten. Allein dieser simple Grundsatz macht schon klar, dass es natürlich einen Unterschied zwischen den Interessen der Kapitalseite, also der Unternehmenseigner, und den Interessen der Mitarbeiter gibt. Ein ganz simples Beispiel: Lohnerhöhungen sind im Interesse der Mitarbeiter, aber ganz sicher nicht im Interesse der Kapitalseite. Daher sind Betriebsräte in der Regel für Lohnerhöhungen, für die Einhaltung tariflicher Regeln, für Zuschläge und gegen Arbeitszeitverlängerungen, während die Kapitalseite in der Regel genau die gegenteiligen Interessen verfolgt, da es ihr primär um das betriebswirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens geht. Wenn nun aber die Vertreter des Betriebsrats mit dicken Boni dafür belohnt werden, dass das betriebswirtschaftliche Ergebnis stimmt, so ist dies ein glasklarer Zielkonflikt.

Wenn VW die Löhne kürzt, steigt der Gewinn und damit die erfolgsabhängigen Boni der oberen Betriebsräte. Steigen die Löhne, sinkt der Gewinn und Bernd Osterloh und Co. müssen finanzielle Einbußen hinnehmen. Da Osterloh als oberster Vertreter der Mitarbeiter im Präsidium des Aufsichtsrats bei strittigen Themen sein Veto einlegen kann, hat er dazu auch die Macht. Das ist vergleichbar mit einem Anwalt, dessen Honorar von der Gegenseite bezahlt wird – verliert er den Fall, kriegt er einen fetten Bonus, gewinnt er, gibt es nur das Standardhonorar. Würde ein Polizist „erfolgsabhängige Boni“ von den Drogenbossen bekommen oder ein Torwart „erfolgsabhängige Boni“ von der gegnerischen Mannschaft, so wäre dies ein klarer Fall von Untreue.

Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Braunschweig ist nun, ob diese Beispiele auf die VW-Betriebsratshonorierung übertragbar sind. Es geht um Untreue. Und zwar nicht die Untreue eines Bernd Osterlohs, der über die Jahre hinweg millionenschwere Boni dafür kassiert hat, dass VW ganz im Interesse der Kapitalseite geführt wurde. Der Untreuevorwurf richtet sich vielmehr gegen den VW-Personalvorstand und drei weitere Topmanager, die die womöglich unsittlichen Gehälter und Boni des Betriebsrats abgesegnet haben. Es geht um Untreue gegenüber der Kapitalseite, Vermögens-Veruntreuung, wie es juristisch heißt. Das ist schon abenteuerlich und man kann nur hoffen, dass die Ermittlungen auf Bernd Osterloh und seine Kollegen ausgeweitet werden. Zumindest moralisch ist jedoch auch der IG Metall ein Vorwurf zu machen, da Osterloh ja IG-Metall-Funktionär ist und auf dem Ticket der DGB-Gewerkschaft in den Gesamt- und Konzernbetriebsrat eingezogen ist. Kontrolliert die IG Metall etwa nicht, aus welcher Quelle ihre Funktionäre wofür Geld bekommen? Unterstützt die IG Metall schlussendlich sogar Honorierungsmodelle, bei denen ihre Funktionäre sagenhafte Boni von der Kapitalseite bekommen? Na dann darf sich die IG Metall aber auch nicht darüber beschweren, dass ihr die Mitglieder weglaufen und sie immer mehr Einfluss verliert. Dass dies auch gesellschaftlich sehr problematisch ist, zeigt ein Blick nach Großbritannien – dort konnte der sozialdemokratische Labour-Chef Jeremy Corbyn sich nur deshalb gegen den rechten Labour-Flügel durchsetzen, weil die progressiven Gewerkschaften hinter ihm standen. Die IG Metall ist freilich alles andere als progressiv.

Ob Bernd Osterloh auch juristischen Ärger bekommt, ist noch offen. Sein Vorgänger Klaus Folkert wurde ebenfalls von der Braunschweiger Staatsanwaltschaft angeklagt und wurde dann zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Es ging um schwarze Kassen, Korruption, Lustreisen, eine Geliebte in Brasilien, bezahlt von VW; allesamt sehr unappetitlich. Auf Folkert folgte dessen Stellvertreter Osterloh. Auf Seiten des Konzerns hatten sowohl Folkert als auch Osterloh mit einem Mann zu tun, der alles andere als unbekannt ist – Peter Hartz, damals Personalchef von VW und Namensgeber der Hartz-Gesetze, später wegen Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Interessant ist im konkreten Zusammenhang vor allem, dass Osterloh als Betriebsrat auch die direkte Verantwortung für das Hartz-Projekt „Auto 5000“ hatte – ein Arbeitsmodell, bei dem bei Neueinstellungen der Haustarif umgangen wurde und so das Fundament für das heute allgegenwärtige Zwei- bis Drei-Klassen-Modell in der Arbeitnehmerschaft gelegt werden konnte. Den Konzerneignern hat Osterloh also zweifelsohne schon sehr viel Geld eingebracht – weit mehr als die in diesem Zusammenhang schon fast läppischen Boni. Man könnte es auch Untreue gegenüber den Arbeitnehmern nennen. Was sagt eigentlich die IG Metall dazu?


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