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Titel: War Heinrich Böll ein „pseudolinker Antikommunist“? – Leser-Reaktionen auf den Auftakt der Serie zur Kultur-Propaganda

Datum: 28. Mai 2018 um 9:34 Uhr
Rubrik: Kultur und Kulturpolitik, Leserbriefe, Strategien der Meinungsmache
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Der Auftakt unserer neuen Serie zur Kulturpropaganda hat ein großes Leser-Echo ausgelöst: Sehr viele Zuschriften mit interessanten Hinweisen haben uns erreicht, wir werden diese Informationen aufbereiten und für den Fortgang der Serie nutzen. Vielen Dank für Ihre Hilfe! Zugleich störten sich auch Leser an der Bezeichnung Heinrich Bölls als „pseudolinker Antikommunist“. Wir dokumentieren hier die Debatte zu dem Thema. Von Tobias Riegel.

Zunächst Zuschriften, die Kritik am Umgang des Artikels mit dem Dichter und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll äußern – unten folgt eine Antwort von Tobias Riegel:

Herr Ansgar Lanwert hat geschrieben:

Sehr geehrter Herr Riegel,

die neue Serie über “Filme und Feindbilder” als Kultur-Popaganda verspricht, interessante Informationen über Versuche der Indoktrination durch Propaganda zu liefern. Misslich finde ich jedoch Aussagen wie die folgende: “Schon früh wurde von US-Seite erkannt, dass innerhalb der Kulturszene die wirkungsvollsten Verbündeten des Neoliberalismus pseudolinke Antikommunisten vom Schlage Heinrich Bölls waren“. Wenn Sie die Literatur, das politische und gesellschaftliche Wirken von Heinrich Böll betrachten, finde ich Ihre Aussage nicht verständlich.

In der verlinkten Quelle ist vermerkt, dass Böll und Lenz durch den amerikanischen Geheimdienst unterstützt worden sein könnten. Wo ist der Nachweis, dass er (und Lenz) sich als antikommunistische Propagandisten betätigt haben, oder sich haben benutzen lassen? Gerade Böll hat gemeinsam mit Lew Kopelew wohl mehr für das deutsch-russische Verständnis geleistet – und damit einen Beitrag gegen das Feindbild Russland -, als beispielsweise Politiker, Publizisten und Literaten, die vor 1990 ideologisch die gescheiterten realsozialistischen Systeme der UDSSR und der DDR unterstützten. (…)

Herr Günter Frey hat geschrieben:

Hallo Herr Riegel,

ich störe mich an Ihrer Formulierung: “pseudolinke Antikommunisten vom Schlage Heinrich Bölls“. Als Beleg wird ein Artikel der „nzz“ angeführt. Dort wird allerdings nur die Vermutung geäußert, dass er indirekt (wahrscheinlich unwissentlich) von der CIA profitiert hätte, wie viele andere.

In Bölls Literatur wird der faschistische Krieg und die Nachkriegszeit reflektiert. Er war kein Linker, aber sicher auch kein Neoliberaler. Und er war ein streitbarer Demokrat und Humanist. Einer, der sich nicht scheute, sich mit den Mächtigen anzulegen. Er war sicher auch Anti-Stalinist und verurteilte die Zustände in der angeblich kommunistischen Sowjetunion. Er hat sich in Mutlangen mit vielen Anderen den Mittelstreckenraketen in den Weg gestellt. Ich stelle mir die Frage, was Sie damit bezwecken wollen?

Wenn Sie die Grünen treffen wollen, die sich in der Böll-Stiftung breit machen: geschenkt. Er wäre sicher nie auf die Idee gekommen, einen Ralf Fücks zu gutieren.

Herr Gustav Nesemann hat geschrieben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn Sie einen so bedeutenden Dichter wie Heinrich Böll in dieser üblen Art diffamieren, so müssen Sie dies auch beweisen. Ihre Belege sind äußerst dürftig.

Ihrem durchaus berechtigten Anliegen erweisen Sie mit solchen unbewiesenen Unterstellungen einen Bärendienst.


Hier einige Anmerkungen von Tobias Riegel zu dieser Kritik:

Zunächst ein Hinweis zu den Belegen: Im Text gibt es noch einen weiteren Link zu einer Arte-Doku, die zur Förderung Heinrich Bölls durch die CIA mehr ins Detail geht. Zum Komplex der CIA-„Kulturarbeit“ findet sich dort auch dieser Artikel über die Ausstellung „Parapolitik“ und dieser Artikel über die Filmpropaganda im Rahmen des Marshall-Plans. Für den größeren Zusammenhang empfehle ich auch diesen Artikel aus „Neues Deutschland“.

Ich gebe zu, der Satz zu Heinrich Böll ist in seiner knappen Zuspitzung missverständlich und er klingt härter, als es von mir intendiert war. In der Sache stehe ich aber dahinter.

Das große literarische Werk Heinrich Bölls soll von mir nicht angetastet werden. Dass Böll Antikommunist war, steht meiner Meinung nach außer Frage. War er auch „pseudolinks“? Wenn man das Wort deutet als „in seiner Wirkung weit weniger links, als der Anschein vermuten lässt“, dann ja, denke ich.

Böll konnte nichts dafür, dass ihn die CIA ohne sein Wissen „rekrutierte“. Aber was hat die CIA in Böll gesehen? Meiner Meinung nach, einen gegen sozialistische Ideen gefeiten Intellektuellen, dem sie gegenüber kommunistisch eingestellten Künstlern einen Vorteil verschaffen wollte, um so den Tenor der westdeutschen Literatur-Szene zu verändern. Der Zeitgeist sollte antikommunistisch geprägt werden, der Fokus sollte von „Frieden“ auf „Freiheit“ verschoben werden – das hat auch funktioniert und wir spüren die Folgen bis heute.

Böll hat der CIA ins Konzept gepasst

Für diesen Prozess sah die CIA in Böll, wie in zahlreichen anderen antikommunistischen deutschen Intellektuellen, einen geeigneten (unwissenden/unschuldigen) Verbündeten – weil er sich durch seine politischen Haltungen für eine Förderung empfohlen hatte (trotz seines späteren ehrenwerten Entspannungs-Engagements). Niemals würde ich behaupten, Böll sei ein schlechter Mensch. Aber er hat dem Geheimdienst nach dem Krieg gut ins Konzept gepasst – denn er übernahm unbewusst eine Rolle, bei einer hier von Albrecht Müller beschriebenen Technik: Es wirkt stärker auf links-liberale Kreise, wenn Böll den Kommunismus kritisiert, als wenn dies Joseph McCarthy tut.

Ebenso kann Böll nichts dafür, von der infamen Böll-Stiftung vereinnahmt zu werden. Aber die Grünen haben sich diesen für sie viel zu großen Namen nicht ohne Grund gewählt. Er steht meiner Meinung nach genau für die grüne Tendenz: weg von der kühlen ökonomisch-sozialen Analyse, die zur Systemfrage führt – hin zu einem (pseudolinken) individuellen, moralischen und emotionalen „Freiheits“-Begriff.

Es geht um die gesellschaftliche Figur Heinrich Böll – das literarische Werk des Nobelpreisträgers Böll ist davon unberührt und gerade die Nachdenkseiten müssen dem Autor von „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ als Pionier der Medienkritik Respekt zollen.


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