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Titel: Die Einkesselung – Für Aktion gegen Venezuela und Übernahme von Luftwaffen-Stützpunkt landet Trumps Verteidigungsminister nur Stunden vor Kandidatur-Anmeldung Lula da Silvas in Brasilien

Datum: 15. August 2018 um 9:20 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Länderberichte, Wahlen
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Inmitten von Massenprotesten gegen die seit 100 Tagen andauernde Inhaftierung von Altpräsident Luiz Inácio Lula da Silva – erneuter Favorit der gerade angelaufenen Kampagne für die am 7. Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen – landete am Sonntag, dem 12. August, Präsident Trumps Pentagon-Chef, General James Mattis, zu einem zweitägigen Besuch in Brasilien, von wo aus der US-Verteidigungsminister zur Fortsetzung seiner Gespräche nach Argentinien, Chile und Kolumbien weiterreist. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Als förmliche Begründung für den Besuch, dem seit Trumps Amtseinführung immerhin drei politische Blitzvisiten von Vizepräsident Mike Pence in Südamerika vorausgingen, steht die vom Weißen Haus ausgegebene Devise “2018, das Jahr Amerikas”, in dem „die festen Verteidigungsbeziehungen des Departements mit Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien“ hin zu einer „kollaborativen, prosperierenden und sicheren westlichen Hemisphäre“ gewürdigt werden sollen.

„Ist Lula ein politischer Gefangener der USA?“

Nicht nur die politischen Hintergründe werfen Fragen über Mattis‘ eigentliche Absichten auf. Allein aus der Perspektive des politischen Anstands, insbesondere des Respekts vor den innerbrasilianischen Umständen, darf der zeitgünstige Charakter des Besuchs stark bezweifelt werden. Es sei denn, gerade der Besuch soll die Umstände, etwa die gerade begonnene Wahlkampagne beeinflussen; im ungünstigsten Fall militärische Einbindungen mit den USA forcieren, die eine neugewählte brasilianische Regierung nicht ohne weiteres ignorieren kann.

Mattis landete in Brasilien während der am Wochenende verbreiteten Meldung über Bundesrichter Gebran Neto, der zugegeben hat, mit der Unterlassung der Anordnung seines Richter-Kollegen Rogério Favreto, Lula vor ca. drei Wochen auf freien Fuß zu setzen, das Gesetz gebrochen zu haben.

Der US-General gastiert jedoch auch in Brasilien knapp zwei Tage vor der Registrierung der Präsidentschafts-Kandidatur Lula da Silvas. Tausende Bauern und Landarbeiter der Bewegung der Landlosen (MST) brachen deshalb am vergangenen 10. August in verschiedenen Landesteilen Brasiliens zu einem nationalen Fußmarsch mit Kurs auf die Hauptstadt Brasilia auf, wo sie am 15. August – der letzten Frist zur Anmeldung von Bewerbungen für die für den 7. Oktober angesetzten allgemeinen Wahlen – das Oberste Wahlgericht (TSE) umstellen wollen, das über Zulassung oder Ablehnung der Präsidentschaftskandidatur des in Haft befindlichen Altpräsidenten entscheiden wird.

An dem ansehnlichen Marsch beteiligen sich ferner die “Frente Brasil Popular” (Volksfront Brasiliens) als Zusammenschluss hunderter sozialer Bewegungen, die politischen Parteien des linken Wahlbündnisses um Lula – darunter die kommunistische PCdoB und die sozialistische PSB – Gewerkschaftszentralen und Jugendbewegungen, die den 15. August im Bundesdistrikt Brasilia zum „Nationalen Kampftag ‚Lula Frei!‘ ” erklärt haben.

Doch in Brasilien überstürzen sich Sensationen und Hiobsbotschaften. Als Hiobsbotschaft wirkte auf das in- und ausländische konservative Lager die zwischen dem 18. und 20. Juli durchgeführte jüngste Wählerumfrage des Meinungsforschungs-Instituts VoxPopuli, die Lula mit 41 Prozent als absoluten Favoriten der Wählerpräferenzen und einem mehr als 20-prozentigen Vorsprung gegenüber dem Kandidaten der extremen Rechten, Hauptmann a.D. Jair Bolsonaro, platziert.

Die Sensation: Die Rechnung von Justiz, Medien und Finanzmarkt, die sich mit Lulas Inhaftierung eine Vernichtung seiner Kandidatur durch Wählerabwanderung versprachen, ging nicht auf. Es passierte das Gegenteil. Obwohl der Altpräsident seit mehr als 100 Tagen in Haft sitzt, scheint der Solidarisierungseffekt in drei Monaten mindestens 15 Prozent Wählerzustrom befördert zu haben.

Damit setzte sich der Spürsinn und die darauf aufbauende, in breiten Kreisen der Arbeiterpartei (PT) zwar umstrittene, letztlich doch siegreiche Strategie Lulas durch, der trotz zweitinstanzlicher Verurteilung deshalb bis zuletzt auf seiner Kandidatur beharrte, weil er sich von der weltweiten Kampagne “Free Lula!” massiven Wählerzulauf versprach und im Fall einer endgültigen, gerichtlichen Untersagung seiner Wahlaufstellung durch das TSE seinem inzwischen nominierten Stellvertreter Fernando Haddad ein Maximum an potenziellen Stimmen übertragen könnte.

Zwar gab sich Vox-Populi-Geschäftsführer Marcos Coimbra optimistisch mit seiner Erklärung gegenüber brasilianischen Medien, wonach „Lula die erste Wahlrunde gewinnen und Haddad als Sieger der Stichwahl hervorgehen wird “. Was allerdings kein Wahlfachmann gern kommentiert und zu beantworten weiß, ist die Frage, wie sich das massive Lager der 55 Prozent unentschiedener Wähler am 7. Oktober verhalten wird, die sich zu keinem der sieben Präsidentschaftskandidaten bekennen.

Der heiße Krieger Mattis und die Geopolitik

James Mattis ist General a.D. des US-Marine Corps und befehligte während der Amtszeit von Barack Obama als 11. Kommandeur das US-Central Command. Von 2007 bis 2010 diente Mattis gleichzeitig als Oberster Alliierter Befehlshaber der NATO, bevor er General David Petraeus als Kommandeur des US-Central Command ablöste. Seine eigentliche Karriere verdankt Mattis nicht Sitzungstischen und der Bürokratie, sondern den US-Kriegen in Fern- und Mittelost. Während des Irak-Krieges befehligte er den I. Marine Expeditionary Force, ferner den US-Marine Forces Central Command und die 1st. Marine Division.

Weniger bekannt für „markige“ als für hasserfüllte und Gewalt predigende Sprüche wie „Sei der Jäger, nicht der Gejagte“, „Das US-Militär versucht tödlicher zu wirken, auch im Weltraum“, „Der Iran ist kein Nationalstaat, sondern eine revolutionäre Angelegenheit, die dem Chaos gewidmet ist“, und „Putin geht nachts ins Bett und weiß, dass er alle Regeln brechen kann, die der Westen allesamt befolgen wird“, spielte Mattis eine Schlüsselrolle bei den Kampfhandlungen in Falludscha sowie mit der Beteiligung an der Planung der nachfolgenden Operation Phantom Fury.

Seinen Spitznamen „Mad Dog“ verdankt der General der Anordnung eines Massakers. Im Mai 2004 befehligte er um 3:00 Uhr morgens die Bombardierung eines mutmaßlichen, „feindlichen Sicherheitsverstecks“ nahe der syrischen Grenze, die zum Tod von 42 Zivilisten führte und weltweit als das Massaker der Mukaradeeb-Hochzeitsgesellschaft bekannt wurde. Als Leiter des US-Zentralkommandos überwachte Mattis schließlich die Kriege im Irak und in Afghanistan.

Was sucht Mattis auf seiner Südamerika-Tour?

Mattis pflegt dreierlei Obsessionen. Die erste heißt Iran. Laut Leon Panetta, Mattis Vorgänger, schenkte die Obama-Administration „Mad Dog“ deshalb wenig Vertrauen, weil er als „Hitzkopf“ eine militärische Konfrontation mit dem Iran vom Zaun brechen wollte. Mattis glaubt, dass der Iran vor Al-Qaida und ISIS die größte Bedrohung für die Stabilität im Nahen Osten darstellt und wagt Sätze wie: „Ich halte ISIS für nichts weiter als eine Entschuldigung dafür, dass Iran seinen Unfug fortsetzt.“

Seine zweite Feindbestimmung heißt Russland. Auf einer von der The Heritage Foundation in Washington im Jahr 2015 gesponserten Konferenz behauptete Mattis, die Absicht Wladimir Putins sei, „die Nato auseinanderzubrechen”. Noch am 16. Februar 2017 legte er nach: „Trotz Russlands Dementis wissen wir, dass sie versuchen, mit Gewalt neue internationale Grenzen zu ziehen, indem sie die souveränen und freien Nationen Europas untergraben.”

Chinas Operationen im Südchinesischen Meer und sein Aufstieg zum wichtigsten Handelspartner und Großprojekte-Förderer in Lateinamerika ist des Pentagon-Chefs dritte Zwangsvorstellung. Als erste öffentliche Erklärung während seines Auftritts forderte der Pentagon-Chef laut und ungeniert eine „größere Distanzierung Brasiliens von China“.

Die USA versuchen ihren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss zurückzugewinnen, den sie in den vergangenen 15 Jahren in Lateinamerika an China als mächtigsten Handelspartner der Region verloren haben. Allein 2017 nahm das Handelsvolumen zwischen Lateinamerika und China um 20 Prozent zu – ein bedrohliches Szenario für die US-Regierung, die bereit ist, die kommerzielle Expansion des asiatischen Giganten mit allen Mitteln zu drosseln.

Mattis‘ Aufforderung an Brasilien macht zum einen deutlich, dass die Trump-Administration Lateinamerika in ihren aggressiven Handelskrieg mit China und der EU involvieren wollen. China hatte kürzlich die USA wissen lassen, dass ihr Embargo von Agrargütern durch lateinamerikanische Lieferungen ersetzbar ist.

Zum anderen signalisiert Mattis‘ Entsendung nach Südamerika eine neue Qualität im weltweiten Handelsdisput: seine Militarisierung. Unter dem Vorwand, China betreibe auch eine „aggressive Waffenexport-Politik in Lateinamerika“, die allerdings bei weitem nicht an den Umsatz des US-Waffenexports in die Region heranreicht, befeuern die USA nicht nur den Handels- und Investitionskrieg, sondern nötigen parallel dazu lateinamerikanische Regierungen zu Waffenkäufen in den US-Arsenalen, mit der gleichzeitigen Einbindung der Streitkräfte der Region in ihre geopolitischen Strategie-Manöver.

Der Alcântara-Stützpunkt zur elektronischen Kontrolle von Karibik und Südatlantik

Die Mattis Besuchs-Agenda verfolgt in Wahrheit drei strategische Ziele. Zum einen, verbindliche Absprachen von harten Operationen gegen Venezuela, die in drei Besuchen von Mike Pence den südamerikanischen „Partnern“ aufgenötigt, jedoch bisher nicht befolgt wurden. Zum anderen, militärische „Kooperation“ mit massiven Waffenlieferungen an Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien und Unterordnung deren Streitkräfte unter das US-Militärkommando.

Von herausragender Bedeutung ist jedoch die Vorbereitung der Vertragsunterzeichnung zur Übernahme des Luftwaffen-Stützpunktes mit Raumfahrt-Basis Alcântara durch die USA, an der Schnittlinie zwischen Nord- und Südatlantik, im brasilianischen Maranhão. Glaubt man brasilianischen Medienberichten, geht der Druck für die Übernahme allerdings von der De-facto-Regierung Michel Temer und ihren US-freundlichen Generälen aus.

Laut O Globo „wertet Brasilien Verhandlungen über die Alcântara-Basis als Priorität beim Besuch des US-Sekretärs“. In diesem Sinne forderte der brasilianische Verteidigungsminister, General a.D. Joaquim Silva e Luna, Mattis dazu auf, so bald wie möglich ein technisches Schutzabkommen mit den USA abzuschließen, das den Abschuss von Satelliten möglich machen kann. Silva e Luna erklärte, das Abkommen werde noch vor Jahresende unterzeichnet.

Die Übernahme-Vereinbarung war eine Initiative der Regierung Fernando Henrique Cardoso (1995-2003), die seit 2003 wegen fehlender Zustimmung des brasilianischen Parlaments stagniert. Zur Begründung führte der brasilianische Kongress damals an, die Übergabe der Basis an die USA verletze die nationale Souveränität. US-Einzelbestimmungen, wie Brasilianern Zugang zu Einzelabschnitten der Basis zu untersagen, und die Weigerung der USA, Luft- und Raumfahrt-Technologie an Brasilien zu übertragen, lösten damals einen öffentlichen Skandal aus und gipfelten im Abbruch der Verhandlungen.

„Es gab zwei Klauseln mit unterschiedlicher Redaktion, einen strittigen Punkt haben wir bereits gelöst und arbeiten am zweiten“, besänftigte Silva e Luna nun die Öffentlichkeit. Der Vertrag muss selbstverständlich nochmal vom Parlament genehmigt werden. Kunststück! Dasselbe, korrupte Parlament verabschiedet in diesen Tagen eine Steuerhinterziehungs-Amnestie für Großunternehmer im umgerechneten Wert von 121 Milliarden Euro.

Welchen Stellenwert besitzt nun die Alcântara-Basis? Für die USA ist sie aus zweierlei Gründen bedeutsam. Als Raumfahrt-Station liegt sie unmittelbar unterhalb des Äquators und erspart US-amerikanischen Raketen große Mengen Treibstoff, bevor sie auf Umlaufbahn gehen. Als Militärstützpunkt erlaubt sie die nahtlose elektronische Überwachung des Übergangs vom Nord- zum Südatlantik und der gesamten Karibik.

Die militärische „Bedrohung” durch China klingt überdies von lächerlich bis hin zu schwarzem Humor: Die USA unterstellen, die im argentinischen Neuquén kürzlich in Betrieb gegangene Station für Spacetracking (Tiefer Weltraum) der chinesischen Weltraumbehörde CSNA, sei eine „Militärbasis”. Zum Vergleich, die Amerikaner betreiben neben Kasernen, Landepisten und Beobachtungs-Stationen, einschließlich NATO-Stützpunkten, 76 Militärbasen auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Übernehmen die USA die brasilianische Alcântara-Basis, ist Südamerika endgültig eingekesselt.


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