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Titel: Frank Castorfs Macho-Sommernachts-Sex-Tragödie

Datum: 7. Juli 2018 um 11:45 Uhr
Rubrik: Gleichstellung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Kultur und Kulturpolitik
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Gerade haben wir das Theaterstück mit dem Titel „Koalitionskrach“ überstanden, da tritt der Berliner Theatermacher Frank Castorf mit Macho-Sprüchen seine eigene Sommerloch-Debatte los. Hätte er doch geschwiegen – das kann man allerdings auch über einige seiner Kritiker sagen. Von Tobias Riegel.

Frank Castorf macht wieder Theater – doch es ist nicht die Art von Inszenierungen, die der große Theatermacher an der Volksbühne in raffinierten und stundenlangen Torturen zwischen Scharfsinn und Anarchie schwanken ließ.

Statt dessen verwandelte er ein Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Bezahlschranke) in ein verunglücktes Feuerwerk an anti-feministischen Stammtisch-Parolen. Was möglicherweise als hemdsärmelige Satire auf eine in Teilen der Gesellschaft gepflegte übertriebene politische Korrektheit gedacht war – es ist in dieser Form doch eher traurig. So wurde aus der von Castorf geplanten aufrüttelnden Farce ein Auftritt, der nun eher Züge einer Tragödie trägt.

So verteidigte der 66-jährige Ex-Chef der Berliner Volksbühne etwa die Tatsache, dass in seiner Zeit wenige Regisseurinnen zum Zuge kamen mit einem kruden Fußball-Vergleich: „Wir haben eine Frauen-Fußballweltmeisterschaft und eine Männer-Fußballweltmeisterschaft, und in der Qualität des Spiels unterscheidet sich das schon sehr.“

Frauen müssen „besser“ sein

Damit wolle er sagen, dass eine Frau dieselbe Qualität haben müsse, so Castorf weiter. „Ich war ein großer Verehrer von Pina Bausch, oft kopiert, nie ist einer rangekommen. Nicht jeder, der ein Diplom in Theaterwissenschaft hat, ist dafür prädestiniert, Kunst ausüben zu dürfen und andere Menschen damit zu belästigen.“ Wenn eine Frau besser sei, habe er nichts dagegen, so der große Gönner. „Nur habe ich so viele nicht erlebt.“ Interessant: Frauen müssen demnach nicht gut, sie müssen besser sein. Immerhin: Als Kandidaten für die künftige Leitung der Volksbühne bringt Castorf einen Mann und eine Frau ins Spiel: das Duo Vegard Vinge und Ida Müller.

Ist das nun zwanghafter Drang zur polternden Provokation? Die Angst davor, vergessen zu werden? Oder – angesichts der zu erwartenden Reaktionen – Untergangssehnsucht? Auf jeden Fall möchte man ausrufen: „Hätte er doch geschwiegen!“ Diesen Satz müsste man allerdings gleichzeitig einigen seiner Kritiker ins Stammbuch schreiben.

Ein Offener Brief hat nicht lange auf sich warten lassen. Einen solchen hat die freiberufliche Kuratorin und Dramaturgin Felizitas Stilleke in der „Welt“ veröffentlicht – und man kann durchaus fragen, ob eine Zeitung des Springer-Verlags die angemessene Bühne ist, um einen – abgesehen von dem jüngsten Interview – ästhetisch bahnbrechenden und politisch linken Künstler zu attackieren.

Kritik an Castorf schießt übers Ziel hinaus

Auch ist schade, dass der von über 600 Kulturschaffenden unterzeichnete Brief weit über die Kritik an den konkreten Äußerungen Castorfs hinausgeht: So möchte Stilleke zwar „die Inhalte und Ästhetiken der Volksbühnen-Zeit unter der Leitung Herrn Castorfs in guter Erinnerung halten“ – möchte diesen Wunsch aber wegen des Interviews dann doch einem „grundsätzlichen Überdenken“ unterziehen. Hier soll mit einem Federstrich eine jahrzehntelange künstlerische Entwicklung in Zweifel gezogen werden. Wenn also unbedachte Äußerungen im Alter ein Lebenswerk derartig beschädigen können, wüsste man von der Autorin gerne, welche Künstler solch hohen Kriterien ein ganzes Leben lang gerecht werden können.

Und warum nutzt Stilleke, die nach eigenen Worten eine „verbindende Sprache“ suche, dann doch eine Sprache mit zahlreichen ausschließenden Codes: So möchte sie festgestellt wissen, „dass ich die white male privileged-‚ Gedanken- und Assoziationsstrudel‘ satt habe“. Oder sie fragt sich: „Wer mansplaint Herrn Castorf nun den Unterschied zwischen Sexismus und Sexualität?“

Beschädigtes Lebenswerk?

Übers Ziel hinaus schießt auch ein kritischer Artikel in der taz, der die (durch das Interview teils begründeten) persönlichen Animositäten gegenüber Castorf gar auf eine ganze Schule des Regietheaters bezieht: In einem fragwürdigen Rundumschlag wird auf engstem Raum alles Theater verdammt, das nicht „inklusiv, nicht queer, nicht vielfältig“ sei. So entstehe „Kunst, die ohnehin nur für einen erlauchten Kennerkreis gedacht ist, der sich immer wieder um sich selbst” drehe. In diesem Theater hat angeblich „die Kunst von Frauen, Schwarzen Menschen, People of Color und anderen Marginalisierten keinen Platz“. Außerdem würden dort „vorwiegend tote Dichter und Denker immer wieder neu interpretiert. Neu – aber immer motiviert durch die Liebe zum Alten“.

War die Autorin jemals in der Volksbühne? Ausgerechnet Castorf einen Hang zum bildungsbürgerlichen Dünkel anzudichten, offenbart eine große Unkenntnis seines Werkes. Was auch übersehen wird, ist, dass Castorf durch sein Lebenswerk das kritische Denken seines Publikums erheblich mehr stimuliert hat als mutmaßlich alle Springer-Redakteure zusammen – auch jene, die sich nun als liberale Feministen-Freunde geben. Diese Leistung Castorfs wird nicht durch ein unbedachtes Interview zerstört.

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Interview selber ist infam. Schade ist nur, dass die berechtigte Kritik daran übers Ziel hinausschießt und in einer sehr pauschalen Theater-Betrachtung mündet, die große Wissensdefizite offenbart. Auch und vor allem ist die „Welt“, wie gesagt, ein mindestens merkwürdiger Verbündeter für die Aktion gegen Castorf. Und um so ärgerlicher ist, dass Castorf dieser Art von Journalisten eine so wohlfeile Möglichkeit gibt, sich „fortschrittlicher“ als dieser wichtige Kulturmacher zu geben.


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